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Kapitel 4

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Die Wächterinnen sprachen die Sprache des Ostens. Wortfetzen hallten über die nackten und kahlen Wände des schwarzen Gesteins. Eine glänzende, fast ölige Schicht schimmerte auf dem Erz im Schein der Fackeln. Es war düster, trotz Lichtquellen. Hier herrschte eine Schwärze, gegen die nur das Sonnenlicht angekommen wäre, doch sie befanden sich tief im Felsen, weit unter der Erde.

Gespräche und Befehle schallten tagsüber durch die engen und niedrigen Gänge. Die Sprache war wie ein wütender Redefluss, zudem besaß der Stamm einen seltsamen, fremden Dialekt. Die Worte klangen unnatürlich in den Ohren eines Westländers.

Er setzte sich auf und blinzelte gen Decke. Das feuchte Gestein tropfte ihm zwischen die Augen, aber er genoss das sanfte Tröpfeln auf seinem erhitzten Gesicht. Zwar war es so tief im Felsen erstaunlich kalt – wenn man bedachte, welche Hitze an der Oberfläche herrschte –, doch das Fieber ließ seine Stirn brennen. Wobei das Feuer in ihm bereits erlosch.

Das Fieber hatte sich gesenkt, ohne Heiler. Seit Tagen hielten sie ihn bei Brot und Wasser in seiner feuchten Zelle, zusammen mit anderen abgemagerten, kranken Sklaven, hin und wieder starb jemand und wurde von den Kriegerinnen ausgesondert. Es war nicht schmutzig, sie hatten Eimer für ihre Notdurft, die regelmäßig geleert wurden, das Wasser, das man ihnen zu trinken gab, war sauber, das Brot immer frisch, manchmal sogar noch warm. Diese Umstände waren sein Glück, sonst wäre er vermutlich dem Tode geweiht. Es gab Decken und er durfte einfache, saubere Hosen und ein Hemd tragen. Auch ohne Kräuter schien sein Körper gegen das leichte Fieber anzukommen, er konnte spüren, wie es sank und wie Lebensgeister in seinen Leib zurückkehrten.

»Halte durch, mein Kind, halte durch. Ich werde kommen.«

»Ja«, flüsterte er rau, seine Stimme klang wie reißendes Pergament, erschöpft lehnte er den Kopf an die Felswand, und als er die Beine anzog, rasselte die Kette, die ihn mit den anderen Sklaven verbunden hielt. »Ich halte durch, Vater. Ich halte durch…«

Er wusste nicht, ob Rettung nahte, vermutlich war die Stimme in seinem Kopf nur ein Hirngespinst, aber sie gab ihm Kraft und Hoffnung.

»Bist du gläubig?«

Er öffnete die Augen wieder und blickte zu seinem Nebenmann. Ein junger Tiermensch saß neben ihm im Schatten, die Knie angezogen und die behaarten Arme vor der fellbedeckten Brust verschränkt. Er war halb Mensch, halb Panther, sein Gesicht war eine groteske Missachtung der Natur, eine Verschmelzung zweier unterschiedlicher Rassen. Blanke Haut vom Hals aufwärts, menschliches, schwarzes Haar, verfilzt, aus dem pelzige Pantherohren hervorlugten. Die Augen eines Mannes, die Nase einer Raubkatze, samt Schnurrhaare. Lippen wie ein Mensch, aber Zähne einer Bestie. Woher er die Sprache des Westens kannte, war ein Rätsel, aber er sprach sie ohne Akzent, also stammte er vermutlich aus Elkanasai. Nur dort gab es Tiermenschen, die die Sprache des Westens verstanden und sprechen konnten.

Der Fremde sah ihn aufmerksam an. »Oder hat dich dein Glaube bereits verlassen?«

»Ich sprach zu meinem Vater«, erwiderte er nur und wandte den Blick wieder ab, wollte schlafen.

»Ah. Verstehe.« Ein Lachen, das in einem amüsanten Schnurren endete, im Dunkeln zuckte ein pelziger Schwanz. »Nun, du bist nicht der erste Sklave hier unten, der den Verstand verliert.«

Im Augenwinkel sah er, wie der Panther eine Kralle im Kreis über seine Schläfe führte.

»Ich bin kein Sklave«, raunte er mehr zu sich selbst als zu seinem Gesprächspartner. Ihm war nicht danach, sich zu unterhalten. Er wollte nur seine Kraft zurückerlangen, um sich zu befreien.

»Wir sind alle Sklaven, Freund«, wandte der Fremde ein. »Und an deiner Stelle würde ich das sehr schnell akzeptieren. Siehst du, wie sie dich ansehen? Deine weiße Haut, deine runden Ohren? Jeder hier weiß, dass du weit aus dem Westen kommst, und weil du mit niemandem sprichst, glauben sie, du hältst dich für etwas Besseres.«

Ihm waren die argwöhnischen Blicke der anderen Sklaven nicht entgangen, auch ihr Widerwille, das Brot mit ihm zu teilen, ein einziges Mal hatte er darum kämpfen müssen, und obwohl er nie ein Kämpfer gewesen war, hatte er sich darum geprügelt und trotz Erschöpfung obsiegt, weil Verzweiflung einem Mann ungeahnte Macht verleihen konnte. Das hatte es nicht besser gemacht, seine Mitleidenden betrachteten ihn voller Abscheu, mit wachsendem Hass.

»Bevor du da warst, war ich der Anderling«, plauderte der Panther ungefragt weiter. »Besser, man fügt sich, fällt nicht auf. Sonst schieben sie dir etwas unter und verpetzen dich an die Wärterinnen, die prügeln dir die Scheiße aus dem Leib, Freund.«

Viele Augen funkelten aus den dunklen Schatten der Zelle zu ihnen herüber und verfolgten ihr Gespräch. Ketten rasselten leise, nackte Füße wurden über den Boden gezogen, irgendwo schniefte jemand, ein anderer hustete. Allesamt waren sie dunkelhäutige, dürre Gestalten mit mandelförmigen Augen und spitzen Ohren. Zadestianer. Männer. Keine einzige Frau. Niemals würde in Zadest einer Frau Ketten angelegt werden, dieses Schicksal teilte nur das männliche Geschlecht.

»Mein Name ist Chusei«, unternahm der Fremde einen weiteren Versuch, auf sich aufmerksam zu machen.

»Das bedeutet treu.«

Die Ohren des Panthers zuckten freudig nach vorne, er grinste breit. »Das stimmt! Du kennst die Worte meines Urvolkes? Bist du ein Gelehrter oder so?«

»Ich kenne viele Sprachen.« Er drehte Chusei das Gesicht zu und sah ihm in die weiten, gelben Augen. »Ich bin Sarsar.«

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