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Kapitel 16

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Eine sanfte Hand glitt über seinen vernarbten Rücken, verursachte ihm gleichzeitig eine Gänsehaut und einen Schrecken. Die letzte sanfte Berührung schien soweit in der Vergangenheit zu liegen, dass er ganz vergessen hatte, wie wohltuend sie sich anfühlen konnte. War es nicht sein Vater gewesen, der ihn zuletzt in den Arm genommen hatte? Vermutlich, früher hatte er sich nie viel aus Berührungen gemacht. Nun vermisste er es, vermisste seine Familie, seine Väter. Er wollte zurück.

Seine Aura strahlte, waberte freudig. Weißer Nebel, der von frostblauen Bahnen durchzogen wurde. Nur für eine andere Hexe sichtbar. Schwach noch, aber wieder vorhanden, wie eine weiße, fluffige Wolke, die immer größer, dicker … dunkler wurde. Von Energie geladen.

»Erstaunlich«, flüsterte Chusei und zog seine Hand zurück, um seine Arbeit wieder aufzunehmen. Seine Ketten klirrten, als er die Arme hob und die Spitzhacke auf das schwarze Gestein führte. »Als würdest du über Nacht heilen.«

Sarsar hob ebenfalls wieder die Arme und trug weiter Erz ab. Sie arbeiteten an jenem Tag weit an der Oberfläche, es war heiß, selbst in den dunklen, feuchten Gängen der Minen. Eine nasse, klebrige Hitze, der man nicht entkommen konnte. Er hatte das Hemd ausgezogen, so wie viele andere auch, nun tuschelten die anderen Sklaven verwundert über seinen abgeheilten Rücken, obwohl er erst zwei Tage zuvor ausgepeitscht worden war. Chusei tupfte ihm zwar fast jeden Abend die Wunden ab, aber auch er hatte die verheilten Narben noch nicht bei Tageslicht gesehen, das von dem Eingang der Höhlen direkt hinter ihnen auf Sarsar blassen, weißen Rücken strahlte.

»Bin eben stur«, erwiderte Sarsar und lächelte schief.

Chuseis Ohren zuckten nach vorne. »Wäre mir neu, dass Trotz ein Wunderheilmittel wäre, aber wenn mich das nächste Mal Peitsche und Prügel treffen, werde ich an deine Worte denken.«

»Alles eine Frage des Glaubens.«

»Dann bist du also doch gläubig?«, foppte der Panther ihn.

Sarsar lachte schnaubend, die Arbeit war kräftezehrend, die Unterhaltung mit seinem einzigen Freund jedoch eine willkommene Erheiterung. »Nein, wahrlich nicht. Sagte ich dir nicht, dass ich aus Nohva stamme? Wir haben unsere Götter verbannt.«

»Oh ja, der verschollene Prinz«, erwiderte Chusei voller Ironie, »wie konnte ich dieses Hirngespinst vergessen?«

Sarsar lachte in sich hinein. Chusei wollte ihm einfach nicht glauben, woher er stammte und wer er war. Sarsar machte es ihm nicht zum Vorwurf, manchmal wachte er morgens in der Zelle auf und fragte sich selbst, ob die Erinnerungen an sein Zuhause nicht doch nur ein Hirngespinst waren.

Warum suchte niemand nach ihm? Vermutlich hielten sie ihn alle für tot, Riath musste glauben, dass er ihn getötet hatte, dass er damit durchgekommen war.

»Verbannt oder nicht, irgendein Gott muss seine Hand über dich halten, so schnell habe ich noch keine Wunde heilen sehen.« Chusei grunzte angestrengt, während er die Hacke führte, aber ihm ging nie der Atem aus, um ein Gespräch am Laufen zu halten. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, zu reden, so viel er konnte, auch wenn Sarsar einen schlechten Tag hatte und sich in kummervolles Schweigen hüllte. »Weißt du, wie wir Tierstämme solche Wunder nennen würden? Wille der Natur.«

Sarsar lief der Schweiß über Rücken und Gesicht, aber er vernahm die schlurfenden Schritte der stämmigen Wärterin, die bei ihrem Rundgang wieder in ihre Nähe kam. Er biss die Zähne zusammen und schwang die schwere Hacke weiter, auch wenn jeder einzelne seiner Muskeln brannte.

»Glaub mir, das hat etwas zu bedeuten«, plapperte Chusei weiter, »wir Tierstämme glauben daran, dass alles von der Natur vorherbestimmt ist. Sie schenkt und nimmt Leben. Sie lässt Verletzungen auf wundersame Weise verheilen, oder sorgt dafür, dass ein kleiner Schnitt bereits tödlich endet. Sie schenkt Kinder, wenn der Waldbestand reich ist, und nimmt Kinder, wenn der Wald sie nicht versorgen kann. Sie sorgt für das Gleichgewicht, sie ist allmächtig und sie weiß alles. Sie bestimmt das Leben. Und sie hat entschieden, dass du leben sollst.«

Sarsar lächelte wieder schief. »Dann muss es wohl so sein, mein Freund.«

Wieder zuckten Chuseis Ohren freudig und seine Augen strahlten in der beinahe kindlichen Unschuld, die seinem Volk eigen schien. Er mochte es, wenn Sarsar ihn als Freund bezeichnete.

Sarsar wollte ihn eigentlich auch nicht anlügen, aber er bezweifelte, dass ein einfacher Sklave es verstehen würde. Es fiel sogar ihm schwer, eine Erklärung zu finden. Es musste die Magie sein, die er in sich aufgenommen hatte, denn bevor sie in ihm war, hatte er solche Kräfte nicht besessen. Zumal es nicht einmal eine richtige Kraft war, er nutzte sie nicht bewusst, er heilte, ohne seine eigene Magie anwenden zu müssen. Es geschah einfach, er konnte es weder aufhalten noch beschleunigen oder lenken, er hatte keine bewusste Kontrolle darüber.

Vor dem Eingang der Höhle geschah irgendetwas. Chuseis Ohren drehten sich nach hinten, er legte die Stirn in Falten, und dann hörte auch Sarsar den leisen Tumult, der vor den Minen in der Bergbaustadt für Lärm sorgte.

Kurz darauf trabte auch schon die Wärterin heran, brüllte einen Befehl und schwang drohend die Peitsche. Sarsar sah verwundert zu, wie seine Kameraden die Spitzhacken fallen ließen und sich aufrichteten. Er tat es ihnen gleich und drehte sich in die Reihe um. Ihnen wurden wieder Eisenringe um die Handgelenke geschnallt, Ketten verbanden sie miteinander und sie hatten demütig die Köpfe zu senken.

»Die Stammesführerin kommt zur Kontrolle«, erklärte Chusei ihm leise, verstummte aber sofort, als die in Lederbänder und Pelze gehüllte Wärterin ihren harten Blick auf ihn richtete und mit einem gebrüllten Wort die Peitsche vor ihm auf den Boden knallen ließ. Sarsar und Chusei zuckten zurück. Da rissen die Sklaven links und rechts von ihnen an den Ketten und warfen sie zu Boden. Sie landeten auf den Füßen, die anderen lachten. Die beiden Kerle, die es gewagt hatten, an den Ketten zu ziehen, wurden mit einem frontalen Peitschenhieb bestraft, aber das schien es ihnen wert gewesen zu sein.

Sarsar und Chusei halfen sich gegenseitig wieder auf, sie taten einfach so, als wäre nichts gewesen. Chusei war nicht aufmüpfig, Sarsar hielt es für klüger, bei einer solchen Übermacht besonnen zu bleiben.

Besonnen, aber stolz. Er ließ sich die Demütigung schlicht nicht anmerken. Und wenn sie ihn noch hundertmal zu Boden stießen, schlugen und traten, er würde ihnen nicht die Genugtuung bieten, ihre Misshandlungen in seine Seele eindringen zu lassen. Körperlich mochten sie ihm wehtun, aber es lag bei ihm, ob er sich das zu Herzen nahm.

Sie waren auch nur Sklaven, verbittert, kannten nur ihre kleine Welt in dieser Zelle, einen Fremdländer zu quälen erlöste sie für ein paar Momente von ihrem eigenen Elend.

Was aber nicht hieß, dass er gern die Wange hinhielt, ihm blieb im Moment schlicht keine andere Wahl, wenn er seine Lage nicht auch noch verschlechtern wollte.

Sie wurden in Reih und Glied aus den Minen getrieben. Über der Bergstadt waren die Baumkronen licht, Rauch stieg von zahlreichen Schmelzöfen in den Himmel, die Sonne stach wie Speere in den Augen, allein deshalb hielten alle die Köpfe gesenkt, und wer es nicht tat, wurde von der unnachgiebigen Peitsche dringend dazu aufgefordert.

Aneinander gekettet konnten sie nur langsam vorwärts gehen, die Ketten und Eisenringe, die sie um Hand- und Fußgelenke, sowie um die Hälse trugen, klirrten in der Mittagssonne. Zum ersten Mal war Sarsar nicht zu erschöpft und musste durch die Sonne geschleift werden. So konnte er sich zum ersten Mal selbst betrachten. Er war mager – mehr als früher – und auf seiner hellen Haut sah er den Schmutz besser als auf der dunklen Haut seiner Mitleidenden. Seine Hände waren aufgeschürft, er hatte blutige Blasen an den Innenflächen und den nackten Füßen. Nichts, was bis zum Morgen nicht wieder verheilt wäre. Um am nächsten Tag erneut aufzureißen. Er sah und spürte bereits Hornhaut an den Handballen. Es waren nicht mehr die Hände eines Prinzen und Magiers, es waren die Hände eines Sklaven.

Sie wurden vor den bienenwabenartigen Eingängen der Höhlen aufgereiht und mussten sich wieder umdrehen. Sarsar stand so eng gedrungen, dass seine Schultern die seiner Nebenmänner steiften. Wobei es eher ihre muskulösen Oberarme waren, denn Sarsar war gewiss nicht so hochgewachsen wie diese Dschungelgeborenen.

Er wagte nicht, den Kopf zu heben, aber seine Augen machten sich selbstständig und schielten empor. Viele Kriegerinnen hatten sich auf dem Platz versammelt, darunter eine muskulöse Frau, im besten Alter, mochte er meinen, die auffallenden Federschmuck und eine Weste aus schwarzem Panther trug, ihr Lederrock war kurz, stramme Bänder zogen sich um ihre starken Waden, an ihrer Hüfte baumelte ein gebogenes Schwert, ihr schwarzes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, so wie es alle Kriegerinnen trugen.

Sie war nicht das, was ihm auffiel, es war der große, muskulöse Mann, der ihr wie ein Hund folgte. Das markante Kinn stolz emporgehoben, die langen Haare mit zwei Strähnen locker nach hinten gesteckt, damit sie nicht in sein dunkles Gesicht fielen. Sein Blick war leer, er trug einen dicken Eisenring um den Hals, aber keine Kette, und war nackt bis auf ein Lendenleibchen, das zu knapp saß. Schwarze Bemalung zierte seine Brust und Schenkel, grimmige Falten vertieften seine Mundwinkel und auf seinem Arm trug er ein Brandmal. Einen Halbmond.

Sarsar erinnerte sich an den Stern, den man ihm als Markierung in die Haut gebrannt hatte und der sich entzündet hatte.

»Das ist der persönliche Zuchtsklave der Stammesführerin«, flüsterte Chusei ihm zu. »Siehst du wie viel kräftiger er ist? Diese Burschen könnten unsere Arbeit locker erledigen, aber dafür sind sie zu schade. Verstehst du? Werden nur zur Zucht für starke Kriegerinnen genommen. Wir Mistgeburten dürfen schuften.«

»Dein Vater war doch kein Zadestianer«, erinnerte sich Sarsar. Chusei hatte ihm erzählt, dass seine Mutter – eine Katzenfrau – in einem Zirkus in Elkanasai aufgetreten war. Als sie von einem Elkanasai geschändet wurde und ihn empfing, ging sie in die Wälder und suchte einen Stamm, der sie aufnahm. Aber sie gerieten zu nahe an die Zadestianische Grenze, weil die Stämme der Tiervölker die Grenzen der Kontinente nicht verstehen, und wurden von Kriegerinnen überfallen. Alle Männer und Jungen wurden in die Sklaverei verdammt, weil es in Zadest ein Frevel war, einen Mann frei umherstreifen zu lassen.

»Zuchtsklave«, flüsterte Sarsar nachdenklich vor sich hin und musterte den großen Zadestianer wieder von oben nach unten. Er hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Fen, aber in gewisser Hinsicht fiel es Sarsar ohnehin noch schwer, Unterschiede unter den dunkelhäutigen Stämmen zu erkennen.

»Warum schwitzt er so?«, fragte Sarsar leiser, es war ihm gleich aufgefallen. Die Stammesanführerin hatte ihr Gespräch mit den führenden Aufseherinnen beendet und kam näher. »Er müsste die Hitze gewohnt sein, er schwitzt wegen etwas anderem. Die Perlen auf seiner Stirn sind dick und milchig, seine Nasenflügel scheinen gebläht und seine Augen gerötet… Tut ihm etwas weh? Bereitet ihm etwas Schmerzen?«

Chusei zuckte neben ihm mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht sein Schwanz, weil er zu sehr beansprucht wird«, gab er zynisch hinzu.

Die Schmerzen schienen stark zu sein, Sarsar versuchte, ihn näher zu betrachten, aber als sie vor ihm standen, konnte er nur noch die großen Füße sehen. Die Stammesführerin schlenderte die Reihe entlang und nickte zufrieden. Sie blieb vor Sarsar stehen, hob sein Kinn an und verengte kritisch die Augen. Hinter ihr blitzte der leere Blick ihres Zuchthengstes auf, als er Sarsars schneeweiße Iriden bemerkte. Er starrte ihm unverwandt überrascht ins Gesicht. Unbewegt starrte Sarsar zurück.

Die Stammesführerin drehte sich zu einigen wartenden Kriegerinnen um, sagte etwas, und alle lachten gehässig.

Sarsar zeigte keine Rührung, er wusste, dass sie ihn für zu klein und zierlich hielten, aber er hatte bewiesen, dass er arbeiten konnte. Sie ging weiter, noch immer amüsiert. Vermutlich hatten die Wärterinnen Wetten laufen, wie lange er durchhielt.

Sarsar schielte ihrem nachlaufenden Sklaven nach, versuchte zu erkennen, was diesen quälte.

»Der hat es gut«, murmelte Chusei neidisch. »Reinrassig müsste man sein.«

»Ich weiß nicht, ob ich mich vergewaltigen lassen würde, um dem Erzabschürfen zu entkommen«, gab Sarsar zurück.

Chusei schnaubte. »Ich würde lieber täglich zwischen irgendwelche Schenkel sinken, als hier zu schuften. Als Zuchtsklave einer Stammesanführerin hast du ein eigenes Gemach, ein Bett, gutes Essen, fast sogar so etwas wie Achtung. Jedenfalls hab ich das so gehört, und er sieht mir nicht sonderlich unterernährt oder ausgepeitscht aus, findest du nicht?«

Nein, dem musste Sarsar zustimmen, es war der gepflegteste, gesündeste Sklave, den er seit er hier war gesehen hatte.

Er verengte seine weißen Augen und blickte dem Sklaven hinterher. Dieser sah ebenfalls noch ein letztes Mal zurück, direkt in Sarsars Gesicht, schien noch immer irritiert von dessen Antlitz.

»Dann sind diese Sklaven also wie … das kostbare Haustier der Stammesführerinnen?«, fragte er nachdenklich. »Wirklich wie ein Zuchthengst?«

»Weiß nicht, was ihr Westländer immer mit euren Zuchthengsten habt, aber wenn es bedeuten soll, dass man sie behandelt, als wären sie fast menschlich, dann ja, davon kannst du ausgehen, Freund«, stimmte Chusei zu, »die bekommen sogar das Fell gebürstet.«

»Interessant.« Wirklich höchst interessant.

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