Читать книгу Geliebtes Carapuhr - Billy Remie - Страница 20
Kapitel 13
ОглавлениеAm Tisch herrschte Schweigen, das nur von dem Schlurfen und Schlucken der Speisen durchbrochen wurde. Es war noch früh und sie aßen gemeinsam mit dem Großkönig unter Ausschluss des Pöbels. Nicht einmal Melecays persönliche Leibwachen durften ihn zu solch früher Stunde stören.
Es gab Hammel und Met. Vynsu hatte seine Waffen neben sich in Griffweite wie üblich auf dem Tisch abgelegt, weil ihn die Scheiden des Schwertes und des Dolches sonst bei einer bequemen Sitzposition behindert hätten.
Der Großkönig nahm sein Frühstück schweigend am Kopfende der Tafel ein, und weder Vynsu noch Desith, die sich gegenübersaßen, wagten die Stille zu durchbrechen. Vynsus Mutter war damit beschäftigt, Derricks Geist und Körper zu erforschen, das wusste Vynsu, da er sie bereits kurz besucht hatte, bevor er Desith zu Melecay gefolgt war.
Er hatte auch Derrick gesehen, in dessen bodenlosen Echsenaugen nicht der geringste Funke des Erkennens gesteckt hatte. Aber das trat er vor seinem Onkel natürlich nicht breit.
Melecay war entschlossen, seinen Ziehsohn zurückzuholen, niemals würde er eine andere Denkweise oder Einmischung dulden. Aber wer konnte es ihm verübeln, das winzige bisschen Herz, das der Großkönig besaß, gehörte seinem Sohn. Jeder in Carapuhr wusste das.
Das hieß nicht, dass Derrick verwöhnt gewesen wäre, wie jeder Bursche in Carapuhr hatte er sich beweisen müssen, hatte kämpfen und töten und seinen Mann stehen müssen. Aber für Melecays Verhältnisse war Derrick geliebt aufgewachsen. Vynsu wusste nicht, ob Derrick irgendetwas tun könnte, um Melecay zu enttäuschen. Immerhin hatte Derrick die Krone einfach abgelehnt, hatte sich geweigert, darum zu streiten, er hatte sich Desith, ohne zu fragen, genommen, er war wegen Sarsar in Zadest geblieben und hatte seine Pflichten in Carapuhr vernachlässigt, er war fortgelaufen, und Melecay hatte niemals an ihm gezweifelt oder geäußert, dass Derrick ihn im Stich gelassen hätte.
Aber als Vynsu zugelassen hatte, dass seine Frau ermordet wurde und daraufhin ein paar Wochen mit einer Gruppe Söldner unterwegs gewesen war, weil er sich nicht nach Hause getraut hatte, da hatte Melecay von Verrat, von Feigheit und Enttäuschung gesprochen.
Wäre all das Derrick passiert, hätte Melecay ihm nicht die Krone aberkannt. Denn … nun ja, dann wäre es ja Derrick passiert, und nicht ihm, dem dummen Neffen.
Aber Vynsu hegte deshalb keinen Groll gegen Derrick. Im Gegenteil, er war froh, dass Melecay diesem nichts nachtrug. Wenn Derrick den Thron von Carapuhr besteigen sollte, dann war das für Vynsu in Ordnung, er würde Derrick mit dem Herzen folgen, auch wenn er diesen nicht für einen geeigneten König hielt. Aber sie waren Brüder im Geiste, würden es immer sein.
Derrick hatte seitjeher gezeigt, dass er besser folgte, statt führte, vielleicht würde Vynsu feststellen, dass es ihm genauso erging. Ohne Verantwortung gab es auch weniger Sorgen. Er vermisste es nicht sonderlich, aber er kam sich doch manchmal darum betrogen vor.
Vynsu unterdrückte ein Seufzen, brach ein Stück Brot ab und tunkte es in die Brühe mit dem Hammelfleisch. Er kaute nachdenklich und schielte zu Desith.
Der Wildfang hatte sich das feurige Haar nicht gebürstet wieder hoch oben auf dem Hinterkopf locker zusammengebunden und mit seinem roten Haarband versehen. Er wirkte erholt und seine Wangen schimmerten gesund im Schein der Kerzen. Ohne zu zetern hatte er seine Frühstücksschale bis auf den letzten Rest regelrecht leergefressen – hatte die kraftspendende Mahlzeit wohl nach der letzten Nacht nötig gehabt – und lehnte nun kerzengerade an seiner Stuhllehne und schlürfte nachdenklich seinen Met. Er trug das Hemd und die Hose von gestern, an dem Stoff glaubte Vynsu seinen eigenen Geruch noch immer wahrzunehmen.
Man hatte sie geweckt, ein Krieger hatte den Kopf ins Zelt gesteckt und sie zu Melecay beordert, alle beide. Er war weder überrascht noch schockiert gewesen, sie zusammen schlafend vorzufinden.
Warum hätte er auch empört sein sollen? Zwar hatte Vynsu nie einem Knecht oder sonst einem Mann beigelegen, aber in Carapuhr war es Sitte, der Lust alle Türen und Tore zu öffnen. Vynsu hatte sich auch nicht geschämt, als er mit Desith zusammen erwischt wurde und sie gemeinsam aus dem Zelt getreten waren. Die Mägde haben geschaut, natürlich hatten sie das, denn Sitte hin oder her, getratscht wurde überall. Doch kein Barbar würde sich jemals für irgendetwas schämen, ob er nun mit einem anderen Mann oder einer Ziege beim Ficken erwischt wurde. Scham war etwas für Feiglinge.
Vynsu bereute es nicht, noch zweifelte er plötzlich an sich selbst. Er hatte nie bei einem Mann gelegen, da sein Verlangen dem schönen Geschlecht galt, aber er war nicht über sich selbst schockiert. Fleisch ist Fleisch. Er hatte nie den Wunsch verspürt, bei einem Mann zu liegen und er dachte auch an jenem Morgen nicht allzu viel über die letzte Nacht nach. Was passiert war, war passiert. Er hatte nicht Desiths Geschlecht, sondern nur Desiths enge Pforte begehrt. Der Akt war gut gewesen, es hatte sich schön angefühlt, Desith wusste, wie er ihn hatte reizen können, und sie hatten Freude miteinander gehabt.
Deshalb stellte er jetzt aber nicht seine ganze Welt in Frage und hechelte den Stallknechten nach. Oder gar Desith. Es war eine rein körperliche Angelegenheit, die er akzeptierte, die er zugab, genossen zu haben. Und sollte irgendwann mal bei einem Gruppengerangel ein junger Bursche dazu schleichen, würde Vynsu gewiss nicht gleich der Schwanz abfallen, wenn er dessen Arsch begattete.
Kurz um, der Begriff »Barbar« war nicht nur dem Kampfgeist eines Nordmannes geschuldet, sondern auch der Fähigkeit, all seine sexuellen Begegnungen mit einem Schulterzucken und einem schiefen Grinsen abzutun.
Einzig und allein die Tatsache, dass Derrick ihn umbringen würde, sobald er wieder ein Mensch war, sorgte dafür, dass er an diesem Morgen einen Stein im Magen hatte.
»Hattet ihr Spaß gestern Nacht?« Die plötzlich erklingende Stimme des Großkönigs riss Vynsu aus seinen Gedanken. Natürlich war er mit allem im Bilde, vermutlich hatten seine Spione Vynsu beobachtet, oder der Krieger von heute Morgen hatte ihm mitgeteilt, dass er sie zusammen erwischt hatte.
Über die gekerbte Tischplatte hinweg sahen sich Desith und Vynsu in die Augen, der Kerzenschein spiegelte in Desiths Iriden und sein Mund – wohlbemerkt seitjeher formvollendete und wahrlich sündhafte Schönheit – verzog sich zu einem schelmischen Schmunzeln. »Es war annehmbar.«
Annehmbar. Vynsu ließ nur ein Schauben verlauten und griff nach seinem Met. Desiths vor Wonne zuckende Pforte hatte sich angefühlt, als wäre es mehr als nur annehmbar, seinen harten Phallus in sich zu spüren.
Vynsu fühlte die kalten Augen seines Onkels, die zwischen ihnen hin und her blickten und verkniff sich jeglichen Kommentar. Er hatte es nicht nötig, sich zu rechtfertigen, er wusste, das Desith, Spielchen mit ihm treiben wollte. Er gab diesem keinen Zündstoff für neues Feuer.
»Es ist mir gleich«, sagte der Großkönig trocken, »was ihr, oder was ihr nicht, in euren Nächten treibt. Aber wenn Derrick sich weigert, ein durchgerammeltes Stück Fleisch zu ehelichen, werde ich Vynsu kastrieren müssen wie einen räudigen Köter.«
»Wetzt Euer Messer noch nicht, Onkel«, warf Vynsu gelassen ein, »es kommt nicht wieder vor.«
Desith sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an, in seinen Augen stand eine so deutliche Frage, dass man sie fast hören konnte. »Warum ist er so scheiße zu dir?«, schien er zu fragen. Aber Vynsu ignorierte das und hob den Becher an die Lippen.
Der Großkönig betrachtete ihn eingehend, schien mit Vynsus Gleichgültigkeit aber zufrieden und fuhr mit seiner dunklen, rauen Stimme fort: »Derrick wird sich zurückverwandeln und dann darf einer Vermählung und einem Bündnis mit dem Kaiserreich nichts im Wege stehen.«
Vynsu betrachtete Desith, aus dessen Augen jeglicher Glanz wich, sein Gesicht wurde hart.
»Ich werde mich nicht wie eine Hure mit Rick vermählen lassen«, zischte er trotzig und wagte es, den Großkönig dabei wütend anzublicken.
Ein Magenbrodeln kündigte sich in Vynsus Innerstem an, er erlaubte sich keinen Zwischenruf.
»Seltsam«, der Großkönig gab sich trügerisch gelassen, »dabei hast du dich doch auch wie eine Hure von ihm besteigen lassen. Es erschließt sich mir nicht, warum das jetzt ein Problem darstellt.«
Desith presste durch die Zähne: »Es ist meine Angelegenheit, bei wem ich wie und wann und wie oft liege. Ob Prinz, ob Prinzessin, ob Bauer, ob Bettler, Rind oder Ziege, ich besteige, was ich will. Aber ich vermähle mich deshalb nicht gleich mit allem, was mir vor die Schwanzspitze läuft.«
»Nein«, stimmte Melecay zu und kaute genüsslich auf seinem Brot, »lass dich nur weichrammeln, von wem du willst, Junge, aber wenn ich sage, du wirst dich mit einem von meinem Volk vermählen, dann wirst du das tun, denn ich bin dein König, und du wirst mir Gehorsam leisten! Davon abgesehen hast du einen Treueeid geleistet, bist aber vor sieben Jahren weggegangen. Man nennt das desertiert. Die Vermählung mit Derrick ist das Einzige, was dich vor dem Schafott rettet.«
Desith sah ihn derart ungläubig an, als hätte der Großkönig ihm offenbart, dass er gedenke, sich mit dem Kaiser zu vermählen. »Ich war wegen Rick sieben verdammte Jahre in diesem Höllendschungel! Desertiert? Wie kann ich desertiert sein, wenn ich bei Rick war, dem allein meine Treue gehörte?«
»Du schworst mir die Treue, nicht Rick. Mein Sohn war ein freier Mann, du hingegen hast deine Pflicht verkannt«, sprach der Großkönig völlig ruhig und von sich selbst überzeugt. »Du wirst Derrick heiraten oder als Deserteur abgeführt. Eine andere Wahl bleibt dir nicht.«
Der Tisch wackelte, als Desith von seinem Stuhl sprang, polternd fiel die Sitzmöglichkeit um. Mit aufgeblähten Nasenflügeln und zu Fäusten geballten Händen starrte Desith den Großkönig an.
»Setzt dich«, sagte Melecay gelassen und schaute mit einem leichten Lächeln zu ihm auf, »du machst dich lächerlich.«
»Ihr könnt mich nicht zwingen, einen Drachen zu ehelichen, der gar nicht hier sein will und für den ich nur eine Vorspeise bin!«
Der Großkönig lehnte sich mit ernstem Gesicht in seinem hölzernen Thron zurück. »Dann verstehe ich deinen kindischen Trotz nicht. Ich zwinge dich nicht zu einer Ehe mit einem Drachen, Desith, sondern ermögliche dir das, was du und Rick seitjeher wolltet.«
»Rick ist gegangen, Ihr habt es selbst gesehen, er kommt nicht für mich zurück. Ich bedeute ihm nichts mehr. Die Zeiten haben sich verändert«, konterte Desith herablassend durch noch immer zusammengebissene Zähne. Ihm war so deutlich anzusehen, dass er verzweifelt versuchte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, dass es fast bemitleidenswert war. »Und selbst wenn er zurückkäme, wird er nicht seinen Platz als Euer Erbe einnehmen, er wird umdrehen und gehen, weil alles, was ihn antreibt, die Suche nach Sarsar ist. Einem Toten. Er ist verloren, Großkönig Melecay, Ihr müsst Ihn ziehen lassen, ebenso wie ich.«
Der Großkönig verengte die Augen wie ein Scharfschütze, wenn er den Bogen spannte. Seine Knöchel traten weiß hervor, weil er die Armlehnen seines Throns vor Wut fest packte.
Vynsu hielt den Atem an, während er gleichzeitig überlegte, ob er es wagen konnte, sich schützend vor Desith zu stellen, oder ob er damit nur seinen eigenen Kopf riskierte und seine Kinder zu Waisen machen würde.
»Seit wann nimmt der Großkönig von Carapuhr Befehle von einem Burschen entgegen?« Melecays Stimme war ruhig, aber schneidend. »Seit wann ist es üblich, dass ein Halbstarker es wagt, sein verdammtes, unnützes Wort gegen mich zu erheben?«
Desith wandte den Blick ab, er starrte auf den Tisch und lehnte sich mit den Fingerspitzen auf die Kante, seine Lippen waren ein dünner Strich. Und Vynsu hatte Mitleid mit ihm.
»Du bist ein Welpe«, keifte Melecay nachdrücklich, »ein kleiner, unerzogener Welpe, nichts weiter bist du für mich. Wage ja nicht noch einmal, mir zu befehlen. Sonst lasse ich dich vor Derricks Nase anbinden, bis ihr beide lernt, euch wieder gern zu haben. Verstanden?«
»Weiß mein Vater, dass ich gefunden wurde?«, fragte Desith leise, es war sein letzter Hoffnungsschimmer. »Ich will, dass mein Vater benachrichtigt wird.«
Melecay fing an, über Desiths Naivität zu lachen. Er sah zu Vynsu, der nur kopfschüttelnd den Blick abwandte, er würde sich nicht über Desiths Lage amüsieren. Melecay schnaubte über ihn, dann wandte er das Gesicht wieder mit einem gewohnt harten Ausdruck zu Desith um.
»Ich ließ deinem Vater mitteilen, dass du voller Sorge um Derrick bist, es dir aber gut geht. Sorge dich nicht, er wird kommen, wenn die Vermählungszeremonie stattfindet. Er wird dort sein und er wird diese Ehe anerkennen!«
»Mein Vater hat sich immer gegen diese Bindung ausgesprochen«, warf Desith ein, »er wird diese Ehe nie anerkennen, für ihn ist sie keine Stärkung des Bündnisses, sondern eine Schmach! Und wozu braucht Ihr schon eine Ehe, es besteht bereits ein Friedensvertrag! Fürchtet Carapuhr etwa das Kaiserreich?«
Eine gewagte Behauptung, die Vynsu einen Herzsturz verursachte. Er schielte unbehaglich zu seinem temperamentvollen Onkel.
»Es geht um Respekt, den dein Vater mir schuldet. Ich nehme ihn in Form einer Verbindung unserer Kinder, als Beweis für seine Zuneigung mir gegenüber.« Die Stimme des Großkönigs klang beunruhigend gelassen. »Friedensverträge können gebrochen werden«, erklärte er weiter, »eine Ehe hält für gewöhnlich ein Leben lang. Wenn man nicht gerade zulässt, dass einem der Ehepartner unter der Nase abgeschlachtet wird.« Er warf einen bösen Blick auf Vynsu.
Vynsu senkte die Augen auf den Tisch, er ignorierte den Stich in der Brust.
»Außerdem«, fuhr sein Onkel fort und blickte Desith wieder an, »will jemand in meinem Land verhindern, dass eine solche Bündnisehe zwischen Carapuhr und Elkanasai zustande kommt, wie die Ermordung deiner Schwester beweist. Und das kann und will ich mir nicht bieten lassen.«
Kopfschüttelnd stellte Desith sich weiterhin quer. »Mein Vater wird dem nicht zustimmen.«
»Er hat bereits zugestimmt«, Melecay faltete die Hände über dem Bauch, »natürlich zu einem Zeitpunkt, als wir noch dachten, wir würden zwei Verliebte vermählen. Aber nichts destotrotz wirst du deine Pflicht tun. Dein Vater muss nichts davon erfahren, dass die Liebe, die er so verabscheute, bereits erloschen ist. Sieh es mal so, du trägst zum Schutz unserer Grenzen bei und sicherst einen jahrzehntelangen Frieden zwischen unseren Völkern.«
»Niemals!« In Desiths Augen stand der pure Trotz. »Lieber stecke ich mich selbst in Brand, lasse ganze Völker abschlachten und Dynastien den Bach runter gehen, aber ich werde mein Leben von nun an selbst bestimmen, und ich habe beschlossen, nach Hause zurückzukehren! Ihr wollt eine Ehe, einen Bund zwischen Eurem Königreich und dem Reich meines Vaters? Dann vermählt Rick mit einem meiner Brüder, soweit ich weiß, ist mein erst kürzlich entdeckter Halbbruder Männern sehr zugetan. Nehmt ihn und lasst mich bloß damit zufrieden.«
Er lieferte seinen Bruder zu seinem eigenen Vorteil aus. Vynsu wusste nicht, was er davon hielt. Aber immerhin wurde deutlich, dass Desith Derrick lieber an einen anderen verkaufen würde, als sich selbst an diesen zu binden. Er wollte nicht Ricks Gemahl sein, unter keinen Umständen.
Melecay grinste schief. »Er ist nur ein Bastard, ein … Nichts, das man im Wald aufgelesen hat. Davon abgesehen ist diese Unterhaltung reine Zeitverschwendung. Ich lasse dir hierbei keine Wahl, Desith. Du hast gehört, was deine Pflicht ist und was für dich als Anteil am Großen und Ganzen erwartet wird. Ich befehle es dir. Du wirst Derricks Prinzgemahl. Du hast mir einen Eid geleistet, als du ein dummer, liebestoller Junge warst. Trage es gefälligst wie ein Mann und liege mir nicht in den Ohren, sonst trittst du ohne Zunge vor den Altar des Schamanen! Aber glaub mir, du wirst vor den Altar treten!« Er griff mit einer endgültigen Geste zu dem Krug auf dem Tisch und goss sich Met ein.
Desith sah verzweifelt von ihm zu Vynsu, Not und Flehen standen in seinem eisblauen Blick, aber Vynsu konnte nur warnend den Kopf schütteln.
»Du hast es versprochen!« Wuttränen schimmerten in Desiths Augen. »Du hast versprochen, dass du mich nach Hause bringst.«
Vynsu schlug die Augen nieder, er kam sich wieder unheimlich schmutzig vor.
»Vynsu ist nicht in der Lage, solche Versprechen zu geben«, mischte der Großkönig sich ein und knallte den Krug zurück auf den Tisch, nachdem er den Becher randvoll gegossen hatte. »Außerdem, was ist das Versprechen eines Nordmannes wert, Desith Airynn von Elkanasai?« Er lachte dreckig in sich hinein, ergötzte sich regelrecht an Desiths Machtlosigkeit. »Versprechen sind nur etwas für Feiglinge und einfältige Kinder, damit ihnen die Welt nicht so böse und ungeordnet vorkommt. Sie tragen nur zu einem Trugschluss bei. Sie sind nur unsichtbare Ketten, mein Junge.«
Desiths Augen schwammen. »Bastard!«, spie Desith Vynsu entgegen. »Elende, treulose Bastarde. Alle zusammen!« Ehe sie reagieren konnten, schnappte er sich Vynsus Schwert und Dolch vom Tisch. »Niemand befiehlt mir etwas!«
Sie sahen ihm gelangweilt nach, als er über den Stuhl stieg und nach draußen marschierte. Sie machten keine Anstalten, ihn daran zu hindern.
Melecays Thron knarrte, als er sich mit seinem vollen Becher in der Hand wieder zurücklehnte. »Er hat dein Schwert, Neffe«, merkte er an.
»Mhm.« Vynsu rieb sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger.
Melecay zog seine Klinge und warf sie scheppernd auf den Tisch. »Halt ihn auf.«
Seufzend erhob Vynsu sich aus seinem Stuhl, nahm Melecays Schwert an sich und folgte ohne Eile dem Tumult, den Desith im Lager anrichtete.
*~*~*
Desith stampfte mit hocherhobenem Haupt durch die Zeltreihen, rempelte Barbaren an, stieß Mägde und Knechte wütend beiseite, während er einen Ausgang aus dieser verdammten Zeltstadt suchte.
Es war ihm gleich, dass sauberes Geschirr wegen ihm in den Dreck fiel, dass Tücher umhergeweht wurden, dass die Mädchen nach Luft schnappten und die Barbaren ihm Prügel androhten. Er ging einfach weiter, hinterließ ein wütendes Chaos dort, wo er hintrat. Er genoss sogar ein wenig die schockierten, fragenden Blicke, die ihm folgten. Einige Weiber hielten ihn wohl immer noch für einen bösen Geist, denn sie wichen ihm aus und verfolgten ihn mit geweiteten, ängstlichen Augen.
Aus einem Grund, den er nicht erklären konnte, gefiel ihm ihre Furcht.
Doch das bewegte ihn sicher nicht zum Bleiben.
Niemals würde er es einfach so zulassen, dass irgendjemand außer er selbst über sein Leben bestimmte. Weder hatte er damals seinem Vater gehorcht, als dieser ihm den Umgang mit Derrick hatte verbieten wollen, noch würde er an diesem Tage sang und klanglos akzeptieren, dass der Großkönig ihn mit Derrick vermählte. Liebe hin oder her, selbst auf die Furcht geschissen, es ging rein ums Prinzip. Er war keine Maid, die von den hohen Herren verschachert werden konnte wie ihnen beliebte, und selbst für eine Frau wäre es eine unsagbare Schande, würde sie dieses Schicksal demütig antreten.
Nicht mit ihm! Er würde sich nicht befehlen lassen, eine Ehe einzugehen, die er nicht aus freien Stücken selbst treffen wollte. Er war keiner dieser naiven, kleinen Geschöpfe, die sich nicht wehren konnten. Es blieb ihm immer eine Wahl, jeder Mann und jede Frau hatten in dieser Position eine Wahl. Treueeide, Pflichten und Gehorsam zum Trotz. Desith war ein freier Mensch, er würde sich nicht zu einem Sklaven machen lassen. Oder zu einem treuen, kleinen Hausfrauchen. Niemals würde er einem anderen Menschen gehören. Niemals.
Und er hatte bereits bewiesen, dass er den Tod einem Käfig vorzog.
Aber dieses Mal würde er nicht allein gehen. Wenn sie ihn zwingen wollten, sollten sie kommen und es versuchen, es würde Blut vergossen werden, wenn sie es darauf ankommen lassen wollten.
Und das wollten sie.
Er erspähte am Ende einer langen Zeltreihe einen Ausgang in der hocherbauten Palisade, direkt neben den Gattern, in die die Pferde gepfercht waren. Ein junger, knackiger Knecht führte zwei wild tänzelnde wunderschöne Hengste am Ausgang vorbei und hatte einige Mühe, die kräftigen Tiere zu bändigen.
Desith ging schnurstracks darauf zu. Sein Blick fixierte die Reisfelder, die im warmen Wind Elkanasais wogten, als winkten sie ihn in die Freiheit. Er wurde immer schneller, sah nur diese Lücke zwischen den spitzgefeilten Baumstämmen, war wie ein Fohlen, das auf ein offenes Gatter zustürmte…
»Na-na!« Ein riesiger Schatten stellte sich ihm in den Weg. Langes Haar, vernarbtes Gesicht, als hätte diese Schweinsfratze einen Klingenhieb mit der Fresse abgefangen. Fettiges, langes Haar in der Farbe von Mohnblumen. »Wo wollt Ihr denn hin, Kaisersöhnchen? Glaub nicht, dass Ihr so einsam hier herumstreifen solltet.« Er zwinkerte widerwärtig. »Nicht ohne ein hübsches Halsbändchen mit einem Glöckchen daran.«
Desith blieb mit gebleckten Zähnen stehen, er brauchte nichts zu sagen, er konnte mit den Augen kontern.
Der Barbar lachte, ein Strohhalm steckte zwischen seinen abgebrochenen Zähnen. Er nahm ihn gelassen raus, während er sich o-beinig wie eine Mauer vor ihm aufbaute, und spuckte auf den Boden. Der Wind strich durch das graue Fell seines kurzen Umhangs, das seine Schultern bedeckte, einen Harnisch trug er nicht, auch kein Hemd, seine behaarte Brust war nackt und überzogen von frischen Kratzern, die dank der dicken Beschaffenheit seiner Haut nur oberflächlich schienen.
»Lasst mich sofort vorbei«, drohte Desith ihm. Das Leder der Scheiden, die er in der Hand hielt, knirschte, als sich sein Griff verstärkte.
Er hätte wissen müssen, dass Melecay nicht nur Vynsu beauftragt hatte, ihn zu bewachen. Vermutlich war dem ganzen Lager eingebläut worden, dass Desith die Palisaden nicht durchschreiten durfte. Er war ein Gefangener. Ein hochrangiger Gefangener, aber dennoch ein Gefangener.
Das würde ihn nicht aufhalten. Und wenn sich das gesamte Lager zwischen ihm und seine Freiheit stellte, es würde ihn nicht aufhalten!
»Geht Beiseite«, betonte Desith ein letztes Mal, »oder bereut es.«
Der Barbar steckte sich lachend wieder den Strohhalm zwischen die Zähne. Im Augenwinkel sah Desith, wie zwischen den Zelten weitere große Schatten heraustraten, die ihn langsam einkesselten. Sie waren nicht auf der Hut, sie waren entspannt, fast gelangweilt. Wie eine Gruppe Wölfe, die ein verletztes Rehkitz einkreiste.
Desith bewegte sich nicht, bis auf die Augen, die die Bewegungen der Angreifer beobachteten. Schweinsfratze zog mit einem amüsierten Grinsen sein Schwert aus der Scheide. Es war ein kurzes Sax. Auch die anderen zogen ihre Schwerter, Metall sang in der Luft das Lied des Todes.
Desith blickte den Barbaren vor sich wieder an. »Ich habe Euch gewarnt.« Er hob Vynsus Waffen auf Nasenspitzenhöhe und zog sowohl Schwert als auch den Dolch demonstrativ mit einem kräftigen Ruck aus ihren Hüllen, die Lederscheiden warf er Beiseite. »Dann lasst uns tanzen.« Er nahm den Dolch in die linke, und das Breitschwert in die rechte Hand. Das Gewicht der Waffen fühlte sich gut und vertraut an.
Der Barbar grinste schmutzig. »Ergebt Euch einfach friedlich, Kleiner, dann müssen meine Brüder und ich Euch nicht wehtun.«
Desith knurrte: »Niemand wagt es, mich Kleiner zu nennen.« Er machte einen blitzschnellen Satz nach vorne und begann einen blutigen Klingentanz.