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Kapitel 19

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Solitude, eine Stadt im Herzen des Regenwaldes, gebaut auf vielen Gesteinssäulen, Villen über Villen über Villen, flache Dächer, breite Straßen, hohe Mauern. Ein Land in einem Land, gebaut von Menschenhand aus Marmor und Kalkstein und Gold. So riesig wie ein Ameisenbau für eine Laus.

Der Palasthof lag auf einem Hügel, umringt von feinsäuberlich gehaltenen Gärten, tausend weiße Stufen führten vom Kaisermarktplatz hinauf zum Sitz Ihrer Majestät. Das Ratsgebäude und die überwältigend große Bibliothek befanden sich direkt nebenan. Das Herz der Stadt war der große Markt und der Palasthügel. Die Stadt selbst war in Viertel unterteilt, viele Tore mussten passiert werden, um zu ihrem Kern und somit von den bescheidenen Unterkünften der armen Bevölkerung zu den prächtigen Marmorgebäuden der Oberschicht zu gelangen. Es gab ein Hafenviertel, der Geruch von Flusswasser, Seegras und Fisch wehte von dorther in die Straßen, am Pier befanden sich auch die meisten Wirtshäuser, eine Werft und eine riesige Schmiede. Armenviertel, Handwerkerviertel, Badehäuser, das Arenaviertel, das Universitätsviertel und seine Akademie für Magiebegabte. Die Stadt bot alles, was das Reich benötigte.

Nicht zu vergessen die prunkvollen Hurenhäuser, deren Fassade allein sündhafte Neugierde weckte. Die Säulen vor ihren Türen waren mit roten und dunkelblauen Seidentüchern behangen, die Fenster aus buntem, undurchsichtigem Glas, Dampf stieß aus allen Ritzen, es roch nach Flieder. Aber keine einzige Hure stand mit entblößtem Gewand vor dem Gebäude und winkte Freier mit nackten Brüsten heran. Elkanasai zeigte selbst Anstand, wenn es um käufliche Liebe ging.

In Carapuhr war das anders, hatte Vynsu gesagt, da standen die Huren manchmal meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt an einer Wegkreuzung mit gerafften Röcken und entblößter Möse. Allzeit bereit, sich eine Münze zu verdienen, oder auch nur ein warmes Bett und einen Becher Met für die Nacht. Von den Einnahmen, die eine spitzohrige Dirne verdiente, konnten die Weiber in Carapuhr nur träumen. Wenn sie denn überhaupt entlohnt und nicht nur geschändet wurden.

So war das eben im Land der Barbaren, hatte Desith erwidert.

Aber Vynsu hatte überraschender Weise verachtend geschnaubt. »Ja, wir sind Barbaren, aber müssen wir uns wie Tiere aufführen? Wie arm muss ein Mann sein, wenn er es nötig hat, sich einer Hure aufzudrängen. Mir würde nie in den Sinn kommen, ein Weib zu schänden. Wenn eine nicht will, such ich mir einfach eine, die mich wertschätzt.«

»Wie romantisch. Prinz Vyni, der Dirnenflüsterer.«

»Ach lass doch das Narrentheater«, hatte er beleidigt zurückgegeben. Desith hatte nur betont den Mund geschlossen und sich ein Lachen verkniffen. Er hatte da wohl einen wunden Punkt getroffen.

Aber konnte er es Vynsu verübeln, sein Volk wurde auf ein Vorurteil reduziert, und einige nutzten dieses sogar als Entschuldigung für ihre Taten.

Ein Barbar darf das. Was für ein Schwachsinn, das ist eine so veraltete Sichtweise, als ob ein Mann sagen würde, er dürfe seine Gemahlin verprügeln und ihren Körper wie sein Eigentum verkaufen, nur weil er einen Schwanz zwischen den Beinen trug, und sie eine Möse.

Es gab einen feinen, aber deutlichen Unterschied zwischen einem Barbarenleben und einem Leben als Drecksschwein. Um diesen zu erkennen, musste man allerdings die Fähigkeit besitzen, sinnbegrifflich zwischen den Zeilen zu lesen.

Sie ritten durch die Stadt, verfolgt von fragenden Blicken. Wenn jemand Desith als Kaiser Eagles Sohn erkannte, so behielt derjenige es für sich. Die vielen Menschen in den Straßen, die weiße Tuniken oder Togen, bunte Schärpen oder Kopftücher trugen, entlockten ihm ein Gefühl von Heimkehr. Er atmete sogar erleichtert hinter Vynsu auf und sog die vielen Gerüche in sich auf. Die Hitze sorgte dafür, dass der Stein immer besonders roch. Irgendwie… sonnig. Desith konnte es nicht genau beschreiben, es war wie mit Holz, das nach Harz roch, wenn es warm wurde. Der Stein roch irgendwie nach Regenwald und Meerwasser. Salzig und frisch.

Früher war ihm all das zu viel gewesen, die überfüllten Straßen, die Wachen mit ihren Speeren und in ihren Lederröcken – wie Vynsu es scherzhaft nannte – die an jeder Ecke standen und ihn für seinen Vater einfingen. Die hohen Mauern und Villen. Als Kind hatte er sich eingesperrt gefühlt, war lieber mit Derrick, der in der Akademie gelernt hatte, in den Regenwald geflüchtet, hatte sich von ihm die Schwerttechnik Carapuhrs beibringen lassen, war gerne geklettert und geschwommen, fern der Zivilisation. Sieben Jahre in diesem verdammten Dschungel hatten ausgereicht, damit er die bunte und laute Welt des Kaiserreichs wertschätzen konnte.

Im ersten Moment war er schlicht überglücklich, zu Hause zu sein. Seine Augen brannten.

»Ich habe es versprochen«, Vynsu saß plötzlich ziemlich aufrecht und stolz in seinem Sattel, er hatte Desiths Gefühlsregung wohl bemerkt.

»Das hast du.« Desith legte das Kinn auf seine Schulter. »Und du hast mich davor bewahrt, das Frühstück eines Jaguars zu werden.«

Vynsu lachte über den Vorfall vor drei Tagen, als sie am Morgen von drei Raubkatzen angegriffen worden waren. Die Tiere waren von dem schmackhaften Duft des Warzenschweins angelockt worden, das sie am Abend zuvor erlegt und gebraten hatten. »Du hast mir wortwörtlich den Arsch gerettet, das Biest hatte schon fast die Zähne in meiner rechten Backe vergraben, als du den Dolch geworfen hast. Wir sind also quitt.«

Desith grinste. »Wir sind ein gutes Gespann da draußen gewesen, oder nicht?«

»Ja«, stimmte Vynsu noch immer schmunzelnd zu, »waren wir. Fast so gut, wie wir Feinde sein können.«

»Wäre der Großkönig nicht dazwischen gegangen, hätte ich dich besiegt.«

»Lass uns das bei Gelegenheit überprüfen.« Damit gab er Hekkli die Hacken, und der Rotfuchs trabte mit hocherhobenem Kopf die breite Marktstraße entlang zu den kaiserlichen Ställen. Gleich würde Desith seine Familie wiedersehen.

Sein Herz klopfte erregt.

*~*~*

Ihre Ankunft wurde jedoch gar nicht richtig wahrgenommen. Diener huschten geschäftig umher, die Hallen und Flure des Palastes waren ungewöhnlich belebt, Taschen wurden herumgetragen, Befehle gezischt. Vynsu und Desith waren nur im Weg, sobald sie aus der brennenden Sonne Elkanasais ins kühle und schattige Innere des Palastes eintraten. Es gab keine Fenster, der sachte Windzug wehte durch die scheibenlosen Öffnungen den Duft der Kirschblüten herein, über ihnen wölbte sich das Dach zu einer imposanten Kuppel, die Vynsu von außen als riesige Brust bezeichnet hatte.

Desith blieb in der Empfangshalle stehen, auch hochrangige Besucher hatten zu diesem Bereich Zutritt und konnten ihn durchqueren, um in den Palastgarten zu gelangen, wo Flamingos gezüchtet wurden und bunte Fische wie Edelsteine durch die angelegten Seen schwammen. Tief einatmend sog Desith den Duft seiner Kindheit in sich auf und lächelte. »Daheim«, flüsterte er, dann drehte er sich zu Vynsu um, der in seiner robusten Lederkluft und mit seinem groben, kriegerischen Auftreten so fehl am Platz wirkte, wie ein Ochse in einem Hühnerstall. »Komm mit!«, forderte er den sichtlich unsicheren Barbaren auf und geleitete ihn durch die Flure. Er kannte dieses Gebäude noch in- und auswendig, hätte sofort alle Verstecke und Geheimwege gefunden, die er als Kind genommen hatte, um den Lehrstunden in der Bibliothek entgehen zu können.

»Was geht hier vor sich?«, fragte Vynsu, während er Desith nacheilte und tüchtigen Dienern in knappen Tuniken auswich. »Sieht so aus, als wären sie im Aufbruch.«

»Mein Vater ist bestimmt im Thronsaal, komm mit!«

»Woher wisst ihr eigentlich, wo euer Thronsaal anfängt und wo er aufhört? Ich meine, schau dir diese aberwitzig hohen Decken an. Wie fegt ihr nur da oben Staub?« Vynsu sah nach droben, wo die gewölbte Decke des Flures so weit über ihren Köpfen hing, dass sie schon fast so hoch wie der Himmel selbst war. Zumindest sollte sie diesen Eindruck erwecken, die Höhe der Gebäude war ein Sinnbild für die Gewaltigkeit des Kaiserreiches. Für seine Übermacht und, wenn man Desith fragte, seine Arroganz. Aber er freute sich, diese Hallen und Flure wiederzusehen, hatte er doch lange Zeit geglaubt, den Dschungel nie wieder zu verlassen. Er hatte geglaubt, dort sterben zu müssen, bis ihn Vynsu gefunden hatte. Und nun war er hier, zu Hause, obwohl er es nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Je tiefer sie in den Palast eindrangen, je mehr Wachen standen mit geraden Rücken und unbeteiligten Mienen in den Fluren. Und endlich schien auch Desith erkannt zu werden, zumindest von einigen wenigen. Es gab jedoch auch Wachen und hochgestellte Diener, die es wagten, sich ihnen in den Weg zu stellen und sie daran zu erinnern, dass sie ohne Erlaubnis nicht befugt waren, diesen Bereich des Palastes zu betreten.

»Ich bin euer Prinz!«, sagte Desith in seiner Muttersprache in einem herrischen Ton, und konnte förmlich Vynsus Unbehagen im Nacken spüren. »Tretet Beiseite, ich wünsche meinen Vater zu sehen!«

Die Wachen vor dem Thronsaal wollten ihm jedoch nicht glauben, vor allem wegen des Barbaren, der ihm folgte. Doch bevor Desith aus der Haut fuhr, näherte sich Hilfe. Der General der Stadtwache, enger Vertrauter seines Vaters, erkannte ihn selbstverständlich wieder und führte sie höchstpersönlich durch die Türen in den weißen Thronsaals Elkanasais.

Der Mittelgang war von weißen, goldverzierten Säulen gesäumt, roter Samtteppich dämpfte seine Schritte und führte an Reihen von weißen Bänken nach vorne zu einem Podium, auf dem ein Stuhl mit hoher Lehne, und weitere vier Stühle auf jeder Seite des Throns standen. Linkerhand befand sich die offene Front eines Balkons, der einen atemberaubenden Blick über die sonnengeflutete Stadt bot.

»Eure Majestät«, der silbersträhnige General ging auf ein Knie und verbeugte sich würdevoll, »Ihr habt Besuch…«

»Vater!« Desith umrundete einfach mit einem breiten Grinsen den gealterten Soldaten und hielt auf die zwei Personen zu, die vor den niedrigen Stufen des Podestes standen und mit einem Schriftstück beschäftigt gewesen waren. Der schmale Elkanasai mit dem schwarzen, langen Zopf, aus dem spitze Ohren hervorlugten, war Ashen, des Kaisers persönlicher Berater und Schreiber, leicht an seiner goldenen Spange zu erkennen, die seine schneeweiße Toga auf einer Schulter zusammenhielt. Er sah auf, ebenso überrumpelt wie der Kaiser selbst.

Desiths Lächeln verblasste und er wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert. Natürlich hatte er sofort erkannt, dass sein Vater magerer geworden war, aber als er dessen Gesicht erblickte, erschrak er innerlich. Nur mit Mühe konnte er seine Fassung wahren und weiter auf ihn zugehen.

Er hatte seinem Vater etwas beleibt in Erinnerung, aber was sich ihm jetzt bot, war ein Knochengerüst, das von fahler, schlaffer Haut zusammengehalten wurde. Er trug eine nachtblaue Pluderhose und ein bronzefarbenes Seidenhemd mit einem starken Stehkragen, beides war ihm sichtlich zu groß, als kämen die Schneider nicht damit hinterher, seine Kleider enger zu nähen. Die Wangen waren eingefallen, mit einem Dreitagebart kaschiert, die eisblauen Augen lagen tief in ihren Höhlen, die Gesichtsfarbe hatte ein ungesundes Grau und die rotblonden, kurzen Haare waren kraft- und glanzlos. Er stand auf einem schwarzen Gehstock mit goldenem Knauf gestützt und hatte ein Holzbein. Desith erinnerte sich, wie er, Rick und der Großkönig den vereiterten Unterschenkel seines Vaters abgehackt hatten, bevor er an einer Blutvergiftung starb. Es kam ihm wie gestern vor, als er die Hand seines Vaters gedrückt und ihm ein Stück Holz zwischen die Zähne geschoben hatte. Sieben Jahre. Damals hatte er sich so erwachsen gefühlt, doch fast ein Jahrzehnt später kam er sich wieder mehr wie ein Kind vor, das nicht wusste, welchen Weg es einschlagen sollte.

»Desith?« Sein Vater strengte die Augen an. »Vynsu?« Er gab das Pergament in seiner Hand an Ashen zurück und winkte ihn mit einer Handbewegung fort. Der Schreiberling verneigte sich tief und zog sich zurück. Auch der General der Wache schlich unbemerkt aus dem Saal und schloss die Türen.

Desith zwang sich, weiter auf seinen Vater zuzugehen, aber mit jedem Schritt wurde die alte Befangenheit größer. Dem Kaiser schien es ähnlich zu gehen, er humpelte leicht, als er freudig auf ihn zukam und machte Anstalten, ihn umarmen zu wollen, doch als sie schließlich dicht voreinander standen, war es, als ob eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen stünde.

Sie zuckten kurz mit den Armen, sahen jedoch dann verlegen zur Seite, konnten diese Geste aus unerfindlichen Gründen einfach nicht über sich bringen, zu gehemmt von der Distanz, die immer zwischen ihnen gewesen war.

Desith rieb sich den Nacken, er konnte beinahe Vynsus neugierigen Blick im Nacken kitzeln fühlen, und wünschte sich, der Barbar wäre nicht Zeuge dieser unterkühlten Begegnung.

Bedeutete es das, barbarisch zu sein? Dass man seinen Vater und Herrscher vor Freude in die Arme sprang wie ein Affenkind in die Umarmung seiner Affenmutter?

Sein Vater räusperte sich und legte ihm zumindest eine Hand an die Wange, sodass Desith wieder in sein Gesicht sah und schließlich doch nicht anders konnte, als froh zu lächeln. Ein großer Brocken fiel von seinem Herzen. »Vater!« Zitterte seine Stimme? »Ich…« Er brach ab und schüttelte nur den Kopf.

Das rührte den Kaiser, seine Augen schimmerten und er rang nach Fassung. »Mein Junge«, er atmete so erleichtert aus, dass er es nur ehrlich meinen konnte, »wie schön, dich wohlaufzusehen!« Er musste schlucken, konnte es nicht glauben und suchte nach Worten. »Melecay sagte zwar, es ginge dir gut, aber ich wollte mich überzeugen. Wir waren dabei, aufzubrechen, um dich zu besuchen! Und jetzt stehst du einfach hier? Welch Überraschung! Das… das ist so … Oh Sohn, ich … ich bin gerade zu überwältigt, um mich auszudrücken, verzeih mir.« Er lachte und seine Hand rutschte zu Desiths schmalem Kinn, das er umfasste und leicht rüttelte, als wollte er ihn tadeln. »Wir dachten schon, der Dschungel hätte dich für immer in seinen Fängen! Deine Mutter wird weinen, wenn du sie so überraschst. Ashen!«, rief er freudig über die Schulter, Desith zuckte zusammen, hatte nicht damit gerechnet. Der Diener kam vom Balkon wieder herein und verneigte sich mit einem breiten Lächeln.

»Mein Kaiser?«

»Holt Ari!«, schickte er ihn erregt fort, »holt sie schnell her. Sagt ihr, ich hätte eine besondere Überraschung für sie!«

Ashens Lächeln – wenn überhaupt möglich – wurde noch breiter und er machte sich umgehend auf den Weg, die Kaiserin zu verständigen.

Desith legte eine Hand um den Arm seines Vaters, um dessen Aufmerksamkeit zurückzuerlangen, und befreite sich mit gequälter Miene aus seinem Griff. »Glaube mir, Vater, es war keine Freude, die mich im Dschungel hielt, und ich würde nicht einmal dann dorthin zurückkehren, wenn unsere Welt unterginge und nur noch Zadest stünde. Die Unterwelt ist ein freundlicherer Ort. Ich kann nicht in Worte fassen, wie froh ich bin, zu Hause zu sein. Ich dachte nicht, dass ich es wiedersehen werde. Ich…«, er senkte den Blick und trat einen Schritt zurück. »Ich bin nur dank Vynsu hier. Er hat mich heimgebracht, aus dem Dschungel und schließlich aus Melecays Fängen.«

»Fängen?« Der Kaiser verengte leicht die wachsamen Augen. Sein Blick glitt über Desiths Kopf hinweg zu Vynsu, der mit gebührendem Abstand stehen geblieben war.

Als Eagles Blick ihn traf, verneigte er sich so vorbildlich, dass es Desith überraschte. »Eure Majestät, verzeiht uns unser Hereinplatzen, wir hätten uns natürlich angekündigt, wäre es uns möglich gewesen.«

Forschend sah der Kaiser von Vynsu zurück zu Desith, dann musterte er die Erscheinung seines Sohnes und schien allmählich zu begreifen.

»Ihr beiden«, sagte er vorsichtig, »seht aus, als wäret ihr auf der Flucht.« Es war keine Frage, und ihm antwortete nur Schweigen. Sein kluger Blick durchbohrte Desith, der genau wie als Kind, wenn er etwas ausgefressen hatte, den Boden unter seinen Füßen ganz besonders konzentriert anstarrte.

»Ich hörte…«, begann der Kaiser vorsichtig, »…Derrick hätte schlimme Verletzungen erlitten, und du würdest nicht von seiner Seite weichen wollen.« Er sah sich gespielt um. »Ich sehe keinen Derrick.«

Desith schnaubte herablassend. »Von wegen. Ich war es, der schwere Verletzungen erlitten hat. Wegen Derrick.«

Die eisblauen Augen seines Vaters, die er ihm mit all ihrer mystischen Macht vererbt hatte und die den Airynns zu Eigen waren, blitzten scharf und gefährlich auf. Er hörte nur das, was er schon vor Jahren befürchtet hatte. Dass Derrick eine Gefahr für Desith hätte sein können. »Was ist geschehen?«, verlangte er zu erfahren und blickte wieder zu Vynsu. Nun ganz der Kaiser, die Vaterrolle abgelegt.

Vynsu räusperte sich und trat einen Schritt vor. »Die Angelegenheit ist etwas heikel…«

Sie erzählten es ihm, wobei Vynsu natürlich besonders darauf achtete, dass Derrick nicht zu schlecht dastand und Melecays Absichten nicht böswillig gewesen waren. Desith war mit keinem von beiden besonders gnädig, er erzählte wie er beinahe zu einer Ehe gezwungen worden wäre und machte seinem Vater einen Vorwurf.

»Du hast dem zugestimmt?«, fragte er ungläubig, während der Kaiser noch versuchte, die Geschichte, die sie ihm erzählt hatten, zu verdauen. »Ich dachte, du riskierst lieber Melecays Zorn, als eine Vermählung zwischen mir und Derrick offiziell anzuerkennen. Und dann stimmst du einfach zu?«

Sein Vater schüttelte irritiert den Kopf. »Ich habe… Moment! Lass mich das erst einmal verarbeiten, Desith.« Er rieb sich die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen, und Desith nahm sich etwas zurück, atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Er war übermüdet, brauchte Schlaf.

»Ich habe einer Ehe letztlich zugestimmt«, gestand sein Vater ein, hob aber eine Hand, um Desith zu bedeuten, ihn ausreden zu lassen. »Ich dachte, ich stimme zu, zwei Liebende zu vermählen. Und ja, mir gefiel der Gedanke nicht, dich an einen Halbdämon zu verschenken, aber nach sieben Jahren im Dschungel allein mit Derrick…« Er zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, es wäre das, was du willst, Desith. Du hast mich für diese Liebe hintergangen, du hast deutlich gemacht, was du willst.« Er griff nach Desiths Arm und hielt ihn hoch, die Narben an den Handgelenken lugten überdeutlich aus dem Ärmel hervor.

Gereizt entzog Desith seinem Vater den Arm und wandte sich mit einem Grunzen ab.

»Melecay hat auf mich eingeredet, nachdem deine Schwester…« Er brach plötzlich ab und sah traurig zu Vynsu.

»Er weiß es.« Der Barbar nickte und senkte den Blick wieder auf den Boden.

Desiths Vater atmete aus und schien ein Stück in sich zusammenzusinken, er musste sich mit beiden Händen auf seinen Stock stützen. »Was für ein Chaos.« Er schüttelte den Kopf und schlug einen versöhnlicheren Tonfall an. »Vergebung, mein Junge. Es war in den letzten Jahren nicht leicht für uns. Melecay hat betont, wie wichtig gerade jetzt Bündnisse sind, und mich daran erinnert, dass du und Derrick ohnehin zusammen seid, ob wir es wollen oder nicht. Warum es nicht offiziell machen? So hätte ich wenigstens gewusst, wo du bist. Nach Lohnas Tot… Deine Mutter und ich waren untröstlich, wir haben ein Kind verloren. Und ich dachte, es würde ihr guttun, wenigstens ihren Erstgeborenen in Sicherheit zu wissen. Also stimmte ich zu. Im Gegenzug zog Melecay los und scheute keine Mühen und Kosten, um den Dschungel auf der Suche nach dir und Derrick zu durchkämmen.«

Desith hatte aufmerksam zugehört und spürte in der Pause nach dem kleinen Vortrag, wie die Wut in ihm verflog. Er drehte sich wieder zu seinem Vater um. »Du … wärest wirklich einverstanden gewesen?« Nach all den Jahren, die er strickt dagegen gewesen war?

Er zuckte mit den Achseln. »Es hätte mich nicht froh gemacht, aber du hast mir diesbezüglich nie eine Wahl gelassen.« Seine Augenbrauen hoben sich. »Weshalb es mich jetzt umso mehr verwundert, dass du so dagegen bist.«

Desith verzog ironisch den Mund. »Wenn Mutter sich in einen Drachen verwandelt und dich fressen will, reden wir noch einmal darüber.« Er ließ die Geschichte mit Sarsar vorerst aus.

Sein Vater kämpfte mit einem Schmunzeln. »Manchmal tut sie das, mein Junge…«

»Ich will mich wohl verhört haben!«

Sie fuhren zu der Stimme herum. Desiths Mutter trat durch eine Seitentür in den Saal, ihre schlanke Gestalt wurde von einer silbernen Tunika mit sonnengelber Schärpe umschmeichelt. Sie glitt so erhaben wie eine Göttin zwischen den Säulen hindurch. Eine graue Strähne zierte ihr langes, haselnussbraunes Haar, von ihr hatte Desith das schmale, lange Kinn vererbt bekommen.

»Mutter!« Er spürte seine Lippen beben, als ihn die Wiedersehensfreude mit sich riss. Er ging ihr mit großen Schritten entgegen und rannte sie beinahe über den Haufen. Sie zu umarmen kostete ihn keine Überwindung, sie waren sich immer sehr nahe gewesen. Genau genommen, hatte sie ihn immer ein wenig verhätschelt. Mütter und ihre Söhne, hatte Vater immer geklagt, und gleichzeitig seine Prinzessin Lohna vergöttert.

»Mein Junge!« Sie klang erfreut und erstickt zugleich, drückte ihn an ihre Brust und fuhr ihm über den Hinterkopf. Desith drückte das Gesicht an ihren Hals, mitten in ihre langen, seidigen Haare. Sie rochen nach Flieder. »Mein lieber Junge, wo warst du nur so lange? Hm? Wo?« Immer wieder nahm sie sein Gesicht zwischen die Hände, lehnte sich zurück und strich ihm über die Wangen, streifte seine Haare aus der Stirn, um sie sofort wieder zurück zu zupfen und ihn wieder an sich zu drücken. Ihre überschwängliche Liebe gab ihm das, was sein Vater nicht vermocht hatte. Geborgenheit und das Gefühl, sicher zu Hause zu sein.

Nur am Rande bekam er mit, wie sich sein Vater an Vynsu wandte. »Ich schulde Euch großen Dank, Vynsu. Ihr habt meinen Sohn heimgebracht, obwohl es Euch in große Schwierigkeiten bringt.«

»Nein, ich habe nur ein Versprechen eingehalten, mein Kaiser, und es war das Mindeste, was ich tun konnte, nachdem ich versäumte…«

»Scht.« Der Kaiser legte ihm eine Hand auf die Schulter, gerade als Desith sich im Arm seiner Mutter zu ihnen umdrehte und schüchtern seine Freudentränen von den Wangen wischte. »Ich sagte doch bereits an dem Tag, als Ihr ihren einbalsamierten Leichnam übergeben habt, dass ich es nicht Euch anlaste, Vynsu. Ihr habt keinen Einfluss darauf gehabt, was geschehen ist, jedem Mann hätte das widerfahren können. Und ich weiß, Ihr habt sie immer mit Respekt behandelt, das hat sie uns geschrieben.« Er sah hinüber zu Desith und Ari und seufzte schwer. »Manchmal können wir das, was uns anvertraut wurde, noch so sehr beschützen wollen, das Schicksal entscheidet, was es uns nimmt.«

Vynsu wirkte nicht glücklich mit dieser Erklärung, aber er nickte. »Es ist großzügig von Euch, es auf diese Weise sehen zu wollen. Aber nichtsdestotrotz werde ich immer das Gefühl haben, in Eurer Schuld zu stehen.«

Es war genau das, was Desiths Vater hören wollte, er drückte lächelnd Vynsus Schultern. »Nobel, aber unbegründet. Es bringt sie uns nicht zurück. Allerdings brachtet Ihr mir meinen verlorenen Sohn.« Er lächelte Desith zu. »Und das verlangt nach unserem Recht eine Belohnung.«

Vynsus Augen bekamen plötzlich einen Glanz, der Desith gar nicht gefiel. Durch den hellen Saal hindurch trafen sich ihre Augen, Vynsus Mundwinkel zuckten keck, doch er kämpfte das Zucken nieder, und wandte dem Kaiser das Gesicht zu. Und je öfter Desith Vynsus markanten Züge bewusst wahrnahm, je schöner schienen sie zu werden. So männlich, so hart und unbeugsam, dass sie für diese goldenen, weißen Hallen viel zu hart schienen.

Sein Herz klopfte – und er hasste sich für diese Schwäche.

Ich will ihn, dachte er bei sich. So wie ein Züchter einen schönen Hengst besitzen musste. Wie ein Sklavenhändler einen Lustknaben. Wie ein Prinz… eine Mätresse.

»Es gäbe da vielleicht etwas.« Vynsu sprach zögerlich, und der Kaiser runzelte neugierig seine Stirn. Lächelnd blickte der Barbar Desiths Vater an und neigte ergebend das Haupt. »Aber dies kann warten, mein Kaiser. Doch wenn es keine Umstände macht, würde ich gerne ein paar Tage ausruhen, bevor ich mich auf den Rückweg mache und meiner Strafe für die Befreiung Eures Sohnes entgegentrete.«

Desith gefiel der Gedanke nicht, dass Vynsu allein den Kopf hinhalten musste. Er wollte gerade vorschlagen, dass Vynsu doch einfach hierbleiben konnte, als sein Vater schon sprach.

»Lasst Melecay meine Sorge sein.« Er lächelte siegesgewiss. »Ich bin sicher, er kehrt erst einmal nach Hause zurück, mit seinem Drachenziehsohn, bevor er mir einen wütenden Brief darüberschreibt, dass Desith ihm Treue schuldet.«

Daran hatte Desith überhaupt nicht mehr gedacht. Er sah von seinem Vater zu seiner Mutter und versuchte, nicht so ängstlich auszusehen, wie er sich jetzt fühlte. Beruhigend strich sie ihm über das Gesicht, ihre Wärme gab ihm Halt.

»Nun denn, Ihr seid zum Abendessen eingeladen, Vynsu, jemand wird Euch ein Gemach zuteilen.« Der Kaiser wandte sich zum Gehen. »Kommt erst einmal an und ruht Euch aus.«

Desith sah ihm nach und kam trotz der Freundlichkeit, mit der er aufgenommen wurde, nicht umhin sich zu fragen, ob sein Vater ihn unter den gegebenen Umständen überhaupt hierbehalten – oder vielleicht sogar ausliefern würde.

Immerhin hatte Desith ihn verraten und einem anderen König die Treue geschworen.

Geliebtes Carapuhr

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