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Kapitel 8

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»In Ordnung«, Eagle rieb sich die Augen mit zwei Fingern, »können wir das bitte noch einmal in einer Kurzfassung zusammenbringen.« Er lehnte sich in seinem Rollstuhl nach vorne und legte die Unterarme auf seinen massiven Tisch.

Alle anderen standen um den Tisch herum, sie hatten keine Stühle gewollt. Den Jungen – Kacey – hatten sie nach draußen geschickt, und Bellzazar hatte Korah beauftragt, ihn zu »beschützen«, was bei ihm nichts anderes hieß, als Überwachung.

Cohen sah von Eagle zu Bellzazar, der das Wort erhob.

»Die Kurzfassung? Die Königin von Zadest wurde von einer Druidin gestürzt, die durch ein Portal Kontakt zu ihrer Göttin suchte. Statt ihre Göttin, fand sie eine Fremde, die in sie fuhr und nun sie und ganz Zadest kontrolliert. Kurz um, wir haben einen Parasiten in unserer Welt: eine Göttin, die unsere magischen Ressourcen will. Um uns gänzlich zu unterjochen, muss sie das Portal so lange mit Magie speisen, bis es geradezu explodiert und einen großen Riss verursacht, dazu braucht sie Kacey, denn seine Macht ist dazu in der Lage, Risse entstehen zu lassen, indem er die Zeit kontrolliert, der kleine Wicht. Außerdem müssen sie mich töten, denn ansonsten ist ihre Invasion nur eine Besetzung, und das reicht ihnen natürlich nicht. Nein, sie wollen meinen Kopf rollen sehen. Natürlich, was sonst? Wäre ja auch zu schön, würde es ohne Blutvergießen gehen, was? Nun ja, aber ihr eigener Wächter, der den Auftrag hatte, mich kalt zu machen, haben Cohen und ich bereits in unserer Obhut-«

»Ich bin auf eurer- Urghs…«

Bellzazars Arm war blitzschnell vorgeschnellt und drückte Places Kehle zu. »Schnauze, Silbersträhne, ich rede.«

»I…In O..Or…Ordnung«, ächzte der Wächter.

Cohen musste neben Bellzazar in sich hineinschmunzeln.

Souverän fuhr Bellzazar fort: »Wie dem auch sei. Das Problem ist, wenn es dieser selbst ernannten Herrin gelingt, einen Riss zu erschaffen, der groß genug ist und lange genug hält, um ihre Götter hierher zu lotsen, ist es aus, und zwar mit uns allen. Ihre Magie macht Sterbliche zu willenlosen Sklaven, und es gibt keinen Zauber – nicht in unserer Welt – der uns davor schützen könnte.«

»Also müssen wir sie aufhalten«, schlussfolgerte Desiderius und nagte nachdenklich an seiner Wange, während seine klugen Augen bereits die Karte auf dem Tisch studierten.

»Wir müssen das Portal schließen«, mischte Levi sich ein, »aber wir haben zu wenig Magie, wir haben kaum genug Götter, um es schließen zu können, also…«

»Muss derjenige, der das Portal mit Magie speist, es für uns schließen«, fuhr Bellzazar fort.

Nun sah Wexmell neben Desiderius erschrocken auf: »Du meinst, Kacey muss dorthin zurück, wo man ihn Jahre lang festgehalten hat?«

Die traurige Geschichte des Jungen hatten sie bereits erfahren.

Bellzazar nickte. »Richtig. Das ist der einzige Weg. Ich könnte ihm auch seine Magie absaugen, aber in seinem Zustand ist er zu schwach und seine Magie nicht mehr als ein leiser Lufthauch. Und wir haben nicht genug Zeit, ihn zu Kräften kommen zu lassen. Wir müssen sobald aufbrechen, wie wir können und hoffen, dass er auf der Reise genug Macht zurückerlangt, um im richtigen Moment bereit zu sein.«

»Oder wir töten ihn.«

Auf den Vorschlag hin schien im Raum für einen Moment die Zeit still zu stehen.

Dann fuhr der Zadestianer herum. »Einen Scheiß werdet ihr…«

»Fen«, murmelte sein riesiger Gefährte und legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten.

Mit einem genervten Laut befreite er sich aus dem Griff, hielt sich aber zurück.

Bellzazar verdrehte die Augen und sah Place genervt an. »Deshalb sollst du deinen verdammten Mund halten«, zischte er angespannt.

»Aber er hat recht, oder?«, hakte Desiderius pragmatisch wie immer nach. »Das ist auch eine Möglichkeit. Keine schöne, aber es ist eine.«

Dafür erhielt er ebenso zornige Blicke, auch von seinem Prinzen.

»Ich sage nicht, dass wir es in Betracht ziehen«, betonte er und sah Wexmell schulterzuckend an, »aber es ist eine Hintertür, die wir nicht vergessen sollten.«

»Nein, eigentlich nicht«, warf Bellzazar dann ein und wackelte zweifelnd mit dem Kopf.

Levi sprach für ihn weiter: »Wir wissen nicht, was geschieht, wenn Kacey stirbt. Er hat fast all seine Macht in dieses Portal geleitet, es ist fast, als wäre es ein Teil von ihm. Gut möglich, dass es ebenso erlischt, wenn er stirbt, aber genauso gut könnte es sein, dass seine Magie dadurch brüchig wird und das Portal … ebenso auseinanderbricht und einen Riss verursacht. Einen unkontrollierten Riss zwar, aber dennoch einen Riss.«

Nachdenkliches Schweigen legte sich über die Runde. Desiderius rieb sich das markante Kinn, auf dem ein leichter Bartschatten lag, und Cohen musste den Blick von ihm losreißen. Es war so seltsam, nach allem, was geschehen war und all der Zeit, die vergangen war, wieder hier zu sein, neben ihm zu stehen, ihn sehen und fühlen und sogar riechen zu können. Seinen wunderbaren, männlichen Duft, der so vertraut war, dass er sofort ein Gefühl von Geborgenheit auslöste.

Und doch war es nicht wie früher. Ganz und gar nicht, nicht für Cohen. Zu viel war passiert, zu viel Wahrheit ans Licht gekommen, zu viele Gefühle … entflammt.

Cohen schloss für einen Moment das Auge und seufzte tief. Es war anstrengend, alle ins Bild zu setzen, wenn man bereits über alles Bescheid wusste. Lästige Wiederholungen, die kostbare Zeit kosteten. Zeit, die er gern woanders verbracht hätte. Bei seinem Sohn zum Beispiel, den er nun kennen lernen konnte, wenn dieser es denn wollte.

Cohen spürte das Leid in diesem Raum. Jedes einzelne. Desiderius`, Eagles, von diesem Doragon und seinem Gefährten Fen, sogar eine Spur Leid, die von Wexmell ausging, und Bellzazar großes Leid, das in Gegenwart seines Bruders ins Unermessliche zu steigen schien.

So viel Schuld – sie erstickte fast den Raum.

Aber da war auch Liebe. Tiefe Liebe und pure Freude. Freude und Liebe seiner einstigen Kameraden, die ihn wahrhaftig vermisst hatten. Ein ordentlicher Hauch Verwirrung schwebte über allen Köpfen. All das schlug auf ihn ein, all das konnte er plötzlich spüren. Es war eine völlig neue Welt, eine Welt der Gefühle, voller Farben und rauschender Winde. Es war schön, einfach schön.

Und er spürte, dass er in seinem Bewusstsein nicht allein war. Bellzazar war mit seinem Geist in ihm, war mit ihm verschmolzen und steckte alle schlechten Gefühle in eine Truhe, damit sie seine dämonische Seite nicht weckten.

Es war wundervoll, ihn in sich zu spüren. Cohen lächelte über die Vieldeutigkeit seiner Gedanken. Aber so war es, in jeder Hinsicht. Es war schön, nicht mehr allein zu sein, mit Bellzazar in seinem Geist würde er nie wieder einsam sein, nicht einmal in tiefen Gedanken.

Ob geistig oder körperlich, Bellzazars Anwesenheit beruhigte ihn auf eine viel tiefere Art als er je für möglich gehalten hätte.

»Und wenn wir …«, erhob Eagle zögerlich das Wort, »…mit dieser Herrin verhandeln?«

Alle sahen ihn neugierig an.

Er zuckte mit den Schultern. »Ich meine ja nur, einen Versuch wäre es doch wert.«

»Ich weiß, was du meinst«, mischte Wexmell sich ein, »und jeder hier weiß, dass ich immer für die friedliche Lösung bin. Aber wie wollen wir mit jemandem verhandeln, der uns unterjochen will?«

»Freiheit im Austausch für den Jungen«, sagte Doragon matt. »Das ist, was sie euch versprechen, aber nicht halten wird.«

»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Eagle barsch. »Woher wollt ihr alle so genau wissen, dass all eure Vermutungen wahr sind?«

»Das sind keine Vermutungen, sondern Fakten!«, warf Bellzazar ein.

Eagle sah ihn aufgebracht an und schnaubte. »Warum stehen wir hier und hören dir überhaupt zu? Du bist ein verdammter Verräter! Und ein Lügner! Das warst du immer und wirst es immer sein!«

Das tiefe Knurren im Raum ließ Köpfe herumwirbeln.

»Das ist er nicht«, presste Cohen durch die Zähne und taxierte Eagle wütend. »Er lügt nicht, ich kann es bezeugen.«

»Er ist ein Verräter«, beharrte Eagle und sah Cohen eindringlich an, »er fiel mir – uns! In der Schwarzen Stadt an Nohvas Küsten in den Rücken!«

»Ich musste euch einen Feind geben, der euch zusammenschweißt. Ihr Menschen habt euch dort in der Stadt gegenseitig bekämpft! Ihr brauchtet mich, um einen gemeinsamen Feind zu haben!«, verteidigte sich Bellzazar.

Eagle schüttelte herablassend den Kopf. »Mach dich nicht zum Helden, du bist nichts weiter als ein hinterlistiges Wiesel, dem ich niemals trauen werde!«

»Pass auf, was du sagst«, warnte Cohen ihn.

Eagle fuhr zu ihm herum. »Was ist los mit dir? Du warst doch auch dort, als die Dämonen uns überfielen!«

»Belehre mich nicht, Eagle, ich war es, der dich rettete!«

»Es war Ari, die mich schwerverletzt rauszog«, warf Eagle ein.

Cohen schnaubte. »Aber ich zog deinen Feind von dir fort und gab euch die Möglichkeit zur Flucht. Also erzähl du mir nichts über die Schlacht in der Schwarzen Stadt! Ich war länger dort als du! Und wenn ich vergeben kann, dann solltest du das auch! Bell ist längst nicht nur das, was wir sehen wollen, sonst wäre ich heute nicht hier.«

»Bell?« Eagle verengte die Augen. »Ist es, weil du jetzt ein Dämon bist? Ist es das? Bist du deshalb irgendwie auf ihn geprägt? Ist er jetzt dein Meister und du sein kleiner Diener?«

Cohen machte einen Schritt um den Tisch herum, um auf ihn loszugehen, als ihn Bellzazars Arm von hinten umschlang und Desiderius ihm eine Hand auf die Brust legte.

»Genug jetzt!«, mischte sich der König von Nohva ruhig, aber entschlossen ein. »Hört auf, alle beide. Lasst die Geschichten von gestern ruhen, heute stehen uns schlimmere Probleme ins Haus.« Tadelnd sah er Eagle an, der sich zischend abwandte und sich auf seinen Stock stützte.

Cohen wollte ihm für seine Behauptung immer noch an die Gurgel, aber Bellzazar zog ihn an sich, sodass er dessen Brust und flachen Bauch am Rücken spüren konnte. Er beugte den Mund zu Cohens Ohr und raunte: »Das ist das dämonische Feuer, Coco, atme tief durch. Komm schon, tu es für mich, atmet die Wut einfach weg. Atme sie raus.«

Er nahm Bellzazars Rat an und konzentrierte sich darauf, sich zu beruhigen. Er schaffte es mit etwas Mühe.

Wexmell beäugte sie dabei mit schmalen Augen.

Doch Desiderius` Stimme lenkte alle Aufmerksamkeit wieder auf ihn. »Ich gebe zu, dass Zazar nicht gerade vertrauenswürdig ist…«

Cohen konnte Bellzazars Schmerz spüren, als wäre es sein eigener. Umso erstaunlicher war seine vollkommen unbewegte Haltung, als ließen ihn die Worte seines Bruders kalt.

Verdammt, er hasste Bellzazars stummen Schmerz. Hasste ihn, weil er ihn so gut selbst kannte.

»Pssst«, flüsterte Bellzazar ihm ins Ohr, als hätte er seine Gedanken erraten, und streichelte ihm kaum merklich die Brust.

»…aber wenn Cohen sagt, wir können ihm glauben, dann glaube ich ihm auch. Zazar ist auch nicht hier, um uns um Vergebung zu bitten, sondern weil wir alle einander brauchen. Mal wieder. Wir können also weiter über die Vergangenheit streiten, oder uns zusammenreißen und uns der echten Gefahr zuwenden. Und eines möchte ich noch betonen.« Desiderius sah Eagle eindringlich ins Gesicht. »Mich traf Zazars Verrat ja wohl am meisten, aber wenn ich ihn dulden kann, dann kannst du das wohl auch, Eagle.«

Eagle grunzte, ließ sich aber zu einem Nicken herab.

»Gut!« Desiderius sah sich in der Runde um. »An diesem Tisch ist kein Platz für persönlichen Groll, lasst ihn uns beiseitelegen und für privatere Räume aufsparen. Ragon, Fen, vergebt uns Westländern unsere Streitigkeiten, es liegt uns leider im Blut.«

Doragon sah Desiderius einen Moment zu lange in die Augen, sagte aber nichts dazu. Cohen sah ihn nicht gerne an, trotz Maske war die Verwandtschaft unverkennbar. Nicht zu Desiderius, sondern zu Rahff. Rahff dem Ersten. Rahff, dem Verräter. Rahff – Cohens Großvater. Womit dieser Doragon, dieser fremde Wilde, Cohens Onkel war.

Von allen Familien, die sich hier am Tisch zusammengefunden hatten, hatten Cohen und Doragon vermutlich die komplizierteste. Vielleicht sollten sie mal einen Stammbaum anfertigen lassen.

Andererseits schien Doragon kein Interesse an irgendeiner Art Verwandtschaft zu haben, vielleicht wusste er auch nicht, dass Cohen ebenfalls ein Youri war, und es war auch schlicht gleich. Es hatte keine Bedeutung mehr, nicht für Cohen. Er hatte seine Familie vor langer Zeit für Desiderius verraten, er würde es wieder tun. Wie es um Doragons Herz bestellt war, wusste er nicht, und er wollte es auch nicht wissen, solange er kein Feind war.

Alles andere war nicht von Belang.

»Ich kann das alles gar nicht glauben«, sagte Eagle und fuhr sich durch sein rotblondes Haar, »ich stand in Verbindung mit der Königin von Zadest! Sie antwortete wie immer mit einem persönlichen Schreiben auf die Einladung zum Friedensabkommen! Wie kann sie schon tot gewesen sein?«

Desiderius runzelte nachdenklich die Stirn. »Bist du sicher, dass sie antwortete? Der Brief könnte ebenso gut gefälscht sein.«

»Das war er ganz sicher«, murmelte der Zadestianer mit starkem Akzent, wobei er das R seltsam über seine Zunge rollte.

Eagle sah ihn an und musterte ihn von Kopf bis Fuß, dann sah er Doragon an. »Fassen wir also zusammen. Diese Herrin – diese Göttin – hat bereits eine Armee aufgestellt, die in den Wäldern vor meiner Stadt lauert, mein Sohn ist der Schlüssel zu ihrem Erfolg, und gleichzeitig auch unsere Rettung, obwohl er so dürr und kränklich aussieht, als würde ihn ein Atemhauch umpusten…«

»Was man von Euch nicht mehr behaupten kann«, murmelte Bellzazar und weitete die Augen.

Desiderius trat ihm auf den Fuß, damit er den Mund hielt.

Eagle wandte sich an Doragon und fuhr fort: »Und Ihr seid ein Blutdrache, der unter Tiermenschen aufwuchs? Ihr habt Sklaven befreit, darunter meinen Sohn, und ersucht uns nun um Hilfe?« Er stieß arrogant den Atem aus. »Und wer sagt mir, dass ihr nicht auch von dieser Herrin versklavt wurdet?«

»Mein Kaiser«, begann Doragon höflich, »es ist deutlich sichtbar, wenn man von der weißen Magie der Herrin befallen ist. Leuchtende Linien schlängeln sich durch die Venen und enden in den Schläfen, wo sie den Verstand der Sklaven kontrollieren.«

Eagle geriet ins Grübeln.

»Wenn ich kurz erklären dürfte…«, fragte Doragon zögerlich.

Eagle forderte ihn ungeduldig auf.

»Sklaven gab es in Zadest schon seit Jahrhunderten. Die Frauenstämme stecken die Jungen schon bei der Geburt in Arbeiter- oder Zuchthäuser. Die Sklaverei ist dort nicht ganz so grausam wie in manch anderen Reichen, zumindest körperlich nicht.«

Fen schnaubte neben ihm, er hatte dazu offensichtlich eine andere Meinung.

»Als die Königin gestürzt wurde, flohen die Frauenstämme und ließen ihre Sklaven zurück«, fuhr Doragon fort, »diese Sklaven befreiten wir, ehe die Herrin sie in die Finger bekommen konnte. Denn diese Sklaven macht sie zu ihren eigenen und baut ihre Heerscharen auf.«

»Weshalb ihre Armee größtenteils aus Männern besteht, die nie zu Kämpfern ausgebildet wurden.«

»Warum fürchtet ihr ihre Armeen dann so?«, hakte Wexmell nach.

Doragon erklärte: »Die Herrin hat ihnen die Furcht genommen. Außerdem kann sie sie über große Distanzen hinweg kontrollieren und befehligen.«

»Das heißt, sie ist gar nicht hier«, vermutete Desiderius.

»Wir vermuten, dass sie im gespaltenen Turm ist. Dort.« Doragon legte den Finger auf einen weit östlich gelegen Punkt auf der Karte in mitten des Dschungels von Zadest. »Dort befindet sich auch das Portal.«

»Dort müssen wir den Jungen hinbringen«, sagte Bellzazar.

Eagle schüttelte wieder den Kopf, dieses Mal nachdenklich. »Was ist mit den Frauenstämmen? Wenn sie geflohen sind, warum batet ihr dann nicht sie um Hilfe? Es geht schließlich um ihre Heimat!«

»Sie sind zerstritten und zerstreut ohne Königin«, erklärte Fen und zuckte mit den Achseln. »Außerdem sind wir Männer, sie würden uns nicht zuhören. Sie verstecken sich lieber in ihren Lehmstätten.«

»Wie konnte das passieren?«, flüsterte Wexmell betroffen und starrte auf die Karte von Zadest. »Wann fing es an und wieso?« Er hob fragend den Blick zu Fen. »Wie konnte solch ein Hass auf Männer entstehen?«

»So wie jeder Hass entsteht«, erklärte Doragon, »wenn eine Gruppe von Menschen nur lange genug unterdrückt wird, wehrt sich diese Gruppe irgendwann und setzt sich an die Spitze. Genauso war es in Zadest vor vielen Jahrhunderten. Genauso wie es vor ein paar Jahrzehnten im Westen war, als eine Kirche eine Liebe unterdrückte und ein paar Männer genug hatten. Heute ist es bei euch Sitte, Männer zu lieben, vor ein paar Jahren war es eine Sünde. Heute ist es üblich, in Zadest Frauen regieren zu lassen, vor ein paar Jahrhunderten waren die Frauen dort nur Huren.«

Wexmell lächelte leicht. »Ihr wisst vieles.«

»Vieles«, nickte Doragon, »es gab Seher in meinem Stamm, die das Weltgeschehen beobachteten.«

So hatte er also alles über den Westen erfahren, das erklärte sein Wissen.

»Es muss doch jemanden geben, der die Stämme wieder vereinen kann«, überlegte Eagle, »eine Tochter oder Schwester der Königin. Eine nahe Verwandte? Irgendjemand?«

Fen und Doragon schlugen die Augen nieder, aber man spürte, dass sie etwas verheimlichten. Sie wurden mit Blicken durchbohrt.

»Es gibt jemanden«, gestand Doragon schließlich.

Fen sah ihn böse an. »Ragon!«

Aber sein Gefährte sah nicht auf.

Fen fluchte in einer anderen Sprache und wandte sich ab.

Gequält seufzte Doragon, dann hob er den Blick und sah in die Runde. »Die Königin hat einen Bruder. Ich habe ihn befreit, er war ein Sklave. Sie wollte, dass ich ihn rette, also habe ich ihn gerettet und dafür gesorgt, dass er kämpfen kann. Ihm gehört meine Treue.« Er sah zu Desiderius, als wollte er damit mehr sagen, als die Worte, die aus seinem Mund gekommen waren.

»Dann wollte sie, dass er ihr Nachfolger wird?«, hakte Desiderius nach.

Eagle mischte sich ein: »Wo liegt das Problem?«

Fen lachte humorlos und wanderte hinter Ragon auf und ab. »Es gab in Zadest noch nie einen Mann, der die Stämme vereinen konnte. Noch nie! Und es wird auch nie einen geben.«

Desiderius verengte seine klugen Augen. »Ihr seid das, habe ich Recht? Ihr seid der Bruder der Königin.«

»Sie werden ihm nicht folgen«, ging Doragon dazwischen.

Desiderius zuckte mit den Schultern. »Trotzdem ist er der rechtmäßige Erbe, wenn die Königin keine Kinder hatte und es ihr letzter Wunsch war.«

Bellzazar ließ Cohen los, der diesen Umstand sehr bedauerte, und erhob das Wort. »Das ist alles nicht von Belang, denn selbst wenn die Stämme dem Ruf ihres Prinzen folgen, wären sie nicht in der Lage, das Problem selbst zu lösen. Ihre Magie reicht nicht aus. Zadest wird das Problem nicht von selbst lösen, vielleicht wird es niemals wieder ein geeintes Zadest geben, es ist nicht weiter von Belang.« Er sah Fen an und nickte.

Seltsamerweise schien das den Zadestianer zu beruhigen.

Nun, nicht jeder war dazu gemacht, seinem Schicksal entgegen zu treten.

Desiderius rieb sich die Falte zwischen den Augen. »Was also müssen wir tun?«

Endlich kam jemand zum Kern der gesamten Versammlung.

»Wir müssen Kacey zum Portal bringen, die Göttin töten oder verbannen und dann das Portal verschließen.«

»Das wird nicht so einfach«, murmelte Place.

Bellzazar legte ihm eine Hand ins Gesicht und drückte ihm die Lippen zusammen, ohne ihn auch nur angesehen zu haben.

»Wir bringen Kacey dorthin«, sagte Doragon und straffte die massigen Schultern, »wir haben geschworen, ihn zu beschützen, und sind es unserer Heimat schuldig, sie zu befreien.«

»Wie romantisch«, versetzte Bellzazar sarkastisch. Er wurde ignoriert.

Fen wirkte gequält. »Gibt es keinen anderen Weg?«

»Nein«, sagte Bellzazar entschieden und ohne jegliches Mitgefühl. Dann fuhr er in einem fort: »Das wirklich Beunruhigende dabei ist der Zustand des Jungen. Eagle hat recht, er ist kränklich. Ich glaube nicht, dass er auch nur einen Funken Magie erzeugen kann, ohne an Erschöpfung zu sterben. Die Reise zum Portal wird beschwerlich und nicht gerade zu seiner Erholung beitragen. Wir werden also alle Macht brauchen, die wir bekommen können.« Damit sah er Desiderius an, der angestrengt über der Karte grübelte und einen Moment brauchte, bis er die erwartungsvolle Stille bemerkte.

»Was?« Er sah Bellzazar an und wusste sofort, was diesem vorschwebte. Sein Gesicht wurde dunkel wie der Himmel bei einem Gewitter. »Auf gar keinen Fall!«

»Du kannst deine Kinder nicht ewig beschützen.«

»Wir werden sie nicht in Gefahr bringen!«

»Dann gehen wir alle unter«, konterte Bellzazar streng. Desiderius` Nasenflügel bebten.

»Sie besitzen große, magische Fähigkeiten«, beschwor Bellzazar ihn, »die wir brauchen werden, Desiderius! Wir brauchen jeden, der auch nur einen Hauch Magie in sich trägt, um den Jungen zu unterstützen. Denn stirbt er, bevor das Portal schließt, entsteht ein Riss.«

Das darauffolgende Anstarrduell sorgte für ein Knistern in der Luft, und es war Desiderius anzusehen, dass er Bellzazar am liebsten den Kopf abgerissen hätte.

»Du bist doch ein Gott! Unterstütze du ihn!«

»Daf wif nift reifen«, nuschelte Place.

»Was?«, bellte Desiderius.

Bellzazar verdrehte die Augen. »Das wird nicht reichen«, übersetzte er und ließ Places Gesicht los, woraufhin dieser sich die Lippen leckte.

»So nachtragend«, stöhnte er dabei.

»Du hast mich vergiftet, und bräuchten wir nicht auch deine Macht, würde ich es dir heimzahlen.«

Desiderius rieb sich die Stirn, während Wexmell neben ihm den Kopf schüttelte.

»Wir können unsere Kinder nicht mitnehmen!«, sagte er.

Bellzazar wurde nun doch mitfühlend, als er seufzte. »Ich weiß, der Gedanke ist beängstigend, aber sie sind keine Kinder mehr. Wex. Derius. Wir brauchen sie jetzt, mehr als ihr euch vorstellen könnt. In ihnen fließt die Magie dieser Welt, genau wie in Kacey und wie in mir und Korah und Levi. Diese Magie ist es, die sich gegen die fremde Magie behaupten muss.«

»Warum ist diese Göttin so viel stärker?«, seufzte Desiderius genervt.

»Das ist sie gar nicht«, warf Place ein, »nur das Portal macht sie so stark. Das – und ihre Sklaven. Je mehr sie davon hat, je mehr Lebensenergie nimmt sie in sich auf.«

»Und genau das müssen wir mit Kacey tun«, erklärte Bellzazar, »wir lassen alle unsere Magie in ihn fließen, um seine groß genug werden zu lassen, damit er das Portal bannen kann.« Er wandte das Gesicht zu Desiderius und verzog bedauernd den Mund. »Wir werden mit deinen Kindern trainieren müssen, Bruder, so viel wir können.«

Desiderius schüttelte noch immer den Kopf.

»Habe jetzt den Mut, sie einzusetzen«, sprach Bellzazar auf ihn ein, »und sehe zu, wie sie daran wachsen. Denn auch sie sind eine Waffe, du weißt das, Derius! Du spürst es!«

Und an seinem unbehaglichen Blick sah man, dass es wahr war.

»Lass sie uns einsetzen, Bruder, oder gemeinsam mit ihnen untergehen.«

Desiderius atmete schwer aus und sah sich nach Wexmell um, er streckte die Hand aus und Wexmell verschränkte seine Finger mit seinen. Sie gaben sich Kraft.

»Wir müssen erst darüber nachdenken«, sagte Desiderius dann.

Wir. Cohen hörte ganz deutlich dieses Wir, das sie zu einer Einheit machte, die alle anderen ausschloss. Da war es, dieses Wir, das ihn immer verletzt hatte. In diesem Moment lehnte er sich wieder an Bellzazar, der den Arm um ihn schlang.

Dann war es gut. Es war einfach … gut.

»Lass dir nicht zu viel Zeit«, warnte Bellzazar Desiderius, »die Armee, die uns vernichten soll, steht schon bereit.«

Geliebter Wächter 2: Wolfsherz

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