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Kapitel 2

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Er war nicht verliebt. Nein, das konnte nicht sein. Er war in seinem ganzen Leben noch nie verliebt gewesen, und er lebte schon ziemlich lange. Er hielt die Verliebtheit für eine Laune der Natur, die nur sterbliche Wesen befiel, da Sterbliche nicht das Wissen innehatten, das er besaß, weil sie schlicht ihren Trieben und Gefühlen unterlegen waren. Wie Tiere in der Paarungszeit.

Er hatte geliebt, gewiss, sehr lange und sehr tief und wahrhaftig. Aber er war nie verliebt gewesen. Es waren zwei völlig verschiedene Dinge. Verliebtheit war flüchtig, aber überschwänglich, sie machte blind und hochmütig. Liebe war anders, sanfter, ruhiger, ewiglich. Das eine war ein Sturm auf hoher See, das andere ein stilles Gewässer, aber dafür tief und unergründlich.

Nein, er war nicht verliebt. Aber etwas war anders als damals, aufwühlender. Bewegender.

Mit mahlendem Kiefer und verschränkten Armen lehnte Bellzazar am Bettpfosten und starrte auf den Mann in seinem Bett hinab. Cohen schlief auf dem Bauch, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt und die Arme unter das Kissen geschoben, als umarmte er es. Wie ein Kind, das sich nach Nähe sehnte und stattdessen nur in Stoff gepresste Federn liebkoste.

So schlief er immer, ganz gleich wie Bellzazar ihn ablegte oder aus Interesse drehte und wendete, Cohen rollte irgendwann immer wieder in diese eine Position, das Gesicht nach Süden gerichtet. Bellzazar hatte viel Zeit gehabt, Cohens Schlafgewohnheiten zu studieren, seit dieser sich … wandelte.

Noch war sein Körper nicht vollständig regeneriert, er setzte sich aus dunkler Magie, schwarzen Partikeln und seinen Erinnerungen zusammen. Bellzazar hatte ihm ein Teil seines unsterblichen Herzens eingesetzt und nun floss durch Cohens Venen kein Menschenblut, sondern Wolfsblut. Aber seine Seele musste zunächst noch mit der neuen Hülle verschmelzen, und sie war nicht im einwandfreien Zustand, sie heilte zusätzlich noch. Das konnte dauern. Nachdem er kurz erwacht war und Bellzazar ihm die neue Wahrheit offenbart hatte – dass er nun ein Dämon war – hatte Bellzazar ihn wieder ins Bett geschickt. Cohen war zu schwach gewesen, um zu protestieren. Nun schlief er schon seit einer gefühlten Ewigkeit tief und fest.

Und Bellzazar wachte über ihn, während er ihn mit Blicken durchbohrte und darüber nachgrübelte, was mit seinen Gefühlen los war.

Eines wusste er, er würde keine roten Wangen bekommen, wenn Cohen ihn anlächelte, er würde keinen Blumen die Blütenblätter ausreißen, verträumt seufzen oder gar ihre Initialen in eine Rinde ritzen und mit einem Herz versehen.

Er war nicht verliebt, er hatte nicht das Bedürfnis, sich in jedem Augenblick in Cohen zu versenken, auch wenn ihn die fleischliche Begierde das ein oder andere Mal überkam. Er wollte nicht jeden Moment seines Daseins in Cohens Nähe verbringen, ihn ständig anstarren und ihn immerzu berühren, dem Klang seiner dunklen Stimme lauschen, und überhaupt drehte sich sein ganzes Dasein nicht nur darum, sich an Cohen reiben zu wollen, wie eine läufige Hündin.

Aber eines wusste er, sein zerschnittenes Herz fühlte sich warm und heil an, wenn er Cohen in seinem Bett liegen sah, als gehörte er genau dorthin. Bellzazar wollte, dass er dorthin gehörte, dass er schlicht ihm gehörte. Wenn sie sich berührten, prickelte seine Haut. Cohens Blicke ließen ihn die Einsamkeit vergessen, die ihn wie einen Schatten begleitete. Er sehnte sich nicht immer zu danach, aber wenn es geschah, genoss er es wie nie zuvor.

Und als er dachte, er würde Cohen für immer verlieren, hätte er lieber das gesamte Universum mitsamt allen Welten niedergebrannt, als ihn gehen zu lassen.

Er hätte gar sich selbst oder seinen Bruder geopfert, wenn es nötig gewesen wäre.

Und das machte ihm Angst, denn es hatte noch nie irgendetwas oder jemanden gegeben, das oder den er über Desiderius gestellt hätte.

Bei Cohen war der Gedanke ganz präsent, Bellzazar dachte seit Stunden darüber nach. Was wäre, wenn er vor die Wahl gestellt würde, Cohens Leben gegen Desiderius`? Er war auf die Frage aufmerksam geworden, als ihm auffiel, wie leicht und instinktiv ihm die Entscheidung gefallen war, er oder Cohen. Er hätte sich das Herz auch dann herausgeschnitten, wenn es dafür sein eigenes Ende bedeutet hätte.

Und sein Herz kannte auch die Antwort auf die andere Frage: Cohen. Er würde sich immer wieder für Cohen entscheiden.

Nur, dass dieser sich niemals für Bellzazar entscheiden würde, stünde er vor der gleichen Wahl.

Bellzazar machte sich nichts vor, auch wenn Cohen in seinem Bett lag und duldete, dass er ihn berührte, ihn sogar nahm, seine große Liebe war und würde immer Desiderius sein und bleiben.

Wie tragisch, dachte er bei sich und seufzte. Sein Herz krampfte, aber er ignorierte es. Er kannte das Gefühl, er war gewohnt, zu leiden. Liebe war Leid, deshalb war er auch nie verliebt gewesen. Er hatte diesen verblödeten Zustand immer sofort übersprungen, hatte gleich die Liebe gespürt, die blieb, wenn der Nebel aller Triebe verflogen war.

Trotzdem schmerzte es mehr als sonst, wenn er zu sehr darüber nachdachte. Er schüttelte den Kopf und vertrieb die Gedanken. Er wollte gar nicht so genau darüber nachdenken, wem Cohens Liebe gehörte, im Moment sollte er einfach genießen, dass dieser in seinem Bett lag. Auch wenn nur die Lust auf Fleisch sie vereinte. Das war besser als nichts.

Verdammt, hatte er das gerade wirklich gedacht? Besser als nichts?

Nun ja, irgendwie war dem auch so. Denn Cohen war seitjeher das einzige Geschöpf, das es vermochte, die Einsamkeit zu vertreiben. Und das nicht nur aus diesen Räumlichkeiten, sondern allein durch den Gedanken an ihn aus Bellzazars Bewusstsein.

Nein, nein, neckte ihn eine innere Stimme, du bist ganz bestimmt nicht verliebt…

Nicht verliebt! Er schüttelte den Kopf. Aber er befürchtete, dass es bereits viel schlimmer war.

Schlimmer…

Na ja, wem machte er denn eigentlich etwas vor? Er hatte diese seltsame Anziehung zu Cohen schon gespürt, als er noch bei Desiderius lag. Und es überraschte ihn nicht, Cohen besaß die Jägergabe, zudem auch noch eine besonders mächtige Art davon. Deshalb hatte der Drachengeist in Desiderius auf ihn reagiert, und deshalb reagierte auch Bellzazars innerer Totenwolf auf ihn.

Es brachte nichts, darüber nachzugrübeln, gegen die Macht der Natur kam nicht einmal ein Dämonenfürst an. Sie beschritt eigene Wege und Ziele, die sich dem Einfluss aller Magie entzog.

Wie gesagt, alles, was er wusste, war, dass Cohen in seinem Bett lag, und ihn dieser Umstand mehr als glücklich stimmte.

Er war es schlicht nicht gewohnt, glücklich zu sein. Nicht nach all den Jahrtausenden voller Verachtung, Argwohn, Einsamkeit und Kälte.

Aber jetzt, in diesem Moment war er es. Und damit bewies er mal wieder eine äußerst egoistische Haltung, denn immerhin hatte er Cohen zu einem Dämon gemacht, um glücklich zu sein.

Er konnte nicht behaupten, dass er Reue empfand. Höchstens ein gewisses Bedauern, dass Cohen nun etwas war, dass er abgrundtief verabscheut hatte.

Ob er sich nun selbst hasste?

Bellzazar stieß sich vom Bettpfosten ab und kletterte auf die Matratze. Cohen erwachte nicht, auch als er sich an dessen Seite drängte und ihm über die nackte Schulter strich. Die ausgeprägten Muskeln seines Oberarms fühlten sich so steinhart an, wie sie aussahen, aber die Haut darüber war warm und samten, fast zu weich für diesen strammen Körper.

Er war schön, Cohen war schon immer schön gewesen, das wollte Bellzazar gar nicht bestreiten. Doch ihn überraschte, dass er solch eine lodernde Begierde für einen Mann empfinden konnte. Natürlich hatte er auch bei Männern gelegen und einen Mann geliebt, aber wenn es rein um Begierde ging, stellte Cohen alles in den Schatten. Weiber, Kerle … alles dazwischen. Auf seine starke, männliche Art war er schön, doch sein Gesicht war es, was Bellzazar immer mal wieder den Atem raubte, wenn er unvorbereitet hineinsah. Selbst jetzt im Schlaf barg es diese tiefe, geheimnisvolle Ausstrahlung, eine unerschütterliche Entschlossenheit, Stärke und Stolz. Es wirkte immer ein wenig einsam und verloren, aber nicht schwach. Cohen war wie ein Gestrandeter, der nirgendwo richtig hingehörte, aber immer kämpfte, immer auf der Suche nach … irgendetwas, das nur er kannte. Vermutlich wusste er selbst nicht, was ihm fehlte, um zufrieden zu sein.

Das hatten sie gemein.

Und man wollte ihn retten, ihm eine Hand entgegenstrecken und auf eine schwimmende Insel ziehen. Man wollte das Geheimnis hinter seiner ewig andauernden Melancholie ergründen.

Vielleicht konnte Bellzazar das. Hier und jetzt.

Er rückte an Cohen heran, spürte ein Prickeln unter der Haut, als er dessen Wärme und Geruch wahrnahm. Auch als Dämon roch er nach Frost, der sich über eine Blumenwiese legte. Frisch und lieblich zugleich, das Versprechen auf einen unschuldigen, stillen Morgen.

Bellzazar zog ihn an sich, schloss die Augen und vergrub das Gesicht in seinem seidenen, rotbraunen Haar, um ihn im Traumreich aufzusuchen. Dort, wohin die Dämonen gingen, wenn sie träumten.

*~*~*~*

Er saß mit angezogenen Beinen an einem flachen Ufer und starrte auf einen glitzernden Bach, der sich über graues Gestein einen Weg durch hohe Berge bahnte. In den winzigen Tälern zwischen den Bergriesen waren die Wiesen mit roten Blumen getüncht und teilweiße mit einer puderzuckerartigen Schneedecke bedeckt.

Cohen genoss das Gefühl der Kälte auf der Haut und den Geruch des Frostes in der Nase. Es war der Geruch seiner früheren Heimat. Das südliche Gebirge Nohvas, wo er als Bastard geboren wurde und ein Leben voller Schicksalsschläge angetreten hatte. Doch ihn verbanden auch gute Erinnerungen mit seiner Heimat. Sie war im Krieg immer seine sichere Zuflucht gewesen, dort hatte er sich zum ersten Mal richtig verliebt – wenn auch in den falschen Mann –, seinen ersten Kuss bekommen, seine beste Freundin getroffen, die Kinder seines Bruders großgezogen und ein eigenes gezeugt. Er hatte den Anblick der majestätischen Berge, die über allem thronten, so sehr geliebt. Ebenso wie den Schnee und die weißen Wälder, wenn der harte Winter hereinbrach, meist so plötzlich, dass er die Sommerblumen noch auf den Berghängen einfror.

Doch das hier war nicht seine Heimat, das wusste er, es war nur das, was er sehen wollte. Er war nicht wirklich dort, aber auch die Illusion war schön. Vielleicht sogar noch schöner, denn hier besaß er beide Augen und keine hässliche, zugenähte Augenhöhle verunstaltete sein Gesicht. Hier war er der, der er sein wollte. Zumindest äußerlich. In einer Illusion, in einem Traum, den er selbst träumte, gab es keine Makel. Selbst die Kälte fühlte sich wohltuend und keineswegs schneidend an.

Cohen spürte ihn, noch ehe er ihn hören konnte. Meist konnte man ihn nicht bemerken, er war im Stande, sich völlig lautlos heranzuschleichen, vor allem in dieser Gestalt.

Cohen blinzelte den Wolf an, der am Ufer entlang gemächlich auf ihn zukam. Er war groß für einen Wolf, knochig und kränklich, sein schwarzes Fell wirkte stumpf und fiel an manchen Stellen aus, außerdem waren seine Ohren ein wenig zu lang, schmal und spitz. Ein Monster, durch und durch, wären da nicht diese schwarzen, bodenlosen Augen, die ihm so sehr vertraut waren wie seine eigenen, wenn er in eine spiegelnde Wasseroberfläche blickte.

Der Wolf gab ein Winseln von sich, als Cohen ihn nur ansah, und kam mit geducktem Kopf angetrabt. Er schlug mit der Pfote neben Cohen bittend auf den Boden, kaum, dass er in Reichweite war.

Als Cohen sich nicht rührte, legte Bellzazar sich neben ihm ab und schmiegte mit einem weiteren Winseln den Kopf auf Cohens Schenkel. Große, schwarze Augen sahen zu ihm auf, die durch den Körperkontakt tiefblau aufleuchteten. Die langen Ohren waren eingeknickt und drückten Unterwürfigkeit aus.

Cohen musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Bellzazar war vielleicht mehrere Jahrtausende alt, aber er war noch so verspielt und anschmiegsam wie ein hinter den Ohren grüner Bursche. Und damit traf er leider genau Cohens schwachen Punkt. Wie könnte er ihm in dieser Gestalt widerstehen? Wobei dabei ausnahmsweise keine sexuelle Komponente eine Rolle spielte, natürlich nicht. Und genau darum ging es, er fühlte keine Begierde, aber trotzdem raste sein Herz, wenn Bellzazar sich so aufdringlich an ihn schmiegte und seine Nähe und Berührung suchte.

»Weißt du«, seufzte Cohen und kraulte Bellzazar hinter den Ohren, »das wäre herzerwärmender, würdest du nicht halb verwest aussehen.«

Bellzazar gab ein tierisches Schnauben von sich und erhob sich wieder in eine aufrechtsitzende Position, wobei er so majestätisch und stolz aussah wie ein Löwe. »Du bist auch nicht in jeder Lebenslage eine Augenweide, Coco«, knurrte der Wolf.

Cohen zuckte so erschrocken zurück, als habe er sich die Hand an Bellzazar verbrannt, und sackte dabei auf seinen Ellenbogen, um nicht gänzlich umzukippen.

»Was ist?«, fragte der Wolf mit dunkler, grollender Stimme, wobei sich seine Lefzen bei jeder Silbe unnatürlich für einen Wolf bewegten. »Wenn du gerade aufgewacht bist, siehst du aus wie ein betrunkener Katzenbär. Von deinem Mundgeruch ganz zu schweigen.«

Fassungslos starrte Cohen ihn an. »Du … du kannst sprechen?«

Bellzazar schnaubte, dann hob er die Pfote und strich sich über die lange Schnauze, als wollte er sich den Nasenrücken drücken. »Ich bin ein Gott, natürlich kann ich sprechen.«

»Und … das sagst du mir erst jetzt?«, rief Cohen anklagend aus.

Der Blick des Wolfes war so ungerührt wie er nur sein konnte, es fehlte nur noch, dass er mit den Achseln zuckte. »War es denn davor je von Belang?«

Der Konter entwaffnete Cohens Zorn, aber er verzog genervt das Gesicht, als er sich wieder aufrecht hinsetzte. Räuspernd zog er seine Weste glatt und wich Bellzazars Blick aus, indem er wieder auf den glitzernden Bachverlauf starrte.

»Du musst gerade von Mundgeruch sprechen«, konterte er verlegen, »ich kann ihn bis hierher riechen.«

Ein belustigtes Funkeln schimmerte in den Augen des Wolfes, Cohen konnte es im Augenwinkel ganz genau sehen.

Seufzend wandte er seine ganze Aufmerksamkeit wieder der Landschaft zu und nahm sie mit allem, was sie bot, tief in seinem Herzen auf. Bellzazar folgte seinem Blick und spitzte die Ohren, als gefiele ihm, was er sah.

Für einen Moment war es lieblich ruhig und friedlich, so als würde die Zeit stillstehen. Er wünschte, dieser Moment würde ewig dauern und er müsste nie wieder aufstehen. Mit Bellzazar einfach hier zu sitzen und die Verbindung zwischen ihnen zu spüren, die greifbarer war als der Wind um sie herum, erfüllte ihn schlicht mit einem Frieden, den er niemandem hätte begreiflich machen können.

Er hätte es wohl auch nicht zugegeben.

Trotzdem runzelte er nach einem Moment die Stirn und stellte fest: »Etwas ist anders als sonst.«

Bellzazar gab einen Laut von sich, der sich wie ein Seufzen anhörte. »Du bist ja jetzt auch … anders

»Wir sind nicht wirklich hier«, warf Cohen ein und betrachtete mit Wehmut die Berge hinter dem Bachverlauf, »das ist nicht die Wirklichkeit.«

»Genau genommen, ist es schon Wirklichkeit, aber eben eine andere als jene, die du kennst«, warf Bellzazar mit seiner knurrenden Stimme ein, »du träumst. Das hier ist das Traumreich. Aber das heißt nicht, dass alles hier nicht auch irgendwie existiert. Was du siehst ist auch dann wahrhaftig, selbst wenn es verschwindet, sobald du die Augen öffnest.«

Cohen verzog die Lippen zu einem traurigen Ausdruck. »Es fühlt sich nicht an, als würde ich träumen, das meinte ich. Ich kann … fühlen. Mehr als je zuvor. Ich kann sogar den Wind fühlen, wie er durch die Bäume zieht, das Wasser, wie es die Steine im Bach schleift, das Leben in den Grashalmen.« Ratlos schüttelte er den Kopf. »Ich konnte in meinen Träumen noch nie irgendetwas fühlen.«

»Weil du ein Mensch warst«, erklärte Bellzazar und streckte dann seinen langen Körper genüsslich aus, ehe er den Wolfskopf wieder unter Cohens Arm hindurchzwängte und sich halb auf dessen Schoß legte. »Wenn Dämonen träumen, wandeln sie durch Träume. Manche von ihnen sind in der Lage, Sterbliche im Traumreich ausfindig zu machen und zu verführen, so können sie von ihnen Besitz ergreifen oder sie gar verzaubern. Du wirst dich daran gewöhnen, dein Verstand schläft eigentlich nie, und jetzt als Dämon nimmst du das ganz bewusst wahr. Das Traumreich ist auch nur eine andere Geisterwelt.« Seine Wolfsaugen leuchteten mystisch, als er beruhigend zu Cohen aufsah. »Deine Seele ist nun in der Lage, sich ganz frei und ganz bewusst hier zu bewegen, als wärest du wach, weil du im Grunde gar keinen Schlaf mehr benötigst. Wenn du in der anderen Welt einschläfst, bist du in dieser Welt wach, und schläfst du in dieser, erwachst du in der anderen.«

Cohen streckte die Beine aus und legte einen Arm um Bellzazars Hals. Sein schwarzes Fell fühlte sich speckig und heiß an, trotzdem grub er die langen Finger tief hinein und kraulte ihn ausgiebig. »Das ist mir zu kompliziert. Sagen wir einfach, als Dämon ist alles etwas anders.«

Der Wolf grollte, was sich wie ein dunkles Kichern anhörte, und rieb mit geschlossenen Augen den Kopf an Cohens flachem Bauch. »Langsam lernst du, nicht alles zu zerdenken.«

»Ja«, seufzte er und musste leicht lächeln. Und es fühlte sich gut an, nicht ständig alles zu hinterfragen und zu ergründen, Erklärungen zu suchen und immer nach Antworten zu forschen. Er hatte viel mehr Zeit für andere Gedanken.

Vielleicht war die Tatsache, dass er jetzt ein Dämon war schuld, aber irgendwie waren ihm gewisse Dinge gleichgültiger als vor dieser Wandlung. Vor allem die Tatsache, wo er war und bei wem er war und was er mit ihm gemacht hatte.

Hatte er zuvor noch eine gewisse Scham und Reue verspürt, wenn er daran dachte, wie er sich Bellzazar einfach hingegeben hatte, wurde ihm bei der Erinnerung jetzt nur noch warm.

Und wäre Bellzazar jetzt in Menschengestalt… Cohen schloss die Augen und stellte sich sehr lebhaft vor, wie er sich rittlings auf diesen rollen und gleichzeitig seine Hand unter das schwarze Hemd gleiten lassen würde. Wie er sich hinabbeugen und seine Zunge in Bellzazars Mund schieben würde. Allein der Gedanke, ihn zu berühren und zu schmecken und ihrer fleischlichen Begierde einfach ohne Hemmung nachzugeben, verursachte ihm einen prickelnden Schauer. Denn er wusste, wie stark sein Körper auf Bellzazar reagierte, wie intensiv sich seine Berührungen anfühlten, und dass er Cohen Erfüllung schenken würde.

Als hätte er Cohens inneren Nervenkitzel gespürt, knurrte Bellzazar leise und hob den Kopf an.

»Du bist jetzt ein Dämon, Coco«, sagte er mit mühsam beherrschter Wolfsstimme, »das heißt, du nährst dich von falschen und bösen Gefühlen. Von Leid, Gier und Wollust. Nicht, dass ich es nicht genießen würde, aber dennoch. Versuch wenigstens, dagegen anzukämpfen.«

Bellzazar erhob sich und schüttelte sein schwarzes Fell, als hätte ihn eine Armee Ameisen erfasst, die er abzuschütteln versuchte.

»Nein!«, sagte Cohen entschlossen und stand auf. »Warum sollte ich?« Er ballte die Hände zu Fäusten und sah entschlossen auf Bellzazar herab. »Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, meine Gefühle zu verschleiern, mich zu verstecken und zu verleugnen. Ich war ein Jäger, der seine Gabe vor der Kirche verbergen musste, für die ich kämpfte, weil mein Vater sich entschloss, ihr zur Macht zur verhelfen. Ich musste meine Liebe zu Männern vor dieser Kirche verstecken, und musste meine Begierde gegenüber meinem Bruder vor allem und jedem verbergen! Ich habe mein Leben lang mich selbst verleugnet und immer in Angst gelebt.« Seine Stimme war aufgebracht, er sprach sich geradezu in Rage. »Ich lebte ein schauriges, lebensfeindliches Leben auf dem Schlachtfeld.«

Bellzazar setzte sich wieder auf seinen fellbesetzten Hintern und legte neugierig den Wolfskopf schief, wobei seine zu langen Ohren wippten.

»Das ist jetzt vorbei!« Cohen ging vor ihm auf die Knie und sah ihm von Angesicht zu Angesicht tief in die blauen Augen. »Ich habe mein Leben im Schatten verbracht, Bell, und es immer dem Dienen anderer gewidmet, habe nie an mich gedacht. Aber jetzt habe ich eine zweite Chance. Du hast sie mir geschenkt! Ich mag ein Dämon und unsterblich sein, aber dennoch ist es eine zweite Gelegenheit, zu dem zu werden, der ich hätte werden können, wenn ich für, statt gegen meine Gefühle gekämpft hätte.«

»Und wer bist du?«, fragte ihn Bellzazar mit gelangweilter Stimme. Er kannte die Antwort, sie kannten sie beide.

Doch davon ließ Cohen sich nicht entmutigen. Er stieß den Atem schwer aus und ließ die angespannten Schultern sinken. »Das gilt es für mich, herauszufinden.«

Einen Moment lang forschten die mystischen Wolfsaugen in Cohens blutroten Iriden, als hielte er sein Gefühlshoch für einen Trugschluss. Vielleicht war dem auch so, vielleicht würde auf die Euphorie, die sein knappes Überleben ausgelöst hatte, ein schwarzes, trostloses Tief folgen.

Aber im Moment ging es Cohen gut und er wollte zuversichtlich bleiben.

»Ich will nicht mehr gegen mich selbst ankämpfen«, erklärte Cohen ruhiger.

Bellzazar verzog die Lefze wie zu seinem berühmten, schiefen Lächeln. »Ich wünschte, du könntest jetzt sehen, was ich sehe.«

Cohen musste schmunzeln. Er spielte das Spiel mit. »Und was siehst du?«

Die Züge des Wolfes wurden bedeutungsschwer, seine Stimme ernst. Wahrhaftig. »Ein Feuer, das heller und heißer als die Sonne lodert.«

Cohen zuckte mit den Achseln und wandte verlegen den Blick an. »Vielleicht bin ich zu überschwänglich, in Anbetracht der Tatsache, was ich jetzt bin. Aber ich fühlte mich nie … stärker.«

»Weil du es bist. Die dämonische Kraft wird sich immer weiter in dir ausbreiten«, warnte Bellzazar ihn und stand auf, um sich mit dem Kopf an seine Brust zu schmiegen. Auf einmal hatte Cohen das Gefühl, als wäre er in seinem Bewusstsein nicht mehr allein, als wäre Bellzazar mit ihm verschmolzen und sandte lebendige Wärme in sein Herz. »Du musst aufpassen, dass dich kein Hochmut befällt, Coco. Kämpfe gegen deine dämonische Seite an, dann wirst du nicht zu dem, was du einst abgrundtief gehasst hast.«

Cohen geriet ins Grübeln. Er schlang den Arm um Bellzazars Hals und legte den Kopf auf seinen. Er horchte tief in sich hinein und spürte die Kräfte in seinem Inneren gegeneinander aufbegehren. Da war der Wille, alles gleichgültig werden zu lassen und nur noch an sich selbst zu denken, stärker und unbesiegbar zu werden, sich gar an jenen zu rächen, die ihm einst Leid zugefügt hatten – nicht, dass davon noch jemand lebte. Aber da war auch … Wärme und Liebe, die ihn ermahnte, sich vor dem Hass in Acht zu nehmen.

Es fiel ihm nicht schwer, die Liebe festzuhalten, er musste nur an eine gewisse Person denken.

»Du weißt, ich würde nie jemandem absichtlich Leid zufügen«, sagte er laut zu Bellzazar.

»Das nicht«, stimmte der Wolf zu, »wenn jemand dazu gemacht ist, seiner dunklen Seite zu widerstehen, dann du. Aber so leicht ist es nicht, Coco. Du musst niemandem wehtun, um deine dämonische Seite zu füttern, es genügt bereits, wenn du in die sterbliche Welt trittst und jemand in deiner Nähe Leid empfindet. Du wirst es aufsaugen wie trockene Erde einen Tropfen Regen.«

Cohen verspürte nun doch einen Anflug Nervosität. Er hob den Kopf und Bellzazar sah ihm ins Gesicht. »Dann kann ich gar nichts tun, um es zu verhindern? Es passiert einfach? Ich werde mich einfach an dem Leid anderer laben, bis ich kalt und unberechenbar werde?«

»Doch, du kannst etwas tun, ich werde dich lehren, das Leid auszuschließen oder es zumindest in dir einzuschließen, statt dich daran zu weiden.« Seine Wolfsaugen begannen tiefblau zu schimmern und erweckten eine Anziehungskraft, die stärker war als jedes warme Leuchten in tiefster, kalter Dunkelheit. »Ich werde mich um dich kümmern.«

Und Cohen hegte keinen Zweifel daran. Nicht seit … Sein Blick fiel auf die Narbe, die sich über die Brust des Wolfes schlängelte. Es wuchs kein Fell dort, weil die Narbe zu frisch war.

Auch Cohen konnte seine Narbe noch spüren, sie spannte und erinnerte immer wieder an das, was geschehen war.

Als könnte er es je vergessen, dachte er bei sich.

»Zazar!« Der panische Ruf durchhallte das gesamte Traumreich. Cohen riss den Kopf hoch, die wunderschöne Stimme schien von überall und nirgendwo herzukommen. Als würde sie über ihnen schweben, wie ein Gott, der aus dem Himmelsreich zu ihnen hinab rief. So fern lag er mit seinem Vergleich nicht, denn er kannte die Stimme.

Bellzazar bog den Kopf, als würde er lauschen.

»Zazar!«, brüllte Korah erneut.

Cohen stand auf und sah sich im Gebirge um, doch es war leer, nicht einmal ein Tier war in den bewaldeten Berghängen auszumachen.

»Korah«, sagte Bellzazar zu ihm, »er ist in unser Zimmer gestürmt.« Dann lauschte er wieder und blickte gen Himmel, als könnte er Korah beobachten, doch als Cohen den Kopf in den Nacken legte sah er nur weiße, flauschige Wolken.

»Bellzazar! Vater!« sie lauschten der angespannten Pause. »Cohen!« Cohen war es, als rüttelte ihn jemand, wobei das Gefühl seltsam … fern war. Wie ein Windhauch unter der Kleidung. »Ihr müsst aufwachen«, rief Korah aufgebracht. »Zazar, du musst sofort kommen, es ist etwas Schlimmes passiert!«

Cohen sah nervös zu Bellzazar. Der Wolf schloss die Augen und gab ein tierisches Murren von sich.

»Ich glaube, es ist an der Zeit, aufzuwachen.«

Geliebter Wächter 2: Wolfsherz

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