Читать книгу Geliebter Wächter 2: Wolfsherz - Billy Remie - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеAls sich ihm von hinten leise Schritte näherten, fuhr er sich eilig über die Wangen und schniefte noch schnell ein paar Tränen fort. Er drehte demjenigen, der zögerlich zur steinernen Bank zwischen all der saftig grünen Hecken kam, den Rücken zu, um sein verweintes Gesicht zu verbergen.
»Xa-Xaith?«, fragte Vaaks verwundert und setzte sich ungefragt neben ihn. Dabei hatte Xaith geglaubt, im Irrweg des Rosengartens würde ihn niemand finden.
Er sagte nichts und drehte sich auch nicht zu seinem Bruder um.
»Warum bist du hier allein?«, hakte Vaaks verwundert nach und versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen. Aber Xaith drehte ihm nur noch mehr den Rücken zu, während er versuchte, heimlich die neuen Tränen fortzuwischen.
»Weinst du?«, rief Vaaks empört.
»Nein, du Schweinsgesicht, ich hab was im Auge!«, fauchte er über die Schulter.
Vaaks zuckte zurück, wie er es immer tat, wenn Xaiths ganzer Ärger unbeabsichtigt herausplatzte. Es tat ihm sofort leid, als er Vaaks` gekränktes Gesicht bemerkte, doch das sagte er natürlich nicht. Es fehlte ihm der Mut dazu, sich zu entschuldigen. Es war leichter, gemein und unausstehlich zu sein, als um Vergebung zu bitten.
Doch an diesem Tag ging Vaaks nicht einfach weg, wie er es sonst immer tat, er blieb sitzen und wandte nach einem Moment des unangenehmen Schweigens wieder das Gesicht zu Xaith um und fragte, als wäre nichts gewesen, sehr einfühlsam: »Was ist geschehen? Warum bist du nicht bei den anderen und lässt dich feiern? Heute ist doch euer Wiegenfest.«
»Und warum bist du denn nicht da?«, zischte er streitlustig und schabte mit den Füßen auf dem Kies unter der Gartenbank in Wexmells Rosengarten.
»Ich wollte noch etwas … holen.« Das letzte Wort sagte er so leise und nachdenklich, dass Xaith das tränennasse Gesicht zu ihm hob und ihn musterte.
Vaaks wirkte schüchtern, wie er in die Hecken starrte, die sie umschlossen und sie vor unerwünschten Blicken schützten.
Plötzlich war es, als wären sie wirklich ganz allein, wie in einer anderen Welt. Nur sie beide.
Das beruhigte Xaith auf eine seltsame Weise, wie er sie noch nie zuvor in seinem jungen Leben gespürt hatte. Zum ersten Mal schien er wirklich aufzuatmen und Luft zu bekommen. Sich sicher und geborgen zu fühlen.
Xaith wandte den Blick von Vaaks ab und starrte ebenfalls in die Hecken.
»Warum hast du geweint?«, hakte Vaaks nach einer Weile nach und wandte ihm das Gesicht wieder zu. Seine Augen betasteten Xaiths Profil spürbar, sodass er sich unwillkürlich beschämt wieder über die noch immer feuchte Wange wischte.
Xaith zuckte nur mit den Schultern.
»Wenn du nicht geweint hast, können wir ja auch wieder zurückgehen«, schlussfolgerte Vaaks und wollte aufstehen.
»Nein!« Xaith griff panisch nach Vaaks` Arm und zog ihn zurück auf die Bank. Da spürte er zum ersten Mal das seltsame Prickeln unter der Haut, und das aufgeregte Flattern seines Herzens.
Vaaks setzte sich wieder und sah ihn aufmerksam an. Er war beinahe ein ganzes Jahr älter als Xaith, zehn Monde, um genau zu sein, und das sah man seiner Statur auch an. Aber vor allem bemerkte Xaith, dass sein Bruder älter war, wenn er ihn so ansah, wie es ihr Vater immer tat. Irgendwie … verständlich und besonnen, immer offen und eine Spur … weise. Ja, Vaaks war groß und Vaaks war weise. Zumindest in Xaiths kindlichen Augen.
»Ich … ich mag nicht zurück«, nuschelte er dann mit gesenktem Kopf, hielt Vaaks` Arm aber mit seinen kleinen Händen fest umklammert, als könnte dieser ihn erneut versuchen, zu verlassen.
Vaaks versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen. »Warum denn nicht? Willst du nicht dein Wiegenfest feiern? Das ist ein besonderer Tag für euch alle.«
»Nein, ist es nicht«, motzte er, »es ist ein blöder Tag!«
Vaaks runzelte seine große Stirn. »Aber warum denn? Wir haben uns doch alle schon vor einem Mond auf die Feier gefreut! Wir können soviel essen, wie wir wollen. Die Barden singen nur für euch! Und wir dürfen auf den Tischen tanzen! Vater hats erlaubt!«
Aber Xaith schüttelte stur den Kopf.
Vaaks` Blick wurde sorgenvoll, er senkte die Stimme. »War jemand gemein zu dir, Xaith?«
Daraufhin schwieg Xaith. Lange. Doch als Vaaks unruhig auf der Bank herumrutschte, bekam er plötzlich Angst, dieser könnte die Geduld verlieren und einfach gehen. Also nickte er irgendwann beschämt.
»Aber warum tust du dann so, als hättest du etwas angestellt?«, fragte Vaaks traurig. »Du musst dich nicht verstecken, wenn du nichts falsch gemacht hast. Komm, wir sagen Vater, was passiert ist, dann…«
»Nein!« Xaith zerrte an Vaaks` Arm, obwohl dieser sich noch gar nicht erhoben hatte. Panisch sah er ihn an und schüttelte entschieden den Kopf.
»Warum denn nicht?«, wollte Vaaks wissen und forschte mit seinen warmen, braunen Augen tief in Xaiths verlegenem Gesicht.
Xaith zuckte mit den kleinen Schultern und senkte den Blick. »Dann lachen sie nur noch mehr.«
»Wer war es?« Dieses Mal ließ seine Stimme keine Widerworte zu. »Sag es mir, Xaith! Sag schon!«
Kleinlaut nuschelte er: »Ein paar Kinder aus der Stadt.«
»Die sind nur neidisch!«, behauptete Vaaks.
»Nein, das sind sie nicht. Es liegt an mir, nur an mir. Mit mir stimmt etwas nicht!«, rief Xaith verzweifelt aus und wandte Vaaks wieder den Rücken zu, weil ihm erneut die Tränen kamen. »Ich bin hässlich, deshalb lachen sie. Ich bin … komisch!«
Vaaks schüttelte für einen Moment überrumpelt den Kopf, es dauerte, bis er die Fassung wiedererlangt hatte und beruhigend seine Hand auf Xaiths Rücken legte.
Sofort wehrte sich Xaith gegen die Berührung, wollte sie abschütteln, aber Vaaks drehte ihn wieder zu sich herum.
»Du bist nicht hässlich!«, sagte er empört. »So ein Unsinn!«
Xaith schniefte trotzig und fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase entlang. »Nein, ich bin seltsam, deshalb lachen sie.«
»Über was lachen sie?« Vaaks schien es einfach nicht begreifen zu wollen.
»Über meine Augen!«, schrie Xaith ihn an, wütend über seine Blindheit. Er drehte sich mit Tränen in den Augen zu Vaaks um. »Sie sagen, ich sähe komisch aus. Nennen mich Salamander.«
Vaaks verzog die Lippen zu einem Schmunzeln.
»Du findest das auch witzig!« Xaith schubste ihn, ballte die Fäuste und wollte wutentbrannt aufspringen, um vor ihm zu flüchten.
Aber Vaaks umschlang ihn mit beiden Armen und zog ihn auf seinen Schoß, wo er sich nicht mehr befreien konnte, obwohl er wütete wie ein Ferkel in der Schlinge des Schlachters.
Schon immer waren sie gleichgroß gewesen, aber Vaaks übertraf jeden an Breite und Masse, ohne rundlich zu erscheinen. Nein, er war kantig, nicht kurvig.
»Du bist schön«, beschwor Vaaks ihn. »Ich habe nicht dich ausgelacht, ich habe über sie gelacht. Ich liebe deine Augen. Jeder von uns liebt deine Augen. Sie sind besonders, nicht seltsam.«
Xaith spürte, dass er sich nicht befreien konnte, und ließ sich matt gegen Vaaks` warmen Körper fallen. »Ach ja, meinst du?«, murmelte er und nestelte mit den Fingern an den Ärmeln seines Bruders herum.
»Ich weiß es!«, beteuerte Vaaks. »Die anderen Kinder sind doch nur neidisch, weil sie gewöhnliche, langweilige Augen haben. Sogar ich bin manchmal neidisch, wenn ich deine sehe.«
Überrascht drehte Xaith das Gesicht zu ihm um. »Ja wirklich?«
Vaaks nickte schüchtern und ließ Xaith langsam los, woraufhin dieser eher widerwillig von seinem Schoß zurück auf die Bank rutschte. Interessiert und mit verklebten Wimpern betrachtete Xaith seinen Bruder.
»Ja, aber …«, Vaaks zuckte mit den Schultern, »…nur bis ich dich ansehe und dann kann ich nicht mehr neidisch sein.«
»Warum nicht?«, drängte Xaith sofort zu erfahren.
Aber Vaaks nagte nur an seiner Lippe und zuckte erneut mit den Schultern, ohne ihn ansehen zu können. »Weiß nicht, ist eben so.«
Xaith wollte weiter fragen, als Vaaks plötzlich den Kopf hob und ihn traurig ansah. »Ich muss dir was beichten.«
Verwundert blinzelte Xaith ihn an. »W…was?«, stotterte er alarmiert.
Vaaks schürzte die Lippen und starrte auf die Bank unter ihnen. »Ich habe kein Geschenk für dich.«
»Geschenk?«
»Ist doch dein Wiegenfest! Da wird man beschenkt.«
»Das haben wir noch nie getan.«
»Aber ich wollte es«, warf Vaaks ein und sah ihn mit einem ganz seltsamen Blick an. Seine warmen Augen glänzten irgendwie plötzlich, aber ohne Tränen. »Ich wollte dir was schenken, nur dir. Aber … ich habe nichts gefunden, was … was dir gefallen könnte.« Bedauernd sah er wieder in die Hecken hinein.
Xaith wusste nicht, was er sagen sollte, also wollte er ihn nur beruhigen: »Du musst mir doch nichts schenken.«
»Riath hat dir was geschenkt«, erinnerte Vaaks sich. »Heute Morgen.«
Xaith runzelte die Stirn, bis er sich an das Frühstück erinnerte. Er lachte und nickte fröhlich dabei. »Ja, einen Stein.« Er griff in seine Taschen und zeigte ihn stolz seinem Bruder. »Er sagte, wenn man ihn so dreht, sieht er fast aus wie ein Küken.«
Xaith drehte den Stein, bis die Form mit ganz viel kindlicher Fantasie so etwas wie ein Küken darstellen könnte, und zeigte es Vaaks. »Siehst du? Hier ist der runde Po. Und hier der Kopf, es fehlt nur der Schnabel. Die Füße sind eingezogen, als ob es schwimmt.«
Vaaks lächelte, legte den Kopf schief und sagte plötzlich: »Nein, es ist ein Herz.«
»Was?« Verwundert legte auch Xaith den Kopf schief.
»Siehst du?« Vaaks drehte den Stein, bis die zwei Rundungen von Kopf und Gesäß nach oben ragten. »Ein Herz.«
Tatsächlich, so betrachtet, sah es mehr wie ein Herz, denn ein Küken aus. Fasziniert strich Xaith darüber und lachte dann triumphal. »Ha! Und Riath hat´s nicht bemerkt! Riath ist sooo blind!«
Aber Vaaks freute sich gar nicht mit ihm darüber, dass sie klüger als Riath waren. Er starrte Xaith wieder mit seltsam glänzenden Augen an.
Xaith musste schmunzeln und senkte verlegen den Blick. »Ich mags, wenn du so schaust.«
»Wie schau ich denn?«
»Als ob du einen Braten siehst!«, lachte er auf.
Und Vaaks lachte ebenfalls.
Doch der Anflug befreiter Freude zog so schnell ab, wie er aufgekommen war, und wieder saßen sie still nebeneinander, während das Schweigen Xaith nervös machte.
»Du, Vaaks?«
»Ja?«
»Müssen wir wieder zurück?« Ängstlich sah er seinen großen Bruder an. »Ich glaub, ich will nicht wieder zurück.«
Vaaks schüttelte den Kopf und lächelte ihn an. »Nein, wenn du nicht willst, dann will ich auch nicht.«
Das brachte Xaith dazu, breit zu lächeln. Sehr breit. Sodass ihm die Mundwinkel schmerzten.
Vaaks wandte den Blick zu Boden und schürzte wieder die Lippen. »Xaith?«
»Hm?«
Schüchtern fragte er: »Hab ich wirklich ein Schweinsgesicht?«
Xaith gluckste und schüttelte den Kopf. »Nein! Natürlich nicht!« Dann schämte er sich sogleich und senkte den Blick. »Es tut mir leid, dass ich das gesagt habe. Ich wollte nur gemein sein.«
Vaaks wandte ihm das Gesicht wieder zu und seine Augen funkelten warm. »Wirklich?«
Xaith schielte zu ihm auf und nickte stumm.
Dann wurden Vaaks` Augen auf etwas gelenkt, das sich hinter Xaith befand. Er beugte sich vor und an ihm vorbei, und als er sich wieder hinsetzte, hielt er eine Rose in der Hand, deren Blüte noch fest verschlossen war. Vaaks` Finger waren wegen der Dornen blutig, aber das schien ihn nicht zu kümmern.
»Hier«, sagte er und reichte Xaith die junge Rose, »die schenk ich dir.«
Das machte Xaith so unsicher, dass er am liebsten im Erdboden versunken wäre. »Aber… aber die ist doch noch zu!«, sagte er und lachte.
Vaaks wirkte verlegen. »Vater schenkt Vater auch immer Rosen, die noch nicht blühen. Dann sagt er, so hat man länger davon. Und Vater lächelt dann immer glücklich.« Er sah Xaith bedeutungsvoll an. »Ich will auch, dass du heute lächelst. Ich will, dass du immer lächelst. Wie Vater, wenn er Vater ansieht.«
Xaith starrte Vaaks mit der Rose in der Hand an. Seit diesem Moment, dort auf der Bank, hatte er in Vaaks keinen Bruder mehr gesehen, nicht im Geringsten. Seit diesem Moment hatte es ihn regelrecht wütend gemacht, wenn sie als Brüder bezeichnet wurden. Denn es war der Moment, als er ganz sicher wusste, was es hieß, verliebt zu sein. Auf seine kindliche, unschuldige alles aufopfernde Art und Weise, wie eben nur ein Kind zum ersten Mal lieben konnte.
»Bleiben wir hier?«, durchbrach Vaaks die anhaltende Stille. »Und feiern ganz allein, nur du und ich?«
Xaith grinste glücklich. »Nur du und ich!«
Und das taten sie, jagten lachend durch den Rosengarten, spielten Verstecken und Fangen, erst miteinander, dann mit den Wachen und ihren Vätern, die sie bis zur Dämmerung suchten und erst in der Festungskapelle fanden, wo sie sich unter dem Altar versteckt und mit einer Kerze und ihren Fingern Schattenspiele auf die Tischdecke geworfen hatten. Es war und würde immer der schönste Tag in Xaiths Kindheit sein, obwohl ihre Väter so wütend vor lauter Sorge waren, dass sie beide einen Mond lang die Festung nicht verlassen durften und Unterrichtstunden aufgebrummt bekommen hatten, während ihre Geschwister zu Mittag schon im Garten spielten. Doch auch das machte nichts, denn sie waren dabei zusammen, und das war alles, was Xaith wollte.
Die Rose hegte und pflegte Xaith die Tage darauf mit größter Hingabe, denn auch wenn er ein Kind war, glaubte er ihre Bedeutung zu verstehen. Vaaks hatte ihm etwas geschenkt, was sich ihre Väter aus einem besonderen Grund schenkten.
War dies eine Botschaft?
Er hatte Wochen darüber gegrübelt und immer ein nervöses Flattern im Bauch gespürt, wenn er die Rose neben seinem Bett angesehen hatte.
Doch dann, ein paar Wochen später, war Jin in Vaaks` Leben getreten, genau an jenem Tag, als die Rose ihr letztes Blatt verlor. Nur kurz darauf war der erste rote Punkt in Xaiths Gesicht erschienen. Und von da an, wurde alles anders…
Es war eine Berührung, die ihn weckte. So sanft und zart und doch aufdringlich genug, um ihn aus seinem Traum zu reißen. Forsche Finger kitzelten ihn im Gesicht, während sie neugierig jedes Grübchen im Mundwinkel nachfuhren und sacht seine warmen Lippen betasteten.
Angestrengt versuchte Xaith, nicht zu lächeln, solange er so überaus lieblich erforscht wurde. Es kostete ihn einiges an Anstrengung, jetzt nicht zu lachen. Noch halb im Schlaf nahm er all das war, auch den heißen Atem auf seiner Wange, der von dem Schatten ausging, der dicht über ihm kauerte.
Es konnte nur einer sein, da war er sich sicher, und er wollte den Moment nicht zerstören.
Also blieb er liegen und rührte sich auch nicht, als ihm die Lippen resolut geöffnet und über die Fänge geschoben wurden. Nun musste er sich wirklich zusammenreißen, nicht die Augen zu öffnen oder loszulachen.
Interessiert fuhren die salzigen Finger über seine zusammengebissenen Zähne, strichen ehrfürchtig über seinen dolchartigen Reißzahn, immer und immer wieder. Dann beugte sich der Schatten über ihn hinab und leckte unerwartet sanft mit der warmfeuchten Zunge über seinen messerscharfen Fangzahn.
Xaith knurrte tief und animalisch. Ein dunkles Lachen erklang leise im Raum, dann fuhr die Zunge damit fort, Xaiths Fangzahn zu lecken. Er schmeckte den fremden Speichel und fühlte das weiche, heiße Fleisch der Zunge an seinen Lippen und Zähnen, immer wieder, und ein starkes Kribbeln weckte sein Geschlecht.
Unruhig begann er sich zu bewegen und zu blinzeln, da drückte ihm der aufdringliche Schatten einen sanften Kuss in den Mundwinkel. Zu spät erwiderte Xaith ihn, denn dieser wundervoll weiche, volle Mund war längst wieder fort.
»Hallo«, begrüßte ihn Vaaks` melodische Stimme.
»Hallo«, brachte Xaith kratzig hervor. Er räkelte sich mit einem Stöhnen auf den Rücken und musste gegen die Helligkeit im Zimmer anblinzeln. Obwohl die Vorhänge zugezogen waren, fand das grelle Sonnenlicht einen Weg in das weiße Zimmer und ließ die Wände leuchten.
Vaaks lag auf der Seite, trug ein leichtes Leinenhemd, das nicht mehr in der Hose steckte und aufgeschnürt war, sodass er geradezu verwegen und nachlässig aussah – aber nie anziehender. Sein gelocktes Haar war offen und wurde von einem lauwarmen Windzug gestreichelt.
»Warum hörst du auf?«, beschwerte Xaith sich und griff nach Vaaks` Gesicht, um es wieder zu sich hinab zu ziehen, obwohl er noch kaum im Stande war, seine übermüdeten Augen länger als einen Wimpernschlag lang aufzuhalten. »Komm wieder her und mach weiter!«
Vaaks lachte leise und vergnügt, ließ sich hinreißen, Xaith noch einen warmen aber keuschen Kuss auf die sehnsüchtigen Lippen zu geben, doch dann hob er den Kopf wieder, und Xaith spürte die braunen Augen genüsslich über sich gleiten.
»Nicht! Nicht ansehen!« Sofort schlug Xaith die Hände vor das Gesicht und drehte sich, um sich an Vaaks` Brust zu verstecken. Er hasste es, bei so viel Licht angesehen zu werden. Er konnte förmlich spüren, wie seine Pickel dabei größer und hässlicher wurden. Immer dann, wenn man ihn betrachtete, war er sich überdeutlich der Makel in seinem Gesicht bewusst, es war sogar so, dass sie dann regelrecht pulsierten. Er würde nie vergessen, wie er aussah.
Doch Vaaks` fröhliches Lachen klomm wieder auf. »Warum denn nicht?«, fragte er und amüsierte sich offen über Xaiths Schüchternheit. »Ich sehe dich gerne an.«
Xaith gab nur ein abfälliges Grunzen von sich, das Vaaks zum Kichern brachte.
»He! Bitte.« Vaaks zupfte an Xaiths Arm. »Sieh mich wieder an, ja?«
Aber Xaith schüttelte den Kopf und nuschelte in seine Hände: »Zu hell.«
Vaaks gab ein unverständliches Murren von sich, dann riss er plötzlich die Decke über sie und alles wurde dunkel.
Na gut, es wurde natürlich nicht stockdunkel, die Sonne schimmerte auch durch den leichten Stoff der Decke, doch es war wesentlich düsterer als im lichtgefluteten Zimmer außerhalb ihrer Betthöhle.
Xaith wagte es, hervor zu linsen und die Lage zu beurteilen. Er konnte Vaaks` Gesicht noch gut erkennen, aber nicht mehr jede Kerbe, jedes Haar. Zögerlich kam er hervor und schmiegte dann den Kopf auf sein Kissen.
»Besser?«, fragte Vaaks mit einem wissenden Schmunzeln, während er einen Arm nutzte, um die Decke oben zu halten. Er machte sich gut als Zeltpfahl.
»Nicht perfekt, aber passabel«, antwortete Xaith und sah zu Vaaks auf. Selbst im Halbdunklen konnte er sich nicht an diesem schönen, kantigen Gesicht satt sehen. Vor allem nicht an jenem Tag.
»Du warst so mutig«, raunte er ehrfürchtig und zugleich beschämt, »als du auf den Drachen losgestürmt bist. So mutig und … beneidenswert. Eine wahre, entfesselte Naturgewalt.«
Sein Herz schlug Purzelbäume, als er sich Vaaks in Erinnerung rief, wie er nur wenige Stunden zuvor furchtlos in den Kampf gerannt war. So entschlossen, so erwachsen, kriegerisch und kraftvoll.
Vaaks wurde unter den Schmeicheleien verlegen und wandte für einen Moment den Blick ab. Er lachte humorlos auf. »Ich war nicht mutig, ich war ängstlich«, gestand er dann und schaute Xaith achselzuckend wieder an. »Ich wollte einfach nicht glauben, dass… Also bin ich losgerannt, um nicht darüber nachzudenken.«
Aber Xaith schüttelte den Kopf. »Du warst mutig! Sehr sogar. Genauso wie Sarsar und May, die den Drachen mit Magie und Pfeilen angriffen. Ich war starr vor Angst«, seufzte er und schlug beschämt die Augen nieder, nestelte nervös an Vaaks` Hemd. »Ich und Riath. Wir waren feige und konnten vor Unglauben nur starren, während ihr…«
»He!« Vaaks beugte das Gesicht dicht über ihn, sodass sich ihr Atem vermischte. Tief und eindringlich sah er Xaith in die Augen. »Ihr seid nicht feige! Niemand denkt das von euch. Vater wurde gerade vor unseren Augen von einem Drachen verschluckt. Ich habe mir vor Angst fast in die Hosen gepisst!«
Xaith lächelte dankbar, aber er fühlte sich nicht wirklich besser. Sein Blick fiel auf Vaaks` halb entblößte Brust und er betastete die nackte, leicht behaarte Haut mit seinen Augen. »Ich hatte solche Angst, Vaaks. Um Vater. Die habe ich noch.«
»Ihm geht es gut, du hast Sarsar doch gehört«, beruhigte Vaaks ihn und schmiegte das Gesicht an seines, rieb mit Nase und Mund über Xaiths gerötete Wange. »Alles ist gut, er ist bald wieder da.«
»Ich weiß«, flüsterte er und atmete bebend aus, noch immer waren die Spuren der letzten Nacht nicht vergangen. »Aber als wir dachten … verdammt, ich glaubte wirklich, es sei zu spät. Von jetzt auf gleich war er einfach … fort. Niemand von uns konnte damit rechnen.« Ratlos schüttelte er den Kopf und nestelte weiter an Vaaks` Hemd herum, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.
Langsam wurde es stickig unter der Decke, aber Vaaks lüftete sie nicht, obwohl ihnen beiden der Schweiß auf der Oberlippe stand.
»Vielleicht ist das der Unterschied zwischen dir und mir«, meinte Vaaks nachdenklich, und Xaith sah wieder zu ihm auf. »Wie wahrscheinlich ist es schon, dass er das überlebt hat? Du bist eben … pragmatisch. Ich bin ein dummer Träumer, der die Hoffnung nicht aufgeben wollte, während dein schlaues Köpfchen eben einfach die Fakten sah und sich bereits ausrechnete, dass kaum noch Hoffnung besteht. Deshalb bist du erstarrt, und deshalb bin ich losgestürmt. Ich wollte es nicht wahrhaben, während du nicht mehr hoffen konntest.«
Xaith lächelte zerknirscht. »Aber er hats überlebt.«
Vaaks atmete erleichtert aus. »Das hat er. Und wenn die Legenden über ihn stimmen, hat er auch schon viel Schlimmeres überstanden. Er wird lachen, wenn er hört, dass wir uns Sorgen machten.«
Doch Xaith konnte den Schrecken noch nicht ganz abschütteln. »Als ich dachte, er kommt nicht zurück, war ich noch nie so verzweifelt gewesen, Vaaks.«
»Ich weiß. Ich auch.«
»Nein, ich meine, wirklich verzweifelt. Ich habe mich so leer gefühlt, so unwirklich. Als wäre der Boden unter mir weggebrochen. Und alles um mich herum war wie in einem Alptraum, vernebelt und seltsam fremd.« Er schloss die Augen und schauderte. »Ich kann und will mir eine Welt ohne unseren Vater nicht vorstellen. Gestern Nacht wurde mir so richtig bewusst, dass ich nicht bereit wäre, sollte ihm etwas zustoßen.«
Vaaks erwiderte mit dünner Stimme: »Ich auch nicht.«
Aber das glaubte Xaith ihm nicht. Natürlich wäre Vaaks traurig, May und Sarsar wären auch traurig, aber Xaith glaubte nicht, dass sie diese tiefe Verzweiflung spürten, wie er sie gespürt hatte. Seine gesamte Welt war zusammengebrochen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er gefühlt, was es wirklich bedeutete, völlig allein zu sein. Denn so fühlte er sich ohne Vater. Allein und irgendwie verloren. Während Vaaks einfach dieser Fels in der Brandung war, immer stark und fürsorglich, der sich um alle kümmerte und Xaith die ganze Zeit über aufrechtgehalten hatte.
Nein, Vaaks würde ganz sicher ohne Vater auskommen. Er würde trauern wie jeder Sohn, aber darüber hinwegkommen und sein Leben führen. Xaith würde einfach den Halt verlieren und sich vorkommen wie ein Blinder im Irrgarten. Denn als er dachte, sein Vater wäre tot, hatte auch er sterben wollen.
»Es geht ihm gut«, beschwor ihn Vaaks, als er Xaiths düsteren Blick bemerkte und stupste ihn aufmunternd mit der Nase an. »Er ist bestimmt schon auf dem Weg hier her. Und wie gesagt, er übersteht doch immer alles.«
Xaith rang sich ein Lächeln ab, aber nur, weil Vaaks damit anfing, mit seinem verführerischen Mund an Xaiths Lippen zu zupfen.
»Komm schon«, drängte Vaaks gurrend und stieß das Becken gegen Xaiths Schenkel, »lass uns nicht über den Tod reden, lass uns das Leben feiern. Vater lebt, und wir …« Er brach ab und küsste Xaith stattdessen sacht auf den Mund. Nicht, um ihn zu küssen, es fühlte sich mehr nach einer Frage an.
Xaith genoss die Nähe. Wie könnte er nicht, nachdem er sich das all die Jahre gewünscht hatte? Doch richtig glauben konnte er es noch nicht, aber er würde sich davon ganz sicher nicht aufhalten lassen. Sein ganzer Leib lechzte nach Vaaks` harten, warmen Körper, und das würde er sich nicht durch seinen Selbsthass zerstören lassen.
»Ich habe es dem Drachen wirklich übelgenommen«, schnurrte Vaaks mit einem Lächeln, während er sich über Xaiths Gesicht hermachte und sich über den Mundwinkel zur Wange küsste. »Dass er uns gestört hat, meine ich.«
Xaiths Augen waren geschlossen, sein Atem kam stoßweise, während die leichten Berührungen bereits genügten, um seinen Körper in Flammen zu hüllen. Er grub eine Hand in Vaaks` dunkle Locken und kraulte die Kopfhaut darunter. »Gestört?«
Vaaks gluckste und biss ihm sacht in die Wange. Seine Zähne und Kiefern waren so kraftvoll wie alles an ihm und bescherten Xaith einen wohligen Schauer. »Ich dachte, dort unter dem Sternenzelt, hätte ich dich endlich«, raunte er Xaith ins Ohr und ließ die Decke fallen, die nur noch von seinem Kopf gehalten wurde, um spielerisch die Hand über Xaiths flachen Bauch nach unten gleiten zu lassen, wo er…
Xaith zog scharf die Luft ein, was beinahe nach einem erregten Fauchen klang.
Leise lachend massierte Vaaks das halbsteife Glied durch die Hose. »Habe mich nicht getäuscht, dein Körper spricht offener, als du es je getan hast«, neckte er ihn und rieb wieder genüsslich die Nase über seine Wange. »Hm, deine Haut riecht so gut.«
Xaith wurde rot, seine Hände hatten sich längst verkrampft an Vaaks` Hemd geklammert, und auch sonst lag er stocksteif da, während sein Körper ihn regelrecht verriet und nur noch daran denken konnte, sich intensiver an Vaaks` Hand zu reiben.
»Du bist nicht so, wie ich dachte, dass du bist«, presste er angestrengt hervor und versuchte an etwas Belangloses zu denken, Sträucher, Hauswände, Ratten, Kuhscheiße… es klappte nicht. Er keuchte und versuchte, die Schenkel zusammenzudrücken, wodurch er sein Geschlecht nur noch mehr in Vaaks` gönnerhafte Handfläche schmiegte.
Doch da hielt dieser inne und sah verwundert auf ihn herab. »Schlechter oder besser als du dachtest?«
Jetzt hatte er ihn gekränkt. Mal wieder. Xaith schimpfte sich einen Dummkopf, einen vorlauten Dummkopf und schüttelte schnell den Kopf. »Nein, nicht schlechter, nicht besser, nur anders.«
Vaaks legte amüsiert den Kopf schief.
»Verdammt«, seufzte Xaith und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. »Ich mein doch nur, du bist immer der Ruhige. Ich habe einfach nicht gedacht, dass du so …«, fordernd, »forsch dabei bist.«
Das brachte Vaaks nur noch mehr zum Schmunzeln. Über sich selbst fluchend, versteckte Xaith wieder das Gesicht an Vaaks` schöner Brust. Er schämte sich ja so für seine Unerfahrenheit.
Vaaks hingegen schien schon genau zu wissen, was er tat. Und auch, was er wollte. Das schüchterte Xaith etwas ein, zumal er sich verbieten musste, darüber nachzudenken, mit wem Vaaks bereits…
Jedenfalls hätte er nie erwartet, dass Vaaks so … leidenschaftlich sein konnte. Liebevoll, gewiss, aber auch so voller Feuer. Und gierig, sehr gierig. Das hatten sie wohl gemein. Ob es am Alter lag? Xaith wusste es nicht, er konnte nur für sich sprechen, und schon seit Jahren war die Fleischeslust das interessanteste Thema, vor allem im Zusammenhang mit Vaaks. Liebe und Begierde, das hatte seit einigen Jahren Vorrang vor allem anderen. Was wegen seines Triebes und seines unansehnlichen Gesichts nicht immer einfach war. Um genau zu sein, war es eine verfluchte Qual gewesen.
So aber nicht an jenem Tag, da ihm seine innigsten Fantasien erfüllt wurden. Nein, sogar übertroffen wurden, denn Vaaks war nicht nur freundlich, er wollte es selbst. Er wollte es mit einer Inbrunst, die Xaiths verzweifeltem Sehen gleichkam.
Vaaks` Zunge kitzelte an seinem Ohr und er lachte, während er das Gesicht tiefer an Vaaks` Brust vergrub.
»Du bist auch anders, als ich dachte«, gestand Vaaks dann, seine große Pranke fuhr warm und liebevoll über Xaiths Rücken. »Schüchterner, für deine sonst scharfe Zunge. Das ist irgendwie niedlich.«
Xaith fuhr so schnell hoch, dass er den Kopf beinahe gegen Vaaks` markantes Kinn gestoßen hätte. Er verengte die Augen und knurrte: »Ich bin nicht niedlich!«
Aber Vaaks grinste ihn frech an. »Doch, irgendwie schon. Und versteh mich nicht falsch, ich bin froh, dass du so bist.«
Unsicher forschte Xaith in Vaaks` Augen. »Ach ja?«
»Ja«, raunte Vaaks und beugte sich vor, um ihn zu küssen. Xaith hielt ganz still und erzitterte erregt unter Vaaks` warmen, vollen Lippen, die sich zärtlich nahmen, was sie begehrten.
»Ich will dich jetzt richtig kennen lernen«, flüsterte Vaaks und lüftete die Decke, »dich, ganz und gar, als Mann. Will dich und … deinen Körper erforschen.«
Ein entzückter Laut entkam Xaiths Kehle, als Vaaks ihn mit beiden Armen an sich zog und ihn tiefer küsste, leidenschaftlicher, gieriger. Xaiths Lippen teilten sich wie von selbst und Vaaks` Zunge stupste fragend hinein.
Sie lächelten und Xaith öffnete den Mund weiter. Ermutigt presste Vaaks die feuchten Lippen darauf und drang besitzergreifend mit der Zunge ein. Sie spielten miteinander, rangelten und kämpften regelrecht, wie sie es früher als Kinder getan hatten, nun mit den Zungen. Kosteten und tranken den Speichel des anderen und gingen voll im Feuer blinder Leidenschaft auf.
Alles in Xaith wollte sich auf Vaaks werfen und ihm und sich die Kleider mit Händen und Zähnen von den Leibern reißen. Aber er traute sich nicht. Er verfluchte sich selbst für seine Schüchternheit, aber noch immer befürchtete er, Vaaks könnte aufspringen und ihn auslachen. »Du hast doch nicht wirklich geglaubt, wir würden…? Hahaha! Bestimmt nicht …«
Vaaks spürte die Zurückhaltung und das verlieh wiederrum ihm Mut, denn noch ehe Xaith sich wehren konnte, rollte sich dieser Riese auf ihn und drohte ihn, unter sich zu ersticken. Und doch war es nicht genug. Im Kuss vertieft presste Xaith sich an Vaaks` breiten, großen Körper und rieb sich aufreizend an ihm. Junge Leidenschaft kannte keine Zurückhaltung, Xaith wollte es so sehr, forderte es. Wollte Vaaks so sehr nahe sein. Trotz aller Unerfahrenheit, er wollte aufs Ganze gehen und endlich erleben, wovon er immer nur geträumt hatte.
Vielleicht gerade in diesem Moment mehr denn je, da er den Schrecken der Nacht verdrängen wollte.
Sie keuchten zwischen den Küssen und schnappten nach Atem, während ihre feuchten Münder sofort wieder in schierer Verzweiflung verschmolzen. Sie rissen und zerrten ungestüm aneinander, wobei Vaaks so herrlich übermächtig über Xaith ragte, dass er sich vollkommen von ihm eingenommen fühlte und ihm der Kopf vor Gier schwirrte. Wie konnte Vaaks so viel harte Masse besitzen und gleichzeitig noch »zu wenig Vaaks« sein.
Er labt sich gerade an den harten Brustmuskeln, strich mit seinen schlanken Fingern darüber und ergötzte sich stolz an Vaaks` unkontrolliertem Stöhnen, als es passierte.
Das, was nicht passieren sollte.
Der Hunger erwachte. Ein übermächtiges Verlangen, das sich nur nach Blut sehnte. Nach Vaaks´ Blut, das so köstlich in dieser kräftigen Vene an seinem starken Hals pochte. Xaith versteinerte, während ihm bereits das Wasser im Mund zusammenlief. Vaaks bekam davon nichts mit, hielt sein Erstarren vielleicht für Hemmung, denn er schob eine Hand zwischen ihre Körper, atmete gegen Xaiths Mund und packte ihm sanft in den Schritt.
Das Gefühl sandte ein noch größeres Verlangen durch Xaiths Körper, und mit einem entschlossenen Schubs beförderte er Vaaks von sich runter.
Atemlos setzte er sich auf, während Vaaks ebenso keuchend neben ihm auf der Matratze landete und verständnislos den Arm ausbreitete.
»Willst du nicht?«, fragte er verwundert und umfasste Xaiths Arm.
Ruckartig entzog sich Xaith der Berührung und versuchte angestrengt, nicht Vaaks` würzigen, herbstlichen Duft einzuatmen. »Fass mich jetzt nicht an«, presste er hervor und sein Körper begann vor Zurückhaltung zu zittern.
Vaaks setzte sich langsam auf, respektierte aber, dass er nicht berührt werden wollte. Er neigte den Kopf, um ihn ansehen zu können, genau wie damals auf der steinernen Bank im Rosengarten.
»Was ist mit dir?«
Xaith schloss die Augen. »Der Blutrausch«, keuchte er mühsam. »Bitte. Vaaks. Kannst du etwas Abstand nehmen.«
Aber Vaaks rührte sich nicht. Im Gegenteil, statt dass er sich fürchtete, schien es ihn sogar zu beruhigen. Er lachte leise und drückte sich an Xaiths Rücken.
Der Hunger bäumte sich wie ein eigenständiges Wesen in Xaith auf, sodass er sich in die Bettlaken krallte und die Fänge zusammenbiss. »Vaaks…«, knurrte er.
»Vertrau mir«, sagte Vaaks und strich ihm beruhigend über den Hinterkopf bis hinunter zu seinem Hosenbund. »Ich fürchte mich nicht.«
»Ich scherze nicht, Vaaks, du musst…« Ein unterdrückter Schrei entkam ihm. »Verdammt, geh vom Bett… sonst … kann ich nicht …« Atmen.
Vaaks gab einen Laut voller Unmut von sich, erbarmte sich dann aber. Jedoch offensichtlich nicht im Geringsten besorgt, sondern lediglich, weil Xaith ihn darum bat.
Es dauerte eine qualvolle Ewigkeit, bis Xaith sich einigermaßen wieder unter Kontrolle hatte und sich frei zu atmen wagte. Als er sich daraufhin im Zimmer umsah, stand Vaaks vor dem Fenster und beobachtete ihn mit verschränkten Armen. Sein schönes, bereits so sagenhaft männliches Gesicht war alles andere als amüsiert.
Xaith konnte es ihm nicht verübeln, ein weiteres Mal hatten sie sich unterbrechen müssen.
Er senkte den Blick und schluckte geräuschvoll. »Das muss dich mächtig nerven, entschuldige.«
Verdammt, warum musste er auch so kompliziert sein.
Aber Vaaks schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht genervt. Nicht davon jedenfalls.«
Xaith sah auf, als Vaaks wieder näherkam.
»Vertraust du mir nicht?«, fragte Vaaks ein wenig verstimmt. »Glaubst du, ich könnte dich nicht aufhalten?«
Xaith runzelte die Stirn. »Du bist ein Mensch! Ich könnte dich töten.«
»Dann hältst du mich für schwach«, schlussfolgerte er pikiert.
Xaith ließ matt die Schultern hängen. »Nein! Natürlich nicht. Aber du bist aufgrund deines Volkes eben schlicht verletzlicher. Du heilst nicht so schnell und ich habe mich nicht unter Kontrolle. Nur ein falscher Biss, in einem Moment der Unachtsamkeit, und…« Er brach ab und sah zerknirscht in Vaaks` beleidigte Miene. »Ich habe schon meine Mutter auf dem Gewissen, Vaaks, ich will nicht auch noch dich…«
»Das wirst du nicht«, sagte Vaaks so ernst, so entschlossen, das Xaith ihm beinahe geglaubt hätte. Beinahe.
Er seufzte. »Vaaks, ich…«
»Ich bin stark, Xaith!«, unterbrach Vaaks ihn gleich und stieg zu ihm aufs Bett. Sein Geruch machte Xaith wieder ganz nervös. »Wenn du die Kontrolle verlierst, dann kann ich dich aufhalten.« Er packte Xaiths Kinn mit seiner Pranke und hob seinen Kopf an, bis sie sich ansehen mussten. Vollkommen entschieden betonte Vaaks: »Ich kann dich kontrollieren, wenn du es nicht mehr kannst, Bruder.«
Xaith sah gequält zur Seite. »Bitte, nenn mich nicht Bruder. Wir sind keine …«
»Doch, sind wir«, sagte Vaaks bitterernst.
Xaith fuhr fassungslos zu ihm herum. »Wie kannst du das jetzt noch behaupten? Ich dachte…«
Vaaks` mildes Lächeln ließ ihn innehalten. »Wir sind Brüder«, betonte Vaaks und beugte sich zu ihm, sanft strich er mit den Lippen über Xaiths Mund. Und Xaith seufzte sehnsüchtig.
»Wir waren immer Brüder«, fuhr Vaaks fort, »und werden es immer sein. Du denkst vielleicht, wir dürften es nicht sein, aber ich will es. Selbst, wenn ich dein Fleisch und Blut wäre – und du meines, selbst dann würde ich dich wollen.« Eindringlich bohrten sich seine warmen Augen in Xaiths. »Das ist, was ich will. Ich will dich, meinen Bruder. Weil dieser Umstand, dass zwischen uns, noch einmal zu etwas ganz Besonderem macht. Weil wir uns von Beginn an kennen und bisher jeden verfluchten Tag zusammen geteilt haben. Weil wir Brüder sind, sind wir besonders. Weil du mein Bruder bist, liebe ich dich.«
Gerührt legte Xaith den Kopf schief.
»Das ist, was ich will«, beschwor ihn Vaaks und umfasste sanft sein Gesicht, »ich will dich, als … das hier.« Er küsste ihn und lächelte dann. »Und als Bruder. Ich will alles für dich sein.«
Zögerlich hoben sich Xaiths Mundwinkel.
»Und als all das, bin ich auch in der Lage, mit deinem Blutrausch umzugehen«, glaubte Vaaks.
Aber Xaith hatte da so seine Bedenken, aus einem verdammt guten Grund. Er schüttelte zweifelnd den Kopf und sah Vaaks` Feuer erlöschen.
»Vergib mir«, raunte er und umfasste Vaaks` Arm, »ich halte dich nicht für schwach, Vaaks, aber ich könnte nicht mehr leben, wenn ich dir schaden würde. Zwing mich nicht dazu, bitte.«
Missmutig ließ Vaaks den Kopf hängen und atmete schwer aus, wie ein Stier, der gerade entschieden hatte, dass ein Kampf die Anstrengung nicht wert wäre.
»Tut mir leid.« Ernüchtert starrte Xaith auf die Bettdecke. Er wollte noch mehr sagen, doch er wusste gar nicht, was. Plötzlich wog das Schweigen zwischen ihnen schwer und fühlte sich falsch an.
Er schalt sich einen Narren, dass er für einen Moment geglaubt hatte, von nun an würde alles leicht werden.
»Das heißt ja nicht, dass wir nie …« Er errötete und sah wieder zur Seite. »Wir müssen einfach vorsichtig sein. Der Hunger ist ja nicht immer da.«
Verdammt, er würde sich aus dem Fenster stürzen, wenn der verdammte Hunger nach Blut ihm jetzt Vaaks` Zuneigung zerstörte…
»Und wenn ich dich festbinde?«
Xaith riss den Kopf zu Vaaks herum und starrte ihn mit offenem Mund an.
Vollkommen ernst erwiderte Vaaks seinen Blick und schien tatsächlich auf eine Antwort zu warten. Es war bereits beängstigend, wie er diesen Vorschlag hervorgebracht hatte. So überaus trocken und selbstverständlich, als wäre es normal, seinen Liebhaber erst einmal festzubinden, um bei ihm liegen zu können. Und nun sah er ihn auch noch so erwartungsvoll an.
Xaith blinzelte mehrmals. »Wie…Wie bitte?« Er schnaubte. »Du … du willst mich festbinden?«
Vaaks zuckte mit den massigen Schultern. »Wenn dich das beruhigt. Dann kannst du mich nicht verletzen und ich muss nicht vor dir fliehen wie eine Prinzessin vor dem Drachen.«
Xaith hätte über den Vergleich geschmunzelt, wäre er nicht noch immer so schockiert über Vaaks` Vorschlag gewesen.
»Ich lass mich doch nicht von dir festbinden wie ein Tier!«, rief er dann entsetzt. »Was denkst du dir?«
Vaaks sah ihm noch immer vollkommen ernst entgegen. »Warum nicht?«, fragte er geradeheraus.
Xaith war von dem Vorschlag derart vor dem Kopf gestoßen, dass er verwirrt zurückzuckte und unsicher auflachte, aber Vaaks verzog keine Miene. Es war ihm damit todernst.
Verdammt, er entdeckte ganz neue Seiten an Vaaks. Vor allem jene, die alles riskierte, um sich endlich vereinigen zu können. Eine gefährliche, unbedachte Seite, die sich gerne stark fühlte und sich nicht beschützen lassen wollte.
Aber was genau wusste er auch schon über Vaaks in dieser Hinsicht? Er hatte ihn nie… dabei gesehen, wusste nicht, wie er … liebte. Er wusste in Liebesdingen überhaupt nichts, weder über sich selbst noch über Vaaks. Diesbezüglich waren sie sich so fremd, wie sie sich nur sein konnten.
»Warum nicht?«, hakte Vaaks erneut nach. »Vertraust du mir nicht?«
Xaith öffnete den Mund, aber ihm fehlten wirklich die Worte. Was sollte er sagen? Er konnte sich wirklich etwas Schöneres vorstellen, als sich festbinden zu lassen. Aber Vaaks leckte sich bereits nervös die Lippen und durchbohrte ihn mit neugierigen Blicken.
Er suchte nach einer Antwort, doch bevor er sie geben konnte, rettete ihn ein Klopfen an der Tür, das ihn schuldbewusst vor Vaaks zurückzucken ließ.
»Xaith?«, rief May aufgeregt durch die Tür und fuhr gleich fort, ohne auf eine Antwort zu warten. »Komm schnell! Sie sagen, Vater ist zurück! Und er ist nicht allein!«