Читать книгу Leopold Figl - Birgit Mosser-Schuöcker - Страница 6
Einleitung
Оглавление2015 ist ein Jubiläumsjahr: 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 60 Jahre nach Abschluss des Staatsvertrages gedenkt das offizielle Österreich seiner Anfänge. Die schwersten Jahre der Zweiten Republik sind untrennbar mit Leopold Figl verbunden. Zwei Ereignisse haben ihren festen Platz in der kollektiven Erinnerung der Österreicher: die erste Weihnachtsansprache des Bundeskanzlers und die Balkonszene nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages. 1945 versucht Leopold Figl mit seiner Radioansprache den Österreichern trotz bitterster Not ein wenig Zuversicht zu schenken. 1955 kann der glückliche Außenminister seinen Landsleuten endlich den lang ersehnten Schlüssel zur Freiheit präsentieren. Zwei völlig unterschiedliche Situationen, die doch das große Lebensthema Leopold Figls vereinen: den Glauben an Österreich.
Der spätere Kanzler hat schon zu einer Zeit, als dies noch nicht selbstverständlich war, an ein selbstständiges Österreich geglaubt und diese Überzeugung mit KZ und Todeszelle bezahlt. Er geriet in Extremsituationen, aus denen es keinen Ausweg gab. Momente, in denen der Charakter unbarmherzig freigelegt wurde. Tapferkeit, Mut, Entschlusskraft, aber auch die Bereitschaft zur Versöhnung waren damals keine leeren Phrasen, sondern lebenswichtig: in den Jahren der Ohnmacht für die Kameraden im KZ, in den Jahren des Wiederaufbaues für ein ganzes Volk. Der NS-Terror hat Leopold Figls Bekenntnis zu Österreich nicht gebrochen, sondern gestärkt. Den Mut, auch angesichts eines übermächtigen Gegners nicht aufzugeben, hat Figl auch nach 1945 noch gebraucht: zunächst in der unmittelbaren Konfrontation mit der sowjetischen Besatzungsmacht, später im zähen Ringen um den Staatsvertrag.
Leopold Figl hat für Österreich gelitten, gekämpft und gearbeitet wie kein anderer Kanzler vor oder nach ihm. Trotzdem war er kein Säulenheiliger, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ein Mensch mit vielen Stärken und manchen Schwächen. Aufgewachsen und sozialisiert im bäuerlich-konservativen Milieu, war es selbstverständlich, dass er im Ständestaat auf der Seite der Regierung stand. Als hoher Funktionär des Bauernbundes und Führer der Niederösterreichischen Sturmscharen unterstützte er Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg, deren Kurs er immer als einen Kampf um die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs verstand. Er war ein Kind seiner Zeit. Einer Zeit, in der Begriffe wie Heimat und Treue allgegenwärtig waren. Einer Zeit, die Leopold Figl immer wieder in scheinbar aussichtslose Situationen gebracht hat. Er hatte das Glück und die Stärke, nicht an ihnen zu zerbrechen, sondern an ihnen zu wachsen. So wurde er, noch zu seinen Lebzeiten, zum wohl beliebtesten Politiker der Zweiten Republik.
Man sagt, dass ein Mensch weiterlebt, solange an ihn gedacht wird. Üblicherweise sind damit die privaten Erinnerungen von Familienmitgliedern und Freunden gemeint. Leopold Figl lebt im kollektiven Gedächtnis der Österreicher weiter.