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— Siebentes Kapitel

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Gestärkt von dem erfrischenden Saunagang machte sich Sten Wall energiegeladen an die Arbeit. Er bat Castelbo und Dalman, alle zugänglichen Informationen und alle Anzeigen zusammenzutragen, während er selbst erst einmal Ethel Boström anrufen wollte, um Margareta Anderssons Telefonnummer zu bekommen. Trotz seines erwiesenermaßen guten Gedächtnisses hatte er den Vornamen ihres Ehemannes vergessen, und er ging davon aus, dass sie selbst sicher nicht im Telefonbuch stand.

Wall war klar, dass das, womit er und seine Kollegen sich jetzt beschäftigten, eigentlich nicht mit höchster Priorität behandelt werden sollte. Und er war ehrlich genug, sich die Frage zu stellen, ob er ein derartiges Engagement auch an den Tag gelegt hätte, wenn es nicht eine direkte Verbindung zu einem der Beamten und eine indirekte zu einem anderen gegeben hätte.

Vielleicht, vielleicht auch nicht.

Auf jeden Fall hatte er dienstfrei, was bedeutete, dass er keine reguläre Arbeitszeit verschwendete, und außerdem war es natürlich äußerst wünschenswert, dass sie diesem frivolen Unfug ein Ende bereiteten, der in letzter Zeit an Intensität gewonnen zu haben schien. Er versuchte sich in die Lage der betroffenen Frauen zu versetzen, ihre Gefühle nachzuvollziehen, und konnte das tiefe Unbehagen nur schwer abschütteln, das ihm gleichzeitig einen Adrenalinkick versetzte: Sie mussten die Sache schnellstmöglich aufklären!

Er nahm den Hörer ab und wählte.

»Ethel Boström.«

Die gleiche warme, leicht verschleierte Stimme wie immer, die ihn in gute Laune versetzte. Er versuchte, sein Anliegen vorzubringen, kam aber nicht besonders weit.

»Ich weiß, warum du anrufst, Sten, und ich habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Helge hat mir alles erzählt, als er aus dem Badehaus zurückkam. Es war übrigens das allererste Mal, dass er diesen Ort betreten hat. Lieb von dir, deine Zeit für uns zu opfern.«

»Wenn’s weiter nichts ist.«

»Ich weiß, dass du die Sache klären wirst.«

»Sag das nicht. Damit setzt du mich nur unter Druck. Erwarte nicht zu viel von mir. Aber was ich dir auf jeden Fall garantieren kann, ist mein voller Einsatz.«

»Das reicht auf alle Fälle. Es ist ja sowieso ziemlich dreist von mir. Du hast immer so viel zu tun ... Aber Margarete ist eine meiner allerbesten Freundinnen, eine richtig gute Freundin, und es nimmt sie so schrecklich mit.«

Wall brummelte etwas Neutrales und bat sie dann zu berichten, was Margareta Andersson ihr erzählt hatte.

»Nicht besonders viel, außer, dass es schon eine ganze Weile so läuft. Es hat ziemlich gedauert, bis sie es mir überhaupt erzählt hat. Sie dachte, es würde irgendwann aufhören, hoffte es zumindest. Die ganze Sache ist ihr natürlich schrecklich peinlich, und sie wollte nicht näher ins Detail gehen.«

»Weiß ihr Mann davon?«

»Sverre? Sie hat es ihm gegenüber nur mal angedeutet, aber sie versucht, die Sache runterzuspielen. Er hat so einen aufbrausenden Charakter und könnte auf die Idee kommen ...«

»Könnte auf welche Idee kommen?«

»Dass sie selbst den Anlass zu diesen Anrufen gegeben hat.«

Wall sah Eva-Louise Castelbo vor sich, so beispielhaft glücklich mit ihrem Thure. Dass sie sich einem anderen Mann gegenüber aufreizend verhalten könnte, war undenkbar. Und all die anderen belästigten Frauen – sollten die auch alle sexuell provokativ aufgetreten sein?

»Blödsinn!«

»Das habe ich ihr ja auch gesagt«, stimmte Ethel eifrig zu, »es ist vollkommen absurd. Ich kenne sie in- und auswendig und weiß, dass sie Sverre niemals hintergehen würde. Aber sie hat leider ein bisschen Angst vor ihm, traut sich nicht, ihm alles zu offenbaren. Er war keine große Stütze für sie, als sie damals von diesen rabiaten Veganern im Park überfallen wurde, die ihr dann den Pelz gestohlen haben. Eher im Gegenteil. Erinnerst du dich noch an die Sache?«

»Ich erinnere mich noch genau.«

»Deshalb wäre es wohl am besten, wenn du mit ihr sprichst, während er nicht da ist.«

»Was arbeitet er denn?«

»Er ist Vertreter eines Schuhherstellers und reist viel in Norwegen und im Bohuslän-Tal herum. Eigentlich fährt er immer dienstagmorgens weg und kommt in der Regel am Freitagabend zurück.«

»Aber ich will nicht bis Dienstag warten, ich will früher damit anfangen.«

»Dann versuch es doch jetzt gleich. Es ist möglich, dass Sverre heute weg ist. Wenn ich mich recht erinnere, spielt er samstags immer Squash oder Badminton oder was auch immer. Ich glaube, genau um diese Zeit.«

Kurzes Zögern, dann erklang wieder ihre Stimme: »Du, Sten?«

»Ja?«

»Helge hat etwas in der Richtung erwähnt, Dalman habe die fixe Idee, dass dieser aufdringliche Journalist Egon Fager dahinter stecken könnte.«

»Kann ich mir nicht denken.«

»Ich auch nicht.«

»Sobald es zu irgendwelchen Obszönitäten kommt, glaubt Dalman sofort, dass Fager daran schuld ist.«

»Ich mag ihn auch nicht«, gab Ethel Boström zu. »Ich habe ihn ein paar Mal getroffen und immer diese schrecklich negative Ausstrahlung gespürt. Zu viel Zögern in dem Lächeln, zu großes Interesse im Blick. Ein Gefühl, als könne er dir direkt durch die Kleidung sehen, als habe er Röntgenstrahlen statt Augen.«

Wall musste kichern. Er war von der attraktiven Frau des Distriktleiters verzaubert gewesen, seit er sie das erste Mal gesehen hatte, vollkommen verzaubert, aber nicht auf diese Weise. Er war einfach angezogen von ihr wie ein wahrer, ehrlicher Kamerad. Es widersprach seinen Prinzipien, eine sexuelle Beziehung zu einer verheirateten Frau einzugehen, und in Bezug auf Ethel war das natürlich absolut undenkbar.

Aber sie gefiel ihm einfach als Person. Sie war witzig und geistreich, positiv und offen. Außerdem spürte er eine Art physischer Gemeinschaft mit ihr aufgrund ihres Problems mit dem Übergewicht. Ethel war auch jetzt, da sie fünfzig wurde, eine äußerst elegante Frau mit mahagonifarbenem Haar, natürlicher Grazie, einem phänomenalen Lächeln und Augen, die ein tiefes Mitgefühl ausdrückten. Aber offensichtlich hatte sie Probleme mit ihren allzu üppig wogenden Kurven.

Einmal hatte er sie beim Sonnenbad am Solstrand gesehen. Nicht gerade eine Sylphide. Ihr Fleisch war aus dem zu knapp bemessenen Badeanzug gequollen, und Wall hatte sich diskret wieder davongemacht, um sie nicht mit seiner Gegenwart in Verlegenheit zu bringen.

Er schaute resigniert an seinem Mantel hinunter, der über dem Bauch gefährlich spannte, als würde bald der Knopf abgesprengt werden. Während er den Bauch etwas einzog, hörte er sie sagen:

»Es ist doch wohl nicht dieser Fager, auf den ihr es abgesehen habt?«

»Ich jedenfalls nicht.«

»Noch was anderes, Sten.«

»Schieß los.«

Plötzlich klang sie ein wenig verlegen.

»Es ist nämlich so, dass Maggan und ich geplant haben, im Herbst zusammen ins Ausland zu fahren. Helge mit in den Süden zu kriegen, ist ja wohl so gut wie unmöglich. Ja, ich muss dir natürlich noch einmal dafür danken, dass du mir damals geholfen hast, ihn zu dieser Kretareise zu überreden.«

»Na, ich weiß nicht«, erwiderte Wall und bekam aus schlechtem Gewissen sogar heiße Wangen. Er hatte seiner Meinung nach keinen großen Anteil daran gehabt, dass Boström damals kapitulierte und seiner Frau auf die griechische Touristeninsel folgte.

»Er muss ja auch mal abschalten, und wir hatten ein paar richtig schöne Wochen. In jeder Beziehung. Wir sind einander ... näher gekommen als seit langer Zeit, wenn ich das so sagen darf. Du weißt ja, wenn man jahrelang zusammen ist ... da schleichen sich leicht Routine und Schlendrian ein. Aber damals in Chania ... Na, du weißt schon, was ich meine.«

Hoffentlich wird sie jetzt nicht zu offenherzig, dachte Wall erschrocken.

»Wir haben das gebraucht, Helge und ich. Ich vielleicht sogar am meisten.«

»Dann wiederholt doch die Reise im nächsten Sommer«, schlug er vor.

»Ach Sten, das wäre wunderbar, aber es ist viel zu früh, um ihn wieder dazu zu kriegen, es sind ja erst ein paar Jahre seit der letzten Reise vergangen. Ich plane eine neue Attacke für übernächstes Jahr, so etwas muss gründlich vorbereitet werden. Also, Maggan und ich haben uns eine Reise ausgeguckt, bis jetzt noch in aller Heimlichkeit. Aber wenn diese schrecklichen Telefonanrufe weitergehen, dann ...«

Sie beendete ihren Satz nicht. Wall konnte sich vorstellen, wie sie auf der Unterlippe kaute, während sie nach neuen Worten suchte.

»Es klingt sicher egoistisch, so zu denken, aber glaube mir, Sten, in erster Linie geht es mir um ihr Wohlbefinden. Diese Verfolgung muss ein Ende haben. Und wenn wir beide dann die Möglichkeit haben, im September ans Mittelmeer zu fahren, dann ist das nur ein Extrabonus.«

»Wir werden tun, was wir können.«

»Ich weiß.«

Wall bat noch um die gewünschte Telefonnummer und verabschiedete sich dann von Ethel. Er legte den Hörer auf und hob ihn fast sofort wieder hoch in der Hoffnung, dass Margareta allein zu Hause war.

Das war sie aber nicht. Eine grobe Männerstimme meldete sich.

»Sverre Andersson.«

»Guten Tag. Könnte ich bitte mit Margareta Andersson sprechen?«

»Und wer ist da, wenn ich fragen darf?«

»Mein Name ist Sten Wall.«

»Einen Augenblick. Ich werde sie holen.«

Ein paar Sekunden waren mit einem verstohlenen Flüstern erfüllt. Dann hatte er Margareta Anderssons dünne Stimme im Ohr. Ethel Boströms Sinnlichkeit fehlte ihr ganz und gar.

Wall stellte sich vor und erinnerte sie daran, dass sie sich schon einmal begegnet waren.

»Ja, das weiß ich noch ganz genau. Dieser Überfall. Der Pelz. Die Veganer. Und diesmal ist es auch nicht besonders lustig, wenn ich ehrlich sein soll. Vielleicht war es auch dumm von mir, Ethel damit zu belästigen und die Polizei mit reinzuziehen.«

»Aber ganz und gar nicht. Derartigen Ruhestörern gehört das Handwerk gelegt, je eher, umso besser. Deshalb ist es nur gut, dass Sie über Frau Boström Kontakt zu uns aufgenommen haben.«

Kein Kommentar. Der Polizeibeamte meinte eine gewisse Reserviertheit bei der Frau zu spüren. Bereute sie wirklich die Einmischung der Polizei, oder handelte es sich um etwas anderes?

Er fuhr fort: »Wir werden natürlich alles daransetzen, um den oder die dingfest zu machen, die sich solche Unsittlichkeiten erlauben. Es sind noch andere Frauen davon betroffen, Sie sind nicht die Einzige. Ich würde nun nur gern wissen, was dieser Mann ...«

Sie sprach so leise, flüsterte fast, und er musste sich anstrengen, überhaupt etwas zu verstehen: »Ich kann im Augenblick schlecht reden.«

Wall verstand. Er erinnerte sich an Sverre Anderssons scharfen Ton und an Ethel Boströms Worte: Er hat so einen aufbrausenden Charakter ... Sie hat leider ein bisschen Angst vor ihm ...

»Weiß Ihr Mann, was passiert ist?«

»Wir müssen das später besprechen.«

»Soll ich wieder anrufen? In einer Stunde oder so?« »Ich werde Sie anrufen«, sagte sie und legte auf, noch bevor er etwas erwidern konnte.

Nicht so einfach, mit einem Tyrannen zusammenzuleben, dachte Wall. Der Kommissar hatte sich zuerst bewusst nicht mit Namen gemeldet, als er hörte, dass Sverre Andersson am Apparat war. Er wollte ihn testen, und dem rauen Ton nach zu urteilen, hatte der Ehemann wohl den Verdacht gehabt, dass der anonyme Plagegeist am Telefon sein könnte. Seine Erleichterung war deutlich zu spüren gewesen, als Wall verkündete, wer er war.

Wall erhob sich und ging zu den anderen, die sich bereits in einem kleineren Raum im gleichen Stockwerk versammelt hatten.

Castelbo war in Hemdsärmeln und sortierte verschiedene Papiere, während Dalman abwartend dasaß, den üblichen skeptischen Zug um die Mundwinkel. Wall vermisste seinen besten Freund und Arbeitskollegen Jan Carlsson. Es wäre nützlich gewesen, seine Erfahrung im Rücken zu haben, aber das war nun einmal nicht so. Jan und seiner Frau Gun war der Urlaub in diesem jämtländischen Gebirge, wie immer es auch hieß, zu gönnen.

»Ich habe Terje Andersson angerufen. Er hat mir alles gesagt, was er weiß«, sagte Castelbo.

Wall nickte, und dann gingen die Polizeibeamten gemeinsam das zusammengetragene Material durch. Teilweise lasen sie einander laut die Protokolle vor, fügten eigene Kommentare hinzu und tauschten ihre jeweiligen Informationen aus. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie für eine erste Zusammenfassung bereit waren.

Einschließlich der Anzeigen »hintenherum« von Margareta Andersson und Eva-Louise Castelbo lagen die Klagen von acht Frauen vor, die in den letzten Wochen von einem anonymen Anrufer belästigt worden waren. Hinzu kamen zwei Hinweise von Personen, die sich weigerten, ihren Namen zu nennen.

Die Kriminalbeamten waren sich einig darüber, dass wahrscheinlich noch erheblich mehr Personen betroffen waren. Sie wussten, dass viele Frauen davor zurückschreckten, sich an die Behörden zu wenden, entweder, weil sie sowieso nicht glaubten, dass eine Anzeige etwas bewirken könnte, oder aber weil sich die Opfer ganz einfach schämten, zu erzählen, welchen Erniedrigungen sie ausgesetzt waren.

Schon seit längerem waren in unregelmäßigen Abständen einzelne Klagen eingegangen, aber seit Neujahr hatte die große Welle eingesetzt. Die erste Anzeige kam am 30. Dezember von einer Helene Swärd, die letzte (abgesehen von den heutigen von Frau Andersson und Castelbo) datierte vom gestrigen Tag und trug den Namen Dolly Nilsson als Absender.

Das Alter der Opfer lag zwischen zweiunddreißig (Helene Swärd) und einundfünfzig Jahren (Margareta Andersson). Drei der Frauen waren verheiratet, zwei hatten sich 1995 beziehungsweise 1998 scheiden lassen, zwei lebten mit einem Partner zusammen, und eine war allein stehend. Größe, Gewicht und Aussehen unterschieden sich deutlich von Frau zu Frau, und die Hälfte hatte Kinder.

Bemerkenswert war, dass alle Frauen im Bereich der Innenstadt lebten; drei direkt im Zentrum, zwei im Wohngebiet Grönland, zwei im Stadtteil Frejalund und eine in dem alten Villenviertel in Bro.

Direkte Kontakte hatte es nicht gegeben. Bis jetzt noch nicht. Keine der acht erklärte, sie sei physisch belästigt worden, aber fünf von ihnen hatten angegeben, dass der Anrufer mit einem bevorstehenden Beischlaf gedroht hatte. Und drei berichteten, dass neben zahlreichen Obszönitäten auch das Wort Vergewaltigung vorgekommen war.

»Solche Kreaturen kriegen doch gar keinen hoch«, kommentierte Dalman. »Die sind impotent wie Hundertjährige. Deshalb müssen sie sich hinter dieser feigen Anonymität verstecken und Leuten das Leben verpesten, die sich nicht wehren können. Ich glaube nicht, dass die wirklich zur Sache kommen und die Frauen tatsächlich anrühren. Dagegen kann ich mir sehr wohl vorstellen, dass wir es mit einem Spanner zu tun haben.«

»Gut möglich«, stimmte Wall zu.

Eine der verheirateten Frauen, eine Sechsunddreißigjährige namens Kerstin Jonsson, war felsenfest davon überzeugt, dass ein fremder Mann sie mit einem Fernglas beobachtet hatte, als sie in der vergangenen Woche die ersten wärmenden Sonnenstrahlen für eine angenehme Viertelstunde in ihrem Garten genutzt und sich gesonnt hatte. Als sie ihn bemerkt hatte, war er lautlos verschwunden. Sie war sich sicher, dass es die gleiche Person war, die sie wiederholt angerufen und mit ihren widerwärtigen Obszönitäten belästigt hatte.

Noch zwei andere glaubten, beobachtet zu werden. Sie hatten dafür zwar keine konkreten Beweise, nur das Gefühl, beobachtet zu werden. Beide betonten, wie unangenehm die Situation sei, wenn man spürte, dass jemand hinter einem her war, ohne den Spanner selbst entdecken zu können.

Keine der Frauen hatte den geringsten Verdacht, wer ihnen diese üblen Streiche spielen könnte. Sofia Ynger, eine der Geschiedenen, glaubte zunächst, es wäre ihr Exmann, der kindische Rache übte, aber die Theorie musste sie fallen lassen, als er seine Unschuld beweisen konnte. Sie hatte selbst Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn zur Rede gestellt, wobei die alte Wut bei ihm hell aufgeflammt war. Sie hatten sich eine ganze Weile lang angeschrien, aber Sofia hatte auf jeden Fall bestätigt bekommen, dass er nicht hinter den Anrufen steckte.

»Okay«, sagte Wall. »Lasst uns zu Schlussfolgerungen kommen. Mit wie vielen Tätern haben wir es zu tun? Nur mit einem? Oder mit mehreren?«

»Das ist immer die gleiche verdrehte Psyche, die da herumspukt«, erklärte Dalman kategorisch. »Darauf weist die Vorgehensweise hin.«

»Ich stimme dir im Prinzip zu, bin mir aber nicht hundertprozentig sicher«, sagte Wall, während Castelbo im Hintergrund dazu nickte.

Der Kommissar ergriff wieder das Wort: »Lasst uns weitergehen. Eine fremde Person oder jemand, den die Opfer persönlich kennen?«

»Ein Fremder. Es deutet jedenfalls alles darauf hin. Keines der Opfer weiß ja offenbar, wer der Verrückte ist. Aber er wohnt höchstwahrscheinlich hier in der Stadt. Vermutlich tritt er im Alltag ganz normal auf, nach außen hin, meine ich. Solche Verrückten brüsten sich ja nicht gerade mit ihren Abnormitäten.«

»Weiter?«

»Er interessiert sich nicht für junge Mädchen.«

»Auch nicht für alte Frauen. Das Durchschnittsalter der acht liegt bei neununddreißig Jahren und ist mit Margareta Andersson und in gewisser Weise auch Eva-Louise heute deutlich erhöht worden.«

»Ein Teil der Frauen lebt in Einfamilienhäusern, ein Teil in Wohnungen. Was noch?«

»Er bewegt sich nicht außerhalb der Stadtgrenze. Die Frauen wohnen alle nur wenige Kilometer voneinander entfernt.«

»Was darauf hindeuten kann, dass er keinen Führerschein hat.«

»Oder kein Auto.«

»Oder weder Führerschein noch Auto.«

»Zu einem Telefon hat er jedenfalls Zugang.«

»Eigenes oder Telefonzelle?«

»Er ruft von außerhalb an, aus Angst, seine richtige Nummer könnte entdeckt werden. Davon können wir ausgehen.«

»Aber keines der Opfer hat Geld fallen hören. Ich meine, wenn er an einem Münztelefon ist, dann müsste man das doch merken, oder?«

»Da gibt’s ja heutzutage andere Möglichkeiten. Man braucht die Automaten schließlich nicht mehr mit Ein-Kronen-Stücken zu füttern. Er kann eine Telefonkarte oder Kreditkarte haben oder sich heimlich ein Telefon ausleihen, vielleicht am Arbeitsplatz, wer weiß?«

»Und die Telefongespräche enthalten immer die gleichen unappetitlichen Zutaten?«

»Ja. Keuchen, Schnauben, unanständige Worte, die Drohung mit einem baldigen Beischlaf, manchmal präzisiert bis zur Vergewaltigung hin.«

»Na, Beischlaf und Vergewaltigung sind für so ein Schwein wohl Synonyme.«

»Dialekt?«

»Rau, lokale Sprache. Offenbar bewusst überzogen, um sich zu tarnen.«

»Dolly Nilsson hat gestern berichtet, dass er sich als Mitarbeiter einer Organisation für wohltätige Zwecke ausgegeben hat. Sie ist ihm in die Falle gegangen, und dann hat er zugeschlagen, ist ganz plötzlich wieder in sein übliches Ich zurückgefallen. Sie war schockiert. Sie meinte, es wäre nicht so widerwärtig gewesen, wenn er sie von Anfang an belästigt hätte. So aber hat sie deutlich gemerkt, wie verwundbar sie ist. Sie vertraut niemandem mehr, wie sie sagte.«

»Wie hat er denn anfangs geredet, als er als Bittsteller aufgetreten ist?«

»Mit finnlandschwedischem Akzent.«

»Also ein Talent, Dialekte zu imitieren?«

Carl-Henrik Dalman schnaubte hörbar.

»Na, finnlandschwedisch singen kann doch wohl jeder.«

»Hat sie noch mehr über ihn sagen können?«

»Laut Terje nicht. Er hat ihre Anzeige am Telefon aufgenommen.«

»Dann hat sie keinen Verdacht, wer es sein könnte?«

»Offenbar nicht.«

»Wie hieß sie noch?«, fragte Castelbo.

»Dolly Nilsson.«

»Dolly? Kann man so heißen?«

»Scheint so. Warum auch nicht? Dolly – der Name wird doch sogar schon beim Klonen benutzt, oder?«

»Aber in Schweden«, beharrte Castelbo. »Das klingt irgendwie so nach Busen. So amerikanisch. So nach Country and Western.«

»Man kann doch die ungewöhnlichsten Namen haben«, warf Wall ein. »Irgendwo in Hailand, in der Nähe von Varberg, da wohnt ein Mann, der heißt Furzer.«

»Du machst Scherze!«

»Nein, wirklich nicht. Das ist die Wahrheit. Der Typ heißt Furzer. Ganz offiziell. Ich habe darüber einen Artikel in der Zeitung gelesen.«

»Ich kenne einen, der heißt Hütte«, sagte Castelbo nachdenklich. »Aber vielleicht hat er sich auch nur so genannt.«

»Furzer hat sich nicht Furzer genannt. Er heißt so.«

»Furzer?«

»Ja.«

»Und du behauptest, man kann die ungewöhnlichsten Namen haben?«, fragte Dalman.

Wall nickte, aber ihm war klar, dass der Kollege nur darauf wartete, zu widersprechen.

»Kannst du mir dann bitte erklären, warum jemandem vor einiger Zeit nicht erlaubt wurde, seinen Sohn Holunder zu nennen?«

»Nun lasst uns mal weitermachen«, sagte Wall irritiert. »Dieser Quatsch hier führt doch zu nichts.«

Die Männer konzentrierten sich wieder und beschlossen, die Ermittlungen am Montag zu intensivieren, indem bekannte Sexualverbrecher, verdächtige Pädophile, Spanner und Geistesgestörte überprüft werden sollten.

»Und ich denke, wir sollten Maggie Larsson bitten, jede einzelne der belästigten Frauen persönlich aufzusuchen, um aus ihnen so viel herauszuholen ...«

Wall unterbrach sich und schaute Castelbo an.

»Ja, mit Eva-Louise muss sie natürlich nicht reden.«

»Gute Idee, das mit Maggie Larsson«, entgegnete Castelbo.

»Es ist sicher einfacher für die Opfer, sich einer Frau anzuvertrauen als einem Mann.«

»Das wissen die Götter. Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass die Opfer sich möglicherweise schämen, obwohl ja überhaupt kein Grund dazu besteht. Was da passiert, daran tragen sie schließlich keine Schuld. Aber sie fühlen sich gedemütigt und fragen sich, was sie falsch gemacht haben. Sie klagen sich ohne jeden Grund selbst an.« »Das stimmt in Eva-Louises Fall. Sie war die letzten Tage vollkommen außer sich und ich habe mir schrecklich Sorgen um sie gemacht. Mir war klar, dass etwas nicht stimmte, ich wollte mich ihr aber nicht aufdrängen. Und dann, heute Morgen beim Frühstück, hat sie dann alles gebeichtet ...« Der grobschlächtige Kriminalbeamte verlor sich für einige Sekunden in Gedanken, schluckte ein paar Mal und fuhr dann fort: »Sie fühlt sich, als hätte jemand bei ihr eingebrochen, ihr Zuhause geschändet.«

»Natürlich, es ist eine Verletzung ihrer Intimsphäre«, nickte Wall.

»Und wenn Eva-Louise schon so heftig auf diese Telefonanrufe reagiert, dann muss man sich fragen, wie ein Vergewaltigungsopfer sich erst fühlt. Aber wisst ihr, was Eva-Louise noch gesagt hat? Dass sie sich nie wieder rein fühlen kann, wie oft sie auch badet und duscht. Dass sie glaubt, alles sei ihre Schuld, obwohl sie natürlich vom Verstand her weiß, dass sie keinerlei Schuld daran trägt. Aber ich fürchte, das kann noch nachhaltige Folgen haben ...«

Seine Stimme brach, und zum ersten Mal sah Wall Thure Castelbos Augen feucht werden. Der Anblick erschreckte ihn und machte ihn gleichzeitig verlegen. Der schweigsame Kripobeamte war immer ein solider Fels in der Abteilung gewesen, ein sicherer Punkt, an dem man sich in allen Situationen festhalten konnte. Es war nicht leicht, ihn jetzt so geknickt zu sehen.

Wall suchte nach aufmunternden Worten, war sich aber nicht sicher, ob er den richtigen Ton treffen würde.

»Du bist jetzt gefragt, Thure, du musst Eva-Louise unterstützen. Und du wirst sehen, sie wird mit der Zeit darüber hinwegkommen. Das werden sie alle.«

Er konnte gerade noch den Satz hinunterschlucken, der ihm schon auf der Zunge lag. So etwas Einfältiges wie, dass die Zeit alle Wunden heile.

Auch der ansonsten so wenig sensible Dalman spürte, wie es um seinen Freund und Kollegen stand. Wall wusste, dass die Familien ab und zu privaten Kontakt hatten, auch wenn die Verabredungen in letzter Zeit spärlicher geworden waren, als Folge der Störungen in der Dalman’schen Ehe.

»Wir werden diesen Kerl schnappen«, sagte Dalman und klopfte Castelbo auf die Schulter. »Keine Sorge.«

Thure Castelbo zwang sich ein Lächeln ab, verstohlen wie die letzte Herbstsonne.

»Das werde ich Eva-Louise sagen. Heute Abend noch.«

»Tu das.«

Mauerblümchen - Schweden-Krimi

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