Читать книгу Mauerblümchen - Schweden-Krimi - Björn Hellberg - Страница 7
— Viertes Kapitel
ОглавлениеDas krampfhafte, ungleichmäßige Atmen zeigte ihm, dass sie unruhig schlief, und als sie vor sich hin wimmerte, war ihm klar, dass sie mal wieder einen Albtraum hatte.
Um sie nicht zu wecken, glitt er ganz vorsichtig aus dem Bett und schlich barfuß aus dem Schlafzimmer. In der Tür drehte er sich um und warf einen ängstlichen Blick auf seine Frau.
Eva-Louise lag auf dem Rücken. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, die Nasenflügel bewegten sich bebend, als sie ein paar leise Schnarchlaute von sich gab, die eher einem Schluchzen ähnelten. Nach einer Weile drehte sie sich auf die Seite, und sofort hörte das Jammern auf.
Er liebte sie. Mehr als je zuvor.
Es schien ihm, als würde seine Liebe zu ihr mit jedem Tag größer werden. Und dabei war er doch bereits bei ihrer Verlobung vor fast zwanzig Jahren fest davon überzeugt gewesen, dass er auf dem Gipfel seiner Leidenschaft für diese Frau stand, die ihn den Rest seines Lebens begleiten sollte. Jetzt war er aufgeregt. Er konnte das Unbehagen nicht länger zügeln, das sich in ihm ausbreitete. Etwas stimmte nicht, etwas war mit ihr nicht in Ordnung. Sie war abwesend und brauste bei jeder Kleinigkeit auf, und sie wirkte bedrückt. Außerdem schlief sie schlecht, sie, die doch immer so unglaublich gut und tief hatte schlafen können. Wie oft hatte er sie um die Fähigkeit beneidet, so schnell und problemlos in den Tiefschlaf zu versinken, während er sich neben ihr drehte und wendete.
Doch in den letzten Nächten war sie es gewesen, die Schwierigkeiten mit dem Schlaf gehabt hatte. Sie hatte sich nicht beklagt, aber natürlich hatte er ihre Pein bemerkt, während er neben ihr lag und so tat, als schliefe er schon.
Er hatte sich nicht getraut, sie nach ihren Sorgen zu fragen, hatte vielmehr gehofft, sie würde sich ihm von selbst anvertrauen, sobald die Zeit dazu reif war. Intuitiv war ihm klar, dass Eva-Louise den ersten Schritt machen musste. Es würde schief laufen, wenn er seine eigene Beunruhigung zeigte. Am besten, er wahrte den Schein und wartete geduldig, auch wenn es ihm schwer fiel.
Ein schrecklicher Gedanke überfiel ihn. Vielleicht war sie ja ernsthaft krank, vielleicht hatte sie sich deshalb in letzter Zeit so sonderbar verhalten.
Die Idee erschreckte ihn zutiefst. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er auf einen solchen Schicksalsschlag reagieren würde.
Mit aller Kraft schob er diese Gedanken beiseite.
Thure Castelbo ging ins Bad, wog sich automatisch, ohne überhaupt das Ergebnis zu registrieren, pinkelte und stellte sich unter die Dusche.
Er war ein etwas untersetzter, aber ziemlich durchtrainierter Mann mit markantem Kinn und durchdringendem Blick. Er stammte aus einer Bauemfamilie aus Südskånen. Sein Vater war ein begeisterter Lokalpatriot, der gern betonte, dass er südlich der Landesstraße geboren worden war, wie er die Straßenverbindung zwischen Trelleborg und Ystad zu bezeichnen pflegte.
»Das ist der Strich, der Schweden in zwei ungleiche Hälften teilt«, pflegte sein Vater zu sagen, und Thure fand diese Formulierung amüsant.
Zumindest die ersten sieben, acht Male.
Es war geplant gewesen, dass der älteste Sohn den Hof übernehmen sollte. Schlechte Zeiten (in Kombination mit misslungenen, weitreichenden Aktienspekulationen) hatten jedoch dazu geführt, dass der landwirtschaftliche Betrieb in Konkurs ging. Thure ging stattdessen zur Polizei, während sein jüngerer Bruder Måns eine Ausbildung als Elektriker in Ängelholm begann – er war inzwischen bei der Bahn in der gleichen Stadt beschäftigt.
Der Vater war enttäuscht von ihrer Berufswahl. Er hatte natürlich gehofft, die Söhne würden sich etwas suchen, das eine Verbindung zur Landwirtschaft hatte, aber er protestierte nur halbherzig und pflichtschuldig, wohl wissend, dass er selbst es gewesen war, der den Hof aufs Spiel gesetzt hatte, und niemand sonst.
Bis vor nicht einmal zehn Jahren hatte Thure den Nachnamen Mårtensson getragen, aber gegen seinen eigenen Willen hatte er einem Namenswechsel zugestimmt, initiiert von seiner Ehefrau. Eva-Louise stammte aus einer kleinen Stadt namens Slottshem und hielt es für eine phantastische Idee, daraus eine freie Teilübersetzung ins Englische zu machen und diese dann als Nachnamen zu benutzen.
Thure Mårtensson sah das anders.
Er fand die Idee peinlich und undurchführbar.
Dass er zum Schluss dann doch bei dem Namenswechsel mitmachte, lag einzig und allein an einer Sache: an seiner Liebe zu Eva-Louise. Er konnte sie ganz einfach nicht durch eine unumstößliche Haltung verletzen, aber zu seiner Ehrenrettung muss gesagt werden, dass er zumindest sehr lange für Mårtensson kämpfte. Der Name war zumindest nicht sang- und klanglos untergegangen.
Immer wieder hatte er sich Vorwürfe gemacht und gefragt, ob er denn wirklich lange genug standhaft gewesen war – noch heute hegte er gewisse Schuldgefühle, weil er sich hatte überreden lassen. Denn was war an Mårtensson so schlecht? Castelbo – das klang doch ziemlich snobistisch, und alle, die ihn kannten, wussten, dass er eine einfache, gradlinige Person ohne große Ambitionen war.
In einem Punkt war er jedoch unerschütterlich geblieben: Er hatte sich geweigert, diesen schmachvollen Namenswechsel seinem Vater und seinem Bruder selbst mitzuteilen.
»Es ist deine Idee gewesen, also erklär du ihnen jetzt auch, warum Mårtensson für dich nicht mehr gut genug ist, wo er doch mehrere hundert Jahre lang gut genug war.«
»Natürlich ist Mårtensson gut genug«, hatte sie ganz unbeschwert und fröhlich entgegnet. »Nur ist Castelbo einfach noch besser. Aber dem Angriff werde ich schon trotzen können.«
Er wusste, dass sie mit den südskånischen Mårtenssons gut zurechtkam, und sie hielt ihr Versprechen und redete mit Schwiegervater und Schwager. Beide akzeptierten den Namenswechsel (was blieb ihnen auch anderes übrig?) und schüttelten lächelnd den Kopf über diese erfindungsreiche junge Frau aus Slottshem, während sie gleichzeitig insgeheim Thures Mangel an Courage und Familienloyalität verfluchten.
Er hätte dagegenhalten müssen. Sie selbst konnten nichts ändern.
Nach der Dusche zog Thure Castelbo nur Jeans und T-Shirt an, da er heute freihatte, und zu seiner Überraschung fand er seinen ältesten Sohn Erik schon am Frühstückstisch. Der schlief doch sonst samstags immer lange.
»Schon auf?«
Erik begnügte sich mit einem mürrischen Kopfnicken als Antwort auf diese rhetorische Frage. Seine Morgenlaune war nicht die allerbeste.
Aber nach einem Teller Sauermilch und zwei Gläsern Orangensaft taute er allmählich auf. Vater und Sohn unterhielten sich gemütlich, und Erik machte sich zum Aufbruch bereit.
Er stand auf, nahm seinen Teller, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Dann stellte er den Teller wieder hin und setzte sich.
»Papa?«
»Ja?«
»Ich muss dich was fragen.«
»Schieß nur los.«
»Weißt du noch, als ich klein war und dich gefragt habe, was du zu Weihnachten oder zum Geburtstag von mir geschenkt haben möchtest?«
Castelbo senior nickte und versuchte zu erraten, worauf sein Sohn wohl hinauswollte.
»Du hast dann immer gesagt, dass du keinen Plunder haben wollest, sondern ›einen braven Jungen‹. Du kannst dir nicht vorstellen, wie du mich mit diesen dummen Worten genervt hast. Ich wollte eine richtige Antwort, nicht so einen Spruch. Erinnerst du dich?«
»Natürlich erinnere ich mich daran, dass du immer wütend geworden bist. Das tat mir Leid. Ich wollte dich ja nicht verletzen. Aber was ...«
»Genau, und jetzt will ich nicht so eine dumme Antwort haben. Nicht noch einmal. Ich bin nicht mehr neun Jahre alt. Jetzt möchte ich die Wahrheit hören.«
»Ich verstehe nicht.«
»Gib mir eine richtige Antwort!«
»Dann stell erst mal deine Frage.«
»Was ist mit Mama los?«
»Was meinst du damit?«
»Habe ich nicht gesagt, du sollst diese Maske weglassen? Bist du blind oder was? Du siehst doch wohl auch, dass sie nicht die Alte ist. Warum ist sie beispielsweise jetzt nicht hier? Sie ist doch sonst immer die Erste beim Frühstück. Immer. Ich möchte wissen, was mit ihr nicht stimmt. Sie ist nicht wie sonst, schnauzt einen an, sobald man sie anspricht. Ich traue mich gar nicht, sie zu fragen, was eigentlich los ist. Sie ist doch wohl nicht krank?«
Etwas Frostiges umklammerte Thure Castelbos Herz.
»Nein, das kann ich mir nicht denken.«
»Aber du weißt es nicht?«
»Nein«, musste er zugeben.
»Du musst es doch auch gemerkt haben, oder? Du kennst sie schließlich am längsten. Siehst du wirklich nicht, dass sie sich merkwürdig benimmt?«
»Jetzt, wo du es sagst, muss ich zugeben ...« Er brach ab, als er ein leises Klirren aus dem oberen Stockwerk hörte.
»Sie ist aufgewacht«, flüsterte Thure.
Der Sohn beugte sich zu ihm vor und fragte leise: »Sie ist doch noch nicht in den Wechseljahren, oder? Ist sie schon so alt?«
Die Schritte auf der Treppe befreiten ihn von dem Zwang, darauf antworten zu müssen.
Im nächsten Augenblick stand sie in der Küche, in einem weißen Bademantel mit roten Passen. Sie blinzelte verschlafen.
»Ach, habt ihr schon fürs Frühstück gedeckt? Wie lieb von euch. Ich glaube, ich habe verschlafen. Habe gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist. Du hättest mich wecken sollen.«
»Ich dachte, du brauchst deinen Schlaf.«
»Nein, ich sollte lieber aufstehen, anstatt herumzuliegen bis weit in den Tag hinein.«
Erik gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und warf seinem Vater einen wissenden Blick zu, dann ging er.
Bei der zweiten Tasse Tee wurde ihr Ton plötzlich scharf: »Eigentlich bin ich böse auf dich.«
Verwirrt ließ er die Zeitung sinken und schaute sie an. Sie lachte, aber ihr Lächeln war steif und unnatürlich, als bemühte sie sich krampfhaft, fröhlich auszusehen.
»Zumindest sollte ich das«, fuhr sie fort, »nach dem, was heute Nacht passiert ist.«
»Heute Nacht?«
»Ja, ich habe geträumt, dass du mit einer Japanerin aus warst, du Schurke, und du bist erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen. Du musst mit ihr geschlafen haben. Hast du denn gar keine Scham mehr?« Thure stieß einen Pfiff aus.
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern«, probierte er es.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie weh das tat.«
»War sie jung?«
Sie nickte.
»Und hübsch?«
»Das auch.«
»Na ja, sonst hätte sie mich wohl auch nicht interessiert.«
»Mach dich nur darüber lustig, du weißt ja nicht, was für ein Gefühl das war.«
Ihre Stimme kippte, sie ließ ihren Kopf auf den Tisch fallen, ihre Schultern zuckten vom Weinen.
Erschrocken und bestürzt sprang er auf, lief um den Tisch herum und umarmte sie.
»Fass mich nicht an!«, schrie sie, und er ließ sie sofort los, als hätte er sich an einer glühend heißen Herdplatte verbrannt.
Mittlerweile war seine bisherige Beunruhigung in Angst übergegangen. Da war etwas ernsthaft nicht in Ordnung, das war ganz offensichtlich. So unbeherrscht und hysterisch hatte sie sich noch nie verhalten.
»Liebling«, sagte er vorsichtig, »was ist mit dir los? Du weißt doch, dass ich dich nie hintergehen würde, nicht einmal im Traum.«
»Ich weiß«, bestätigte sie jammernd, aber ohne aufzuschauen. »Das ist es ja auch nicht, es ist was anderes.«
Er blieb reglos stehen, sorgsam darauf bedacht, sie nicht zu berühren.
Sag jetzt nicht, dass du krank bist. Alles, aber nicht das.
Die Minuten vergingen.
»Ich liebe dich so sehr«, sagte sie schließlich und wandte ihm ein tränenüberströmtes Gesicht zu.
Er wagte ein sanftes: »Ich dich auch.«
»Aber du weißt ja nicht, was passiert ist. Die letzten Tage waren der reinste Albtraum, ich habe mich nicht getraut, es dir zu erzählen, habe immer gehofft, es würde einfach aufhören. Aber er ist immer wieder dran gewesen, immer wieder, und jedes Mal ekliger.«
Berge von Fragen türmten sich in ihm auf, aber er war klug genug, sie nicht zu unterbrechen. Die Zeit war offenbar gekommen. Sollte er endlich erfahren, was sie so bedrückte?
»Er hat gesagt, ich dürfe es dir nicht erzählen, dann würde er noch schlimmere Sachen machen. Du kannst dir ja nicht vorstellen, wie ekelhaft und bedrohlich er ist.«
Wer?, dachte er. Wovon redest du eigentlich?
Aber er schwieg weiter.
Sie stand auf und holte einen Bogen Haushaltspapier von der Anrichte. Damit wischte sie sich die Augen.
»Wie ich aussehe.«
»Du siehst reizend aus.«
»Wirklich?«
»Absolut.«
»Ganz sicher?«
»Ich schwöre es!«
»Bin ich reizender als diese Japanerin, diese junge, hübsche Frau, mit der du dich letzte Nacht vergnügt hast?«
»Gar kein Vergleich. Du übertriffst sie um Klassen.«
Sie lachte bleich.
»Eva-Louise, willst du nicht ...«
»Doch«, sagte sie und schob sich auf seinen Schoß. »Doch, das will ich.«
Und dann begann sie zu erzählen.