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— Sechstes Kapitel
ОглавлениеFrisch, munter und ohne die geringste Spur von Kreislaufschwäche traf Wall im Kriminaldezernat ein, wo er direkt auf Otto Fribing stieß, den besten Schützen und fanatischsten Bodybuilder der Abteilung.
Der Kommissar erkannte sofort, dass der schnauzbärtige Beamte sauer war.
»Was ist los? Ist was passiert?«
»Nur, dass ein sturer alter Kerl mich eine halbe Stunde lang genervt hat. Du kennst doch Klas Björke unten aus Bäcken?«
»Ich bin ihm auf der Treppe begegnet. Er hat mich nicht bemerkt, hat nur stur nach vorn geguckt und schien ziemlich aufgebracht zu sein. Worum ging es denn diesmal?«
»Um einen Haufen Inlineskater, die ihm die Hölle bereitet haben.«
»Inlineskater? Sind das die mit diesen Brettern?«
»Nein, das ist so eine Art Rollschuhe. Ich glaube, es war eine amerikanische Firma, die eine modernisierte Form von Rollschuhen entwickelt hat, die sich seitdem wie ein Lauffeuer über die ganze Welt verbreiten.«
»Jetzt weiß ich, was du meinst. Die Dinger sieht man ja inzwischen überall.«
»So wie Björke sich verhalten hat, könnte man glauben, ich sei schuld daran, dass er von diesen rasenden Idioten umgefahren worden ist.«
»Aber viele von denen sind wirklich rücksichtslos, oder?«
»Natürlich. Und einer hat offensichtlich den alten Querulanten so angefahren, dass er sich am rechten Fuß verletzt hat. Und nicht einmal eine Entschuldigung bekommen. Die Typen sind einfach abgehauen. Einer von ihnen hat auch noch laut gelacht, als der Alte zu Boden gegangen ist. Im Prinzip bin ich ja ganz seiner Meinung. Ein paar sind wirklich richtige Schweinehunde. Björke hat erzählt, dass einer von denen einer alten Frau die Handtasche geklaut hat, ganz unverfroren, mitten in der Stadt. Ist neben ihr auf dem Fußweg gefahren, hat sich die Tasche geschnappt und ist dann um die Ecke verschwunden.«
»Das stimmt«, bestätigte Wall. »Wir haben letzte Woche eine Anzeige gehabt. Die Tasche ist später gefunden worden. Natürlich ohne Wertsachen.«
»Wie gesagt«, fuhr Fribing laut und wild gestikulierend fort, »ich sage ja gar nichts gegen Björkes Kritik. Was mich stört, sind seine ungehobelten Manieren. Kommt hierher und beschimpft mich, als ob ich derjenige wäre, der hinter allem steckt. Eine feine Art.«
Der Polizeibeamte begleitete Wall in den größten Raum des Reviers, den so genannten Sklavenmarkt – wo sich ein Kreis von Zuhörern um einen der jüngeren Beamten geschart hatte.
»Also, aus der Todesanzeige geht hervor, dass der Tote vierundneunzig geworden ist«, erklärte der Beamte. »Und wisst ihr, was da noch steht? Hier, nach diesem Bibelspruch, oder was das auch immer sein mag, da ist noch ein einzelnes Wort gesetzt worden. Wisst ihr welches? Warum?«
Er lachte laut auf.
»Warum? Habt ihr jemals so etwas Bescheuertes gehört?« Einige stimmten in sein Lachen ein, brachen aber gleich ab, als eine scharfe Stimme den Raum durchschnitt: »Nun, was ist denn daran so witzig?«
Die Frage stammte von Carl-Henrik Dalman. Er schaute verdrießlich drein, und der junge Polizist schien seine Worte mit Bedacht zu wählen: »Nun ja, nicht gerade witzig. Ich weiß nicht. Es ist nur so, dass es doch irgendwie grotesk ist, wenn die Angehörigen fragen, warum der Alte sterben muss. Mein Gott, schließlich war er vierundneunzig! Was kann man denn in diesem Alter erwarten?«
»Ein wenig Respekt«, erwiderte Dalman, »das ist es, was man wohl erwarten kann. Oder erwarten sollte. Ich finde es jedenfalls respektlos, mit dem Tod so herumzualbern, ganz gleich, wer der Betroffene ist und wie alt er ist.«
»Kann schon sein«, gab der zusammengestauchte Polizist zu und ging beschämt weg.
Der Kreis löste sich auf.
Dalman wandte sich Wall zu.
»Hast du nicht frei heute?«
Bevor Wall antworten konnte, schoss Dalman gleich die nächste Frage ab, diesmal an eine Person gerichtet, die gerade durch die Tür hereintrat.
»Und hast du nicht auch frei heute? Was ist denn hier los? Könnt ihr euch nicht einmal in eurer Freizeit vom Job fern halten? Wenn es euch hier so gut gefällt, könnt ihr gern meine Schicht übernehmen. Bitte schön. Sie steht euch zur Verfügung.«
Wall drehte sich um und schaute direkt in Thure Castelbos grobes, fast viereckiges Gesicht.
Der Neuankömmling begrüßte sie und wandte sich dann unvermittelt an Wall. »Dich habe ich gesucht, Sten. Hast du ein paar Minuten Zeit?«
Der Kommissar nickte und ging in sein Dienstzimmer, wo er den Besucherstuhl hervorzog. Er fragte sich, was eigentlich los war. Zuerst Helge Boström, jetzt Thure Castelbo. »Ich habe versucht, dich zu Hause anzurufen. Aber da war niemand. Dann habe ich dich im Pub gesucht. Kein Treffer. Aber jetzt habe ich dich ja hier gefunden, offenbar bist du ein Workaholic. Nur gut, dass du Junggeselle bist. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viele Überstunden du schon angesammelt hast?«
»Fünf, sechs Jahre?«, schlug Wall lachend vor. »Irgendwas in der Richtung. Ich war im Badehaus in der Sauna.«
Der andere lachte fröhlich auf.
»Wenn ich dich nicht hier gefunden hätte, dann wäre das meine nächste Anlaufstelle gewesen. So langsam kenne ich deine Gewohnheiten.«
»Also, Thure, was hast du auf dem Herzen?«
Castelbo zögerte einen Moment, dann sagte er: »Es geht um Eva-Louise.«
Wall wartete ab.
»Du weißt doch, dass viele Anzeigen von Frauen eingegangen sind, die obszöne Telefonanrufe erhalten haben. Eine Unsitte, die offenbar in letzter Zeit deutlich zugenommen hat. Zumindest hier in der Stadt. CeHa, Terje und noch ein paar kümmern sich um den Dreck.«
Der Kommissar hörte schweigend zu. Er wusste bereits, was nun kommen würde.
»Eva-Louise ist eine der Betroffenen.«
Obwohl Wall schon geahnt hatte, worum es ging, schüttelte er sich, als er es ausgesprochen hörte.
»Wie schrecklich«, sagte er. »Das tut mir Leid, wirklich.«
»Wie du weißt, ist sie immer sehr besonnen und beherrscht, lässt sich nur schwer aus der Fassung bringen.
Aber dieser Satan hat es geschafft. Sie ist vollkommen geknickt. Sie hat das eine ganze Weile mit sich rumgetragen, aber heute Morgen ist alles aus ihr rausgeplatzt. Ich habe ihr versprochen, mitzuhelfen, um diesen Terror zu stoppen, wollte aber erst mit dir darüber reden.«
»Das ist auch gut so«, sagte Wall, »aber glaubst du wirklich, dass es klug ist, wenn du dich selbst in die Ermittlungen einmischst? Ich meine, wo du doch in höchstem Grad persönlich involviert bist.«
»Gerade deshalb«, erklärte Castelbo entschlossen. »Natürlich werde ich tun, was ich kann.«
»Dann möchte ich dir etwas erzählen«, sagte Wall und berichtete ihm von seinem Gespräch mit Helge Boström vor nicht einmal einer halben Stunde.
Erst als er fertig war, ging er um den Tisch herum und legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes.
»Eva-Louise ist also nicht das einzige Opfer. Viele andere sind auch betroffen. Aber wir werden dem ein Ende setzen. Das verspreche ich.«
»Sten, da ist noch etwas, das ich dir sagen muss. Irgendwie bin ich sogar froh darüber, dass es Telefonterror ist, der sie so verletzt hat.«
»Froh?«, fragte Wall verwundert.
»Ja, wirklich, so merkwürdig das auch klingen mag. Verstehst du, als Eva-Louise anfing, sich so sonderbar zu verhalten, habe ich eine Weile geglaubt, sie könnte vielleicht ernsthaft krank sein. Ich bin vor Angst fast wahnsinnig geworden.«
Wall nickte.
»Heute Morgen fühlte ich mich richtig erleichtert. Ich meine, es ist trotz allem besser, dass ein obszöner Anrufer sie belästigt, als wenn sie ernsthaft krank wäre, oder?«
»Sicher. Und wie ich gesagt habe: Wir werden dem ein Ende setzen. Und fangen sofort damit an. Heute noch.« »Aber du hast doch frei.«
»Du auch. Wenn wir schon mal hier sind, können wir ebenso gut gleich loslegen. Übrigens – hast du überhaupt Zeit?«
»Selbstverständlich«, sagte Thure Castelbo. Für einen kurzen Moment überkam ihn das schlechte Gewissen: »Es ist nicht in Ordnung, dass ich deine freie Zeit einfach so mit Beschlag belege. Willst du nicht lieber bis Montag warten?«
»Nein. Wir legen jetzt sofort los. Nächste Woche werden wir sicher noch eine ganze Menge anderer Dinge haben, die uns beschäftigen werden.«
In diesem Augenblick hatte Sten Wall natürlich nicht die geringste Ahnung davon, wie Recht er hatte.