Читать книгу Der Staatsminister reist aufs Land - Bo Balderson - Страница 10

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Die Unterhaltung verlief in entspanntem Plauderton. Doktor Körmendi war fröhlich und herzlich, ohne familiär zu werden, und auch bei der zweiten Portion behielten wir noch die Titel bei. (Ich nehme normalerweise mittags nicht nach, aber Präsident Åkerblom gehörte zu den Gastgebern, die so lange die Defizite ihrer Kochkunst hervorkehrten, bis man sich gezwungen sah, nachzunehmen, um die Gastgeber nicht zu verprellen, was durchaus berechtigt gewesen wäre.)

Doktor Körmendi saß zu meiner Linken und erzählte mir, dass er Hautarzt sei und sein Spezialgebiet Psoriasis. Er hatte sich in seinem alten Haus, ein Stück die Landstraße runter, ein eigenes Labor eingerichtet, in dem er in seiner Freizeit an einem Medikament forschte.

»Meist abends und nachts. Wer mich von draußen sieht, wie ich über meine Reagenzgläser gebeugt dastehe, hält mich wahrscheinlich für einen Hexenmeister aus dem Mittelalter. Aber ich glaube, auf dem Weg zu einem Heilmittel ein ganzes Stück vorangekommen zu sein. Eine Vitaminsalbe. Sie heilt das Leiden zwar nicht komplett, aber ich hoffe, damit zumindest die Beschwerden lindern zu können ...«

Ich hörte nur mit halbem Ohr zu – Psoriasis ist eine der wenigen Krankheiten, an denen ich nicht leide –, aber Doktor Körmendis lebhaftes, enthusiastisches Wesen machte dennoch Eindruck auf mich. (Bei einer Gelegenheit griff er nach meiner Hand und markierte besonders kritische Partien mit einem Löffel.) Ich vergaß Haare, Bart und Pullover und sah nur noch den Wissenschaftler mit seinem Forscherdrang, der Freude am Entdecken, dem Ehrenkodex, dem Wunsch zu helfen. Ich sah, dass er jünger war, als ich zuerst angenommen hatte, eher unter als über vierzig.

Zu meiner Rechten saß Frau Hallander. Sie verteilte ihre Portion auf dem Teller und zermatschte sie wie in dem Versuch, sie zu vernichten, aber da ihr das nicht gelang, aß sie sie schließlich auf, mit kleinen, pickenden Gabelstichen. Dazwischen bekam ich mitgeteilt, dass ihr Mann seine erste Pfarrstelle in Stockholm gehabt, dass es ihn aber schon immer eher in eine ländliche Gemeinde gezogen habe.

»Und ruhiger und ländlicher als hier draußen geht’s nimmer«, lachte sie in hohem Diskant. »Knapp tausend Seelen, ausschließlich Vorortbewohner oder Landbevölkerung, ganz nach Huberts Geschmack. Er ist der patriarchalische Typ, auch wenn er, zugegebenermaßen, nicht sehr patriarchalisch aussieht. Aber er liebt es, Hausbesuche zu machen und den Alten etwas vorzulesen und Kranke zu besuchen, seine Täuflinge auf ihrem Weg zu begleiten und all diese Dinge, zu denen nur Pastoren in kleinen Gemeinden Zeit haben. Es ist nur ...«

An dieser Stelle brach sie jäh mit einem klirrenden Lachen ab, das sich zwischen einem Schrei und dem Geräusch bewegte, das eine Geldmünze macht, wenn sie vom Staubsauger aufgesaugt wird. Sie rückte die glitzernden Brillenbügel zurecht und schob sich eine Gabelspitze Soufflé in den Mund.

Als sie das Gespräch wieder aufnahm, sprach sie über das Wetter.

Beim Dessert – Früchte aus der Dose, bei denen man nicht viel falsch machen konnte – wurde das Gespräch allgemein, und der Staatsminister erwähnte, dass wir am Vormittag Kommissar Wallman besucht hätten.

Doktor Körmendi ließ seinen Löffel mit einem Klirren fallen, und seine Augen verdunkelten sich.

»Kommissar Wallman? Sie wollen doch nicht sagen, dass er Sie empfangen hat?«

Der Staatsminister erklärte, dass dem Besuch ein Briefwechsel vorangegangen sei, dass es um wichtige Geschäfte gehe und dass wir eine gründliche Kontrolle über uns ergehen lassen mussten.

Der Arzt nahm seinen Löffel wieder auf.

»Ich dachte schon, Kommissar Wallman hätte seine Isolation aufgegeben und mir damit meine einzige Eintrittskarte in das hiesige Gesellschaftsleben genommen: etwas darüber berichten zu können, wie er hinter seiner Mauer lebt. Ich bin der Einzige, den er zu sich lässt. Zumindest aus dem Ort. Ansonsten hat er wohl ein paar Schwestern in Stockholm, die ihn ab und zu besuchen dürfen. Meine Besuchserlaubnis habe ich meiner Eigenschaft als Arzt zu verdanken. Und auch das nur zu ganz bestimmten Zeiten: jeden zweiten Samstag um zwei Uhr nachmittags. Ich komme mir vor wie ein Gefängnisarzt. Riegel klirren, wenn ich ankomme, und Riegel klirren, wenn ich gehe.«

Der Staatsminister fragte, ob es die Schussverletzung sei, die eine ärztliche Behandlung erforderte.

»Nein, die macht ihm keine akuten Beschwerden. Abgesehen von der Lähmung, natürlich. Er hat ein chronisches Ekzem, das beobachtet und behandelt werden muss. Und wenn ich schon dabei bin, höre ich noch gleich sein Herz ab und messe den Blutdruck. Damit nimmt er es sehr genau, obgleich seine Werte immer bestens sind. Der Kerl ist stark wie ein Ochse.«

»Ist er schon lange Ihr Patient?«, fragte der Staatsminister.

»Lassen Sie mich überlegen – im Herbst dürften es drei Jahre sein. Bis dahin hat sich ein Kollege aus dem Krankenhaus um ihn gekümmert, aber der ist weggezogen und hat mich als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Ich bin ja auch Hautarzt. Eigentlich habe ich keine Zeit für Privatpatienten, aber ich war neugierig, was das wohl für ein Kauz ist. Und außerdem sind wir ja fast Nachbarn. Und so reiße ich mich also jeden zweiten Samstag von meinen Reagenzgläsern los und radele zu ihm.«

»Und wieso hat er sich so komplett vom Rest der Welt abgeschottet?«, fragte ich.

Der Arzt zuckte mit den Schultern.

»Er zieht mich nicht ins Vertrauen. Ich bin für sein Ekzem zuständig und für meine Messungen, aber dann habe ich zu gehen. Ich gehe aber davon aus, dass es mit der Schussverletzung zusammenhängt. Er hat Ihnen doch sicher erzählt, dass er bei der Ausübung seines Dienstes angeschossen und danach pensioniert wurde? Ja, das käut er ständig wieder, wenn ich bei ihm bin, es ist sozusagen sein einziges Gesprächsthema. Er war vorher wohl schon nicht sonderlich sozial, aber nach seiner Verabschiedung hat er es mit der Isolation wirklich auf die Spitze getrieben. Eine gewisse Zurückgezogenheit ist in seiner Situation ja nachvollziehbar. Es ist schließlich nicht so einfach, sich in die Öffentlichkeit zu begeben, wenn man an den Rollstuhl gefesselt ist. Und er hat ein großes Haus und einen Park, wo er sich bewegen kann und frische Luft bekommt. Aber dass er nie sein Grundstück verlässt oder anderen Menschen gestattet, ihn zu besuchen, ist schon ein wenig schrullig. Wenn Sie mich fragen, will er sich den Leuten nicht als Invalide zeigen. Für einen großen und kräftigen Kerl wie ihn ist es wahrscheinlich unerträglich, im Rollstuhl sitzen zu müssen. Und verbittert ist er obendrein. Er fühlt sich abgeschoben. ›Wenn ihr nichts mehr mit mir zu tun haben wollt, das könnt ihr haben. Ich werde euch schon zeigen, dass ich auch allein zurechtkomme.‹ Gekränkt, verbittert, voller Hass. Aber vor allen Dingen hat er Angst.«

»Angst?«

»Ja. Die Mauer war schon vor seiner Zeit da, aber er hat sie mit Stacheldraht versehen und die Alarmanlage installiert, sowohl auf der Mauer als auch im Haus. Dann hat er Pappeln hinter der Mauer gepflanzt und keinen Baum mehr im Garten gefällt. Die Haushälterin hat erzählt, dass er nur die Wege im Park benutzt, die nicht von außen einsehbar sind. Am liebsten sitzt er aber auf der Veranda oder auf dem Balkon im oberen Stockwerk, wo er komplett vor den Blicken von außen geschützt ist. Die Jalousien in seinem Zimmer sind immer runtergelassen. Und er trägt immer eine Pistole bei sich.«

»Und wovor hat er Angst?«

Der Arzt zögerte mit der Antwort.

»Anfangs glaubte ich, der Mann litte an Verfolgungswahn, ausgelöst durch die ungerechte Behandlung, der er sich nach dem Unglück ausgesetzt fühlte, und verstärkt durch die selbst auferlegte Einsamkeit in seinem Bunker. Ich dachte also, es wäre eine eingebildete Gefahr, gegen die er sich mit all den Schlössern und Alarmanlagen zu schützen versuchte. Aber das glaube ich inzwischen nicht mehr. Sehen Sie sich ihn doch an! Sicher, er ist reizbar und in vielerlei Hinsicht merkwürdig. Aber im Grunde genommen ist er ein ganz nüchterner und kontrollierter Mensch. Nicht die Spur hysterisch. Er schützt sich methodisch und äußerst gründlich gegen jemand oder etwas vor der Mauer. Das, was Kommissar Wallman Tag und Nacht umtreibt und wogegen er sich mit aller Macht zu schützen versucht, ist, dass irgendwer die Mauer oder das Eingangstor überwindet, durch den Garten ins Haus eindringt und ihn tötet.«

Der Staatsminister reist aufs Land

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