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An den unterschiedlichsten Orten des Landes hatte ich diese Sorte Häuser schon gesehen, die von den Anzeigen des Staatsministers aus ihrem Dornröschenschlaf in der Dornenhecke geweckt wurden. Dieses prangte groß und weiß und kapitalhungrig inmitten der grünen Pracht, wie eine in die Jahre gekommene Braut in Erwartung ihres nicht auftauchenden Bräutigams.

Wir stiegen die Treppe zu einer höher gelegenen Veranda hoch, die sich über die gesamte Breite des Hauses erstreckte. Ich drehte mich um, um mir einen Überblick über den Garten zu verschaffen. Aber außer Bäumen und Büschen, die überall dort wucherten, wo sich der Garten eigentlich den Blicken und Promenierwilligen öffnen sollte, sah ich nichts.

»Hier muss aber eine Menge abgeholzt werden«, nuschelte der Staatsminister.

Das Wohnzimmer war so dunkel, wie es von einem Wohnzimmer im Dschungel nicht anders zu erwarten war. Ich hielt nach Einschusslöchern Ausschau, wobei ich nur mit Mühe den gestickten Text auf dem Wandbehang entziffern konnte, der in Knöchelhöhe an die Wand genagelt war. (Vermutlich hatte der Kommissar auf eine Ratte geschossen.) Sprich freundlich mit dem müden, das ist wie medizin. Das klang wie der verzweifelte Schrei einer gemarterten Haushälterinnenseele. Oder einer angeschossenen Ratte.

»Der Kommissar erwartet Sie in seinem Zimmer«, sagte Fräulein Elmgren und führte uns durch die Eingangshalle, wo ich meinen Mantel ablegen konnte. Von der gegenüberliegenden Wand starrten uns drei Eichentüren an. Die Haushälterin klopfte an die mittlere.

»Herr Kommissar, der Herr aus Stockholm ist jetzt da!«

»Hat er den Brief vorgezeigt? Und seinen Ausweis? Was hatte er auf der Mauer zu suchen? Ist der Immobilienexperte auch dabei?«

Die Fragen wurden in schneller Folge abgeschossen. Die Stimme klang scharf, gereizt.

»Jawohl, er hat sowohl Brief als auch Ausweis vorgezeigt. Und der Immobilienexperte ist ebenfalls anwesend. Er war der Akrobat auf der Mauer. Wollte wahrscheinlich überprüfen, ob sie solide gebaut ist.«

»Hat er sich auch ausgewiesen?«

»Hat er. Aber von dem ist nichts zu befürchten. Dazu ist er viel zu alt und schwächlich. Kraftlos, würde ich sagen. Er hat einen ganz ungesunden Teint.«

»Stellen Sie ihn so vor die Tür, dass ich ihn sehen kann!«

Fräulein Elmgren fasste mich am Arm und zog mich vor ein ähnliches Guckloch wie das im Eingangstor. Ich wurde neuerlich einer Observierung unterzogen. Das war ja schlimmer als beim Arzt.

»Ich verbürge mich für seine Harmlosigkeit!«, schrie der Staatsminister übereifrig.

Allmählich reichte es aber. Immerhin war ich in meiner Jugend zwischen Vaxholm und Skäggaudd hin und her gerudert, eine Strecke von gut und gerne drei Kilometern. Ich spannte den Brustkorb und streckte den Rücken.

»In der Tat, eine halbe Portion«, war nun eine geradezu amüsierte Stimme von der anderen Seite der Eichentür zu vernehmen. »Den schaffe ich ja mit einem Arm auf dem Rücken.«

Das Schloss klackte.

Die Haushälterin öffnete die Tür.

Er saß reglos vor uns und starrte uns an, und er saß im Rollstuhl. Trotzdem war mein erster Eindruck: Stärke. Alles an dem Mann, der dort vor uns saß, wirkte kräftig, massiv: Kopf, Schultern, Nacken. Er hatte ein breites Gesicht mit markanten Falten zwischen Mundwinkel und Nasenflügel. Die Stirn schlug zwei Kerben in das graue, kurz geschnittene Haar. Hände und Gesicht waren sonnengebräunt. Ich schätzte ihn auf fünfundfünfzig, sechzig Jahre.

Wir standen vor der Türschwelle, und er saß auf der anderen Seite in seinem Rollstuhl. Wir nahmen uns gegenseitig ins Visier, möglicherweise starrten wir sogar, aber irgendwann war die Inspektion abgeschlossen, und Kommissar Wallman rollte den Rollstuhl rückwärts in den Raum hinein und machte uns Platz. Auch in dieser Bewegung, die man ungewollt mit Krankheit und Schwäche assoziierte, strahlte er eine ungeheure Kraft aus.

»Setzen Sie sich«, sagte er, ohne zu lächeln. Er trug eine Art Overall aus weichem, braunem Stoff, der bis zum Hals geschlossen war.

Wir stellten uns mit Namen vor und tauschten ein paar Begrüßungsformeln aus.

Ich sah mich in dem Raum um, der als kombiniertes Schlaf- und Arbeitszimmer diente. In der einen Ecke stand ein Bett, in der anderen ein Tresor, dazwischen ein Schreibtisch. Die Jalousien vor den zwei Fenstern waren runtergelassen, sodass der Raum im Halbdunkel lag.

»Wie Sie sehen, bin ich behindert«, sagte der Mann barsch ohne den Anflug eines Lächelns, wie man es sonst häufig bei Menschen sieht, die an den Rollstuhl gefesselt sind, mit dem sie die uneingeschränkten und gesunden Menschen entlasten und sich für die eigene Schwäche und Hilfsbedürftigkeit entschuldigen wollen. In der Körperhaltung und Mimik dieses Mannes fanden sich allerdings nur Trotz, Bitterkeit und Aggressivität.

»Ich bin nicht als Krüppel geboren worden. Mein ganzes erwachsenes Leben war ich Polizist, die letzten Jahre Polizeichef in Mellanstad. Vor vier Jahren wurde ich im Dienst von einem Verbrecher angeschossen. Am vierzehnten Juni sind es vier Jahre. Die Kugel hat das Rückenmark beschädigt, meine Beine sind seitdem gelähmt. Andere Körperfunktionen sind nicht betroffen. Ich hätte problemlos als Polizeichef Weiterarbeiten können. Die Arbeit besteht sowieso zum größten Teil aus Schreibtischarbeit, und mit meinem Rollstuhl komme ich überall hin, wo ich will. Aber man wollte mich ganz offensichtlich loswerden. Ich war schon immer sehr gründlich, und davon fühlten sich die hohen Herren offenbar auf ihre empfindlichen Zehen getreten. Also haben sie mich abgeschoben, in die Frührente entlassen, wie einen wert- und nutzlosen Gegenstand. Nach fünfunddreißig Jahren! Obwohl ich im Dienst verletzt wurde! Im Dienst!«

Die letzten Worte unterstrich er mit ein paar harten Schlägen auf die Stuhllehne. Er klang bitter, hasserfüllt. Sein Blick ruhte auf mir, aber in Gedanken war er bei den Ungerechtigkeiten der Vergangenheit. Mit sichtbarer Anstrengung kehrte er in die Gegenwart zurück. Seine kräftigen Hände klammerten sich um die Metalllehnen.

»Na, das wird Sie sicher herzlich wenig interessieren. Sie sind hier, um das Haus zu kaufen. Aber es wird so viel geredet, wissen Sie. Es werden Lügen über mich verbreitet. Nun kennen Sie die Wahrheit. Aber glauben Sie ja nicht, dass ich das Grundstück um jeden Preis loswerden will. Ich muss nicht verkaufen. Meine Pension ist lächerlich, wohl wahr. Aber ich habe private Nebeneinkünfte und ein Vermögen, das mich unabhängig macht. Ich will nach Spanien ziehen, in die Sonne und Wärme. Sollte ich keinen Käufer finden, der bereit ist, den Preis zu zahlen, den es wert ist, warte ich noch mit dem Verkauf. Meine Arbeit hat man mir weggenommen, aber um mein Haus lasse ich mich von niemandem betrügen. Es ist 750 000 Kronen wert, und 750 000 will ich haben. Bis vor vier Jahren hat meine Mutter hier gelebt, ich habe das Haus von ihr geerbt. Damals wurde es schon auf eine halbe Million geschätzt, seitdem sind die Preise für Immobilien in guter Lage stetig gestiegen. Und ich habe einiges in den Erhalt und in Renovierungsarbeiten gesteckt. Zum Beispiel die Erhöhung der Mauer und die Installation der Alarmanlagen. Sowohl auf der Mauer als auch im Haus, wie Sie ja bereits festgestellt haben, nicht wahr? Hier kommt niemand ohne meine Erlaubnis rein, weder auf das Grundstück noch ins Haus. Wofür haben Sie das Anwesen vorgesehen?«

Der Staatsminister sagte, dass es ein Heim für Kinder werden sollte.

»Ein Kinderheim? Dafür eignet es sich ausgezeichnet. Der Alarm lässt sich problemlos so umprogrammieren, dass er anschlägt, sobald jemand das Haus oder das Grundstück verlässt. Aus dieser Anstalt wird kein junger Lümmel mehr ausbrechen, das garantiere ich Ihnen!«

Der Staatsminister erklärte, dass eine seiner ersten Maßnahmen sein würde, die Alarmanlage zu demontieren und die Mauer abzureißen.

Der verbitterte, berechnende Zug um den Mund des Kommissars wich für einen Augenblick purem Erstaunen.

»Sie wollen die Mauer einreißen?! Na ja, das ist Ihre Sache. Aber das Grundstück wird mit Mauer verkauft, für 750 000. Wenn Ihnen das nicht passt, verkaufe ich eben an jemand anders.«

Der Staatsminister sagte, dass er nichts gegen den Preis einzuwenden habe, dass er jetzt aber doch darum bitte, zuerst einmal das Haus besichtigen zu dürfen. Kommissar Wallman rief die Haushälterin und befahl ihr in barschem Ton, den Staatsminister herumzuführen. Da niemand darauf bestand, dass ich mitkam, ließ ich mich auf einem Stuhl auf der Veranda nieder und verbrachte die nächste Stunde damit, zu meditieren.

Als der Staatsminister seinen Rundgang beendet hatte, wurden wir wieder zum Kommissar geführt.

Der Staatsminister hat eine sehr eigenwillige Art, Geschäfte zu machen. Wo jeder normale Immobilienmakler über abblätternden Putz, unvorteilhafte Zimmeraufteilungen und veraltete Wasserleitungssysteme versucht hätte, den Preis zu drücken, erging sich der Staatsminister in lyrischen Lobeshymnen über das Objekt. Er schwärmte von der vortrefflichen Lage des Grundstückes zur Stadt, von der wundervollen Natur, von dem kinderfreundlichen Grundstück und den praktischen Einbauschränken. Er schloss seinen Vortrag mit der Anmerkung, dass 750 000 Kronen ihm für das Objekt durchaus angemessen erschienen und dass er gern in bar zahlen würde, sobald die erforderlichen Dokumente unterschrieben seien.

Kommissar Wallman beugte sich vor. Der vergrämte, verschlagene Zug in seinem Gesicht verschwand erneut hinter unverhohlenem Staunen, diesmal gepaart mit Gier.

Das Gesicht des Kommissars war ein offenes Buch, und ich wartete gespannt, wann er etwas zum Mobiliar sagen würde.

»Es versteht sich natürlich von selbst, dass das Mobiliar nicht in der von mir genannten Summe enthalten ist. Und ohne das Mobiliar verkaufe ich nicht. Das kann ich schließlich schlecht mit nach Spanien nehmen. Ich schätze das Mobiliar auf 100 000 Kronen.«

Es gab Zeiten, in denen ich versucht habe, den Staatsminister von seinen verrückten Kaufvorhaben abzubringen. Das tue ich inzwischen nicht mehr. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass Geschäftsabschlüsse darin bestehen, dass einer den anderen über den Tisch zieht. Und dass es in jedem Fall besser ist, wenn derjenige über den Tisch gezogen wird, der es sich leisten kann.

Damit näherte sich auch dieses Geschäft seinem Abschluss. Der Staatsminister sagte, dass das mit dem Mobiliar völlig in Ordnung sei. Ihm sei nur wichtig, dass er so schnell wie möglich Zutritt zum Haus bekomme, am besten schon im Herbst. Kommissar Wallman lehnte sich über den Schreibtisch und lächelte beinahe, als er versicherte, dass dem nichts im Wege stehe, da er innerhalb der nächsten Monate in den Süden umzuziehen gedenke. Sein Haus auf der Kanarischen Insel sei bereits bezugsfertig ...

Der Staatsminister reist aufs Land

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