Читать книгу Der Staatsminister reist aufs Land - Bo Balderson - Страница 8

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»Ich habe das Gefühl, aus einem Gefängnis zu kommen«, sagte der Staatsminister, nachdem die Haushälterin uns aus dem Eingangstor gelassen hatte und wir hinter uns die Riegel rasseln hörten. »Aber wart’s nur ab, wenn die Mauer erst abgerissen und das Gestrüpp im Park abgeholzt wurde! Dann ist es das reinste Paradies für Kinder! Ich frage mich schon die ganze Zeit, wieso der Kerl sich derart einmauert? Das müssen wir unbedingt Johan Åkerblom fragen. So, das andere Haus schaffen wir auch noch vor dem Mittagessen. Frau und Fräulein Silfverlod haben gesagt, sie wären den ganzen Tag zu Hause. Hier dürfte es sein!«

Wir waren der breiten Landstraße zurück in Richtung Präsidentengut gefolgt und bogen nun auf einen schmalen, von Fichten und Föhren gesäumten Waldweg ab, der kaum mehr als ein Pfad war. Ein Eichhörnchen keckerte, ein Vogel schrie, und kurz darauf standen wir vor einem offenen Grundstücksgatter.

»Zwei Türme, Kupferdach und Wintergarten«, murmelte der Staatsminister. »Das ist es.«

Es war ein großes Haus. Und ein hässliches Haus. Nicht unähnlich dem des Staatsministers auf Lindö. Ich ahnte, dass es ihn bereits in seinen Bann zog. Auch das Grundstück schien eine deutliche Faszination auf ihn auszuüben; er zeigte auf eine wild wuchernde Wiese und meinte, dass man dort nach dem Roden ein klasse Badmintonfeld anlegen könne. Ich sah nur wucherndes Gestrüpp, ein verfallenes Gartenhäuschen und diverse unordentliche, ins Kraut geschossene Pflanzeninseln, auffallend ähnlich denen in Kommissar Wallmans Park.

»Die Klingel tut’s nicht«, sagte der Staatsminister und klopfte an die Tür. Was für ein wohltuender Kontrast zu den extrem gut funktionierenden Klingeln des Kommissars.

Eine Frau, die sich uns als Fräulein Silfverlod vorstellte, öffnete die Tür und führte uns in einen Salon mit Flügel und abgewetztem Bauernrokoko, wo wir mit Madeira und Kuchen bewirtet wurden.

»Erstaunlich, dass Sie auf Anhieb zu uns gefunden haben! Die meisten Leute gehen an unserem kleinen Weg vorbei, ohne ihn zu sehen. Wir wollen schon so lange ein Schild aufstellen, aber es ist bei dem Vorsatz geblieben.«

Fräulein Silfverlod hatte ein sehr angenehmes Wesen und war so um die vierzig. Ich hatte noch nie eine Schwäche für moderne, gertenschlanke Frauen in langen Hosen mit einer Zigarette zwischen den Fingern. Fräulein Silfverlod war weich und altmodisch und ein bisschen rundlich, sie trug einen Faltenrock und eine an Hals und Handgelenken entzückend geraffte Bluse, und im ganzen Raum war nicht ein Aschenbecher zu entdecken. Sie sprach mit kleinen, lebhaften Gesten, die Temperament und Engagement verrieten, und ihre Augen waren dunkel, wach, vom gleichen Ton wie ihre Haare.

»Ja, als ich Ihre Anzeige sah, habe ich sofort zu Mama gesagt, dass das doch die Gelegenheit für uns wäre! Ach du meine Güte, ich habe Mama ja völlig vergessen!«

Sie entschwand durch eine Doppeltür in den Garten, und der Staatsminister nutzte die Gelegenheit, mit beiden Füßen auf den Boden zu hüpfen und mit der geballten Faust gegen die Wand zu schlagen, offenbar, um den Zustand des Hauses zu prüfen.

Da betrat Frau Silfverlod die Bühne. Sie ging sehr, sehr langsam, liebevoll gestützt von ihrer Tochter.

»Mama liebt die Sonne, und wenn das Wetter gut ist, setze ich sie immer in den Windschatten hinter dem Gartenhäuschen. So, Mama, begrüß den Herrn Staatsminister und Studienrat Persson!«

Frau Silfverlod streckte uns gehorsam eine Hand aus ihren Schals entgegen. Sie fühlte sich trocken und fest an.

»Und jetzt nehmen wir Mama die Decke und einen Schal ab, damit es nicht zu warm wird!«

Fräulein Silfverlod beugte sich ergeben über ihre Mutter und befreite sie von einer Stofflage.

»Du setzt dich am besten zwischen die beiden Herren, damit du auch alles mitbekommst, was besprochen wird. Möchtest du einen kleinen Madeira?«

Die Frage war überflüssig, da die alte Dame sich bereits ein Glas eingeschenkt hatte und es hurtig leerte.

»Frische Luft macht durstig«, sagte sie und nickte mir freundlich zu. Leidlich von ihren Schals befreit, sah sie bei weitem nicht mehr so alt aus, wie ich anfangs geglaubt hatte. Ihr langsamer Gang und die unterstützenden Maßnahmen ihrer Tochter hatten getäuscht. Ihr Haar war zwar grau, fast weiß, und sie war von dünner Statur, aber sie hatte ungeheuer wache Augen, beobachtend, und einen rosa Teint. Die Ähnlichkeit von Mutter und Tochter lag in den schnellen Gesten und im Gesicht, auch wenn das der Mutter sehr viel schmaler war. Aber es schien weniger das Alter zu sein, das sie aushöhlte, als eine konstitutionelle, aristokratische Knochigkeit.

»Wir denken schon lange daran, zu verkaufen«, sagte Fräulein Silfverlod und kam zögernd der Aufforderung ihrer Mutter nach, das Glas noch einmal vollzuschenken. »Obwohl es schon schwer ist, wenn man wie ich fast sein ganzes Leben hier verbracht hat. Aber das Haus ist einfach zu groß für zwei alleinstehende Frauen. Und Mamas Gesundheit ist nicht die beste. Für sie wäre betreutes Wohnen in einer kleinen Wohnung in der Stadt viel besser, als hier in der Abgeschiedenheit im Wald zu wohnen. Jedes Mal, wenn ich unterwegs bin, bin ich ihretwegen schrecklich beunruhigt.«

»Unsinn«, sagte Frau Silfverlod und lockerte einen Schal. Ihre Stimme klang jung und energisch und ein wenig heiser. »Ich komme ausgezeichnet zurecht. Aber du solltest dich frei machen und dein Leben nicht damit verplempern, auf eine alte Schachtel wie mich aufzupassen. Natürlich verkaufen wir. Das haben wir doch schon so oft durchgesprochen. Frag die Herren lieber, was sie zahlen wollen. Das Haus hat ein paar Reparaturen nötig, dafür ist das Grundstück schön groß und weitläufig. Und es wäre noch größer, wenn wir nach dem Tod meines Mannes nicht gezwungen gewesen wären, den kompletten Wald zu verkaufen, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen. Für Reparaturen hat es danach vorne und hinten nicht gereicht. Die Steuern in diesem Land ... Ist das möglicherweise Ihr Ressort, Herr Staatsminister?«

Der Staatsminister murmelte, dass er zwar Steuern zahle, aber ansonsten unschuldig sei.

»Bitte, Mama«, sagte Fräulein Silfverlod vorwurfsvoll und zupfte an einem ihrer Schals.

»Ich will euch sagen, was aus diesem Land geworden ist«, fuhr Frau Silfverlod unbeirrt fort. »Eine Einparteiendemokratie. Eine Einparteiendemokratie, erträglich nur durch die Lotterie und das Recht eines jeden Bürgers, zollfrei zwei Flaschen starken Wein aus dem Urlaub auf den Kanarischen Inseln einführen zu dürfen. Wir sollten die Wahlen und den Abgabetermin der Steuererklärungen auf den gleichen Tag legen, auf den fünfzehnten Februar. Da würdet ihr schon sehen, wie schnell es einen Machtwechsel gäbe! Warum hast du die Flasche weggestellt, Maude?«

»Bitte, Mama ...«

»Jajaja. Sei ein liebes Mädchen. So, ja, voll bitte. Wir haben Ihre Anzeige im Dagbladet gelesen. Wir lesen ausschließlich das Dagbladet. Wenn ich mal sterbe, soll dort meine Todesanzeige erscheinen. Und nur dort. Merk dir das, Maude! Wirtschaftlich mag es mit diesem Haus bergab gegangen sein, aber wir besitzen zumindest noch Kultur und Geschmack. Es hätte schlimmer kommen können ...«

»Bitte, Mama, die Herren sind gekommen, um über das Haus zu sprechen!«

»Aber das tu ich doch! Es stammt aus dem neunzehnten Jahrhundert, da haben sie sich noch aufs Bauen verstanden. Das Dach ist aus echtem Kupfer. In dem einen Turm regnet es durch, wenn der Wind aus Nordosten kommt. Und in dem anderen haben wir eine Weiße Frau. Die alte Eleonora Silfverlod, die Großmutter meines Mannes ...«

Die alte Dame bot die Ware feil, unterstützt von ihrer Tochter, und der Staatsminister wäre bei dem doppelten Beschuss um ein Haar in die Knie gegangen und hätte auf der Stelle unterschrieben, besann sich aber noch einmal eines Besseren und bat um eine Hausbegehung.

Dieses Mal ging ich mit. Es war eine beklemmende Wanderung durch ein Holzschloss, das vier Generationen überlebt hatte, aber kaum noch eine fünfte überstehen würde.

»Glaubst du, das hält eine Horde Kinder aus?«, gab ich zu bedenken, als wir durch den Wald heimwärts spazierten.

»Das Dach muss natürlich neu gedeckt werden«, murmelte der Staatsminister. »Und der Boden neu verlegt. Und die Wände ausgebessert werden. Aber der eigentliche Kern ist gesund«, fügte er hinzu, ein wenig metaphysisch.

So faselte er weiter über das Haus. Während ich an Fräulein Silfverlod dachte.

Wie reizend und fürsorglich sie zu ihrer alten Mutter war! Und dieses weich geformte Gesicht und die lebhaften Augen! Sie hatte mich angelächelt, als wir uns verabschiedeten. Na ja, wahrscheinlich lächelten alle Gastgeberinnen ihre Gäste an, besonders, wenn sie gingen ... Ich fragte mich, wie sie mich wohl wahrgenommen hatte. Als alten Mann? Das wäre nur natürlich, immerhin war ich gut und gern zwanzig Jahre älter als sie. Oder sah sie in mir mehr einen Gleichaltrigen, fast Gleichaltrigen? ...

Ich stieß meinen Stock in den Boden. Wieso sollte eine nach wie vor junge, nach wie vor hübsche Frau überhaupt einen Gedanken an mich verschwenden?

Der Staatsminister reist aufs Land

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