Читать книгу Der Staatsminister reist aufs Land - Bo Balderson - Страница 4

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Es war eine nicht enden wollende Küsserei und Herzerei.

Der Wagen rollte bereits durchs Tor, aber der Staatsminister hing noch immer aus dem Seitenfenster und rief seiner Frau und den Kindern Abschiedsgrüße und Ermahnungen zu.

»Zähneputzen nicht vergessen! Mit den Hunden rausgehen! Den Rasen mähen! Und nicht traurig sein, in ein paar Tagen bin ich ja wieder da! Ich rufe euch abends an, um zu hören, wie euer Tag war. Und morgens, wie ihr geschlafen habt. Sollten der Ministerpräsident oder das Ministerium anrufen und fragen, wo ich stecke, sagt ihnen nicht, wo ich bin. Außer natürlich, es geht um eine Leiche. Sagt einfach, ich wäre in Norrland unterwegs, um mir ein paar Strafvollzugsanstalten anzusehen ...«

Als wir das Eigenheim und die lärmenden Kinder endlich hinter uns gelassen hatten, sah ich den Staatsminister von der Seite an und fragte ihn ganz direkt, ob er wirklich glaube, das Vertrauen des Ministerpräsidenten und der Regierung zu genießen. Was der Staatsminister entschieden bejahte. Das habe ihm der Regierungschef erst vor sechs, sieben Jahren bestätigt. Na gut, der damalige Regierungschef ...

Die Sonne schien, ein laues Lüftchen wehte; und es hätte ein richtig schöner Tag werden können, hätte ich nicht angeschnallt im Wagen des Staatsministers gesessen, ausgerüstet für einen längeren Ausflug inklusive Übernachtung. Neben dem Staatsminister im Auto zu sitzen, war, wie in einem ausrückenden Einsatzfahrzeug mitzufahren: Man weiß, dass einen Schreckliches erwartet, nur nicht, was.

Aber, dachte ich, vielleicht würde es diesmal ja gar nicht so schlimm werden.

Der Staatsminister wollte sich schließlich nur ein paar Häuser ansehen.

Ich weiß nicht, ob ich es bereits erwähnt habe: Der Staatsminister unterstützt mit seinen Millionen eine Organisation, die sich um Kinder aus Krisengebieten kümmert. Sie werden einige Monate, bis zu einem Jahr, in gut ausgestatteten Pflegeheimen untergebracht, in denen sie behandelt und aufgepäppelt werden, wo sie spielen und wieder Vertrauen lernen können. Solche Heime gibt es überall auf der Welt, in fast allen Ländern.

Keine Frage, das Ganze ist sehr lobenswert. Aber Gedanken kann man sich ja trotzdem machen. Als ich bei irgendeiner Gelegenheit vorsichtig zu bedenken gab, ob es nicht eventuell sinnvoller wäre, das Geld in geburtenkontrollierende Maßnahmen zu investieren, reagierte er mit Unverständnis:

»Aber diese Kinder gibt es bereits!«

Ich führte meine Gedankengänge nicht weiter aus. Der Staatsminister sieht vor lauter Menschen die humanitären Probleme nicht.

Sicher ist es eine gute Sache, Kinder aller Hautfarben und Nationalitäten zusammenzubringen, Juden mit Arabern spielen zu lassen und Weiß mit Schwarz. Auch das habe ich ihm gegenüber angesprochen. Da hat er mich angestarrt und gesagt, dass ihm dieser Gedanke noch nie gekommen sei!

Das ist so typisch für diesen Mann. Da setzt er einen großen und edlen Gedanken in die Tat um, ohne ihn je gedacht zu haben!

Wie auch immer, dieses Projekt war seriös, es stand unter der Schirmherrschaft der UNO und wurde von Fachleuten und Komitees organisiert. Aber der Staatsminister zahlte. Und war für die Auswahl der Häuser in Schweden zuständig.

Weil er glaubte, einen messerscharfen Blick für geeignete Objekte zu haben.

Die Häuser sollten geräumig sein und solide gebaut, sagt er, gern ein wenig in die Jahre gekommen. Sie sollten nicht in der Stadt liegen, aber auch nicht auf dem platten Land. Große Grundstücke waren ein absolutes Plus, gern auch ein Wald und ein See in der Nähe.

Der Staatsminister glaubte nun, ein paar geeignete Objekte gefunden zu haben. In einer Anzeige im Dagbladet hatte er nach einer »gr. Villa m. Parkgrundst., gern renov.bedürftig« gesucht und der erstaunten Hausbesitzerwelt mitgeteilt, dass der Betrag »bar und bei Unterschrift von finanzkräft. Interess.« gezahlt würde.

Jeder, der über noch so geringe Kenntnisse der Immobilienbranche und der menschlichen Natur verfügt, weiß, was für eine Lawine eine solche Anzeige auslöst. Von etwa hundert baufälligen Objekten, die ihm angeboten wurden, schafften es zwei Villen bei Mellanstad in Mälardalen in die engere Auswahl.

Und der Staatsminister, der seine Dummheit oft zu kompensieren versuchte, indem er zwei schlechte Geschäfte abschloss, wo jeder Einfaltspinsel sich mit einem begnügte, hatte enthusiastisch einen Schriftwechsel eingeleitet und seinem Ministerium mitgeteilt, dass er ein paar Tage abwesend sein würde.

In einem Moment kompletter geistiger Umnachtung hatte ich mich bereit erklärt, ihn auf dieser Reise zu begleiten.

Nicht, weil ich mich sonderlich für alte Villen in Mälardalen interessiere. Aber es hat schon einen gewissen Reiz, zu sehen, was einem wohntechnisch erspart geblieben ist. Außerdem wollte ich bei der Gelegenheit meine Bekanntschaft mit Schloss Gripsholm und dem Theater von Gustaf III. auffrischen ...

Wir saßen wieder im Auto.

Das Mittagessen – gedünstete Felchen mit Senf-Ei-Sauce für mich und für den Staatsminister Wiener Schnitzel mit Pommes – war äußerst wohlschmeckend gewesen und Gustafs Turmtheater genauso entzückend, wie ich es in Erinnerung hatte. Welch ein Genuss, es ohne eine Schulklasse im Schlepptau zu besichtigen. Und ohne den Staatsminister, den ich mit seinem Hang zum Makaberen bereits im Schlossgefängnis abgehängt hatte.

»Ich kauf nur schnell die Tageszeitung!«, rief er und bremste vor einem Kiosk. »Wenn du schlau bist, steigst du auch aus und vertrittst dir die Beine!«

Aber ich zog es vor, angeschnallt im Wagen sitzen zu bleiben. Schlagzeilenplakate machen mich nämlich immer ganz nervös. Sie springen einen mit so geballter Wucht an. Und diese hier sahen besonders bedrohlich aus.

Der Grund war wohl, dass ich befürchtete, sie könnten vom Staatsminister handeln.

Es war noch nicht lange her, dass er dort gehangen hatte, in Lettern so groß wie Blutwurstscheiben. Eine unangenehme Geschichte, die eigentlich ganz idyllisch begonnen hatte. Der Staatsminister und seine Frau waren mit der Fähre nach Åland gefahren, um sich einen schönen Maitag lang, weitab von allen beruflichen und familiären Strapazen, zu erholen. Auf der Rückreise hatte der Staatsminister, der ein ausgeprägter Familienmensch ist, für jedes seiner sechzehn Kinder ein Kilo Fazers Geleekonfekt in einer dekorativen Holzschachtel gekauft. Dabei übersah er die kleinliche Zollbestimmung, dass jeder Reisende maximal ein Kilogramm Konfekt einführen darf. Der Zoll winkte seinen Wagen routinemäßig aus der Schlange, der Kofferraum wurde geöffnet, und die sechzehn kleinen Holzkisten kamen ans Tageslicht. Der Staatsminister beteuerte seine Unschuld – was er bekanntermaßen überzeugend zu tun versteht – und bezahlte die Zollgebühren.

Die Angelegenheit wäre damit normalerweise aus der Welt gewesen, hätte der Zollbeamte sich nicht – ob aus Pflichtgefühl oder Geltungsdrang, das ließ sich hinterher nicht mehr klären – an eine der einschlägigen Abendzeitungen gewandt und von seinem Fang berichtet. Der diensttuende Redakteur der Abteilung Menschenhatz rief umgehend den Staatsminister an, um Hintergrundinformation einzuholen. Und der Staatsminister, der ungern schweigt, erzählte ihm so dies und das von seinen und den Essgewohnheiten seiner Kinder. Der Journalist machte sich Notizen, bedankte sich und rief danach den Ministerpräsidenten an, der wiederum nicht so leicht zu erreichen war, da er an einem Kongress der Guttempler in Jönköping teilnahm. Er hatte einen ermüdenden Tag und eine noch viel ermüdendere Tagung hinter sich, mit endlosen Vorträgen über den Teufel Alkohol und das Elend der Welt. Ganz davon abgesehen war es ein Uhr nachts, als er in seinem Hotelzimmer vom Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen wurde. Er kriegte nur mit, dass der Expressen am Apparat war und es mal wieder um den Staatsminister ging. Während der Redakteur durch eine rauschende und knackende Leitung von den Holzkisten erzählte, kämpfte der Ministerpräsident sich Stück für Stück aus dem Schlaf empor, und als Stockholm verstummte, hatte er abgespeichert, dass der Staatsminister mit sechzehn Kisten finnischem Wodka, Koskenkorva oder so ähnlich, vom Zoll erwischt worden war.

»Das darf doch nicht wahr sein! Das darf doch, verdammt noch mal, nicht wahr sein!«, schrie er und war endgültig wach.

»Aber wenn ich’s doch sage«, erwiderte der Redakteur und wunderte sich ein wenig, weshalb der Kerl wegen dem bisschen Konfekt für die Kinder so einen Aufstand machte. »Ich habe eben erst mit ihm gesprochen und mir die Geschichte von ihm bestätigen lassen. Ist doch eine hübsche Anekdote.«

»Wie viel, sagten Sie?«

»Sechzehn Kisten.«

»Sechzehn Kisten? Sechzehn Kisten? Verkauft er ... Mein Gott, ist er etwa so zu Reichtum gekommen ...?«

»Er sagte, es wäre für die Kinder gewesen.«

»Für die Kinder?«

»Ja. Einmal pro Woche, am Samstag, gibt’s was für alle. Er hält es für sinnvoller, ihnen einmal eine ordentliche Ration zu geben, als ständig was zwischendurch. Auf diese Weise hat er auch viel besser im Blick, was sie zu sich nehmen. Bei ihren Freunden kriegen sie schon genug dubioses Zeug. Salzlakritzschlangen und Schaumratten, das kann doch nicht gesund sein. Er kauft nur Qualitätsware, sagt er. Selbst das Baby ist verrückt danach und fängt an zu schreien, wenn es nicht genauso viel wie die anderen bekommt. Und hinterher achtet er darauf, dass sich alle gründlich die Zähne putzen.«

»Die Zähne? Glaubt er, es nützt was, sich hinterher die Zähne zu putzen?«

»Er selbst leert auch eine Kiste pro Woche, behauptet er.«

»Eine Kiste pro Woche ... Aha, jetzt verstehe ich, wieso er sich so merkwürdig benimmt! Und alles, was er sagt ... Warum bin ich nicht viel eher darauf gekommen ...«

»Werden Sie Maßnahmen ergreifen, Herr Ministerpräsident?«

»Selbstverständlich! Er muss natürlich zurücktreten! Nicht einen Tag länger ... Sechzehn Kisten ... Selbst das Baby ... Eine Kiste pro Woche ...«

»Herr Ministerpräsident, halten Sie diese Reaktion nicht für etwas zu drastisch? Meinen Sie nicht, das könnte von den Wählern möglicherweise ...?«

»Es ist mir scheißegal, wie das aufgefasst wird! Nach so einem Skandal kann er doch unmöglich weiter in der Regierung bleiben. Der Kerl ist ja kriminell, der gehört doch hinter Gitter ... Sechzehn Kisten ... Lieber eine ordentliche Ration pro Woche ... Zähne putzen ... Koskenkorva ...«

Am nächsten Tag walzte der Expressen mit fetten gewichtigen Schlagzeilen, die sich durch ihr eigenes Gewicht vom Papier zu lösen schienen, die gesamte Konkurrenz platt:

Der ministerpräsident:

Staatsminister

Wegen geleekonfekt

Seiner kinder

Im gefängnis!

Der Staatsminister reist aufs Land

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