Читать книгу Der Staatsminister reist aufs Land - Bo Balderson - Страница 6

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Um neun Uhr am nächsten Morgen betrat der Staatsminister mit einem Teetablett mein Zimmer und teilte mir mit, dass wir in einer Stunde mit Kommissar Wallman verabredet seien.

Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, was das bedeutete.

»Mord!«, rief ich und zerkrümelte den Frühstückskeks.

»Mord?!«, echote der Staatsminister enthusiastisch. »Wer wurde ermordet? Warum hast du mich nicht geweckt! Raus aus den Federn, wir müssen die Spuren sichern!«

Nach einem ausdauernden Hin und Her verwirrter Rufe in beide Richtungen stellte sich glücklicherweise heraus, dass keiner von uns eine Leiche vorzuweisen hatte. Das Missverständnis war aufgrund der flüchtigen Erwähnung Kommissar Wallmans durch den Staatsminister entstanden, der nicht, wie ich nachvollziehbarerweise geglaubt hatte, aktiver Polizist bei der Ausübung seines Amtes war, der uns wegen irgendwelcher Leichen oder Alibis zum Verhör vorgeladen hatte, sondern einer der zwei Hauseigentümer, der seine Villa an den Mann bringen wollte. Man vergisst leicht, dass auch Polizisten eine private, immobilienveräußernde Seite haben können.

»Wie bedauerlich«, sagte der Staatsminister. »So eine Leiche ist doch immer wieder erfrischend ... Wie bitte, du möchtest deinen Tee trinken, ohne über Leichen zu reden? Du willst ihn trinken, ohne überhaupt zu reden? Wie du willst. Dann sehen wir uns in einer halben Stunde draußen im Garten. Wir sind übrigens alleine, Johan Åkerblom ist zu irgendeiner Sitzung gefahren. Das Wetter ist schön, pack dich also nicht zu warm ein.«

Es war in der Tat ein traumhafter Tag, wie ich wenig später feststellte, als ich die Rasenfläche betrat. Die Sonne schien, ohne zu stechen, und es ging eine leichte Brise, die einen nicht frieren ließ. In einem Anflug von Poesie äußerte ich, dass man an einem Tag wie diesem das Band zwischen Seele und Natur spüre und wie sich der Geist in höhere Sphären aufschwinge.

Der Staatsminister erwiderte, an solchen Tagen bekäme er immer Lust, sein Auto zu waschen.

Wir hatten den Zufahrtsweg zur Villa des Präsidenten verlassen und befanden uns nun auf der breiteren, mit kleinen Steinen durchsetzten Landstraße, die links und rechts von dichtem und düsterem Tannenwald eingerahmt war. Aber am Wegrand wuchsen gelbe Osterglocken. Ich konnte nicht widerstehen, mir eine Blume ins Knopfloch zu stecken.

»Was ist dieser Kommissar Wallman, der sein Haus verkaufen will, für ein Typ?«, fragte ich und schwang meinen Stock schwungvoll wie in jungen Jahren.

»Ich weiß auch nicht mehr über ihn als du. In seinem Brief hat er nur über sein Haus geschrieben, nichts über sich selbst. Doch, dass ich niemandem erzählen sollte, dass er vorhat, das Anwesen zu verkaufen. Und dass ich seinen Brief mitbringen und mich irgendwie ausweisen soll. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass er ein äußerst misstrauischer und vorsichtiger Mensch ist. Ich wollte eigentlich Johan Åkerblom nach ihm fragen, aber der war heute Morgen leider schon ausgeflogen. Und gestern Abend, als wir die Zeitungen zerschnippelt haben, haben wir nur über Politik geredet. Na, wir werden Kommissar Wallman gleich ja persönlich kennenlernen. Wenn ich die Beschreibung aus dem Brief richtig im Kopf habe, müssen wir immer nur diesem Weg folgen. Das Grundstück ist von einer gelben Mauer umgeben.«

Zehn Minuten später waren wir am Ziel. Jedenfalls standen wir vor einem Eingangstor in einer ausgesprochen gelben Mauer, die dem neugierigen Auge nicht die kleinste Ritze bot.

»Abgeschlossen«, konstatierte der Staatsminister, nachdem er kräftig an dem Handgriff gerüttelt hatte. »Lass uns ein Stück an der Mauer entlanggehen und uns ein wenig umsehen.«

Die Mauer war über zwei Meter hoch und verlief fünfzig Meter in einer geraden Linie, ehe sie einen scharfen Knick vor einem Feld machte. In regelmäßigen Abständen leuchtete einem in signalroten Lettern »Warnung. Betreten der Mauer verboten!« entgegen. Der Staatsminister, der grundsätzlich drückt, wo »Ziehen« steht, und zieht, wo er drücken soll, bekam ein herausforderndes Blitzen in den Augen.

»Diese Mauer wurmt mich«, sagte er. »Ich will unbedingt einen Blick auf die andere Seite werfen. Wenn ich auf deine Schultern klettern würde ...«

»Nein«, sagte ich.

»Ich stemme dich auch gern mit der Räuberleiter hoch, dann kannst du ...«

»Nein, habe ich gesagt. Was willst du überhaupt da oben? Die Pappeln auf der anderen Seite verhindern sowieso jeden Einblick. Und in zehn Minuten kannst du gucken, so viel du willst, ohne einen Finger krumm machen zu müssen.«

»Gibt es hier denn gar nichts zum Draufklettern, einen Stein oder was auch immer?« Der Staatsminister ließ nicht locker. »Na, wer sagt’s denn, die Planke da drüben sieht doch ganz brauchbar aus!«

Ich wollte ihn darauf hinweisen, dass die betreffende Planke wesentlicher Bestandteil des Steges war, der über den Graben führte, aber da hatte der Mensch sie bereits losgerissen und gegen die Mauer gelehnt.

»Jetzt!«, rief er. »Ich laufe jetzt die Planke hoch und halte mich am oberen Mauerrand fest ... Siehst du, das läuft doch wie am Schnürchen!«

Wie am Schnürchen, vielleicht, aber wohl eher ein tödliches Stolperschnürchen. Der Staatsminister rannte auf die Mauer zu und die daran lehnende Planke hoch, griff nach der Mauerkrone, sprühte Funken wie eine Wunderkerze und fiel zu Boden.

Wo er reglos liegen blieb.

Mir war gleich klar, dass er mit etwas Elektrischem in Berührung gekommen sein musste, und ich wich schnell ein paar Schritte zurück. Womöglich stand er noch immer unter Strom.

Nach etwa einer Minute schlug er die Augen auf und fragte, was passiert sei. Ich erzählte es ihm, und er rappelte sich mühsam auf. Er blutete an der Hand, und ein Anzugärmel war aufgeschlitzt.

»Unglaublich«, murmelte er. »Kommissar Wallman hat Stacheldraht auf seiner Mauer. Starkstrom führenden Stacheldraht!«

Mir ging plötzlich auf, wie knapp ich dem Tod entronnen war. Wäre der Staatsminister auf meine Schultern gestiegen, wäre der Strom durch mich hindurchgeflossen. Eine solche Belastung hätte mein schwaches Herz nie im Leben ausgehalten. Der Staatsminister hingegen hat ein extrem starkes Herz.

»Was ist denn das? Hörst du das auch?«

Ich lauschte konzentriert und hörte ein hartnäckiges Signal, das vom Grundstück kam.

»Eine Alarmanlage!«, brüllte der Staatsminister. »Mauer, Stacheldraht, Starkstrom und Alarmanlage! Das Haus muss ich haben! Das scheint ja was ganz Exklusives zu sein. Komm, lass uns zurück zum Tor gehen, es ist schon nach zehn Uhr. Und wir wollen unseren Furcht erregenden Kommissar schließlich nicht warten lassen.«

Dieses Mal sahen wir den Klingelknopf neben dem Tor. Der Staatsminister drückte ihn.

Nach einer ganzen Weile waren hinter dem Tor Schritte im Kies zu hören.

»Stellen Sie sich so hin, dass ich Sie mir ansehen kann!«, bellte eine spitze Frauenstimme. In dem Tor war ein Spion eingelassen. Der Staatsminister brachte sich davor in Positur.

»Sind Sie der Herr aus Stockholm, der das Haus kaufen will?«

Der Staatsminister bejahte.

»Stecken Sie den Brief des Kommissars in den Briefschlitz. Damit wir sichergehen können, dass Sie tatsächlich derjenige sind, für den Sie sich ausgeben. Der Kommissar hat Ihnen geschrieben, dass Sie ihn mitbringen sollten. Und dann würde ich noch gern Ihren Ausweis sehen.«

Der Staatsminister kramte das Verlangte hervor und warf es in den Briefschlitz.

»Da ist noch jemand!«, rief die Frau hinter der Wehrmauer. »Ich hab ihn sehr wohl gesehen, auch wenn er versucht, sich zu verstecken. Der darf aber nicht mit rein!«

»Das ist doch nur Herr Persson«, rief der Staatsminister. »Er ist Immobilienexperte. Ich habe dem Kommissar geschrieben, dass ich ihn mitbringen würde.«

»War er das auf der Mauer? Zum Verrücktwerden, dieser Alarm. Er sieht ein bisschen mitgenommen aus, wenn Sie mich fragen. In seinem Alter sollte man nicht mehr auf Mauern rumklettern! Wie ein Schuljunge!«

Nach weiteren lauten Vorhaltungen in ähnlichem Stil und nachdem ich mich mit meinem Postbankausweis ausgewiesen hatte, drehte sich ein Schlüssel im Schloss, die Riegel schnalzten und das Tor öffnete sich.

Sie sah aus, wie sie sich anhörte, lang und knochig und ziemlich spitz. Sie streckte den Kopf vor, als würde sie Witterung aufnehmen.

»Frau Kommissarin, nehme ich an?«, sagte der Staatsminister und verbeugte sich.

»Unsinn. Was reden Sie denn da? Der Kommissar ist doch nicht verheiratet! Ich bin nur die Haushälterin. Elvira Elmgren. Fräulein Elvira Elmgren.«

Obgleich immer noch barsch in Ton und Haltung, war deutlich zu erkennen, dass die Frau sich durch die Vermutung des Staatsministers geschmeichelt fühlte.

»Und Sie wollen also das Haus kaufen?«, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf, nachdem sie das Tor hinter uns verriegelt hatte. »Haben Sie Kinder? ... Das ist gut, hier sollten Kinder sein, das Haus ist viel zu groß für einen einsamen Menschen. Aber wir sind nicht hier, um die Zeit zu verplaudern, Sie sind spät dran. Der Kommissar besteht auf Pünktlichkeit. Außerdem ist er ungehalten wegen der Mauerbesteigung. Im Haus ist der Alarm so laut, dass man den Verstand verlieren könnte. Wenn ich nur wüsste, wozu der Alarm gut sein soll, wo es hier doch überhaupt keine Wertsachen gibt. Jedenfalls nicht, soweit ich weiß. Und dann der Revolver, den er die ganze Zeit mit sich rumträgt und mit dem er drinnen wie draußen rumballert! Irgendwann passiert noch ein Unglück, so wahr ich hier stehe. Zum Glück kommt ihn ja kaum noch jemand besuchen. ›Wie will der Herr Kommissar das Haus verkaufen, wenn die Wände voller Einschusslöcher sind?‹, frage ich ihn immer wieder. ›Häng einfach ein Bild davor‹, sagt er dann. Aber die Bilder reichen nicht mehr aus, also hab ich angefangen, Wandbehänge zu weben. Nein, hier entlang bitte!«

Wir liefen Gartenwege entlang, die so mit Unkraut überzogen waren, dass man sie kaum von dem umgebenden Rasen unterscheiden konnte, und unter Bäumen hindurch, deren Kronen die Sonne und den Himmel beinahe gänzlich abschirmten.

»Es ist eine Schande, wie es hier aussieht. Aber ein einzelner Mensch kann sich unmöglich um das Haus und den Garten kümmern. Es ist alles so übermäßig groß. Und der Kommissar muss auch den lieben langen Tag beaufsichtigt werden. Nein, Pålle, sei still! Dass du aber auch jeden ausbellen musst, den du nicht kennst. Ja, natürlich, du langweilst dich. Du darfst nicht auf die andere Seite der Mauer, und hier kommt nie jemand vorbei. Wissen Sie, ich habe Pålle letzten Winter von meinem Bruder aus Stockholm bekommen. Er fand, ich hätte ein wenig Gesellschaft nötig. So ist brav, Platz, mach Platz!«

Aus dem hohen Gras war ein kleiner Pekinese hervorgeschossen und kläffte uns grell und hartnäckig an. Jetzt verzog er sich mit einem vorwurfsvollen Blick auf uns Eindringlinge in sein überwuchertes Revier zurück.

Wenige Schritte später standen wir vor dem Haus.

Der Staatsminister reist aufs Land

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