Читать книгу Der Staatsminister reist aufs Land - Bo Balderson - Страница 9
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ОглавлениеDaheim im Präsidentengut rüstete Johan Åkerblom zum Mittagessen. Er rannte hin und her, als wäre ein Feuer ausgebrochen, vermutlich auf der Jagd nach einem verschollenen Küchengerät. Im Vorbeilaufen rief er, dass er ein paar Nachbarn zum Essen eingeladen habe, was mir ein recht ehrgeiziges Unterfangen schien für einen Mann, der noch nicht mal seinen Pfannenwender unter Kontrolle hatte. (Meiner liegt in der zweiten Schublade von oben in der Küchenanrichte, im dritten Fach von rechts. Ich würde ihn im Schlaf finden, aber ich brate nachts nie was.)
Wir machten es uns im Wohnzimmer gemütlich. Die Zeitungen begannen bereits, das am Vorabend eingebüßte Terrain zurückzuerobern. Frische Exemplare krochen über den Tisch bis zum Sofa. Von dort breiteten sie sich auf einen angrenzenden Sessel aus. Ein aufgeschlagenes Exemplar vom Dalademokraten hatte den kompletten Klavierhocker okkupiert.
Nach einer Weile gesellte sich Präsident Åkerblom entspannt zu uns und teilte mit, dass das Gratin jetzt im Ofen stehe und keine unmittelbare Zuwendung mehr verlange. Auf dem Weg zum Sofa geriet er in die Fänge des Östgöta Correspondenten, riss sich los und versuchte, auszuweichen, was dazu führte, dass er sich um die eigene Achse drehte und kopfüber auf dem Sofa landete. Er fuhr sich nervös mit der Hand durch die Stirntolle, als der Staatsminister wissen wollte, welche Gäste erwartet würden.
»Ach, bloß das Pastorenehepaar, Hubert und Harriet Hallander. Wir sind uns heute Morgen bei der Geflügel- und Imkergenossenschaft über den Weg gelaufen, und da stellte sich raus, dass sie es vor dem Seniorenkränzchen kaum noch schaffen, was zu kochen; also habe ich ihnen angeboten, um zwölf Uhr was auf den Tisch zu bringen. Und dann kommt noch Doktor Körmendi. Er wohnt auch ganz in der Nähe. Wir laden uns hin und wieder gegenseitig zum Mittag- oder Abendessen ein. Na ja, meist lädt Elsa ihn ein, weil er es nicht so mit dem Kochen hat. Er ist ja unverheiratet und immer allein, der arme Kerl. Ich verstehe gar nicht, wie er es schafft, dass es bei ihm immer so sauber und ordentlich ist. Er ist Unterarzt am städtischen Krankenhaus und forscht nebenbei. Ungar, übrigens, kam sechsundfünfzig als Flüchtling hierher. Inzwischen ist er schwedischer Staatsbürger. Da kommt er ja! Jesses, das Gratin!«
Der Präsident entfleuchte in die Küche, und ich trat ans Fenster.
Wohl jeder von uns hat das eine oder andere vorurteilsgeprägte Bild von bestimmten Berufsgruppen. Der Lehrer zum Beispiel wird schnell zum humorlosen, nörgeligen, von Sodbrennen geplagten Pedanten, der in ausgebeulten Hosen zur Schule rennt. (Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand mich in dieser Beschreibung wiedererkennen würde. Ich habe meine Beinkleider immer sehr pfleglich behandelt und kann mich nicht erinnern, jemals gerannt zu sein.) Den Arzt wiederum stellen wir uns gern als würdige und erhabene Erscheinung vor, die im eleganten, leise schnurrenden Wagen zur Sprechstunde vorfährt. Unter dem weißen Kittel trägt er englisches Kammgarn. Rosiger Teint nach der morgendlichen Golfrunde, gepflegtes Haar, allenfalls ein soignierter Oberlippenbart mit silbrigen Einsprengseln. Mein Herzspezialist am Norr Märlarstrand sieht so aus.
Doktor Körmendi passte ganz und gar nicht in dieses Bild.
Er kam auf einem Fahrrad und trat nicht würdig, sondern schnell und hektisch in die Pedale, und er hing über dem Lenker, als ginge es darum, als Erster die Ziellinie zu erreichen. Die Haare kräuselten sich über den Ohren und im Nacken wie bei einem Popstar, und seine Haut war rotflammig, zumindest das wenige, was davon zu sehen war. Denn Doktor Körmendi hatte auch noch einen schwarzen, üppigen Bart, der von einem Ohr zum anderen wucherte, vom Kinn bis unter die Nase. Um seine Knie flatterte ein braungelber Regenmantel, und auf dem Gepäckträger klemmte etwas, das vermutlich seine Arzttasche war, aber einer gewöhnlichen Aufbewahrungsbox zum Verwechseln ähnlich sah.
Ich habe ja normalerweise keine Vorurteile, aber bei seinem Anblick wich ich instinktiv ein paar Schritte zurück.
Das Rad geriet auf dem Kies ins Schlingern, aber es gelang dem Doktor trotzdem, elegant abzusteigen. Als er mich am Fenster entdeckte, winkte er mir mit dieser leicht übertriebenen Herzlichkeit zu, wie Südländer sie unbekannten Menschen gegenüber häufig an den Tag legen.
Ich antwortete mit einer angedeuteten Verbeugung.
Doktor Körmendi kannte sich auf dem Gut offensichtlich bestens aus, denn nur wenige Augenblicke, nachdem ich ihn zur Haustür hatte eintreten sehen, befand er sich in unserer Mitte. Er hatte Mantel und Mütze abgelegt und trat nun in einem ausgeleierten Strickpullover auf. Ich stellte mich vor, ohne eine Erwiderung zu erwarten – das öffentliche Leben ist heutzutage so anonym, man kann schon froh sein, vom anderen überhaupt mehr als den Vornamen zu erfahren. Aber der Arzt stellte sich nicht nur mit Nachnamen und Titel vor, sondern sprach mich auch mit meinem an.
Doktor Körmendi sprach ausgezeichnet Schwedisch, mit einem nur ganz leichten Akzent. Die Augen lachten, und er hätte ohne Weiteres als gebürtiger Schwede durchgehen können. Aus der Nähe stellte ich fest, dass seine Haarpracht äußerst gepflegt war und in keiner Weise fettig, zottelig oder strähnig.
Ich spielte zufällig gerade mit meiner Pillendose, und Doktor Körmendi erkundigte sich interessiert, wie es um meine Gesundheit bestellt sei. Ich war mitten in meinen Ausführungen – ein Arzt hat ein Recht auf die korrekte und erschöpfende Beantwortung seiner Fragen –, als ich bedauerlicherweise von Präsident Åkerblom unterbrochen wurde, der mich am Ärmel zupfte, um mir Pastor Hallander und seine Frau vorzustellen.
Ich habe mich inzwischen ja schon daran gewöhnt, dass die Leute immer jünger werden. Aber es gibt Dinge, von denen ich nicht bereit bin, mich zu verabschieden: Pastoren haben alt zu sein, zumindest älter. Junge Pastoren hinterlassen einen blasphemischen, wenn nicht ketzerischen Eindruck bei mir. (Nicht dass ich schon vielen begegnet wäre. Den letzten habe ich im Pfadfinderlager eines meiner Neffen oder Nichten gesehen. Er trug Fußballschuhe, Shorts und ein schmutziges Sweatshirt, auf dem »Spielt mit Jesus« stand, und war von seinen Schützlingen einzig zu unterscheiden gewesen, weil sie ihn mit »Pfaffe« betitelten.)
Glatt rasiert, rotwangig und nass gekämmt, sah der Gemeindepfarrer Hubert Hallander extrem jung aus. In dem schwarzen Anzug und dem weißen Hemd hatte er etwas von einem Konfirmanden. Eine leichte Tendenz zur Dickleibigkeit gab jedoch Hoffnung auf eine zukünftige Zunahme seiner leiblichen Autorität. Seine Augen waren wässrigblau, der Handschlag weich und ein wenig feucht.
Seine Gattin, Harriet Hallander, war groß und schlank und auffallend elegant. Ich bin nicht sehr bewandert auf diesem Gebiet, aber ihr Kostüm – eine Kreation aus dünnem, glänzendem Stoff – sah nicht aus, als hätte sie es in Mellanstad erstanden oder in ihrem Pfarrhaus selbst genäht. Ihre Lippen und Nägel leuchteten grellrot wie die strassbesetzten Bügel ihrer Brille. Sie war eine geschmackvolle und gepflegte Erscheinung. Aber wie eine Pastorenfrau in der Provinz sah Frau Hallander definitiv nicht aus, und ich fragte mich im Stillen, ob sich wohl das eine oder andere Gemeindemitglied dadurch provoziert fühlte.
»Ich hoffe doch, Sie sind nicht hier bei uns krank geworden, Studienrat Persson?«
Pastor Hallander zeigte auf die Pillendose, die ich nach wie vor in der Hand hielt. Seine Miene zeigte ein sanftes Lächeln, das zu den meisten kirchlichen Gelegenheiten passt, selbst zu Beerdigungen (besonders alter Leute).
Seine Krankheiten einem Arzt zu beichten ist eine Sache; etwas ganz anderes ist es, sie einem Pastor zu beichten, dessen Behandlung erst im nächsten, etwas vagen Dasein Wirkung zeigt. Daher teilte ich ihm mit, dass ich mich bester Gesundheit erfreute.
»Mein Mann interessiert sich für Medizin. Eigentlich wollte er Arzt werden. Er hat sogar ein paar Semester Medizin studiert!«
Sie hatte eine wider Erwarten schrille Stimme, und ihr Lachen klang nervös.
»Das war, bevor ich meine Berufung fand«, sagte der Pastor, als Johan Åkerblom uns zum Gratin rief, das gar kein Gratin war, sondern sich als Soufflé entpuppte. Pastor Hallander sprach ein Tischgebet über der Form, was sicher nicht das schlechteste war, da es jede Stütze brauchen konnte.