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Das Pastorenehepaar war zu seinem Seniorenzirkel weitergewandert, und Doktor Körmendi hatte sein Rad bestiegen und war, eingehüllt in Regenmantel, Mütze und Bart, in Richtung Krankenhaus davongestrampelt. Wir Übriggebliebenen saßen beim Kaffee und plauderten über die Abwesenden.

Mir war gerade wieder eingefallen, wie Frau Hallander die Schilderung über die seelsorgerische Gemeindearbeit ihres Mannes mittendrin unterbrochen hatte, und fragte die anderen deswegen.

»Tja«, sagte Präsident Åkerblom und kratzte sich in der melierten Tolle. »Hubert liebt es, sich um seine Schafe zu kümmern. Das Problem ist nur, dass die Schafe davon gar nicht so angetan sind. Unser guter Pastor vertritt nämlich ein wenig ... was soll ich sagen ... freie Ansichten.«

»Freie Ansichten?«, platzte ich heraus. »Bei seinem Aussehen hätte ich schwören können, dass er fromm und kirchentreu ist! Aber bei diesen jungen Pastoren weiß man ja nie.«

»Na ja«, sagte Johan Åkerblom, nahm die goldumrahmte Brille ab und begann sie zu putzen. »Er predigt nicht unbedingt die Auflösung der Sitten und die allgemeine moralische Befreiung. Bei ihm geht es eher in die entgegengesetzte Richtung. Er glaubt zum Beispiel an die Hölle.«

»An die Hölle? Teufel aber auch!«, mischte der Staatsminister sich mit einer spontanen Stillosigkeit ein, die ihm so eigen ist.

»Und er versetzt die Konfirmanden mit drastischen Abbildungen vom Teufel in Angst und Schrecken. Ich habe sie selbst gesehen. Ziemlich gewagt, muss ich sagen. Ich bin, weiß Gott, kein Angsthase, aber danach habe ich die halbe Nacht wach gelegen und musste schließlich eine Schlaftablette nehmen. Die Eltern behalten ihre Kinder inzwischen zu Hause.«

»Die Gattin schien mir auch ein wenig mitgenommen«, sagte ich.

»Ja, und langweilen wird sie sich obendrein im Pfarrhaus. In Stockholm hat sie als Bibliothekarin gearbeitet, aber hier hat sie bis jetzt noch keine Stelle gefunden. Nicht mal ein Auto haben sie mehr. Aber sie malt Aquarelle.«

»Doktor Körmendi hat auch kein Auto«, bemerkte der Staatsminister.

»Nein, das musste er während der Ölkrise verkaufen. Inzwischen fährt er nur noch Rad. Eine halbe Stunde zum Krankenhaus und eine halbe Stunde zurück, das hält fit, sagt er. Aber in Wirklichkeit hapert es wohl eher am Geld. Das Haus ist mit Hypotheken belastet, und ein Großteil seines Gehaltes fließt in die Tilgung von Bankzinsen. Ich habe ihm unter die Arme gegriffen, so gut ich konnte. Es ist seine Forschung, die so gnadenlos viel Geld verschlingt. Die Forschungsmittel vom Land reichen nicht lange. Er spielt schon seit längerem mit dem Gedanken, nach Amerika auszuwandern, habe ich gehört, und wenn ihr mich fragt, sollte er lieber heute als morgen Nägel mit Köpfen machen. Finanziell würde er sich dort auf alle Fälle besserstehen ...«

Nachdem Johan Åkerblom zu irgendeiner Landtagsveranstaltung aufgebrochen war, schlug der Staatsminister vor, einen Spaziergang zu machen. Wir folgten der staubigen, friedlichen Landstraße und passierten die Abzweigung zum Wohnsitz der Damen Silfverlod. Ich ertappte mich dabei, wie ich in Gedanken Fräulein Silfverlod und Frau Hallander miteinander verglich. Mit den Augen der Allgemeinheit betrachtet, war die Pastorenfrau zweifellos die Hübschere, Augenfälligere. Ihre Kleidung war ausgewählter, ihr Geschmack raffinierter. Und sie war sicher zehn Jahre jünger. Aber wie viel weicher und fraulicher war Fräulein Silfverlod! Ich bin nicht verheiratet. Es hat sich nie ergeben. Aber natürlich träume ich oft von einer Frau an meiner Seite. Und meinen Träumen entsteigt sie als warmes, zuverlässiges und reifes Wesen, so wie ich Fräulein Silfverlod erlebt habe. Inzwischen bin ich alt und habe mich damit abgefunden, dass der Traum ein Traum bleiben wird. Aber, dachte ich mit einem Mal, als ich neben dem Staatsminister die staubige Landstraße entlanglief, musste das wirklich so sein? War es wirklich zu spät? Man hörte immer wieder von alten Menschen, die den Schritt wagten, die Zeit, die von ihrem Leben noch übrig war, mit einem anderen Menschen zu teilen. Nicht mehr alleine aufwachen zu müssen ... Der wichtigste Mensch für einen anderen zu sein ... Tage und Nächte des Glücks ...

»Ein Bagger! Zwei Tage mit dem Bagger und das Teufelswerk ist weg!«

Ich landete wieder auf der Erde. Wir hatten Kommissar Wallmans Anwesen erreicht. Der Staatsminister ließ den Blick an der gelben Mauer entlanggleiten. Einen Augenblick befürchtete ich einen neuerlichen Sprungversuch. Aber es ging um etwas anderes.

»Schau unauffällig nach links«, flüsterte er. »Da, wo die Mauer einen Knick macht, sitzt wer in der Tanne. Ganz oben, fast in der Spitze!«

Natürlich schaute ich nicht dorthin, weil man das in solchen Fällen nie tun sollte. Er könnte es womöglich als Ansporn auffassen.

»Unsinn«, sagte ich stattdessen ganz ruhig. »Wieso sollte da jemand im Baum hocken? Das ist bestimmt ein Vogelnest.«

»Er sitzt ganz still.« Der Staatsminister ließ sich nicht beirren. »Wie ein Indianer im Kräuterrausch. Vielleicht ist er ja tot?«, fügte er hinzu, nicht ohne Hoffnung in der Stimme.

»Wenn er tot ist, wäre er runtergefallen.«

»Vielleicht klemmt er ja fest. Oder wurde festgebunden.«

»Dann soll er halt den Mund aufmachen.«

»Knebel«, sagte der Staatsminister, langsam ungeduldig. »Wer so rücksichtslos ist, einen Menschen in der Spitze einer Fichte festzubinden, der ist auch in der Lage, ihm mit einem Knebel den Mund zu stopfen. Zuerst kommen die Vögel und machen sich über die Weichteile her. Um das Skelett kümmern sich die Ameisen. Alle Spuren getilgt. Eine Tragödie ist vollbracht. «

Um der unbehaglichen Unterhaltung ein Ende zu machen, schielte ich vorsichtig zum Waldrand. Für mein Alter sind meine Augen noch ausgezeichnet, obgleich ich eine Brille trage. Ich sah deutlich, dass der Stamm der Fichte an einer Stelle unnormal verdickt war und dass die Verdickung sich bewegte.

Das musste in jedem Fall genauer untersucht werden.

»Lass uns hingehen«, sagte ich.

Von unten sah man nur Äste.

»Hallo!«, rief ich nach oben. »Können wir Ihnen helfen?«

Keine Antwort.

»Halten Sie aus, wenn Sie noch am Leben sind!«, rief der Staatsminister und warf seine Jacke von sich. »Ich komme zu Ihnen hoch!«

Aber er brauchte nicht zu klettern.

Äste knackten, Zweige brachen, und etwas Großes, Grünes landete auf dem Boden zwischen uns und dem Stamm.

Es handelte sich um einen Mann, nicht mehr ganz jung, aber jünger. Er trug Sportschuhe und einen dunkelgrünen Trainingsanzug. Er hatte blonde, nach hinten gekämmte Haare, die sich am Scheitel ein wenig lichteten, und fast weiße Augenbrauen. Sein Teint war sandfarben, naturfarben, oder wie immer man es nennen wollte. Das Gesicht war unauffällig wie die verblichene Fotografie eines Durchschnittsschweden. In der Hand hielt er ein Fernglas.

»Tut mir leid, wenn wir Sie gestört haben«, sagte der Staatsminister. »Aber wir dachten, Sie stecken möglicherweise in der Klemme.«

Der Mann bürstete sich die Nadeln von den Kleidern. Er wirkte ein wenig verlegen. Beim Lächeln entblößte er sein Zahnfleisch.

»Ach, ich wollte sowieso grad runterkommen«, sagte er. Seine Stimme war hell. »Nach einer Viertelstunde wird es ungemütlich. Ich beobachte Vögel.«

Ich sagte nichts. Wenn ein erwachsener Mann in Fichtenspitzen sitzt, ist eine Erklärung so gut wie die andere.

Er erklärte weiter, dass er Nisse Nord heiße und eigentlich einen Waldlauf mache.

»Ich laufe jeden Tag zwei Runden. Auf halber Strecke lege ich eine Verschnaufpause ein und beobachte Vögel. So tue ich was für den Körper und die Seele. Begleiten Sie mich doch nach Hause und trinken Sie eine Tasse Tee mit mir! Ich wohne ganz in der Nähe.«

Ich pflege nicht, Fremden nach Hause zu folgen, nicht einmal, wenn sie mich mit Tee locken, aber der Staatsminister nahm die Einladung mit Freuden an. Ein Mann, der sich mit Vögeln seelisch verbunden fühlt, gefällt ihm sicher gut, dachte ich verärgert, als wir uns einen Weg zwischen aufdringlichen, spitzfingrigen Fichtenkrallen hindurch bahnten.

Das Haus war klein und rot, mehr Hütte als Haus, nicht zu vergleichen mit dem Gutshof des Präsidenten. Aber was an Raum fehlte, wurde durch Sauberkeit und Ordnung aufgewogen. Die Küche blinkte rostfrei, und das Zimmer hätte ein Museumszimmer sein können: Schwedische Sommerhütte, frühe Siebziger. Sprossenstühle, Flickenteppiche, Höganäs-Krüge – die komplette »neuarme« Einrichtung.

Nisse Nord, der während unserer Promenade hauptsächlich die Wunder der Natur gepriesen hatte, wurde über einer Tasse Tee schnell persönlicher. Es war gar nicht nötig, nachzuhaken, es kam ganz unaufgefordert, ein wenig schwallartig, wie aus einer Wasserpumpe.

»Ich habe die Hütte von einer Frau gemietet, die im Ausland arbeitet. Aber ich wohne erst seit ein paar Monaten hier. Ich bin Schriftsteller. Eigentlich arbeite ich bei einer Bank, in Stockholm. Aber ich habe mir ein halbes Jahr freigenommen, um in Ruhe schreiben zu können. Ich habe ein bisschen was auf der hohen Kante, und hier lebt es sich ja billig. Letztes Jahr habe ich sogar das eine oder andere publiziert, Sie haben es vielleicht gelesen?«

Das ist das Anstrengende bei den Schriftstellern. Sie erwarten immer, dass man sie kennt. Niemand verlangt von einem, dass man den ersten Scherben- oder Zementhaufen eines Architekten oder die schrille Debütsonate eines Komponisten kennt. Aber Schriftsteller muss man gelesen haben. Ich murmelte etwas Vages, das wie eine Bestätigung aufgefasst werden konnte.

Nisse Nords Gesicht hellte sich auf, und das hellrosa Zahnfleisch glänzte über der gelblichen Zahnreihe, und ich dachte, dass ich ihn fälschlicherweise als farblos bezeichnet hatte.

»Ach, bestimmt das Prosagedicht in Smålands Folkblad! Oder die Novelette im Såningsmannen. Inzwischen hat die Zeitung einen anderen Namen.«

Ich sagte, dass es wohl das Prosagedicht gewesen sei.

»Ich bin nach wie vor unentschlossen, ob Prosa oder Poesie meine wahre Ausdrucksform ist. Ich bin noch auf der Suche, befinde mich noch in der Phase der Skizzen und Entwürfe.«

Ich fragte ihn, ob er denn auch die gewünschte Ruhe zum Arbeiten gefunden habe.

Nisse Nord stand auf und wanderte über die Flickenteppiche.

»Als ich hierherkam, habe ich mir vorgestellt, ich würde mit der Sonne aufstehen und den ganzen Tag schreiben. Aber so funktioniert das nicht. Da ist zum Beispiel die Hausarbeit. Die nimmt entsetzlich viel Zeit in Anspruch. Man kann doch nicht schreiben, wenn um einen herum alles im Dreck versinkt. Also mache ich mich gleich morgens als Erstes ans Putzen. Damit vergeht der größte Teil des Vormittags. Und einmal in der Woche ist Großreinemachen. Wischen, Teppiche ausklopfen, Fenster putzen – das ganze Programm. Welchen Tag haben wir heute? Dann ist es morgen wieder so weit. Verflixt, da geht dann wieder der ganze Tag drauf! Aber es lässt sich nicht ändern, der Boden sieht schon wieder völlig verschmutzt aus.«

Er sank mit einem zufriedenen Seufzer auf das Sofa.

Ich sah mir den Boden an. Man hätte davon essen können.

»Meine Verlobte wirft mir vor, ich wäre ein Pedant geworden, seit ich hier wohne. Aber wenn man eine Hütte mietet, muss man doch pfleglich damit umgehen. Genauso der Garten. Früher hatte ich nichts für Gartenarbeit übrig, aber inzwischen arbeite ich nach dem Mittagessen mindestens eine Stunde. Wenn nicht gerade Großreinemachen dran ist. Man hat schließlich eine gewisse Verantwortung, dass nicht alles zuwuchert. Und dann ist da noch mein Lauftraining. Man kann nicht intellektuell arbeiten, wenn man den Körper nicht in Form hält. Ich jogge und mache Krafttraining.«

Der Staatsminister wollte wissen, wann er schreibe.

Der Schriftsteller kam auf die Beine.

»Meine beste Schreibzeit ist genau genommen jetzt, wenn ich vom Joggen zurück bin und eine Tasse Tee getrunken und eventuell ein kleines Nickerchen gemacht habe. Nein, Sie stören überhaupt nicht! Im Gegenteil, ich freue mich über jeden Besuch. Das Schlimmste, was ein Schriftsteller tun kann, ist, sich abzukapseln. Schließlich will er doch das Leben und die Menschen beschreiben. Jetzt würde es sich sowieso nicht mehr lohnen, vor dem Abendessen mit dem Schreiben anzufangen.«

Er setzte sich wieder und schien ein wenig zur Ruhe zu kommen.

Ich sagte, dass die Abende in der einsam gelegenen Hütte doch sicher wunderbar für kreative Arbeit geeignet wären.

»Ja, natürlich«, sagte Herr Nord und nahm seine Wanderung wieder auf. »Aber man muss achtgeben, nicht zu sehr an seinem Schreibtisch zu kleben. Die Natur spielt eine wichtige Rolle in meinen Gedichten. Deswegen bin ich viel im Freien unterwegs, mit offenen Sinnen. Ich ziehe in Erwägung, eine breite, epische Schilderung über das Leben auf dem Land zu schreiben. Bisher kannte ich ja leider nur die Großstadt. Obwohl, wir haben mal eine Klassenfahrt nach Gotland gemacht ...«

Er begleitete uns vor die Tür, als wir Anstalten machten, aufzubrechen. Die Rasenfläche sah aus wie ein Golfrasen, und in den Beeten fand sich nicht das kleinste unbefugte Hälmlein.

»Meine Güte, das Unkraut wuchert schon wieder!«, rief er begeistert. »Und finden Sie nicht auch, dass der Rasen dringend gemäht werden müsste! Und die Büsche müssen gegossen werden, bevor es zu regnen anfängt!«

Wir waren noch nicht weit gekommen, als hinter uns bereits freudig der Rasenmäher knatterte.

Der Staatsminister reist aufs Land

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