Читать книгу Hexenjunge - Bo R. Holmberg - Страница 7
ОглавлениеDie Kinder saßen auf Stühlen entlang der Wände. Andächtig, still saßen sie da. Es war dämmrig, nur im Fenstersturz stand eine brennende Kerze. Die Fenster waren mit Decken verhängt, die das Abendlicht aussperrten. Die Gesichter der Kinder schimmerten schwach in dem kleinen Lichtschein.
Mitten im Zimmer stand Johan. Sein Bruder saß an der Wand. Es wurde über sie gemunkelt, dass sie Engel herbeirufen konnten, dass sie mehr sahen als andere Menschen und Hexen von anständigen Frauen unterscheiden konnten. Von der Küste war die Kunde zu ihnen heraufgedrungen, der Ältere habe Frauen erkannt, die zum Blauen Hügel reisten, und nun waren vielleicht sie, die hier oben wohnten, an der Reihe. Der Junge bezeichnete jene, die zum Bösen gehörten, die auf ihrer Stirn das eingebrannte Zeichen des Teufels trugen. Jetzt war er hier. Beim Pfarrer hatten er und sein Bruder Unterschlupf gefunden.
Er war barfuß und seine Hose endete kurz unterhalb der Knie. Das Hemd hing darüber. Er stand mit geschlossenen Augen da, zwischen den Augenbrauen war eine Falte zu ahnen. Die Kinder bewegten sich nicht, nicht einmal die ganz kleinen, die kaum mehr als fünf Jahre alt waren. Die meisten waren vielleicht zehn; es waren Mädchen und Jungen da. Einige Jungen waren im selben Alter wie der Hexenjunge.
Sie befanden sich nicht in der Kirche, der Kirche mit ihren beiden Türmen nah am Fluss. Diese Kammer war in einem niedrigen Haus hoch oben am Hang, von wo aus man über den Fluss und auf die andere Seite hätte schauen können, wenn die Fenster nicht mit Decken verhängt gewesen wären.
Johan öffnete die Augen.
»Seht ihr sie?«, sagte er. »Spürt ihr sie? Sie sind jetzt hier im Zimmer. Weiß gekleidet sind sie, sie schweben durchs Zimmer. Streckt die Hände aus und berührt sie. Spürt ihr sie?«
Die Kinder gehorchten ihm. Alle streckten ihre Hände aus, um die Engel im Zimmer zu berühren.
»Jetzt wirbeln sie herum. Hört ihr sie? Könnt ihr sie hören?«
Zwei der älteren Jungen erhoben sich.
»Ja, ich höre sie«, sagte der eine. »Sie rufen nach uns.«
»Die Stimme ist wie Samt«, sagte Johan. »Nicht wie die Stimme des Bösen. Ruhige Stimmen haben sie, hört ihr sie?«
»Wir hören sie, wir sehen sie.«
»Es ist nur einer.«
»Nein, es sind zwei. Wir sehen sie.«
Die Kinder murmelten, sie waren aufgestanden, sie standen im Kreis um Johan. Er hielt seine Hände ausgestreckt.
»Ja, sie sind hier. Sie sprechen zu uns.«
Von der Tür kam ein schwacher Luftzug und Johan drehte sich um. In der Türöffnung stand der Pfarrer. Neugierig schaute er herein. Er richtete seinen Kragen.
»Setzt euch«, sagte Johan zu den Kindern. »Setzt euch.«
Er ging auf den Pfarrer zu. »Sie haben sie erschreckt. Der Engel hat Angst bekommen und ist gegangen. Erwachsene können ihn nicht sehen. Nur Kinder haben die Fähigkeit und ich verschaffe ihnen die Möglichkeit dazu.«
»Entschuldige«, sagte der Pfarrer. »Ich war so neugierig. Ich wollte auch so gern einmal einen Engel sehen. Aber ich hätte wissen müssen, dass es für einen Mann in meinem Alter nicht mehr möglich ist.«
Er betrachtete Johan mit Wohlwollen. Plötzlich bewegte sich der Junge und fiel auf die Knie. Er berührte den Fußboden mit seiner Stirn und murmelte unverständliche Worte. Respektvoll zog sich der Pfarrer zurück.
Dann erhob sich Johan wieder. Er musterte den Pfarrer, starrte ihn eindringlich an.
»Seien Sie gut zu den Engeln«, sagte er.
»Das bin ich«, sagte Herr Peder. »Das ist in diesen bösen Zeiten nötig, da sich so viele vom Teufel verführen lassen.«
Der Junge riss die Decken von den Fenstern. Das Licht floss ins Zimmer und die Kinder regten sich. Es war, als wären sie aus einem Schlummer geweckt worden.
»Morgen kommst du also in die Kirche«, sagte der Pfarrer zu Johan. Er steckte ihm eine Münze in die Hand.
»Morgen«, antwortete Johan. Er wandte sich an seinen Bruder. »Oder?«
Olof nickte stumm.
Das Gesicht des Pfarrers war ausgehöhlt, er wirkte mager und erschöpft, als würde er des Nachts vom Alb geritten.
»Wir müssen Herr über den Bösen werden«, sagte er. »Dazu brauchen wir euch, die ihr die Gabe habt, das Stigma diaboli zu sehen.«
Johan sah einen Augenblick unschlüssig aus, als hätten ihn die Worte des Pfarrers unangenehm berührt, aber dann reckte er sich wieder. Er kratzte sich an einem Bein. Seine Füße waren schwarz vor Schmutz.
»Geh in Frieden«, sagte der Pfarrer und nahm seine Hand.
Das war wie ein Zeichen für die Kinder. Sie erhoben sich und gingen zur Tür hinaus.