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DAS HEXENHAUS

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Sie hatten ihre Pferde in einem verborgen liegenden Hain zurückgelassen. Jetzt beobachteten sie versteckt hinter dichtem Gebüsch das Haus, in dem sich die Hexe aufhielt. Sie hatten sie hineingehen sehen.

„Und was machen wir nun?“, fragte Osiac.

„Wir müssen sie überlisten, denn ihre magischen Kräfte dürften schwer zu überwinden sein“, erwiderte seine Schwester nachdenklich.

Wir haben Besuch“, wisperte Daninas Gedankenstimme. „Vielleicht kann Kassandra uns helfen.“

„Wer ist Kassandra?“

„Bitte, was?“, fragte Osiac befremdet, denn seine Schwester hatte der Pantherin laut geantwortet.

„Danina sagt … He, lass meine Hose los!“, unterbrach sie sich. Vergeblich versuchte sie die grau-schwarz gemusterte Katze von ihrem Bein wegzuscheuchen.

Lass Kassandra in Ruhe“, zischte Danina. „Sie ist nicht das, was du siehst.“

„Nicht? Und was, bitte schön, ist sie dann?“

Tsssst! Sie ist natürlich verzaubert, was sonst? Die Hexe hat sie und ihre Schwester verwandelt, weil sie das Haus haben wollte. Aber da ist noch etwas. Dort, wohin die Hexe Kassandras Schwester gebracht hat, geht es nicht mit rechten Dingen zu. Wir sollten uns die Höhle vielleicht besser mal ansehen, was meinst du? Aber sprich laut, damit die anderen es auch verstehen“, empfahl Danina.

„Also, das muss ich erst mal verarbeiten“, murmelte Samiras. Sie blickte nachdenklich auf die Katze hinunter, die ihre Hose endlich losgelassen hatte und zu ihr aufblickte. So etwas wie Hoffnung lag in den himmelblauen Augen.

„Was ist mit der Katze?“, fragten Ephlor und Osiac, die zusammen mit Tolkar näher gekommen waren.

Und Samiras erzählte es ihnen.

„Wenn Kassandra uns führt, sollten wir uns die Zeit nehmen und hingehen“, meinte Osiac. „Vielleicht können wir den Schwestern helfen. Und vielleicht finden wir dort etwas, dass uns im Kampf gegen die Schwarze Hexe hilft.“

Alle waren einverstanden, nur Kassandra anscheinend nicht, denn die lief zu Danina und wuselte aufgeregt vor ihr hin und her.

„Was will sie?“, fragte Samiras ungeduldig.

Sie sagt, wir sollen erst den Gefangenen befreien, sonst droht ihm ein schreckliches Ende. Er ist dort drüben in der Hütte. Sein Pferd ist in dem alten Stall.“

„Also gut“, sagte Samiras nach kurzem Überlegen. „Ich schlage vor, dass Danina und Ephlor sich zusammen mit Kassandra die Höhle ansehen, während Tolkar, Osiac und ich die Hexe herauslocken und unschädlich machen. Nachdem wir den Gefangenen befreit haben, folgen wir eurer Spur.“

Alle fanden den Vorschlag gut. „Nur, wie locken wir die Hexe heraus?“, fragte Osiac. Ja, wie?

In seiner direkten Art fand Tolkar die Lösung. „Ganz einfach“, brummte er. „Ich klopf an und schnapp sie mir, sobald sie die Tür öffnet. Und ich halte ihr den Mund zu, damit sie nicht zaubern kann.“

Und so machten sie es. Es klappte perfekt! Tolkar klopfte, und die Hexe öffnete. Mit der einen Hand packte der Troll sie, mit der anderen Hand hielt er ihr den Mund zu und trug sie die Treppe hinunter. Lestizia trat wie eine Furie um sich, doch das störte Tolkar nicht. Vor Samiras setzte er sie ab, den Mund hielt er ihr jedoch weiterhin zu.

„Ich vermute, dass du unsere Fragen nicht beantworten willst, oder?“, fragte Samiras. Die Hexe funkelte sie hasserfüllt an. „Also gut, ich versteh schon. Dann müssen wir es auf meine Art versuchen.“ Die Hexe sah sie jetzt doch etwas verunsichert an. „Keine Angst, es tut nicht weh. Schließlich sind wir nicht so mordlustig und brutal wie du“, sagte Samiras voller Abscheu, als sie an Noldikians schreckliches Ende dachte. Um jemanden so zuzurichten, musste man schon ziemlich verroht sein. Diese skrupellose Frau vor ihr hatte weder Erbarmen noch Rücksichtnahme verdient.

Sie schob die unerfreulichen Gedanken beiseite, konzentrierte sich und drang in die Gedanken der Schwarzen Hexe ein. Anfangs zuckte sie erschrocken zurück vor der Hinterhältigkeit und Ruchlosigkeit die den verkommenen Charakter dieser Frau bestimmten. Doch dann sammelte sie sich und suchte nach dem, was sie wissen wollte, wissen musste. Die Hexe konnte ihre Fragen beantworten und sie würde es tun, wenn auch unfreiwillig, hoffte Samiras. Doch ihre Erwartung wurde enttäuscht!

Zwar erfuhr sie, dass Lestizias Kette mit dem Anhänger, der ihr zusätzliche Macht verlieh, von einem Graugeier zu der Höhle gebracht worden war, zu der Danina und Ephlor gerade unterwegs waren. Aber nicht nur die Kette hatte der Geier gebracht.

In einer festen Umhüllung trug er einen walnussgroßen Gegenstand mit sich, in dem sich der Gesang befand, der den Perlmuttbaum bezaubert hatte. Nachdem der Baum eingeschlafen war, hatte sich der Gegenstand in Luft aufgelöst.

Außerdem erfuhr Samiras, dass die Hexe zusammen mit dem Anhänger den Auftrag erhalten hatte Noldikian zu töten. ER hatte in Form eines schemenhaften Abbilds seiner selbst mit ihr gesprochen.

Doch mehr vermochte sie nicht herauszufinden denn alles, was sie über den Dämon und seinen Aufenthaltsort wissen wollte, blieb hinter einer undurchdringlichen Wand in den Gedanken der Hexe verborgen. ER hatte gut vorgesorgt. Von der Schwarzen Hexe würde sie nicht mehr erfahren.

Samiras löste die geistige Verbindung und trat vor die Hexe. Mit einem Ruck riss sie ihr die Kette, die über dem Mieder hing, vom Hals. Und wie schon einmal zuvor vermeinte sie in der Ferne SEINEN Wutschrei zu vernehmen, und diesmal tat sie es nicht einfach als Einbildung ab. Sie war sich sicher, dass Noldikians und Lestizias Anhänger die Verbindung zu dem Dämon waren. Ihre Vermutung sollte sich sogleich bestätigen.

„Du kannst sie jetzt loslassen, Tolkar“, sagte Samiras. Und in diesem Moment wurde die Kette in ihrer Hand so glühend heiß, dass sie sie erschrocken fallen ließ und zurücksprang. Aber schon hatte die Hitze auf ihren Ring übergegriffen, den Karon ihr geschenkt hatte. Sie zog ihn hastig vom Finger und steckte ihn in die Tasche.

Als Tolkar einen Moment lang abgelenkt war, stürzte sich die Hexe wie eine Furie auf den Anhänger. Triumphierend hielt sie ihn hoch. Da schoss zischend eine Stichflamme daraus empor, griff auf die kreischende Hexe über und setzte sie sekundenschnell in Brand.

Tolkar, der ihr nachgegangen war, sprang erschrocken zurück und schlug hektisch die züngelnden Flammen an seinem Ärmel aus. Fassungslos starrten alle auf Lestizia, deren Kreischen verstummt und die zu einer hell lodernden Fackel geworden war. Nachdem das Höllenfeuer, denn ein solches musste es sein, alles verzehrt hatte, blieb nur ein kleines Aschehäufchen übrig, das eine plötzliche Windböe davontrug.

Schockiert sahen sich die Gefährten an. Was da eben passiert war zeigte mehr als deutlich die gewaltige Macht des Dämons, den sie ein zweites Mal überwinden mussten. Noch war es nicht so weit, doch der Tag würde kommen, an dem sie IHM gegenübertreten würden.

„Wir wollten doch den Gefangenen befreien“, brach Osiac das bestürzte Schweigen. „Jetzt dürfte das ja wohl kein Problem mehr sein.“

Samiras ging voran. An der baufälligen Hütte angekommen öffnete sie wachsam die Tür. Rowan, der dachte die Hexe sei zurückgekommen, riss erstaunt die Augen auf. „Wer bist du denn?“, stieß er verblüfft hervor.

„Das ist aber eine seltsame Begrüßung. Wir sind gekommen, um dich zu befreien“, sagte Osiac kopfschüttelnd.

„Seid bloß vorsichtig. Hier schleicht ´ne Schwarze Hexe rum“, warnte Rowan.

„Nicht mehr“, winkte Osiac grinsend ab.

„Mein Name ist Rowan“, sagte der Fremde, nachdem Samiras ihre Namen genannt hatte. „Wie seid ihr hierhergekommen?“ Rowan stand auf und massierte seine Handgelenke, nachdem Osiac die Fesseln durchgeschnitten hatte.

„Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Samiras. „Und du? Wie konnte dich die Hexe gefangen nehmen?“

„Das verdammte Weib hat mich überlistet. Aber das passiert mir bestimmt nicht wieder. Dabei wollte ich nur meine Vorräte ergänzen.“

„Das kannst du jetzt in Ruhe tun“, erwiderte Samiras. „Das Haus steht leer. Deine Sachen findest du dort bestimmt auch.“

„Hauptsache ich finde meinen Hengst Wotan“, sagte Rowan besorgt.

„Vielleicht ist er in dem alten Stall dort hinten.“ Sie traten nach draußen, wo Tolkar auf sie wartete, da er nicht in die niedrige Hütte gepasst hätte.

„Ein Troll! Zum Teufel, was geht hier vor?!“, keuchte Rowan und prallte erschrocken zurück. Er griff zu seinem Schwert. Doch da war nichts, keine Waffe, die hatte die Hexe.

„Stopp, Rowan! Das ist Tolkar, mein treuer Freund und Gefährte“, rief Samiras.

Tolkar war ruhig stehengeblieben. Jetzt sah er Samiras voller Zuneigung an. Stopp! Er ist mein treuer Freund und Gefährte, hatte sie gerufen. Es machte ihn glücklich. Er würde sein Leben für sie geben.

Rowan, der sich wieder beruhigt hatte, steckte zwei Finger zwischen die Lippen und pfiff. Der Klang wirbelnder Pferdehufe antwortete ihm. Freudig wiehernd stürmte der Hengst Wotan mit wehender Mähne auf seinen Herrn zu. Rowan streichelte liebevoll den muskulösen Hals des dunkelbraunen Hengstes, der seinen Kopf zutraulich auf seine Schulter legte.

„Na, mein Alter“, murmelte er glücklich. „Du hast aber auch ganz schön abgenommen. Da müssen wir uns wohl gemeinsam wieder aufpäppeln.“ Als hätte er es verstanden, pustete ihm der Hengst freudig ins Ohr.

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Samiras, die den Fremden auf Anhieb sympathisch fand.

„Ich hole meine Sachen und mache mich wieder auf den Weg“, erwiderte Rowan. „Dieses Hexenweib hat mich schon lange genug aufgehalten. Ich bin euch sehr dankbar. Durch ihren Tod, von dem du mir erzähltest, waren zwar die magischen Fesseln gefallen, aber die Lederriemen allein hätten schon genügt. Mein Wotan und ich wären wahrscheinlich verhungert und verdurstet. Ihr habt was gut bei mir. Vielleicht findet sich ja die Gelegenheit mich zu revanchieren.“

Rowan sah Samiras nachdenklich an. Wie schön und grazil sie ist, dachte er. Die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Der Bruder sieht aber auch sehr gut aus. Na ja, kein Wunder, wo sie doch Zwillinge sind. Aber eine seltsame Gruppe ist es schon. Was sie wohl vorhaben? Und was wollten sie von der Hexe, die plötzlich in Flammen aufgegangen ist? Seltsam! Äußerst seltsam! Ach, was soll´s. Schließlich geht es mich ja nichts an.“

„Wir müssen weiter“, sagte Samiras in seine Gedanken hinein. „Alles Gute, Rowan. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“ Sie gab ihm die Hand und nachdem Osiac sich ebenfalls verabschiedet hatte, ging sie mit ihm und Tolkar davon.

Rowan fand in dem Stall Wotans Sattel, Zaumzeug und was noch dazugehörte. Nachdem er den Hengst mit Wasser und Futter versorgt hatte, sattelte er ihn und führte ihn vor das Haus. Dort schlang er die Zügel um einen Pfosten.

Im Haus fand er in einer Ecke seine Habseligkeiten. Nachdem er sich wie gewohnt ausgestattet hatte, sah das Leben schon wieder weitaus angenehmer aus. Er füllte noch seine Vorräte auf, hinterließ dafür ein paar Münzen auf dem Tisch – schließlich war er kein Dieb – und schwang sich auf sein Pferd. Jetzt hatte er es eilig, denn es lag noch eine lange Suche vor ihm.

Der Kristall

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