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NOLDIKIANS SCHMACH

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An diesem herrlichen Sommertag brachen erneut die Schatten der Vergangenheit über Samiras herein. Doch noch ahnte sie nichts davon. Noch war sie glücklich. Sie lächelte, als sie Tolkar beobachtete, der mit einem riesigen Hammer bewaffnet auf seinem Dach hockte.

Das Haus war schon lange fertig. Der Troll hatte dank seiner gewaltigen Kräfte nicht lange dafür gebraucht. Es war ein schlichtes Holzhaus geworden, aber so massiv, dass es jedem Wetter, selbst dem allerschlimmsten, trotzte.

Fast zwei Jahre waren seit ihrem Abenteuer in der Wüste und in der fürchterlichen Stadt Zophtarr vergangen. Zwei Jahre, in denen sie den Zwerg Hetzel und den Elfenkönig Ephlor nicht gesehen hatte. Sie sehnte sich nach ihnen, dachte in letzter Zeit so häufig an sie, als gäbe ihr jemand diese Sehnsucht ein. Konnte das sein? Doch wer sollte das tun? Und warum?

Und dann diese in ihre Träume verpackten Warnungen, dass etwas Schreckliches geschehen würde. Zwar kamen sie unregelmäßig, doch in letzter Zeit immer öfter. Doch wer schickte sie? Und was für eine Gefahr drohte ihr? Mit wem sollte, konnte sie darüber sprechen? Würde nicht jeder sagen es sind nur Träume, vielleicht auch unterschwellige Ängste aus der Vergangenheit?

Was sollte sie tun? Sie wusste es nicht. Also schüttelte sie die fruchtlosen Überlegungen wieder einmal ab. Und doch nahm sie die Warnungen nicht auf die leichte Schulter. Vielleicht würden sie irgendwann deutlicher, so hoffte sie.

Tolkar winkte ihr zu und Samiras winkte zurück. Sie scheuchte ihre seltsamen Gedanken davon. Letztendlich hat sich doch noch alles zum Guten gewendet, dachte sie. Sie fühlte sich in Preleida bei ihrem Volk wohl, wäre sogar glücklich gewesen, würde Karons schreckliches Ende nicht noch immer an ihr nagen.

So nahe waren sie ihrem Glück gewesen. Doch der Moglack hatte es zerstört! Mit einem einzigen Schlag hatte das Ungeheuer alles zunichte gemacht.

Nur die Erinnerung und der Ring an ihrer Hand waren ihr von Karon geblieben. Hätten ihr nicht Danina und Mawi und natürlich Tolkar in dieser schweren Zeit beigestanden, sie hätte nicht gewusst, wie sie aus dem tiefen Graben der Trauer hätte herauskommen sollen.

Herausgezogen hatte sie letztendlich ihr Bruder Osiac, den sie innig liebte, und den König Askento zu seinem und seiner Gattin Ashras Leibgardisten ernannt hatte. Seitdem lebte er bei ihnen im Schloss, doch sie sahen sich häufig.

Ja, Osiac! Der nach seiner letzten Metamorphose zwar die Gabe des Formwandels verloren hatte, aber nicht allzu traurig darüber war. Er war so glücklich seine Gestalt zurückerhalten zu haben, dass er diese Gabe nicht vermisste.

Wären diese innere Unruhe und die schrecklichen Träume nicht, könnte ich zufrieden sein, dachte Samiras. Doch Nacht für Nacht träumte sie in letzter Zeit von IHM. Hörte SEINE letzten Worte, die ER in der Burg des Magiers Teufat zu ihr sagte, bevor sie IHN verbannte. Vernahm wieder und wieder SEINE Prophezeiung, die Weissagung des BÖSEN, die sie schweißgebadet aufwachen ließ:

Für heute hast du gewonnen. Doch das Böse lässt sich nicht auf ewig verbannen. Ich kehre stets wieder zurück, denn ich bin unsterblich, existiere schon so lange wie die Welt. Wir sehen uns wieder, Samiras. Und dann gewinne ICH! Ich habe Zeit, so unendlich viel Zeit. Du hast den Zaubersamen gefunden, jedoch den Perlmuttbaum noch nicht zu neuem Leben erweckt. Sollte es dir nicht gelingen, kehre ich aus der Verbannung zurück und vernichte dich und alles, was dir wichtig ist. Schaffst du es jedoch, dann sage ich dir:

Vereinige dich ruhig mit dem Perlmuttbaum und erwecke ihn zu neuem Leben. Schenke der Welt ein schöneres Kleid. Welch ein Vergnügen wird es dann erst für mich sein zurückzukehren und alles wieder zu zerstören. Und glaube mir! Ich werde es mit jeder Faser meines Seins genießen“! gellte ER und SEIN abscheuliches, boshaftes Gelächter verfolgte sie jede Nacht.

Aber der Perlmuttbaum lebte!

ER konnte nicht zurückkehren. Aber weshalb dann diese Albträume? Vielleicht eine Warnung vor der Zukunft? Bloß das nicht, dachte Samiras. Dem Perlmuttbaum darf nichts geschehen. Nicht um meinetwillen, aber meines Volkes und der anderen Völker wegen.

„Hallo, schöne Frau“, riss sie Noldikians unangenehme Stimme aus ihren Gedanken. Der bekannteste Magier und Heilkundige der Stadt ließ keine Gelegenheit aus, ihr nachzustellen. Auch jetzt eilte er mit wehendem Umhang auf sie zu.

Unaufgefordert setzte er sich neben sie auf die Bank, von der aus sie Tolkar zugesehen hatte. Bevor sie es verhindern konnte, legte er seine schlaffe weiße Hand auf ihre und schmachtete sie mit seinen hervorstehenden, farblosen Augen an.

„Hast du es dir überlegt?“, fragte er.

Sie hasste es, von ihm geduzt zu werden, konnte ihn jedoch nicht davon abbringen. Sie selbst vermied ihm gegenüber jegliche Vertraulichkeit.

Aber Noldikian war stur. Er nahm ihre abweisende Haltung einfach nicht zur Kenntnis. Er hielt sich für unwiderstehlich, obwohl er vom Alter her ihr Vater hätte sein können. Seit über einem Jahr stellte er ihr nach, obwohl sie keinen Zweifel daran ließ, dass eine Beziehung zwischen ihnen überhaupt nicht in Frage kam. Aber er blieb stur und schlich um ihr Haus.

Und dann hatte sie vor einigen Wochen kleine Stoff- und Holzpuppen sowie andere Fetische dicht beim Haus gefunden. Dinge, mit denen er anscheinend versuchte, sie seinen Wünschen gefügig zu machen und ihren Widerstand zu brechen. Aber entweder war sie gegen derartige Praktiken immun oder seine magischen Fähigkeiten waren weitaus schwächer, als seine Bewunderer glaubten.

Samiras sah zu Tolkar hinüber, der gerade seinen Hammer aus der Hand gelegt hatte, um vom Dach herunterzusteigen. Er wusste, dass sie den Zauberer nicht ausstehen konnte.

„Ich habe weder jetzt, noch in Zukunft die Absicht mich zu binden“, erwiderte sie kühl. „Aber das habe ich mittlerweile ja wohl schon einige hundert Mal gesagt, nicht wahr?“

„Aber, aber meine Liebe. Es ist für eine schöne junge Frau nicht gut allein zu bleiben. Das ist wider die Natur. Frauen sollten ein Heim und Kinder haben.“

„Ich habe ein Heim.“

„Aber keinen Mann, meine Gute. Ich kann dir in jeder Hinsicht eine Menge bieten, Samiras. Und ich kann dich beschützen.“

„Ich kann sehr gut auf mich alleine aufpassen. Außerdem kann mich niemand so gut beschützen wie Danina und Tolkar.“

„Eine Bes … äh, Pantherin und ein Troll. Ich bitte dich, meine Liebe. Das kann doch nicht dein Ernst sein.“

Am liebsten hätte sie dem arroganten Kerl eine reingehauen. „Ich lasse meine Freunde nicht beleidigen, noch dazu auf meinem Grund und Boden“, zischte Samiras wütend.

„Kein Grund sich aufzuregen“, grinste der Zauberer und legte frech den Arm um sie. „Wir werden ein sehr glückliches Paar“, versprach er grinsend und zog sie in seine Arme. Gierig suchten seine Lippen ihren Mund.

Vier Dinge passierten fast gleichzeitig. Samiras Hand zuckte hoch und landete klatschend auf seiner Wange. Tolkar packte ihn am Kragen und Danina schlug ihre Reißzähne in seinen Umhang und zerrte ihn von Samiras weg, während Mawi, das Mauswiesel, ihm kräftig in die Hand biss.

Als Noldikian vor Schmerz kreischte, löste Tolkar seinen Griff und der Zauberer fiel zu Boden. Danina schleifte ihn noch zum Gartentor. Hier ließ sie ihn los und ging zurück zu Samiras, die sie lachend an sich drückte.

Noldikian raffte seine Gewänder zusammen, stand auf und straffte seine hagere Gestalt. Kreidebleich vor Wut drehte er sich zu Samiras um.

„Das wirst du noch bereuen!“, schrie er mit drohend erhobener Faust. „Ich werde dich und diese Brut vom Angesicht der Erde tilgen, du Hexe. Und glaube nur nicht, dass der Perlmuttbaum dich schützen kann. Das kann er mit Sicherheit nicht!“ Mit einem unsagbar hämischen Lachen drehte er sich um und ging davon.

„Er ist gefährlich“, brummte Tolkar. „Von jetzt an lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.“

Ich auch nicht“, zischte Danina. „Der Troll hat recht. Irgendetwas Unerfreuliches kommt auf uns zu. Ich weiß bloß noch nicht was.“

„Du hast es auch gespürt?“

Natürlich! Was dachtest du denn?“

In dieser Nacht schlief der Perlmuttbaum so tief und so fest wie noch niemals zuvor. Weich wie flaumige Federn war die Stimme, die ihn sanft in den Schlaf wiegte. Und der Perlmuttbaum gab sich ihr vertrauensvoll hin. Er war in Preleida bei seinem Volk, das ihn über alles liebte. Nichts Böses konnte ihm hier geschehen, so dachte er.

Noldikian, der Magier, wischte grinsend seine Hände an einem Tuch ab und warf es ins Gebüsch. Dann raffte er seine Gewänder und eilte davon.

Der Kristall

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