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AUF DEM WEG NACH ARAKOW

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Am dritten Tag ihres Aufbruchs nach Arakow rasteten Samiras und ihre Gefährten nahe eines Sees, im Schutze eines Wäldchens aus Eichen und Birken. Jetzt waren sie nur noch zwei Tagesreisen von Arakow entfernt.

Danina schlug sich in die Büsche um die Gegend zu erkunden, während Samiras zu dem See schlenderte. Zwischen den reichlich am Uferrand wachsenden gelben Blumen ließ sie sich neben einer alten Eiche nieder, deren dicht belaubte Äste bis zur Wasseroberfläche reichten. Sie lehnte sich mit dem Rücken an den borkigen Stamm und schloss die Augen. Sie genoss die Ruhe, die nur vom Gezwitscher der Vögel unterbrochen wurde.

Sie dachte an Hetzel und hoffte, dass er bald zu ihnen stoßen würde. Nur woher sollte er wissen, dass sie nach Arakow unterwegs war? Ich hätte den Perlmuttbaum fragen sollen, dachte sie ärgerlich auf sich.

Was es wohl mit dem Stein des Lichts auf sich hat? Wie sieht er aus? Was bewirkt er? Und dann der Junge! Wie soll ich den Knaben Esmahel dazu bewegen mit mir zu kommen?

Über welche Gaben verfügt er? Was für ein Kind ist er? Fragen über Fragen und keine Antworten. Noch keine Antworten, verbesserte sie sich, denn schon sehr bald würde sie mehr wissen, das jedenfalls hoffte sie.

Sie schlug die Augen auf und blickte in das Laubwerk über sich. Schön und friedlich ist es hier, dachte sie gerade, als sie jählings starkes Unbehagen überfiel. Plötzlich fühlte sie sich beobachtet, spürte fremde Augen auf sich ruhen.

Aufmerksam ließ sie ihre Blicke über ihre Umgebung schweifen, vermochte jedoch nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Nur Einbildung? fragte sie sich.

Plötzlich bemerkte sie einen strengen Geruch nach verfaultem Fisch, der sie die Nase rümpfen ließ. Woher kam dieser plötzliche Gestank?!

Eine Berührung an ihrer Hand, die mit einer der Blumen am Seeufer spielte, ließ sie nach unten blicken.

Was war das? Große grünliche Augen über einer wie ein Schnabel gebogenen Nase starrten sie an. Eine fingertiefe Narbe zog sich von der Stirn bis zum Kinn schräg über das Gesicht. Die unbekannte Kreatur hatte die Größe eines kleinen Affen mit einem Schildkrötenpanzer auf dem Rücken. Das seltsame Wesen rührte sich nicht, starrte sie nur unverwandt an.

„Was bist du denn für einer?“, fragte Samiras freundlich. „Und was ist das für eine Vertiefung auf deinem Kopf?“ Sie wollte sich gerade zu ihm hinunterbeugen, als Aglajahs Stimme sie daran hinderte:

„Vorsicht, Samiras!“, warnte diese. „Das ist ein Kappa. Fass ihn um Himmels willen nicht an! Er sieht zwar harmlos aus, ist jedoch in Wirklichkeit ein ausgesprochen bösartiges kleines Tier.“

„Wieso das?“, fragte Samiras verwundert, die sich nicht vorstellen konnte, was ein so kleines Wesen gegen sie ausrichten könnte. Aufgrund ihrer Erfahrungen stand sie jedoch auf und trat vorsichtshalber einige Schritte zurück.

„Kappas sind mörderische Blutsauger mit übernatürlichen Kräften. Sie lauern am Rand des Wassers auf Menschen, die sie im passenden Moment ertränken und aussaugen“, erklärte die Weiße Hexe.

„Und woher wusstest du von ihm?“

„Ich spürte seine Bosheit und seine Absicht, dich ins Verderben zu reißen“, erwiderte Aglajah schlicht. „Aber er ist auch jetzt noch äußerst gefährlich und darf nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen werden.

Wir müssen ihn überlisten, denn er wird uns nicht einfach gehen lassen. Seine Kräfte sind um ein Vielfaches stärker, als du wahrscheinlich glaubst. Ich weiß wovon ich spreche, denn eine Freundin von mir wurde von einem Kappa getötet“, warnte Aglajah ernst.

Samiras starrte den Kappa an und dieser starrte zurück. Dabei verzog sich sein Gesicht zu einem hämischen Grinsen. Ich krieg dich, schien es zu bedeuten. Ich krieg euch BEIDE!

Aber wie? Wie konnte ihnen ein so kleines Geschöpf schaden? Vermochten seine Fähigkeiten sie am Weggehen zu hindern, sie vielleicht zu bannen? Noch machte der Kappa keine Anstalten sie anzugreifen. Aber das musste ja nichts heißen.

„Hier, nimm das. Schnell, bevor er sich entschließt anzugreifen“, drängte Aglajah.

Samiras nahm ihr die Gurke aus der Hand, die sie wer weiß woher hatte. „Und was soll ich damit?“, fragte sie verwundert.

„Es gibt zwei Möglichkeiten einen Kappa zu überlisten. Diese Gurke ist die zweite Möglichkeit. Nimm dein Messer und ritze deinen Namen und Alter in die Gurkenschale.

Kappas lieben nichts mehr als Gurken. Sobald er die Gurke verspeist hat, wird er sich an den Schenkenden erinnern und ihn verschonen. Aber beeile dich. Sobald du fertig bist, wirf die Gurke ins Wasser. Und danach nichts wie weg!“

Der Kappa, der die Gurke witterte, war nähergekommen. Seine breite Zunge leckte den Speichel von seinen wulstigen Lippen. Lange würde er bestimmt nicht mehr ruhig abwarten, das war gewiss.

Samiras ritzte hastig Namen und Alter in die Schale, holte aus und warf die Gurke weit auf den See hinaus. Der Kappa stürzte augenblicklich hinterher, während Samiras und Aglajah zurück zum Lager eilten.

Und Samiras war sich darüber im Klaren, dass sie Aglajah ihr Leben verdankte. Sie wäre dem Kappa wahrscheinlich ahnungslos in die Falle getappt. Die Weiße Hexe hatte wahrlich etwas bei ihr gut.

Im Lager wartete bereits ein leckerer Eintopf auf sie. Osiac, der mit Kochen dran gewesen war, wunderte sich, wo die Gurke abgeblieben war, die für den Eintopf gedacht war. Samiras erzählte ihm kichernd, dass diese bereits im Magen des Kappa verdaute. Doch Osiac fand es absolut nicht witzig als er erfuhr, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte.

Tolkar brummte, er würde sie keinen Moment mehr aus den Augen lassen. Und Ephlor schüttelte über so einen Leichtsinn nur den Kopf. Danina aber schien auf Samiras regelrecht böse zu sein. Dabei hatte diese ja nun wirklich nicht leichtsinnig gehandelt.

„Verdammt noch mal“, schimpfte Samiras, nachdem sie sich von allen Seiten Vorwürfe angehört hatte. „Ich kann doch nicht bei jedem Lebewesen, das mir begegnet wissen, ob es gefährlich ist oder nicht.“

„Nein, das kannst du sicherlich nicht, Samiras“, erwiderte der Elfenkönig im Einklang mit den anderen. „Aber du solltest vorsorglich zuerst einmal stets von einer Gefahr ausgehen. Du bist viel zu wichtig für unser Vorhaben, als das wir dich verlieren könnten. Wir können dich nur bitten, besser auf dich aufzupassen.“

Wenn ich schon mal nicht bei dir bin“, grummelte Danina. „Dich kann man ja keine Sekunde aus den Augen lassen!“

Jetzt wurde es Samiras, die sich keiner Schuld bewusst war, aber wirklich zu viel. Sie drehte sich um und setzte sich etwas abseits von den anderen.

Ohne sich von ihrem abweisenden Gesichtsausdruck beeindrucken zu lassen, setzte sich Aglajah neben sie. „Sie meinen es nicht böse“, sagte sie sanft. „Sie sorgen sich nur um dich, denn nur du vermagst den Perlmuttbaum zu retten und damit uns alle. Du trägst eine große Verantwortung, die dir jedoch leider niemand abnehmen kann.“

„Ich weiß“, erwiderte Samiras leise. „Aber ich würde niemals leichtsinnig handeln.“

„Das wissen die anderen doch auch. Aber in ihrer Sorge sind sie einfach übers Ziel hinausgeschossen. Bestimmt tut es ihnen jetzt schon leid“, sagte Aglajah sanft. Samiras lächelte. Aglajah hatte ja recht. Einzig die Sorge um sie und um ihr Vorhaben war der Auslöser gewesen.

„So“, sagte die Weiße Hexe gutmütig „und jetzt verrate ich dir die erste Möglichkeit einem Kappa zu entfliehen, solltest du noch einmal mit einem zusammentreffen. Das geht so, Samiras:

Begegnet dir ein Kappa, verneigst du dich höflich vor ihm, sobald du ihn siehst. Der Kappa erwidert die Verbeugung, denn er kann nicht anders, seine Natur befiehlt es ihm. Dabei fließt jedoch das Wasser aus seiner Kopfvertiefung. Daraufhin schrumpelt der Kappa und gleitet hilflos ins Wasser. Er ist jetzt so lange machtlos, bis er abtaucht und sich wieder Wasser in der Vertiefung angesammelt hat. Jetzt hast du genügend Zeit, um zu fliehen.“

„Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann könnte ein Kappa also an Land nicht überleben, oder?“

„Nein. Kappas leben stets an Flüssen, Seen, Teichen und Tümpeln.“

„Danke, Aglajah. Danke für alles“, sagte Samiras.

Die Weiße Hexe lächelte. „Keine Ursache“, erwiderte sie. „Ich werde dir stets helfen, wenn ich irgendwie kann.“ Einträchtig gingen sie zurück zu den anderen.

„Was ist? Wollt ihr hier übernachten?“, fragte Samiras forsch und ging zu ihrer Stute. „Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir noch eine schöne Strecke schaffen. „Hast du dich genügend ausgeruht?“, fragte sie Tolkar, der ein Stück entfernt stand und etwas unsicher auf seine Stiefel sah.

Samiras ging zu ihm und nahm seine Hand. „Ich bin dir nicht böse, Tolkar“, sagte sie weich. „Ich weiß, dass aus dir nur die Sorge um mich sprach. Glaube mir, dir werde ich niemals böse sein.“

Der Troll sah sie voller Zuneigung an. „Dann frage ich mal, ob ich helfen kann“, brummte er erleichtert. „Ach so. Ja, ich kann noch ´ne ganze Strecke laufen. Mach dir um mich keine Sorgen“, grummelte er gerührt und stapfte davon.

Wir lieben dich nun mal“, wisperte Danina und schmiegte sich an Samiras´ Bein.

Bis zum Abend ritten sie durch eine Landschaft, die sich allmählich veränderte. Herrschten anfangs weite Felder und Wiesen vor, wurde der Boden nach und nach hügeliger und steiniger. Bei Sonnenuntergang schlugen sie ihr Lager zur Nacht in einem kleinen Tal im bescheidenen Schutz einiger knorriger Bäume und dichter Sträucher auf. Nachdem sie gegessen hatten legten sie sich zur Ruhe. Schon früh am nächsten Morgen brachen sie wieder auf.

Der Kristall

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