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DER ROTE KRISTALL

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Beschwingten Schrittes eilte Samiras über die saftigen Wiesen zum Perlmuttbaum. Sie liebte diese allmorgendliche Begegnung und das Austauschen ihrer Gedanken.

„Geht es dir gut?“, fragte sie wie jeden Morgen, als sie sich an seinen silberglänzenden Stamm lehnte.

Ich habe so tief geschlafen, dass es mir schwer fällt, richtig wach zu werden. Ich fühle mich so matt. Diese wundervolle Stimme muss der Grund dafür sein“, wisperte der Baum.

Samiras Hand strich liebevoll über den glatten Stamm und blickte dabei über sich in das silberne Laub. Wie schön es ist, dachte sie. Zärtlich fuhr sie mit dem Finger über den Rand eines der filigranen Blätter. Dabei drehte es sich um.

„Mein Gott“, flüsterte Samiras und ließ es erschrocken fallen.

Was ist?“, fragte der Perlmuttbaum verwundert.

„Dein Laub! Einige deiner Blätter haben sich verfärbt.“

Viele?“

„Nein. Aber wie kann das sein?“

Ich weiß es nicht, Samiras. Ich weiß nur, dass ich noch niemals so tief schlief wie in der vergangenen Nacht.“

„Du sprachst von einer wundervollen Stimme. Was meintest du damit?“

Sie sang mich in den Schlaf. Es war wunderschön und weckte alte Erinnerungen in mir. Ich erwachte erst, als du kamst.“

„Dann hättest du nicht gemerkt, wenn sich dir des Nachts jemand genähert hätte“, überlegte Samiras laut. Kann es sein, dass irgendjemand dem Baum ein Leid zufügte? dachte sie. Aber ist das überhaupt möglich? Sie fragte ihn.

Allein das Böse könnte mir schaden und mir meine Lebenskraft rauben“, erwiderte der Baum. „Aber das weißt du doch. Ich sagte es dir damals, als wir uns vereinigten.“

„Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl“, sagte Samiras unruhig. „Ich sehe mich hier mal um. Mich beunruhigt dieser Gesang. Woher kam er? Wer hat gesungen?“ Sie ging langsam um den Baum herum.

UND DA SAH SIE ES!

Auf dem Boden lagen einige Hände voll zusammengerollter, vertrockneter Blätter.

Was beunruhigt dich, Samiras?“, fragte der Perlmuttbaum, dem sich ihre Gefühle und Ängste mitteilten, als wären es seine eigenen.

„Hier liegen noch mehr Blätter. Ich sehe mich mal bei den Büschen dort drüben um. Vielleicht finde ich eine Spur desjenigen, der gesungen hat.“

UND SIE WURDE FÜNDIG!

Mit spitzen Fingern zog sie ein mit Erde beschmiertes Tuch aus dem Gebüsch. Damit hat sich jemand die Hände abgewischt, nachdem er gegraben hat, vermutete sie. Nur wer würde hier, bei dem Perlmuttbaum, graben? Und warum? Nachdenklich kaute Samiras auf ihrer Unterlippe.

Sie ging zurück zu dem Baum, von dem ihre Lebensdauer abhängig war. Mit auf den Boden gerichteten Blick umkreiste sie ihn langsam. Alles war wie immer.

Doch Halt! Hier hatte jemand gegraben!

Sie bückte sich und strich mit der Hand über die Stelle. Der Boden war so lose, dass sie eine Handvoll davon nehmen konnte. Jetzt war ihre Neugier, aber auch ihre Sorge geweckt. Mit einem schmalen Stück Holz, das sie nicht weit entfernt fand, grub sie tiefer, fand jedoch nichts.

„Ich hole Tolkar. Wir brauchen einen Spaten. Wer weiß, wie tief wir graben müssen, falls hier etwas liegt, das nicht hierher gehört“, sagte Samiras und eilte davon.

Kurze Zeit später kam sie mit dem Troll und einem Spaten zurück.

„Sei aber vorsichtig, Tolkar, damit du nicht die Wurzeln verletzt“, warnte sie. Der Troll brummte etwas und machte sich an die Arbeit. Nachdem er etwa fünf Fuß tief gegraben hatte, winkte er Samiras heran.

„Was ist das?“, flüsterte sie. Verwundert starrten sie auf das rote Schimmern zu ihren Füßen.

„Es sieht wie ein roter Stein aus“, erwiderte Tolkar. „Soll ich ihn herausholen?“

Der Perlmuttbaum hatte den Vorgang in Samiras´ Gedanken, zu denen er dank seiner Magie Zugang hatte, mitverfolgt. Als er jetzt von dem roten Stein hörte, ahnte er Schreckliches, denn eine alte Erinnerung kehrte zurück. Man hatte ihn übertölpelt, hatte ihn getäuscht!

„Sollen wir den Stein entfernen?“, fragte Samiras in diesem Augenblick. „Vielleicht ist er Schuld an den abgefallenen Blättern.“

Das ist er mit Sicherheit“, erwiderte der Baum niedergeschlagen. „Aber ihr dürft den roten Kristall auf keinen Fall entfernen. Wahrscheinlich könntet ihr es gar nicht ohne euch und mir zu schaden. Er ist bereits fest mit mir verbunden.“

„Du weißt, was das ist?“, fragte Samiras verwundert.

Oh ja, das weiß ich nur zu gut. Ich kam schon einmal mit einem solchen Stein in Berührung. Doch das ist schon so viele Menschen-Lebensalter her. Ich hatte es schon fast vergessen. Doch die wunderbare Stimme zusammen mit dem Kristall können kein Zufall sein. Deshalb ist es mir wieder eingefallen.

Ja, Samiras. Es ist der rote Kristall. Er wurde von IHM geschickt, um mir die Lebenskraft zu rauben. Es kann nicht anders sein. Daher auch die toten Blätter. Und doch ist das erst der Beginn der Katastrophe“, erklärte der Perlmuttbaum traurig.

„Heißt das etwa, ER ist wieder zurück? Aber wieso? Ich habe IHN doch verbannt“, flüsterte Samiras entsetzt.

Das Böse ist sehr, sehr stark. Trotzdem, ER muss die Hilfe eines Schwarzen Magiers und zumindest einer Schwarzen Hexe gehabt haben. Aber da muss außerdem noch etwas sehr Starkes und sehr, sehr Böses mitgeholfen haben.“

„Und was kann das gewesen sein?“, fragte Samiras niedergeschlagen.

Ich weiß es nicht, Samiras. Ich kann dir nur sagen, was du zu meiner und damit auch deiner Rettung unternehmen kannst. Aber es wird nicht einfach sein, vielleicht sogar unmöglich. Du kannst es nur versuchen.“

„Ich verstehe es einfach nicht“, murmelte Samiras. „Ich habe doch alles getan. Ich habe den Zaubersamen gefunden. IHN in die Verbannung geschickt. Den Perlmuttbaum zu neuem Leben erweckt. Und schon jetzt, nach nur zwei Jahren beginnt alles wieder von vorn? Wieso hat mich die Zauberin Xzatra nicht über diese eventuelle Gefahr aufgeklärt? Und du hast auch nie etwas zu mir gesagt, mich nie gewarnt“, sagte Samiras vorwurfsvoll.

Es erschien mir wie auch sicherlich Xzatra einfach unmöglich, dass so etwas geschehen könnte. Ich kann mir auch jetzt nicht erklären, welche ungeheuer bösartige Kreatur dieses möglich machte. Denn nur ein Zauberer und eine Schwarze Hexe allein hätten den Dämon niemals befreien können. Und er wird mit jedem Tag stärker. Die Zeit drängt.“

„Was können wir tun, um IHN wieder dorthin zu schicken, wohin ER gehört? Denn in unserer Welt darf ER nicht bleiben“, fragte Samiras, die sich wieder beruhigt hatte.

„Ich helfe dir und wenn wir die Hölle besuchen müssen“, brummte Tolkar.

Und ich dir auch. Das ist doch keine Frage“, stimmte ihm Danina zu, die lautlos neben ihnen aufgetaucht war.

„Du hast es gehört“, sagte Samiras zu dem Perlmuttbaum. „Zwei, mit Mawi drei Gefährten habe ich schon. Doch um erneut den Dämon zu bezwingen, brauchen wir die Hilfe unserer früheren Gefährten. Doch sie ahnen nichts von der erneut auf uns zukommenden Gefahr. Und wir haben nicht die Zeit, zu ihnen zu reisen und sie um Hilfe zu bitten“, sagte Samiras niedergeschlagen.

Du unterschätzt meine Möglichkeiten und meine Macht“, erwiderte der Baum vorwurfsvoll. „Ich sorge dafür, dass der Elfenkönig Ephlor dir schon bald zu Hilfe kommt.“

„Und wie gelangt er hierher?“

Mit Xzatras Hilfe, als Spektralfarbe in einem Regenbogen. Diese Reiseart ist für ihn ja nichts Neues.“

„Und was ist mit Hetzel? Wird auch er uns begleiten?“

Ich kümmere mich darum, Samiras. Vertrau mir“, bat der Baum. „Doch verliert keine Zeit. Sobald Ephlor hier ist, müsst ihr euch umgehend auf den Weg machen. Hetzel kann erst zu euch stoßen, wenn seine Probleme behoben sind.“

„Was für Probleme?“, fragte Samiras besorgt.

Ich weiß es nicht. Ich spüre nur, dass er welche hat. Aber ich bin sicher, er wird sie meistern und wieder dein Gefährte sein.“

„Und wie geht es jetzt weiter?“, wollte Samiras wissen. „Denn bevor wir uns erneut in ein Abenteuer stürzen, muss ich mit König Askento und meinem Bruder sprechen, der uns wohl begleiten wird. Sie sollen wissen, wohin uns unsere Reise führt.“

Dann hör mir jetzt gut zu“, bat der Perlmuttbaum. „Dieser Kristall der von meiner Lebenskraft zehrt, ist ein Kristall aus den Gefilden des Bösen, in der Gegenwelt. Nur ein so mächtiger Dämon wie ER kann ihn hierher gebracht haben. Um ihn zu entfernen, und damit seine unheilvolle Macht aufzuheben, müsst ihr den „STEIN DES LICHTS“ finden.

Dieser ruht seit Äonen verborgen in „Tamaris.“ Allerdings liegt Tamaris wiederum in einem anderen Ort verborgen. Welcher Ort das ist, kann Esmahel nur von Warja, der weisen Frau der Nirliks erfahren. Aber selbst wenn ihr ihn findet, dürft ihr ihn auf keinen Fall berühren. Niemand darf das, außer Esmahel, denn er ist das KIND DES LICHTS.

Deshalb müsst ihr zuerst nach Arakow reiten, wo der Junge bei der Heilerin Arlena lebt. Nur Esmahel kann euch zum“ Stein des Lichts“ führen. Nur er vermag den Ort zu finden, an dem er seit Äonen ruht und den kein Sterblicher betreten darf. Dieses Wissen ruht im Unterbewusstsein des Knaben und wird sich ihm zu gegebener Zeit offenbaren.

Die Frucht, die du zweimal im Jahr von mir erhältst, ist jetzt reif. Sie wird es dir ermöglichen, zusammen mit Esmahel die „Schatten des Vergessen“ zu betreten, in dem der mich und natürlich auch dich rettende „Stein des Lichts“ wartet. Aber denke immer daran, Samiras: Alleine Esmahel darf den magischen Stein berühren.

Und noch etwas: Ihr müsst das Loch, das Tolkar gegraben hat, wieder zuschütten. Wenn ihr dann den Stein gefunden habt, kommt zu mir zurück. Sobald er auf den Boden über den roten Kristall gelegt wird, hebt er dessen unheilvolle Macht auf und der böse Kristall kann entfernt werden.“

„Aber was wird danach mit dem Dämon? Er muss zurück in die Verbannung, denn er könnte dir jederzeit wieder Schaden zufügen“, sagte Samiras bestimmt.

Wir müssen ihn loswerden. Doch diesmal wird es vielleicht ein wenig einfacher sein“.

„Meinst du?“, sagte Samiras skeptisch. „Und wieso?“

ER weiß zum Glück nicht, dass ich SEINEN wahren Namen kenne“, wisperte der Baum. „Alle Dämonen hüten ihren wahren Namen und vernichten jeden, der ihn kennt.

Und nun höre SEINEN wahren Namen und vergiss ihn nicht: CZUTHUL! So lautet des Dämons wahrer Name.“

„Und was ist daran so wichtig?“, fragte Samiras verwundert.

Dass er dir und deinen Gefährten das Leben retten kann, das ist so wichtig und für den Dämon so gefährlich, wenn ihn jemand kennt“, erwiderte der Baum. „Denn sobald du ihn laut aussprichst wird der Dämon STERBLICH und ihr könnt ihn vernichten!“

Samiras brauchte eine Weile um das zu verarbeiten. Dann jedoch ging ein Strahlen über ihr Gesicht. „Dann werden wir ihn für immer los!“, frohlockte sie.

Ja, aber zuerst einmal müsst ihr ihn bezwingen. Seine Macht ist außerordentlich, das solltet ihr niemals vergessen“, warnte der Baum. „Aber ich habe noch etwas für dich, das sehr hilfreich sein könnte“, fuhr der Baum fort. „Nimm ein Blatt von mir mit. Sobald du damit ein Lebewesen berührst, wird es dir zu Willen sein und jedem Befehl folgen. Außerdem kann es nicht anders, als dir stets die Wahrheit zu sagen. Allerdings gilt dies nicht für den Dämon.

Und nun geh und bereite alles vor. Und denke daran: Ich bin stets bei dir und stehe dir bei. Du musst erfolgreich sein, Samiras. Denn die Lebewesen dieser Welt brauchen uns. Doch nun geh, mein liebes Kind und kehre gesund wieder zurück. Ich werde dich vermissen.“

„Ich vermisse dich bereits jetzt“, flüsterte Samiras mit Tränen in den Augen. „Doch ich werde stark sein. Ich werde Esmahel und den „Stein des Lichts“ finden und dich retten.“

Der Kristall

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