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DIE ZAUBERIN XZATRA

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Als Samiras von ihrem eigenen Schrei erwachte, sah sie geradewegs in Daninas goldfarbene Augen, die besorgt auf ihr ruhten.

„Ich habe nur schlecht geträumt“, beruhigte sie die schwarze Pantherin. Aber war es wirklich nur ein Traum? Konnte es nicht ebenso gut ein Blick in die Zukunft gewesen sein? Immerhin hatte sie ja von Anfang an gewusst, auf was sie sich da einließ. Andererseits hatte die Entscheidung darüber nie wirklich in ihrer Hand gelegen.

Es ist deine Bestimmung den Zaubersamen zu finden und den Perlmuttbaum, die einzige Waffe gegen das immer weiter um sich greifende Verderben, zu neuem Leben zu erwecken, damit das Böse nicht noch mehr an Macht gewinnt und die Erde zu etwas verändert, auf dem Leben wie wir es kennen nicht mehr existieren kann. Die Zeit drängt, denn wo heute noch blühende Vielfalt herrscht, versinkt vielleicht schon morgen alles in stinkendem Morast“, hörte sie wie damals die Zauberin Xzatra sagen.

Und gerade eben hatte sie wieder von Teufat geträumt, dem Magier, der den Zaubersamen in seiner Burg in der Todeswüste versteckt hielt und nach Xzatras Beschreibung ein ebenso skrupelloses wie grausames Scheusal war, welches sie nun bereits seit drei Tagen in ihren Träumen heimsuchte. Kein Wunder, wenn ich da schreiend erwache, dachte sie.

Daninas feuchte Nase an ihrer Hand riss sie aus ihren Gedanken. Die schwarze Pantherin hatte sich lautlos genähert und sah sie auffordernd an. Und jetzt machte sich auch Mawi, ein drolliges Mauswiesel bemerkbar, welches sie vor zwei Tagen aus einer Felsspalte befreit hatte und das ihr seitdem nicht mehr von der Seite wich.

Auch jetzt hockte Mawi (den Namen hatte sie ihm gegeben) wieder vor ihr und sah sie mit seinen großen, blau-weiß gesprenkelten Augen treuherzig an. Plötzlich legte er seine winzige Pfote – in der sich eine scharfe, hochgiftige Kralle verbarg – sanft auf ihren Arm. Ein kleiner Kratzer nur, doch die Maus war innerhalb weniger Sekunden verendet. Sie war zufällig Zeuge dieses Vorfalls geworden, als sie nach ihrem neuen Gefährten gesucht hatte. Mawi fiepste auffordernd, was so viel wie streichle mich hieß. Als sie nicht reagierte, zog er die Oberlippe zurück und zeigte keck seine nadelspitzen Zähne.

„Nicht jetzt, Kleiner. Wenn wir noch rechtzeitig einen geeigneten Platz für die Nacht finden wollen, müssen wir uns sputen“, sagte Samiras und stand auf. Eilig packte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und setzte Mawi in eine der zahlreichen Taschen ihres laubgrünen Umhangs. Wenig später brachen sie auf.

Der Weg, den sie gewählt hatten, zog sich so schnurgerade wie eine Perlenkette dahin. In der Ferne versprach ein Meer von Baumwipfeln ein sicheres Nachtquartier, doch bis dahin war es noch ein eintöniger Fußmarsch von mindestens einer Stunde.

Samiras trottete hinter Danina hinterher und nahm ihre Gedanken von vorhin wieder auf. Doch sie dachte nicht an den Magier Teufat, den sie fürchtete. Nein, die erste Begegnung mit der Zauberin Xzatra, die ihr die Pantherin als Gefährtin geschickt hatte, fiel ihr ein und wie schon so oft, rief sie sich die Geschehnisse dieses Tages ins Gedächtnis zurück:

In einem funkelnden Lichterglanz erscheint sie aus dem Nichts. Groß und schön. Nicht real und doch kein Schemen. Mit einem Gesicht, welches bei ihr ein so intensives Gefühl des Dèjá-vu auslöst, dass es sie schwindelt. Dieses Gesicht! Sie kennt es, kennt es aus einer Vergangenheit, die ihr bislang verschlossen geblieben ist. Sie weiß nichts über sich, außer ihrem Namen. Doch woher kommt sie? Wer sind ihre Eltern? Tausend Mal und mehr hat sie sich diese Fragen gestellt, doch keine Antwort darauf gefunden. Wird sie jetzt endlich etwas über sich erfahren?

Wer seid Ihr?“, fragt sie.

„Schließe deine Augen. Konzentriere dich. Durchdringe die Nebel und du wirst wissen, wer ich bin.“

Sie schließt die Augen. Fächerförmige Schatten bilden sich unter ihren dichten, langen Wimpern, setzen sich hinter den geschlossenen Lidern fort, verdichten sich zu geballter Schwärze, einer Finsternis, die sich hemmend vor den Bereich ihrer Erinnerungen legt. Doch sie gibt nicht auf, schlägt konzentriert auf die Schwärze ein, durchdringt das Dunkel und gelangt an eine Grenze diffusen Lichts, hinter dem ein schleierförmiges Gespinst etwas verbirgt. Sie fegt es beiseite.

Eine Brücke! Und in der Mitte der Brücke!

Sie schlägt die Augen auf. „Xzatra“, sagt sie. „Ihr seid die Zauberin Xzatra. Meine Ziehmutter.“

Deine Bestimmung wartet in der Zukunft auf dich. In deiner Hand wird das Schicksal Vieler liegen“, hatte sie vor langer Zeit gesagt, damals, auf der Brücke zu ihrem Schloss. Aber da war noch jemand bei ihr gewesen, erinnert sie sich. Aber wer? Es fällt ihr nicht ein. Nur diese grenzenlose Traurigkeit ist plötzlich wieder da und ein Gefühl des Verlustes, von dem sie nicht weiß, was es bedeutet.

Weshalb versteckt der Magier den Zaubersamen?“

Er versteckt ihn, weil die Neuerstehung des Perlmuttbaumes einer Welt, die er hasst und zutiefst verabscheut, den Weg bahnen würde. Er versucht dem Bösen den Weg zu ebnen und muss daran gehindert werden, denn seine Bosheit und Schlechtigkeit hat in der Vergangenheit schon einmal großes Unheil angerichtet und unschuldiges Leben gekostet. Das darf nicht noch einmal geschehen.“

Dann hatte Xzatra sie und Danina auf die Suche nach dem Zaubersamen geschickt und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, wie sie diese Aufgabe jemals bewältigen sollte. Zwar würden sie und ihre künftigen Gefährten, die ihr Xzatra versprochen hatte, nicht unter Hunger oder Durst zu leiden haben, dafür würden der magische Vorratsbeutel und die ebenfalls magische Wasserflasche sorgen, die sich auf ihren Wunsch hin immer wieder auffüllten.

Doch wie sollte sie in den unzähligen Räumen, Gängen und Verliesen der Burg den Zaubersamen finden? Er konnte überall versteckt sein; und falls Teufat sie entdeckte, würde er sich nicht lange mit ihr aufhalten, sondern sie wie eine lästige Fliege zerquetschen, denn was hatte sie schon den Kräften eines Magiers entgegenzusetzen?

Und doch war sie trotz all dieser Bedenken vor vier Tagen aufgebrochen. Zusammen mit Danina hatte sie sich auf den Weg nach Norden zum Krakhet-Gebirge gemacht, wo sie Hetzel zu finden hoffte, den Anführer der Zwerge, den sie auf Geheiß der Zauberin für ihr Vorhaben gewinnen musste.

Und danach galt es den Elfenkönig Ephlor von ihrer Mission zu überzeugen, obwohl selbst Xzatra ihr nicht hatte sagen können, wie sie das Elfenvolk in dem zerklüfteten und unwegsamen Aphrat-Gebirge, welches sich im Osten über weite Teile des Landes erstreckte, überhaupt jemals finden sollte.

Das Schicksal wird dich geleiten“, war die orakelhafte Antwort gewesen, bevor der gleißende Lichterbogen erloschen und die Zauberin mit ihm verschwunden war. Tags darauf hatte sie dann das schmale, rote Büchlein gefunden; und der Vers darin hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingegraben:

Ungebetener Fremdling gib Acht!

Auf der „Straße der Zukunft“ das Verhängnis lacht.

Mord und Totschlag, Unheil und Gräueltaten,

Hier wohnen und gierig auf dich warten.

Deine Fantasie narrt dich, treibt dich voran.

Keine Umkehr, der Weg ist versperrt, bietet sich an.

Spukgestalten, unbesiegbar, verfolgen dich.

Sie greifen dich an.

Einer schwingt ein Beil, ein andrer ein Schwert,

Ein Dritter die Keule.

Dein Leben ist keinen Heller mehr wert.

Du kannst nicht entfliehen;

Deinem Schicksal nicht entrinnen.

Hier lauert der Tod, und er wird gewinnen.

Da! Ein Lichtblick, ein Hoffnungsschimmer.

Eine Fata Morgana. Ein Traum.

Bist du vielleicht doch ein Gewinner?

Der „Stein der Wahrheit“ schwebt

über dir in der Luft.

Du vermeinst Rosen zu sehen,

Zu riechen ihren köstlichen Duft.

Er zeigt sich nicht jedem.

Aber nur mit ihm vermagst du zu gewinnen.

Nur mit ihm gelingt es,

Einem schrecklichen Schicksal zu entrinnen.

Dem Schicksal, für immer und ewig an diesem Ort,

hier zu verbleiben.

Für den Rest der Zeit,

Wird dich das Heer der Spukgestalten einverleiben.

Suche ihn!

Finde ihn!

Bezwinge deine Fantasie.

Verscheuche die Spukgestalten, bekämpfe sie.

Lass sie hinter dir zurück. Eile weiter.

Suche den Stein, denn er ist dein Wegbereiter.

Er wird dir helfen, dich führen,

Dir die Zukunft beschreiben.

Er wird dir verraten, ob du wirst müssen leiden.

Er wird dein Leben verändern,

wird dich unterstützen.

Doch findest du ihn nicht,

Wird dir die Fata Morgana nichts nützen.

Du wirst leiden auf immer, und du wirst beten:

Ach, lieber Gott, hätte ich die „Straße der Zukunft“

Doch niemals betreten.

Du bist gewarnt.

Entscheide dich für oder gegen das Glück.

Doch ich rate dir gut:

Kehre besser wieder zurück.

„Der Stein der Wahrheit“, murmelte Samiras. „Ich hoffe nur, er hat etwas Gutes zu bedeuten.“

Nachdenklich ging sie weiter und wäre fast über Danina gefallen, die plötzlich stehen geblieben war. Versunken in ihre Gedanken hatte sie nicht bemerkt, dass sie für heute ihr Ziel erreicht hatten. Unter einer mächtigen alten Eiche schlugen sie ihr Lager auf.

Der Zaubersamen

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