Читать книгу Der Zaubersamen - Bärbel Junker - Страница 7
XZERUS BRINGT DIE GOLDENE PHIOLE
ОглавлениеDie Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Samiras und Danina im Schatten einer kargen Felsgruppe Rast machten. Danina lag auf einem von Wind und Wetter glatt polierten Felsplateau und döste, während Mawi wenige Schritte von ihr entfernt hockte und fasziniert ihre zuckende Schwanzspitze beobachtete. Endlich hielt er es nicht mehr aus und haschte danach. Daninas Pranke zuckte vor. Fauchend beäugte sie ihren zitternden Gefangenen und ... schleckte ihn genüsslich ab.
Klitschnass rettete sich das etwa zwanzig Zentimeter lange Kerlchen (zuzüglich buschigem Schwanz) in Samiras´ Hand. Sie nahm ein Tuch und trocknete sein weiches, rötlich braunes Fell. Das gefiel Mawi. Fiepsend streckte er ihr auch noch sein kleines, weißes Bäuchlein entgegen. Samiras lächelte gerührt. Doch ihre Fröhlichkeit währte nicht lange. Nervös strich sie sich die Haare aus der Stirn. Was macht mich nur so kribbelig? fragte sie sich. Sie spürte Daninas Blick und sah sie an. Und plötzlich wusste sie, was mit ihr los war!
Goldene Augen! Die goldene Phiole! Sie hatte sie zu Hause liegen lassen. Und was nun? Wieder zurückgehen und die vergangene Zeit einfach in den Sand setzen? Durfte sie das überhaupt? Eher nicht! „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren“, hatte die Zauberin gesagt. Sie musste ohne die Phiole weitergehen.
Danina schlenderte herbei. Mit einem fast menschlich anmutenden Kopfschütteln blieb sie vor ihrer Gefährtin stehen. Sie sah sie an und die deutliche Aufforderung in ihren schrägen Augen war nicht zu übersehen. Doch Aufforderung wozu?
Samiras starrte zurück, und ein seltsames Gefühl, der Hauch einer Ahnung von etwas Verlorenem überkam sie unter dem intensiven Blick der goldenen Augen. Doch bevor sie sich auf diese Empfindung näher einlassen konnte, verschwand sie wieder, und auch die Aufforderung in Daninas Augen erlosch. Die Pantherin trollte sich und verschwand hinter den Felsen.
Mit dem Gefühl, soeben etwas Wichtiges verpasst zu haben, sah ihr Samiras hinterher. Sie strich sich fahrig über ihr schulterlanges, kupferfarbenes Haar und die seltsame Empfindung verschwand, doch ein Gefühl von Traurigkeit blieb. Still und in sich gekehrt hängte sie den Lederbeutel mit ihren Habseligkeiten über die Schulter und folgte Danina, die bereits einen gehörigen Vorsprung hatte.
Am späten Nachmittag begann es zu regnen. Der bislang eher sandige Boden wurde zunehmend steiniger, was darauf hindeutete, dass sie sich dem Krakhet-Gebirge näherten, der Heimat des Zwergenvolkes. Doch zuerst einmal mussten sie Schutz vor dem stärker werdenden Regen finden. Das Blätterdach eines Hains, nicht allzu weit entfernt von ihnen, schien Samiras geeignet. Im Laufschritt eilte sie darauf zu.
Doch die Bäume waren weiter entfernt als vermutet. Als sie sie endlich erreichten, war Samiras zwar nicht völlig durchnässt, denn ihre Kleidung aus besonderem Leder (ebenfalls ein Geschenk Xzatras) hielt nicht nur Waffenhieben stand, sondern auch die schlimmsten Wettereinflüsse ab. Trotzdem fühlte sie sich klamm in ihren Sachen. Als sie dann wenig später auf einen versteckt zwischen den Bäumen liegenden Felsüberhang stieß, sorgte sie zuerst einmal für ein anheimelndes Feuer.
Sie hatten Glück, einen so geschützten Platz gefunden zu haben, denn das Blätterdach war bei näherem Hinsehen lange nicht so dicht wie Samiras es sich gewünscht hätte. Auch hier hatte das Böse bereits seine Spuren an den verkrüppelten Blättern und langsam dahinsiechenden Stämmen hinterlassen. Und es griff immer weiter um sich und veränderte die Natur ebenso wie alles Leben von Tag zu Tag mehr. Samiras war in der Umgebung ihres kleinen Bauernhauses, in der sie mit Danina gelebt hatte, immer öfter auf die Auswirkungen des Bösen gestoßen, ohne es sich erklären zu können. Erst durch die Zauberin war ihr das Wie und Warum klar geworden.
Und natürlich trugen wie stets die Menschen die Hauptschuld an dem, was erneut geschah und noch geschehen konnte. Anscheinend lernten sie nie dazu. Und bei diesem Gedanken verfärbte sich ihre bräunliche Haut und nahm einen sanft schimmernden Grünton an, ein untrügliches Zeichen ihrer inneren Anspannung.
Daninas massive Aufforderung sich endlich um etwas Essbares zu kümmern, riss Samiras aus ihren trüben Gedanken. Als sie den magischen Vorratsbeutel und die Wasserflasche aus ihrem Beutel nahm, hatte sie sich beruhigt und ihre Haut wieder ihre normale Tönung angenommen.
Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, legte Danina ihren Kopf in Samiras´ Schoß und ließ sich das dichte, seidige Fell streicheln, dem kein Unwetter etwas anhaben konnte. Aber schließlich war Danina ja auch keine gewöhnliche Pantherin.
„Sie verfügt über besondere Fähigkeiten und ist unsterblich, solange sie ihre Unsterblichkeit will“, hatte die Zauberin gesagt. Doch welche Fähigkeiten das waren, hatte ihr Xzatra nicht verraten wollen. „Das wirst du schon früh genug selber erfahren“, war ihre lapidare Antwort gewesen.
Und Mawi? dachte Samiras. Ist er auch etwas Besonderes? Vermutlich, denn dass sie zufällig auf das Mauswiesel gestoßen war, hatte sie nicht eine Sekunde lang geglaubt, eher, dass die Zauberin ihr einen weiteren Gefährten geschickt hatte.
Sie lächelte, als sie ihn nicht weit entfernt unter den Büschen herumstöbern sah. Sicherlich nimmt auch dieses kleine Kerlchen einen wichtigen Platz im Plan derer ein, die uns aussandten, dachte sie und hoffte aus tiefstem Herzen, dass er ihr gemeinsames Abenteuer gesund überstehen würde.
Oh ja, ihre Verantwortung wuchs mit jedem Gefährten, der sich ihr anschloss, aber letztendlich war ja selbst die Zauberin auch nur eine Figur im Schachspiel derer, die sich „DER RAT DER WEISEN“ nannten. Keiner kannte ihre Namen. Niemand hatte sie jemals wirklich gesehen. Stets verhüllten wallende Gewänder ihre Körper, während silberne Masken und tief in die Stirn gezogene Kapuzen ihre Gesichter verbargen.
Seit dem letzten großen Krieg, der die Erde und die Menschheit fast ausgelöscht hätte, lenkten sie mit Umsicht und Weitblick die Geschicke der alten und der neu entstandenen Bevölkerung und sorgten dafür, dass sich Menschen und Zwerge, Elfen und Trolle und all die anderen Lebewesen respektierten und nichts zuleide taten.
Eine lange Zeit des Friedens und der Eintracht hatte dafür gesorgt, dass sich die Erde regenerierte und neues, wenn auch anderes, Leben hervorbrachte. Alles war so gut gelaufen. Doch dann hatte sich irgendwann heimlich still und leise erneut das Böse in die Herzen einiger Erdbewohner geschlichen und diese dazu gebracht, an vergangene, schreckliche Zeiten anzuknüpfen.
Ein wunderbarer Pfuhl für das rasch erstarkende Böse, das täglich an Kraft gewann, stärker und stärker wurde, bis es ihm vielleicht ein weiteres Mal gelingen würde, das Gute zu besiegen. Macht und Besitzgier waren wieder einmal die Triebfeder für das immer stärker um sich greifende Übel. Und trotz ihrer schuldbeladenen Vergangenheit taten sich die Menschen dabei wieder einmal besonders hervor.
Samiras seufzte und schaute zu den Baumkronen empor, in denen der Wind mit den verkrüppelten Blättern spielte und sie wispern ließ, was sich seltsam menschlich anhörte, fast so wie das Weinen eines Kindes. Und vielleicht war es das ja auch. Denn weshalb sollten diese armen missgestalteten, ihrer einstigen Schönheit beraubten Bäume schließlich nicht um ihre Brüder und Schwestern trauern? Sich nicht nach vergangenen Zeiten sehnen, als sie noch inmitten ihrer zahlreichen Verwandten in riesigen Wäldern lebten, deren vielfältige Flora und Fauna sie sich wie im Paradies vorkommen ließ?
Mit einem Mal übertönte ein seltsam kikernder Laut das leise Rauschen des Windes. Danina sprang federnd auf und stellte sich schützend vor ihre Gefährtin, während ihr langer Schwanz erregt über den Boden peitschte. Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, spähte sie zu den Baumkronen empor. Doch ihre Erregung legte sich so schnell wie sie gekommen war.
Sanft landete der Falke Xzerus mit der goldenen Phiole im Schnabel auf einem Ast und beäugte neugierig die Lebewesen unter sich.
„Ich kenne dich“, flüsterte Samiras. „Du warst einige Male bei meinem Haus.“
„So, war ich das?“, kikerte der Falke amüsiert. „Aber es stimmt. Und auch dieses Mal schickt mich meine Herrin, die Zauberin Xzatra, zu dir. Du hast nämlich etwas vergessen.“ Zielsicher ließ er die Phiole in Samiras´ Schoß fallen.
„Danke“, sagte Samiras verlegen.
„Schon gut. Aber pass künftig besser darauf auf. Nochmal bringe ich sie dir nämlich nicht hinterher.“
„Wieso kannst du sprechen?“, fragte Samiras verwundert.
„Was ist daran so verwunderlich? Du sprichst doch auch.“
„Aber du bist ein Tier!“
„Na, und?“
„Entschuldige. Ich war nur ein wenig überrascht. Hast du auch einen Namen?“
Der Falke schwebte vom Ast herab und landete vorsichtig auf ihrer Schulter. „Ich heiße Xzerus“, sagte er stolz.
„Das ist ein sehr schöner Name. Wirst du uns begleiten?“
Der Falke schüttelte den Kopf. „Nein. Ich muss schnellstens wieder zurück. Meine Herrin erwartet mich“, erwiderte er und schwang sich hinauf in die Lüfte. „Viel Glück! Und hüte dich vor Teufat“, rief er und wurde schnell kleiner und kleiner, bis er ihren Blicken gänzlich entschwand.