Читать книгу Tatort Assauer - Vom Fußballmanager zum Betreuungsopfer - Britta Assauer - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
EUROPA-PARK in Rust. Miss Germany Finale 2010. In der Jury saßen an diesem Abend prominente Sportler, Schauspieler und Musiker, wie Giovane Élber, Francisco Medina, Mark Terenzi, Ross Anthony, Ingo Lenßen, Monica Ivancan, Ursula Karven, Prof. Dr. Mang, Rudi Assauer und viele andere.
Ich nahm an dieser Veranstaltung teil, um für den Radio- und TV-Sender, bei dem ich tätig war, Interviews und Fotos zu machen.
Schon seit Kindertagen bin ich begeistert von Fußball. Mein Opa hat mir, als ich 3 Jahre alt war, auf der Tageszeitung „abseits“ aufgemalt und erklärt. Später durften wir ins Stadion von Borussia Mönchengladbach, damals noch am Bökelberg. Durch diese Fußballleidenschaft waren mir selbstverständlich auch Fußballgrößen wie Rudi Assauer bekannt.
Auf der Veranstaltung stand Rudi Assauer plötzlich vor mir und ich fragte unsicher, ob ich ein Foto mit ihm haben dürfe. Rudi Assauer legte den Arm um mich und ein Fotograf machte die Fotos. Ich dachte nur, was für ein großer Moment. Wenn mein Opa das sehen könnte.
Ich wollte zurück zu meinen Kollegen, doch Rudi Assauer blieb mit seinem Arm um meine Schulter stehen und fragte: „Darf ich Dich küssen?“ Oh, mein Gott…
Mit weichen Knien und hochrotem Kopf ging die Unterhaltung weiter:
Britta: „Herr Assauer…“
Rudi: „Rudi.“
Britta: „Also gut, Rudi. Dahinten ist die Presse. Ich möchte nicht so in die Bildzeitung und Sie, Du, sicher auch nicht.“
Ich hatte daraufhin die Begleitung von Rudi Assauer gesucht und gemeint, dass es wohl besser wäre, wenn er Herrn Assauer besser schützen würde. Ich hatte Rudi Assauer an diesem Abend nicht mehr gesehen und der Schweizer Fotograf, Gary von der Ahé, hatte auf mein Bitten hin die Bilder damals nicht veröffentlicht.
Ich habe mich einige Tage später erkundigt, ob Rudi Assauer gut nach Hause gekommen war. Der Bitte, meine Telefonnummer zu hinterlassen, bin ich gefolgt und tatsächlich rief mich Rudi Assauer etwas später an. Wir hatten einige Male telefoniert, doch dann brach der Kontakt wieder ab. Ich war zu schüchtern, um nachzuhaken und es war für mich ohnehin schon ein unglaubliches Erlebnis, Rudi Assauer getroffen und mit ihm telefoniert zu haben.
Meine Freundin Sandra aus Freiburg war einige Wochen später auf einer Veranstaltung in Karlsruhe, auf der Rudi Assauer und Roberto Blanco als prominente Gäste angekündigt waren.
Als sich die Gelegenheit ergab, bestellte sie Rudi Assauer liebe Grüße von mir und völlig überraschend sagte Rudi Assauer: „Wo ist die überhaupt abgeblieben? Sie meldet sich gar nicht mehr. Sie soll mich unbedingt anrufen.“
Ich war von dieser Nachricht sehr erstaunt und rief Rudi an. Wir telefonierten wieder regelmäßig über Wochen und er fragte, wann ich ihn denn mal besuchen käme. Uups… Zum Glück konnte er am Telefon nicht sehen, dass ich rot wurde.
Ich hatte vor, zu Pfingsten meine Eltern in Mönchengladbach zu besuchen, was jedes Mal eine Fahrtstrecke von 520 km bedeutete und schlug Rudi vor, dann auch nach Gelsenkirchen zu kommen. So kam es zur ersten Verabredung zwischen Rudi und mir.
Ich fuhr also am Pfingstsonntag mit Herzklopfen wie ein Teenager nach Gelsenkirchen. Als das Navi ertönte: „Sie haben das Ziel erreicht.“ verließ mich mein Mut. Ich fuhr 7-mal am Haus von Rudi Assauer vorbei und traute mich nicht zu klingeln.
Dann dachte ich, wenn er nun wirklich daheim war und wartete, wäre es unhöflich, nun doch nicht zu erscheinen. Ich klingelte… Niemand machte auf. Mein Herzschlag wurde ruhiger. Ich klingelte noch einmal, mit dem sicheren Gefühl, dass niemand daheim war. Doch dann sah ich durch das Glas der Haustüre plötzlich einen Schatten. Wieder Herzrasen!!!
Die Türe ging auf und vor mir stand Rudi Assauer, barfuß in Bermuda-Shorts mit freiem Oberkörper. Ich dachte nur: „Der ist aber lässig“ und Rudi bat mich herein.
Wir gingen durch das Wohnzimmer auf die Terrasse. Dort lag ein Kreuzworträtsel-Block auf dem Gartentisch und Rudi sagte zu mir: „Das mache ich für meine Birne. Da stimmt was nicht. Ich gehe auch schon zum Arzt.“
Nur Sekunden war ich in diesem Haus und Rudi Assauer sagte mir, dass er Demenz hatte. Ich war erschüttert. Ich war sprachlos. Ich war aber auch beeindruckt.
Schon zu den Fotos aus dem EUROPA-PARK hatten Freunde gesagt, dass wir aussahen, als würden wir uns schon ewig kennen. Rudis Offenheit verlieh mir nun auch dieses Gefühl und vor lauter Ehrfurcht vor diesem Vertrauen kam nur langsam ein Gespräch zu Stande.
Etwas später schlug Rudi vor, etwas essen zu gehen. Wir fuhren nach Buer in ein gemütliches italienisches Restaurant und zum Ende dieses schönen Abend fuhr ich zurück zu meinen Eltern. Gleich am folgenden Tag meldete sich Rudi wieder und ich sollte nach Gelsenkirchen kommen. Wir sahen uns Spielberichte der vergangenen Bundesligaspieltage an und Rudi bemerkte, dass mir Trainer- und Spielernamen geläufig waren. Als ich mich bei einzelnen Spielszenen sehr ereiferte und dann auch noch „abseits“ erkannte, wurde ich von Rudi „geadelt“.
Später sagte Rudi öffentlich über mich: „Endlich ne vernünftige Alte, die was von Fußball versteht.“ Und ich dachte mir, was für eine Liebeserklärung!
Ich musste erstmal zurück nach Freiburg, denn dort war mein Lebensmittelpunkt, meine Arbeit.
In den folgenden Monaten fuhr ich für die Wochenenden oder Kurzurlaube zu Rudi.
Freitagabend nach der Arbeit nach Gelsenkirchen, Sonntagabend zurück nach Freiburg. Rudi nahm mich mit in die Veltins-Arena und ich wurde zunächst zurückhaltend aufgenommen. Ich habe mich von alten Streitereien zwischen Schalke 04 und Rudi Assauer aber nicht anstecken lassen und so kam es zunächst zu einer Annäherung zwischen den Offiziellen des Vereins und Rudi.
Wie selbstverständlich fuhr ich mit Rudi in sein Büro und zu den Behandlungen in die Klinik. Immer öfter bat mich Rudi, nicht mehr wegzufahren. Es zerriss mir das Herz.
Immer wieder sagte er traurig: Lass mich nicht allein! Ich sagte, dass ich in Gelsenkirchen keine Arbeit hätte und ich nicht ertragen könne, finanziell abhängig zu sein. Dies würde unwillkürlich irgendwann zu Diskussionen führen und das sei immer Gift für eine Liebe. Rudi sagte, dass er schon einen Job für mich finden würde.
Er hielt Wort. Natürlich, er war ein Ehrenmann.
Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir der Umzug nach Gelsenkirchen leichtgefallen wäre. In Freiburg waren meine Freunde, meine Arbeitsstelle, die ich sehr geliebt habe. Ich war in einer tollen Stadt im Breisgau und sollte ins Ruhrgebiet ziehen. Mit Rudi und seiner Krankheit in Freiburg zu leben, in einer Umgebung, in der er nie gelebt hatte, dachten wir, wäre nicht möglich.
Ich kündigte schweren Herzens meine Arbeitsstelle und meine Wohnung in Freiburg und zog im Dezember 2010, im großen Schnee-Chaos, nach Gelsenkirchen.
Organisiert wurde der Umzug von Rudis Sekretärin Sabine Söldner, die auch die Umzugshelfer engagierte. Mit einem 7,5 t LKW rückten die Herren in Freiburg an und waren zunächst überrascht, dass sie so viel aufladen sollten. Rudis Sekretärin hatte sie damit geködert, dass sie nur 2 Schränke abholen müssten. Ich wohnte seit 12 Jahren in Freiburg in einer eigenen Wohnung, sicher hatte ich eine komplette eigene Wohnungseinrichtung. In 2 Tagen war trotz Eis und Schnee der Umzug geschafft.
Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Rudi sehr und unheilbar krank war. Alle dachten, dass ich in ein prominentes Luxusleben starten würde. Ich durfte mich niemandem anvertrauen, um Rudi zu schützen. Überall stieß ich auf Zweifel, wie ich bei einem solchen Macho einziehen könne. Ich hatte das Gefühl, dass niemand Rudi wirklich kannte. Niemand wusste, wie er wirklich ist, wie er denkt, wie er fühlt.
Ich bin in meinem ganzen Leben niemals so geliebt und akzeptiert worden, wie bei und von Rudi Assauer. Rudi ist und bleibt der empfindsamste Mensch, den ich kenne.
Durch seine direkte Art, immer klar zu sagen, was er dachte, wurde ihm ein Macho-Image angedichtet. Irgendwann hatte er es selbst gepflegt. Klar, die coolen Sprüche kamen auch gut an. Rudi hatte ein wunderbares Herz. Er würde niemals jemandem etwas antun. Er wurde oft verletzt und traurig gemacht. Er wusste um die Verletzungen, die ich in meinem Leben hinnehmen musste und Rudi sagte zu mir: „Solange ich lebe, wird Dir nie mehr jemand weh tun. Wenn es jemand versucht, hau ich die weg.“