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Wie kommt man in sinnlos kurzer Zeit zu extrem viel Geld?

Christoph Simon

Wie kommt man in sinnlos kurzer Zeit zu extrem viel Geld? Als junger Mann kam mir diese Frage nicht nur wichtig vor, sondern auch dringend.

Ich klapperte alle Kreditinstitute ab. Angefangen bei den seriösen, dann immer weiter runter.

Bundesplatz, Eigerplatz, Bümpliz.

Krawatte, Goldkette, Menschenzahnkette.

Aber niemand wollte einem Möchtegernschriftsteller Geld leihen, damit er endlich seinen Beitrag zur Weltliteratur leisten konnte.

Ich machte mir eine Liste mit meinen Möglichkeiten. Als ich die Liste dem Hund meines Mitbewohners vorlas, zog er den Schwanz ein. «Fremde Portemonnaies ausweiden, Drogenhandel, Menschenhandel, Kidnapping? Was hältst du davon, Napoleon?»

Am nächsten Morgen klopfte es an der Tür.

Es war Frau Schmutz, und ich entführte sie.

Frau Schmutz wohnte im Stock unter uns. Sie hatte weisse Haare, trug eine Bluse aus dem Manor und orthopädische Schuhe, sie ging auf die neunzig zu und konnte nicht mehr lesen. Manchmal machte ich ihr ein Verveinetee und las ihr aus der Zeitung vor. Heute nicht. Heute hatte ich keine Zeit. «Frau Schmutz», fragte ich, «würde es Ihnen etwas ausmachen, einen Moment auf Napoleon aufzupassen? Dort drüben liegt das Frolic, nun, Sie wissen ja Bescheid.»

Zur Sicherheit schloss ich die Tür hinter mir ab.

Zehn Minuten später stand ich in der behindertengerechten Telefonkabine auf der Grossen Schanze. Ich legte ein Taschentuch über die Sprechmuschel, wie man es beim Tatort gelernt hatte, und rief den Sohn von Frau Schmutz an.

«Freddy Schmutz?», sagte ich. «Wir haben deine Mutter entführt. Wir wollen 25'000 Franken. Du hast zwei Stunden. Die Übergabe findet in der Kornhausbibliothek statt. Schieb das Geld hinter die Robert Walser Gesamtausgabe. Ein einziges Wort von dir zur Polizei, und wir bearbeiten das Gesicht deiner Mutter mit Hammer und Meissel. Mal sehen, ob du an Familienfesten dann noch beliebt bist.»

Als ich zurückkam, wollte Frau Schmutz gehen.

«Aber ich habe Ihnen ja noch gar nichts vorgelesen!», rief ich. «Setzen Sie sich, Frau Schmutz.»

Aus dem Stand erzählte ich ihr die herzzerreissende Geschichte von diesem talentierten Schriftsteller, der keine anderen Wünsche hatte, als 25'000 Franken bar auf die Hand, um so richtig loszulegen.

Ob alles in der Ordnung sei mit mir, fragte Frau Schmutz, meine Stimme zittere, «vielleicht sollten Sie es mal jemandem zeigen?»

«Ein Mann geht nicht zum Arzt», sagte ich.

Wir schauten Napoleon zu wie er Frolic frass und Chappi und Pedigree light, und irgendwann schlief Frau Schmutz auf dem Sofa ein. Ich konnte in aller Ruhe nachsehen, wer da den Finger nicht von der Klingel nahm.

Ein sehr angespannter und tief besorgt wirkender Freddy Schmutz stand vor der Tür.

Ob ich seine Mutter heute gesehen hätte.

«Nein, wieso fragst du? Ist etwas passiert?»

«Sie ist entführt worden.»

«Entführt? Das ist ja schrecklich! Das will man sich ja gar nicht vorstellen! Die gute Frau Schmutz in einem kalten, dunklen Kellerloch, angekettet, einsam, hungrig, hilflos. Du musst das Lösegeld bezahlen! Sofort! Deine arme Mutter!»

Freddy nickte verzweifelt. Ich nahm ihn in die Arme.

«Alles kommt gut», beruhigte ich ihn, und wurde selber ganz euphorisch. Ich bereute schon, dass ich nicht hunderttausend gefordert hatte.

Dann tauchten hinter Freddy Schmutz zwei Polizisten auf. Mein Reichtum löste sich in Luft auf.

«Tut mir leid», sagte ich. «Ich habe nichts gehört, nichts gesehen. Haben Sie denn schon irgendeine Vermutung zur Täterschaft?»

Die Polizisten schüttelten den Kopf. Ich schüttelte auch den Kopf. «Diese Sauhunde!», rief ich. «Eine wehrlose Dame kaltblütig kidnappen! Ich hoffe, der Gefängniswärter wird die Zellentür nicht einfach abschliessen. Ich hoffe, er wird die Gefängnistür zuschweissen.»

Als die Luft rein war, weckte ich Frau Schmutz und brachte sie in ihre Wohnung.

«Frau Schmutz, wenn Sie jemand fragen sollte – Ihr Sohn etwa, oder, nun, die Polizei – wenn Sie jemand fragen sollte, wo Sie heute Morgen gewesen sind, dann bitte sagen Sie nichts davon, dass Sie bei mir oben gewesen sind. Wir sind doch alte Freunde, nicht? Und Freunde sind Menschen, die einem helfen, ohne dass man ihnen drohen muss.»

Später erzählte Frau Schmutz der Polizei tatsächlich, sie habe einen langen Spaziergang an der Aare gemacht.

Sie tat das nicht nur mir zuliebe. Wer läse ihr aus der Zeitung vor, wenn ich hinter Schloss und Riegel versauern würde?

Man glaubte ihr bestimmt nicht, aber Frau Schmutz wird ein Gesicht gemacht haben wie jemand, der schwer von Begriff ist und den man besser in Ruhe lässt.

Christoph Simon, geboren in Langnau im Emmental, aufgewachsen im Berner Oberland, lebt in Bern. Immatrikulationshintergrund. Diverse berufliche Sackgassen und Reisen. Seit 2001 freier Schriftsteller, Slam Poet und Kabarettist. Zuletzt erschienen sind «Und das nach vier Milliarden Jahren Evolution» (Gedichte) und «Die Dinge daheim» (Kurzprosa).

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