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Ein mörderisches Solo

Sandra Rutschi

Ein Schuss knallt durch das Probelokal. Er übertönt das Fortissimo der Trompeten und das Donnern der Pauke. Sekunden später ist es still. Langsam gleitet der Dirigent vom Podest und bleibt regungslos am Boden liegen.

«Was … was war denn das?», stammelt die Querflötistin in der vordersten Reihe.

Panik bricht aus. Notenständer kippen um, Blätter fliegen durch die Luft, jemand schluchzt. Die Querflötistin blickt auf den Dirigenten und beginnt zu zittern.

Der Posaunist ganz hinten flucht. «Herrgott noch mal, muss denn immer etwas passieren in diesem Verein?!»

Ständig läuft etwas schief, seit die Musikgesellschaft mit den Proben fürs Jahreskonzert begonnen hat. Zuerst verstauchte sich der Saxophonist, der das Solo des Abends hätte spielen sollen, bei einem Velounfall beide Hände. Wenige Wochen später brach im Probelokal während einer Pause ein Feuer aus und beschädigte zahlreiche Instrumente. Und nun, am Abend vor dem Konzert, liegt der Dirigent vor seinem Notenständer und regt sich nicht mehr.

«Halt! Alle bleiben, wo sie sind!», dröhnt der Bassist und bahnt sich mit seinem massigen Körper einen Weg durch die Reihen. Er kniet sich neben den Dirigenten und fühlt nach dessen Puls. Die Musikanten verstummen und warten gespannt.

«Du», sagt der Bassist und zeigt auf die flinke Klarinettistin. «Ruf die Ambulanz. Schnell.»

Die Klarinettistin zückt ihr Handy und eilt hinaus.

«Oh mein Gott», flüstert die Querflötistin.

«Himmeldonnerwetter», röhrt der Posaunist.

Ein Raunen geht durch die Reihen.

«Ruhe!», poltert der Bassist. «Ich will jetzt wissen, wer das war.»

Auf einen Schlag wird es still.

«Matthias' Unfall, das Feuer, und nun Urs. Das hat doch alles einen Zusammenhang. Sagt mir, was hier vor sich geht! Sonst lernt ihr euren Dorfpolizisten mal richtig kennen.»

«Nun dreh nicht durch, Alter», mault der Posaunist. Doch seine Augen mustern aufmerksam die Kameraden. Lauerndes Schweigen breitet sich aus.

Schliesslich erklingt ein Schluchzen aus dem Register der Trompeten.

«Das mit Urs, das war ich nicht», schnieft der erste Trompeter. «Ich schwöre es! Die Scherben am Hang auf Matthias' Heimweg, die waren vielleicht ein bisschen fies von mir, ja. Und das Feuer, das hat sich weiter ausgebreitet als ich wollte. Eigentlich hätte es doch nur …»

Der Trompeter stockt.

«Eigentlich hätte es doch nur die Saxophone zerstören sollen. Diese verflixten Saxophone! Jedes Jahr kriegen sie das Solo. Ich dachte, wenn Matthias nicht spielen kann, ist die Sache geritzt. Dann kommen endlich die Trompeten, dann komme endlich ich zum Zug! Doch nein, stattdessen übernahm einfach Susanne das Sax-Solo. Aber das hier, das war ich nicht!»

Vor dem Probelokal heult die Sirene. Auf der Treppe poltern Schritte, die Tür wird aufgerissen. Doch anstatt der Sanitäter betreten zwei Polizisten das Lokal.

«Gut gemacht, Jasmin, genau wie wir's gestern besprochen haben», lobt der Bassist die Klarinettistin. «Dort, Kollegen. Der Vorderste mit der Trompete.»

Wortlos ergreifen die Polizisten den Trompeter.

«Aber ich habe Urs nicht erschossen!», kreischt dieser noch auf der Treppe.

«So Kumpel, kannst wieder aufstehen. Den Fall hätten wir gelöst», brummt der Bassist und hilft dem Dirigenten auf die Beine. «Und du dort hinten am Schlagzeug: So einen lauten Knall mit der Peitsche hätte ich einer solch zarten Dame gar nicht zugetraut!»

Sandra Rutschi, geboren 1979, lebt in Bern. Zu ihren Publikationen gehören der Lesereiseführer «Rund um Bern – Lieblingsplätze zum Entdecken», das Porträtbuch «Bern – Porträt einer Stadt» und der Kriminalroman «Im Schrebergarten». Hinzu kommen unzählige Zeitungsartikel sowie dutzende Kolumnen und Kurzgeschichten. www.sandrarutschi.ch

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