Читать книгу Damaris (Band 2): Der Ring des Fürsten - C. M. Spoerri - Страница 12
Kapitel 4 - DAMARIS
ОглавлениеNoch lange stehe ich da und starre zur Tür, durch die Cilian fluchtartig verschwunden ist. Mein Inneres ist taub. Da ist keine Wut mehr. Keine Trauer. Nur noch Fassungslosigkeit.
War das derselbe Mann, in den ich glaubte, mich verliebt zu haben? War das derselbe Mann, der mir vor wenigen Stunden noch auf den Klippen gezeigt hat, wie ekstatisch sich Liebe anfühlen kann? War das überhaupt Liebe?
Mein Kopf schwirrt, während mein Herz versucht, die vielen Teile, in die es zerrissen wurde, zusammenzukratzen, um weiterzuschlagen. Wie konnte ich mich nur so in Cilian täuschen? Wieso habe ich mich von seiner strahlenden, attraktiven Fassade so blenden lassen?
Adrién hatte die ganze Zeit recht: Cilian ist ein Magier und folgt nur seinen eigenen Interessen. Er geht über Leichen. Im wahrsten Sinn des Wortes.
Ich komme mir vor wie ein dummes kleines Mädchen, das ich wahrscheinlich auch bin. Ich habe geglaubt, dass Cilian mir den Himmel auf Erden zu Füßen legt, dabei hat er die ganze Zeit nur nach seinen eigenen Interessen gehandelt.
Ja, ich weiß, dass das Bestehen des Greifenordens an meine Teilnahme bei den Wettkämpfen geknüpft ist. Auralie hat es mir erzählt, da sie das von einer anderen Dienerin aufgeschnappt hat. Wenn ich nicht teilnehme, wird der Greifenorden so oder so geschlossen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass ich gehofft hatte, Cilian würde sich, ohne mit der Wimper zu zucken, für mich – für uns – entscheiden.
Es ist nur ein verdammter Orden. Ich glaubte, das, was wir beide hatten, wäre viel mächtiger gewesen. Viel bedeutender.
War das naiv? Egoistisch? Überheblich? Verblendet?
Wahrscheinlich alles miteinander. Aber die Vorstellung, dass ich in die Wüste gehe und irgendwelche Aufgaben erledige, die meinen Tod bedeuten könnten, da ich noch zu wenig Erfahrung habe, ist ebenso absurd.
Cilian entschied sich für den Greifenorden und gegen mich. Ich konnte es in seinen Augen sehen. Den Kampf, den er in seinem Inneren für die Dauer eines Wimpernschlags ausfocht. Und aus dem ich als Verliererin hervorging.
Ein leises Gurren hinter mir lässt mich zusammenzucken, und das Bild eines Edelweiß – Schneeflockes Lieblingsblume – erscheint in meinem Geist.
Ich atme tief ein und aus. Was jetzt noch zählt, ist Schneeflocke. Denn seine Liebe ist bedingungslos und die werde ich niemals verlieren.
»Dann ist es entschieden«, murmle ich und wende mich meinem Greif zu, der mich mit seinen roten Adleraugen mustert. »Wir verlassen diesen verdammten Ort. Dieses Mal wirklich.«
So rasch ich kann, suche ich meine Siebensachen zusammen, ziehe die Reisekleidung an, die ich in einer Truhe verstaut hatte, und trete auf den Balkon. Mir ist es gleichgültig, wenn mich alle davonfliegen sehen. Wie wollen sie mich daran hindern, den Zirkel zu verlassen? Mit Feuerbällen auf mich schießen?
Ich lächle grimmig. Das sollen sie mal ruhig probieren, Schneeflocke wird jedem von ihnen ausweichen.
Mein Greif wartet, bis ich auf seinen Rücken aufgestiegen bin, dann erhebt er sich in die Lüfte. Als seine Pfoten vom Balkon abstoßen, wird der Druck in meinem Herzen geringer.
In einigen Wochen werde ich zurück in den Talmeren sein und das alles, was ich hier erlebt habe, wird sich wie ein böser Traum anfühlen. Ein böser Traum mit bittersüßen Erinnerungen, aber ich werde wieder in meinem alten Leben sein. Ohne Magier und Ordensleiter, die mich für irgendwelche Intrigen einspannen wollen.
Ein befreites Lachen entweicht meiner Kehle, als wir die Zirkelmauern überfliegen und Schneeflocke sich den Spaß erlaubt, seinen Darm direkt über dem Eingang zu entleeren.
»Wir scheißen auf euch! Ihr könnt uns alle mal!«, rufe ich nach unten, auch wenn ich ziemlich sicher bin, dass mich niemand hören kann, denn dafür sind wir bereits zu weit entfernt.
Schneeflocke beschreibt eine Kurve in Richtung Süden, um an der Küste entlangzufliegen, und ich lege den Kopf in den Nacken, schließe die Augen und atme tief durch.
Ja, so fühlt sich Freiheit an – und diesen Zirkel hinter mir zu lassen, ist die beste Entscheidung meines Lebens.
Ich habe genug gelernt, um niemanden mehr in Gefahr zu bringen.
Jetzt bin ich dran. Mein Leben.
Und das werde ich definitiv ohne irgendeinen Cilian führen, der mich bei der erstbesten Gelegenheit an den Galgen liefert und unsere Liebe verrät.
Wir fliegen zwei Stunden, ehe wir an einem Fluss an der Küste landen. Das Gewässer schlängelt sich zwischen einer kargen Steppenlandschaft in Richtung Meer, das zu unserer Rechten liegt. Ein paar Bäume sowie höhere Sträucher befinden sich in der Nähe, und der Strand mit hellem Sand lädt zum Verweilen ein. Es ist alles so friedlich und ruhig, dass ich kaum glauben kann, erst gerade noch im magischen Zirkel von Chakas gewesen zu sein.
Ich lösche meinen Durst am Fluss. Zwar könnte ich auch mit meiner Magie Wasser aus dem Boden holen, aber das ist zeitaufwendig und anstrengend. Und ich werde meine Kräfte noch für den Rest der Reise benötigen. Unser Weg wird nach Süden bis zu den ersten Ausläufern der Talmeren führen und danach in Richtung Osten über das Gebirge zurück nach Oshema. Zurück nach Hause.
Nachdem ich fertig getrunken habe, gibt mein Magen ein leises Knurren von sich und erinnert mich daran, dass ich mich in den vergangenen Monaten viel zu sehr an regelmäßige Mahlzeiten gewöhnt habe. Es ist zwar erst eine Nacht her, seit ich etwas aß, doch der Hunger nagt an mir.
Ich habe keinen Proviant mitgenommen – dafür war meine Abreise zu überstürzt –, doch sowohl Schneeflocke als auch ich mussten noch nie Hunger leiden, weil wir uns nicht zu helfen wussten.
Auch wenn ich kein Blut oder frische Wunden sehen kann, so hatte ich glücklicherweise bei erlegtem Wild bisher keine Probleme. Das scheint eine Art Schutzmechanismus von mir zu sein, dass ich Tiere, die ich zum Verzehr gejagt habe, ausnehmen kann, ohne dass mir schwarz vor Augen wird oder ich mich übergeben muss. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass ich von klein auf gelernt habe, zu jagen und damit Essen auf den Tisch zu bringen. Essen darf bluten. Wieso auch immer mein Gehirn das begriffen hat – ich bin froh darüber, dass es Ausnahmen machen kann. Sonst würde ich wohl auch einmal im Monat für mehrere Tage dauerohnmächtig werden, wenn ich meine Menstruation habe. Und dass das sinnbefreit ist, hat sogar mein kaputter Kopf begriffen.
Nun schicke ich Schneeflocke in Gedanken ein Bild von einem Hasen und er versteht, fliegt mit einem Laut los, der an das Bellen eines Hundes erinnert, um nach einer Mahlzeit für uns zu suchen.
Da es hier unten am Meer viel heißer als oben in der Luft ist, ziehe ich die Weste aus, die mir den Wind auf dem Greifenrücken vom Leib hält, sodass ich nun nur noch meine lederne Hose sowie mein geschnürtes Hemd trage, welches aus dichtem Stoff besteht.
Dann beginne ich, ein paar Beeren zu sammeln, die an struppigen Sträuchern in Küstennähe wachsen und die ich mit Magie trocknen werde, damit wir sie für später mitnehmen können. Ich lege sie fein säuberlich auf ein Tuch, das ich auf den Steppengräsern neben dem Fluss ausbreite, greife nach meiner Zauberkraft und ziehe vorsichtig das Wasser aus den kleinen Früchten.
Etwas, das mir nun, da ich meine Kräfte besser beherrsche, problemlos gelingt. Früher habe ich oft zu viel Magie gewirkt, sodass die Früchte ungenießbar wurden, weil sie trocken wie Staub waren. Aber nun schaffe ich es, gerade genügend Wasser drin zu lassen, damit wir sie später auf unserer Reise verzehren können.
Just als ich fertig bin, fällt mein Blick auf eine kleine Schildkröte, die in Flussnähe durch das Steppengras krabbelt und wohl ebenfalls ihren Durst stillen möchte. Oder aber sie hat sich verirrt, denn wahrscheinlich sollte sie im Meer schwimmen.
Eine Weile beobachte ich das Tierchen, ehe ich seufze. Wenn ich eine Schildkröte wäre, bestände mein größtes Problem darin, Steppengras zur Seite zu schieben. Welch erstrebenswertes Leben.
Gedankenversunken tauche ich meine Hände ins kühle Wasser des Flusses und benetze meinen Nacken, Gesicht und Hals, denn es ist bald Mittag und daher inzwischen erdrückend heiß geworden.
Ich bin so abgelenkt, dass ich die Präsenz, die mich wohl die ganze Zeit betrachtet hat, zu spät bemerke. Nämlich erst, als eine schattenartige Gestalt hinter einem der höheren Büsche, die den Fluss säumen, hervorprescht. Direkt auf mich zu.
Vor lauter Schrecken fehlt mir die Zeit, um festzustellen, worum es sich genau handelt – aber das Knurren, das die Kreatur ausstößt, ist Grund genug, einen Schutzschild zu bilden. Keine Sekunde zu früh, denn schon schabt eine krallenbestückte Klaue zwei Mal quer über meine Brust, genau an der Stelle, wo mein Herz sitzt.
Ohne Schutzschild wäre ich jetzt aufgeschlitzt!
Keuchend stolpere ich nach hinten und kann gerade so das Gleichgewicht halten. Dass ich dabei das Tuch mit den Beeren mit mir reiße, bekomme ich nur am Rande mit.
Nachdem ich den ersten Schock überwunden habe, fokussiere ich den Blick auf das Wesen, das mich angriff, und erschaudere. Es handelt sich um eine Art Echse, die jedoch auf zwei Beinen geht und einen schwarz geschuppten Körper besitzt, der dem eines Menschen nicht unähnlich scheint. Was mich allerdings am meisten erschreckt, ist, dass rund um ihre Gestalt ein nebelartiger Schleier weht, der aussieht, als würden Schattenwesen um sie herum ihre Finger ausstrecken. Diese Schatten verschlingen jegliches Sonnenlicht, das auf die Kreatur fallen würde, und lassen die dunklen Schuppen an ihrem Körper stumpf wirken.
Ich habe keine Ahnung, was mir da gegenübersteht, aber auch keine Zeit, zu überlegen, denn die rot glühenden Echsenaugen richten sich auf mich, und der Hass, der darin brennt, lässt eine Gänsehaut über meinen Rücken rinnen.
Dieses Wesen ist nicht von dieser Welt – ganz sicher nicht …
Gerade so weiche ich einer zweiten Attacke aus, ehe ich zum Gegenangriff übergehe. Ich forme mit meiner Magie Wasserpfeile und schleudere drei davon auf die Kreatur. Doch statt das Wesen zu verletzen, fliegen die Geschosse einfach durch es hindurch. Meine Augen weiten sich, als ich merke, dass ich ihm keinerlei Schaden zufügen kann. Denn auch meine Eispfeile verfehlen jegliche Wirkung.
Wenn das Wesen so etwas wie Lippen besitzt, dann grinst es jetzt und setzt zum Sprung an. Es trifft mich so hart mit den Beinen, die es mir in den Bauch stößt, dass ich mit einem schmerzerfüllten Laut zu Boden gehe. Nur mein Schutzschild verhindert, dass die Klauen, die auf meinen Kopf schlagen, mir nicht Schlimmeres als dröhnende Kopfschmerzen verpassen.
Ich schirme mit meinen Armen weitere Angriffe ab, doch mein Schutzschild wird nicht ewig halten, solange Schneeflocke noch nicht zurück von der Jagd ist. Und das kann eine Weile dauern, wie ich weiß, denn mein Greif neigt dazu, mit seiner Beute erst ausgiebig zu spielen, ehe er sie erlegt. Ich versuche, ihn in Gedanken zu erreichen, aber er ist schon zu weit entfernt, um meinen Ruf zu hören.
Die Kreatur hat sich nun über mir aufgebaut und lässt ihre Krallen fast schon genüsslich über meinen Schild gleiten. Dabei stößt sie einen kehligen Laut aus, der sowohl Knurren als auch hämisches Lachen sein könnte.
Wo wir gerade bei Spielen sind …
Ich schließe die Augen und konzentriere mich einzig und allein auf meinen Schutzschild. Ohne ihn werde ich in den nächsten Minuten sterben, so viel ist gewiss. Denn dieses Monster wird nicht aufgeben, ehe ich meinen letzten Atemzug getan habe. Das war in seinen hasserfüllten Augen deutlich zu sehen.
Noch einmal mobilisiere ich all meine Kräfte, bäume mich auf und stoße mit beiden Händen gegen die beschuppten Arme des Monsters, um es von mir wegzudrücken. Doch wie meine Pfeile vorhin gleiten meine Finger einfach durch die Kreatur hindurch. Was man von ihren eigenen Klauen allerdings nicht behaupten kann, denn diese dringen mit einem Mal in meinen Schutzschild und reißen mir die Haut an der Brust auf. Ein brennendes Gefühl breitet sich dort aus, wo sie mich verletzt, und ich schreie vor Schmerz. Blut quillt aus den Wunden hervor und ehe ich michs versehe, wird mir speiübel und schwummrig.
Ich hasse Blut …
Das ist der letzte Gedanke, bevor ich merke, wie mein Schutzschild aufflimmert und erlischt, da ich mich nicht mehr darauf konzentrieren kann.
Ich starre der Gestalt entgegen, die sich über mich beugt, und nun kann ich tatsächlich so etwas wie einen Mund in dem schattenhaften Echsengesicht ausmachen. Allerdings einen ohne Lippen, dafür aber mit messerscharfen, spitzen Zähnen, die sich darauf freuen, in mein Fleisch zu beißen. Erneut treibt mir die Kreatur die Klauen in die Brust, dieses Mal auf der anderen Seite.
»Götter, helft mir«, flehe ich, ehe ich die Augen schließe.
Ich spüre den heißen Atem der Bestie, der mein Gesicht streift, und rieche den bestialischen Gestank, der von seinem Schlund ausgeht. Nach faulen Eiern und Eisen. Eine Kombination, die mich noch stärker würgen lässt.
Hastig drehe ich den Kopf zur Seite, um mich nicht an meinem Erbrochenen zu verschlucken, und übergebe meinen Mageninhalt dem Steppenboden. Tränen schießen mir in die Augen, als ich ein drittes Mal Krallen spüre, die meinen Oberarm aufschlitzen. Langsam, beinahe genießerisch, zerreißen sie mein Oberteil und ritzen die Haut darunter auf.
Erneut schießt ein feuriger Schmerz durch meinen Körper, und ich wimmere vor Qual, reiße die Augen wieder auf. Nur um in das Gesicht der Kreatur zu blicken, die mich in den nächsten Sekunden töten wird.
Das Blut ist überall. Mein Blut. Doch mein Blick fällt auf etwas, das ich kaum gehofft hatte, noch einmal zu sehen. Einen dunklen Punkt am Himmel über uns.
»Schneeflocke«, hauche ich und versuche sofort, eine Verbindung zu ihm herzustellen.
Aber mein Geist ist zu schwach – oder es liegt daran, dass die Dunkelheit an mir nagt, mich zu sich holen will. Es gelingt mir nicht.
Ein letztes Mal starre ich zu Schneeflocke empor. Er soll das letzte Lebewesen sein, das ich vor meinem Tod erblicke. Nicht dieses grässliche Ungeheuer, das mich in den nächsten Sekunden verschlingen wird.
Tränen verschleiern meine Sicht, verformen den dunklen Punkt über mir zu einem breiten Fleck. Dann schließe ich die Augen und lasse mich in die Dunkelheit fallen, die schon die ganze Zeit darauf wartet, mich zu sich zu holen.