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5. Der Aufstieg des sozialen Raums der Emergenz und Kreativität (»cycle of presencing«) ist verbunden mit dem Aufstieg seines Gegenteils: des sozialen Raums der Zerstörung (»cycle of absencing«)

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Ausgangspunkt dieser fünften und letzten These ist, dass global eine massive Zunahme an Zerstörung, Gewalt und Fundamentalismus beobachtbar ist und gleichzeitig ein Öffnen zu den tieferen Ebenen des sozialen Feldes stattfindet. Diese doppelte Bewegung, das Öffnen zu den tieferen Ebenen des sozialen Feldes auf der einen Seite und die verstärkten Zerstörungskräfte auf der anderen Seite, sind ein spezifisches Signum unserer Zeit. Diese zwei Kräfte – die des Anwesendwerdens (Presencing) und die des Abwesendwerdens (Absencing) – stehen zueinander in einer vielschichtigen Beziehung. Sie markieren den großen Kampf, die große Auseinandersetzung unseres gegenwärtigen Zeitalters und sind offenbar zwei Seiten derselben evolutionären Bewegung. Häufig erlebt man, dass Menschen gerade angesichts der allergrößten Zerstörung die Fähigkeit entwickeln, eine höhere Ebene der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins zu erreichen. Im Verlaufe des Buches werde ich auf diesen Punkt zurückkommen.

Überall auf der ganzen Welt nehmen die Menschen an zwei unterschiedlichen Arten von Verbindung, zwei unterschiedlichen Qualitäten des sozialen Feldes teil. Die eine wird von der Dynamik der Antiemergenz und Zerstörung beherrscht, die den kollektiven sozialen Körper, der im Sterben begriffen ist, verstärkt. Die andere wird von der Dynamik der Emergenz und der kollektiven Kreativität gesteuert, die zu dem neuen sozialen Körper führt, der geboren werden will. Was heute in zahllosen sozialen Situationen mit Gewalt- und Verbindungspotenzial geschieht, ist, dass wir zwischen diesen beiden Welten hin- und hergerissen sind. Wir können jederzeit und an jedem Ort im Nu von einem Raum (dem Raum der kollektiven Kreativität) in den anderen (den Raum der kollektiven Zerstörung) wechseln. Ob wir diesen Wechsel bemerken, hängt davon ab, wie wach und aufmerksam wir füreinander sind (siehe Abb. V.1 im Vorwort zur Neuausgabe).

Die verbleibenden Kapitel 4 bis 7 von Teil I dieses Buches bieten einen Entdeckungsweg an, auf dem sichtbar wird, dass im Grunde genommen auf jeder Systemebene immer das Gleiche stattfindet: Es gibt einen blinden Fleck in unserer Wirklichkeitswahrnehmung, der immer wichtiger wird. Wir stehen immer öfter vor der leeren Leinwand, die von uns verlangt, dass wir uns selbst anschauen, auf unsere gemeinsamen Verhaltensmuster blicken und neu erfinden, wer wir sind und wohin wir als Institution, als Individuum oder als Gemeinschaft gehen wollen.

Teil II beschreibt den Kernprozess, der uns den blinden Fleck wahrnehmen lässt. Teil III geht der Frage nach, wie ein Umgang mit dem blinden Fleck auf allen übrigen Systemebenen aussieht: von der individuellen Ebene (Mikroebene) zu Gruppen (Mesoebene), Institutionen (Makroebene) und zu einer globalen Perspektive (Mundoebene).

Dieses Buch stellt mehrere Konzepte vor, die auf den ersten Blick komplex erscheinen mögen. Aber sämtliche Ideen und Thesen werden mit Beispielen und persönlichen Erfahrungen illustriert. Als Gesamtbild ergeben sich so etwas wie Fußspuren unseres gemeinsamen evolutionären Weges. Im Kern beschreibt das Buch eine »evolutionäre Grammatik«, die wir kollektiv über alle Systemebenen verkörpern und in allen unseren Alltagshandlungen realisieren. Es ist unsere eigene Geschichte. Der Akt des Sehens, Erkennens und bewussten Wahrnehmens dieser Muster ist also nicht einfach eine theoretische Übung, sondern ermöglicht uns, eine andere Art zu handeln zu entwickeln und gemeinsam eine Welt hervorzubringen, die gänzlich verschieden ist von dem, was aus der Vergangenheit kommt.

Wie es möglich ist, aus der entstehenden Zukunft heraus zu handeln, das ist die zentrale Frage dieses Buches. Mit dieser Kernfrage im Sinn wollen wir unsere Aufmerksamkeit jetzt darauf richten, wie Teams lernen.

24 Die Bezeichnung für die fünfte Ebene, »regenerating«, hat Adam Kahane vorgeschlagen.

25 Anm. d. Übers.: Im Englischen wird das erste Selbst kleingeschrieben (»self«) und das zweite (höhere) Selbst großgeschrieben (»Self«).

Theorie U - Von der Zukunft her führen

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