Читать книгу Off the Record. Unsere Worte sind unsere Macht - Camryn Garrett - Страница 11
Оглавление@JosieTheJournalist: Meine Eltern sind wirklich Weltklasse, don’t@me
Den ganzen Abend darauf zu warten, bis alle gegangen sind, ist die reinste Folter. Und wenn ich vom ganzen Abend rede, ist das tatsächlich wortwörtlich gemeint. Als Onkel Eddie sich verabschiedet, ist es bereits 23 Uhr. Mom muss ihm ein Taxi rufen. Als sie ihm von der Haustür aus nachschaut, schleiche ich mich von hinten an sie heran.
»Mommy?«
Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Was willst du?«
Ich bugsiere sie zurück in die Küche. Hier sieht’s aus wie auf einem Schlachtfeld: halb volle Schüsseln und Flaschen, schmutziges Geschirr und Besteck … und mittendrin steht Dad, der schon dabei ist, die Essensreste umzufüllen. Die werden wir die gesamte nächste Woche essen, mindestens.
»Tja also«, setze ich an und falte meine Hände. »Mir wurde eine Chance gegeben, die man wohl nur einmal im Leben bekommt.«
»Was?« Dad schaut hoch. »Ein Stipendium?«
»Ähm, nein«, entgegne ich. »Nichts Derartiges. Aber es ist sogar noch besser.«
Mom verschränkt ihre Arme vor der Brust. Jetzt hat sie beide Augenbrauen erwartungsvoll in die Höhe gezogen.
»Okay.« Ich hole tief Atem. »Wisst ihr noch, dieser Wettbewerb, an dem ich vor ein paar Monaten teilgenommen habe? Die Deep Focus-Talentsuche? Sie war für jugendliche Journalistinnen und Journalisten ausgeschrieben.«
»Ja«, sagt Mom. »Natürlich erinnern wir uns. Haben sie geantwortet?«
»Ja, haben sie«, erwidere ich. »Und es sind wirklich unglaubliche Neuigkeiten – ich habe gewonnen. Unter insgesamt zweitausend Menschen haben sie mich ausgesucht.«
»Du meine Güte, Josie!« Dad richtet sich kerzengerade auf. »Das ist ja unfassbar. Komm her!«
Er zieht mich in seine Arme und quetscht mich fast zu Tode. Ich lache in seine Schulter hinein.
»Deep Focus«, er rüttelt an meinen Schultern. »Josie! Wir sind so stolz auf dich.«
»Das sind wir«, sagt Mom. »Aber was ist die Kehrseite der Medaille?«
»Es gibt tatsächlich keine Kehrseite, wenn man genau drüber nachdenkt«, ich befeuchte meine Lippen. »Der Hauptpreis ist die Chance, eine Titelstory für die Zeitschrift zu verfassen.«
»Stimmt, ich erinnere mich. Das hast du uns erzählt.« Dads Augen weiten sich. »Unsere Tochter schreibt eine Titelstory für Deep Focus. Dir ist bewusst, dass sogar Obama schon auf dem Titelbild war, oder?«
»Das Cover hängt über dem Fernseher. Du selbst hast es dort angebracht.«
Ich gebe echt mein Bestes, nicht die Augen zu verdrehen. »Meine Titelstory wird sich jedenfalls um diesen neuen Spielfilm drehen, mit Art Springfield in der Hauptrolle.«
»Art Springfield«, wiederholt Dad. Er wirft Mom einen Seitenblick zu. »Na, diesen Film werden wir uns wohl anschauen müssen.«
»Natürlich, Schatz«, sagt Mom, aber ihr Blick bleibt auf mir haften. »Komm zur Sache, Josie.«
»Okay.« Ich atme durch die Nase ein, so tief ich kann. »Um die Titelstory authentisch wiederzugeben, muss ich zusammen mit der gesamten Besetzung und Filmcrew auf eine Pressetour, die zwei Wochen dauert und durch fünf Städte in den USA führt. Diese erste Presseveranstaltung startet nächstes Wochenende in Los Angeles.«
Es herrscht erst mal tiefes Schweigen, während Mom und Dad Blicke wechseln.
»O.« Dad wirft den Stofflappen über seine Schulter. »Na, wenn das alles ist.«
Mir schießt das Blut ins Gesicht.
»Auf gar keinen Fall lasse ich dich alleine quer durch das Land reisen.« Mom schüttelt den Kopf. »Durch wie viele verschiedene Städte? Und woher soll ich deiner Meinung nach das ganze Geld dafür zusammenkriegen?«
Gut. Sie rechtfertigt ihre Haltung. Wenn Mom wirklich Nein meint, dann erstickt sie die Diskussion im Keim. Sich zu rechtfertigen, ist ihre Art, mich zum Kampf herauszufordern.
»Sie zahlen Unterkunft und Reisekosten«, lege ich nach. »Und ich bekomme 500 Dollar in bar.«
»500 Dollar«, wiederholt Dad. »Die sind aber ganz schön spendabel, oder?«
»Den Rest würde ich mir zu Weihnachten wünschen. Oder ich nehme mein Gehalt von Cora zum Aufstocken.«
»Das Geld ist für die Schule«, erinnert mich Mom.
»Stimmt«, erwidere ich. »Aber eine Pressetour macht bei Weitem mehr Eindruck als die kleinen Artikel, die ich als freie Journalistin schreibe. Und Monique kann nach wie vor meine Mentorin bleiben.«
Ich hab Monique von dieser ganzen Sache zwar noch nichts erzählt, aber ich bin mir sicher, dass sie mehr als einverstanden sein wird. Diese Gelegenheit ist für ein Abschlussprojekt ja wohl wie gemacht. Wenn die anderen aus meiner Schule auf fremde Kontinente fliegen, um dort ihre Mission zu erfüllen oder Häuser zu bauen, dann kann ich auch auf eine Pressetour gehen, die meine Karriere fördern wird.
»Es ist nur –«, presse ich überfordert heraus. Es ist echt schwierig, dieses ganze Gewirr an Gefühlen auf einmal in Worte zu fassen. »Ich mache alles, was ihr wollt. Aber das ist wirklich, wirklich wichtig für mich!«
»Also ich weiß nicht.« Dad schaut kurz zu Mom rüber. »Es klingt aber auch wirklich nach einer ganzen Menge Verantwortung.«
»Ich kann Verantwortung übernehmen«, sage ich, strecke meine Hand aus und zähle an den Fingern ab: »Ich passe auf Cash auf, wann immer es nötig ist. Ich gehe jedes Wochenende einkaufen. Ich habe einen Job. Ich hab quasi den gesamten College-Kram allein gemeistert. Ich schaffe das.«
Dad nickt. Mom wirft ihm einen Blick zu.
»Ich verstehe«, sagt sie langsam. »Aber ich fühle mich einfach nicht gut damit, dich ganz allein auf diese Reise zu schicken, und ich kann mir nicht so lange freinehmen.«
»Keiner von uns könnte das«, bekräftigt Dad. »Und sosehr ich mir diese Chance auch für dich wünsche –«
»Maggie kann mich begleiten.« Die Worte purzeln aus meinem Mund. »Sie kann mit mir kommen.«
»Bist du sicher?« Mom schaut mich vielsagend an. »Auch Maggie kann sich nicht einfach von der Arbeit freinehmen und ich bezweifle, dass du Cash mit im Gepäck haben willst.«
»Tja, wie wäre es dann mit Alice?«
Ehe meine Worte überhaupt bei meinen Eltern eingesickert sind, kommt Alice ins Zimmer gerauscht. Ich wusste, dass sie lauscht!
»Nein«, faucht sie. »Für den Job als Babysitterin lasse ich mich ganz bestimmt nicht vom College beurlauben.«
»Es ist kein Babysitten«, sage ich. »Ich bin zwei Jahre jünger als du. Und du brauchst dich auch nicht beurlauben zu lassen. Deine Winterferien starten nächste Woche.«
»Ferienzeit ist meine Zeit«, erwidert sie und verschränkt ihre Arme vor der Brust. »Ich brauche sie, um mit meinen Leuten abzuhängen.«
»Das kannst du jeder zeit tun. Komm schon, Alice. Ich hab dich noch nie um etwas gebeten.«
»Das ist gelogen.« Alice verdreht die Augen. »Wie viele Male musste ich dich durch die Gegend kutschieren, bevor du endlich deinen Führerschein bestanden hast?«
»Das ist was anderes.«
Mein Gesicht brennt. Ich bin nur deshalb zweimal durchgefallen, weil meine Ängste mit am Steuer saßen. Ich wurde angehupt, der Fahrlehrer musste mich daran erinnern, dies oder jenes zu tun, und dann verschlug es mir komplett den Atem.
»Du glaubst wohl, nur weil du fragst, muss ich springen«, wirft Alice ein, als hätte ich überhaupt nichts gesagt. »Was soll ich denn deiner Meinung nach die ganze Zeit dort tun? Dir hinterherdackeln und stricken?«
»Ich brauche doch nur –«
»Also wenn ihr zwei so weitermacht, landet ihr nirgendwo«, bringt Mom uns gereizt zum Schweigen. »Ich kann mich ja nicht mal mehr selber denken hören.«
Alices Lippen verziehen sich zu einer Flunsch. Ich wette, sie will nur deshalb nicht mit, weil die Frage von mir kam.
Hätten Mom oder Dad sie gebeten, hätte sie zwar widersprochen, aber wäre letztendlich doch einverstanden gewesen. Schließlich bitte ich sie gerade nicht darum, sich die Augen auszustechen. Ich bitte sie, mich auf eine Reise zu begleiten. Und die ist wirklich nicht von der übelsten Sorte!
»Wenn du dich weiter auf deine Schularbeiten konzentrierst.« Dad wählt seine Worte mit Bedacht, in ständigem Blickkontakt mit unserer Mutter. »Und wenn du Alice überzeugen kannst, mit dir zu kommen … dann sehe ich keinen Grund, warum wir diese Reise nicht ermöglichen können.«
Ich drehe mich wieder zu meiner Schwester. Sie schmollt noch immer.
»Alice«, ich überwinde mich und strecke meine Unterlippe vor. »Bitte? Wir werden nach New York gehen und nach L. A. und ich verspreche dir, wir besuchen dort jeden Ort, den du willst. Ich übernehme für ein Jahr deine Aufgaben hier im Haushalt.«
»Ich bin die meiste Zeit des Jahres überhaupt nicht hier.«
Ich stöhne auf und werfe den Kopf zurück.
»Alice«, sagt Mom. »Niemand wird dich dazu zwingen. Aber es wäre wirklich schön, wenn du deiner Schwester diesen Gefallen tun könntest.«
Alice beißt sich auf die Lippe. Ich widerstehe dem Drang, meine Faust in die Luft zu strecken. Moms Unterstützung wiegt mehr als alles, was ich je versprechen könnte.
»Tja«, erwidert Alice schließlich, nach einem tiefen, erschöpften Seufzer. »Ich wollte schon immer mal nach Los Angeles. Und die Chance auf ein Treffen mit –«
Ich kreische auf und umschlinge sie. Ihre schlaff an der Hüfte herunterhängenden Arme beweisen, dass Alice kein großer Knuddelfan ist. Aber ich bin einfach so überglücklich, dass ich nicht anders kann. Dad muss lachen, doch Mom knallt mit der flachen Hand auf den Tisch, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Aber sobald ihr zurückkommt, wirst du dich aufs College konzentrieren.« Mom erhebt den Zeigefinger. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen. Nichts, was sie jetzt noch sagen könnte, wird mir meine Freude kaputt machen.
»Und ich will Anrufe. Anrufe. Keine Textnachrichten. Und zwar stündlich. Haben wir uns verstanden?«
Der Rest ihrer Worte geht unter, weil ich zu beschäftigt damit bin, so richtig loszukreischen und Mom in meine Arme zu ziehen.