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@JosieTheJournalist: Shoutout an die Läden: Führt endlich Klamotten in Übergröße – die auch wirklich Übergrößen und keine Durchschnittsgrößen sind

Als ich acht war, sind wir zu einem großen Familientreffen nach Disneyland geflogen, aber öfter als dieses eine Mal bin ich tatsächlich nicht aus unserem Staat herausgekommen. Wie ich mich für eine Tour durch fünf Staaten ausrüsten soll, ist mir daher ein Rätsel.

Während Alice die nächsten paar Tage mit ihren Abschlussarbeiten und dem Abwickeln ihres ersten College-Semesters verbringt, versuche ich, alles, was ich für eine zweiwöchige Tour brauchen könnte, in meinen Koffer zu packen. Am Dienstag steckt Maggie ihren Kopf durch die Tür. Sie runzelt die Stirn und starrt auf meinen Koffer, als wäre er ein verwaister Welpe.

»Was?« Ich schaue auf mein Gepäck, das ausreichen wird, auch wenn ich noch nicht alles zusammengefaltet habe. »So schlimm ist es nicht. Ich werde nicht nackt rumlaufen müssen.«

»Aber das ist eine große Sache. Du wirst Filmstars interviewen.« Sie fasst mich bei den Schultern und schüttelt mich. »Josie, begreifst du überhaupt, was das bedeutet?«

»Komm schon, der größte Star in diesem Film ist Art Springfield und den himmeln im Grunde doch nur Oldies wie Mom und Dad an«, sage ich. »Ich werde den Newcomer interviewen. Er ist nicht wirklich das, was du als –«

»Hör auf, es mir kaputt zu machen«, erwidert sie. »Ich werde es durch dich erleben.«

»Ich wünschte, du könntest es mit mir erleben«, entgegne ich. Alice ist nicht da, also kann ich offen zeigen, wer meine Lieblingsschwester ist. »Wir würden so viel Spaß haben.«

»Ich weiß.« Sie zieht einen Schmollmund und schnippt eine Fluse von meinem Shirt. »Aber Alice wird dich begleiten. Ihr zwei werdet tonnenweise Spaß ohne mich haben. Weißt du eigentlich, wie aufgeregt sie ist?«

Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. Wenn es um Alice und mich geht, ergreift Maggie nie Partei, was ihre Kommentare komplett unglaubwürdig klingen lässt. Sie schnaubt und gibt mir einen leichten Schubs.

»Wenn du auf einer voll bezahlten Tour keinen Spaß haben kannst, dann läuft was schief bei dir.« Sie stemmt ihre Hände in die Hüften. »Und du brauchst bessere Klamotten. Irgendwas Schönes. Irgendwas Besonderes.«

Puh. Ich liebe Klamotten. Ich hasse es nur, sie einzukaufen. Ich betrachte super gern die Fotos der Promis, die sich während der Fashion Week auf den Straßen präsentieren, und mir gefällt auch die Castingshow Project Runway. Es ist dieses schräge Paradox: Ungetragen sehen fast alle Klamotten fade und nutzlos aus, aber die meisten Modemacherinnen und Modemacher denken einfach nicht an Körper wie meinen. Selbst Plus-Size-Models haben mehr – keine Ahnung – Symmetrie. Ihre Körper sehen aus, als gehörten sie auf einen Laufsteg. Ich dagegen – wann immer ich etwas entdecke, das ich tragen will – sehe falsch darin aus, wie ein Lebkuchenmann mit zu vielen Teigrollen an den falschen Stellen.

Aber wie soll ich Maggie das erklären? Sie wird mir versichern, dass ich schön bin, so wie ich bin. Und es ist nicht so, dass ich unbedingt schön sein muss. Es geht mir nicht um mein Aussehen. Es geht mir darum, wie mich alle ansehen, wenn ich Klamotten trage, die mir nicht richtig passen. Ihre Mundwinkel ziehen sich nach unten und manchmal flüstern sie sogar.

Ich kann sprichwörtlich hören, was sie denken: Gott sei dank sehe ich nicht so aus wie sie. Ich will einfach nur da sein dürfen, ohne Aufsehen zu erregen. Ich will die Aufmerksamkeit nur dann, wenn ich selbst es darauf anlege.

Maggie und ich reden ständig über Menstruation und über Typen und über all den schlechten Sex, den sie hatte. Aber dieses Thema will ich nicht mit meiner Schwester teilen. Dieses Thema habe ich vergraben, tief in meinem Inneren, weit weg von der Oberfläche.

»Ich muss mein Geld für die Reise sparen«, werfe ich stattdessen ein. »Also wird sich der schicke Schauspieler mit normalen Klamotten begnügen müssen.«

»Mach dir ums Geld keinen Kopf«, sagt Maggie. »Ich spendier dir was.«

Ich bringe kein Nein über meine Lippen.


Gegen Ende der Woche überredet Maggie Mom, auf Cash aufzupassen, damit wir shoppen gehen können. Die Mall ist eine halbe Autostunde von uns entfernt – und beide meiner Schwestern begleiten mich, was bedeutet, dass ich auf dem Rücksitz lande. Sie reden über Themen, die Maggie auch mit ihren Freundinnen am Telefon bespricht: Sex, Typen, Reality-TV, Haare. Ich blende sie aus und tippe auf meinem Handy rum.

Die Mall ist riesig, also stehen uns jede Menge Läden zur Auswahl. Maggie beginnt mit einer Boutique direkt beim Eingang. Ich bezweifle, dass sie genügend Geld hat, um uns irgendetwas von hier zu kaufen. Außer uns sind eine Handvoll anderer Frauen im Laden und alle sind weiß.

»Das hier hat doch was.« Maggie zieht ein langes lilafarbenes Kleid von der Stange. »Was meint ihr, Mädels?«

»Ich bezweifle, dass ich mich darin bewegen kann« sagt Alice. »Es ist zu lang.«

»Das ist ja gerade das Coole daran«, stelle ich fest. Es ist schön schlicht, kaum mehr als ein langes Stück Stoff. »Als ob du eine Schleppe hinter dir herziehen würdest, wie eine Prinzessin.«

Alice zieht eine Augenbraue hoch, aber sie schweigt. Hinter uns faltet eine Frau einen Stapel T-Shirts auf einem gigantischen Holztisch. Maggie zieht uns weiter zu einer anderen Kleiderstange. Aus den Augenwinkeln mustern uns die weißen Frauen. Eine flüstert einer anderen irgendwas ins Ohr. Ich drehe mich zu Alice. Ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen.

»Der hier gefällt mir.« Maggie greift nach einem Hosenanzug. »Was meint ihr?«

Er ist hellorange mit langen, flatternden Hosen, volantartigen Flügelärmeln und ausgeschnittenem Rücken. Genau die Art von Outfit, in dem ich mir die hippen Ladys aus L. A. vorstelle. Man kann ihn als Kleid tragen und als Kombi aus Bluse und Rock und als Hosenanzug. Drei verschiedene Looks in einem Outfit!

»Ich liebe ihn.« Ich lasse meine Hand über den Stoff gleiten. Er ist so weich. »Und? Willst du ihn? Was kostet er?«

Maggie wirft einen Blick auf das Preisschild und ihre Augen werden groß.

»Maggie?«

»Denk nicht mal dran.« Sie steckt das Preisschild wieder zurück. »Probier einfach, ob dir das Outfit gefällt.«

»Ich glaub, die Frau da folgt uns.«

Alices Stimme ist nur ein Wispern. Weil man mich sowieso nicht übersehen kann, drehe ich mich um. Es ist dieselbe Frau, die eben noch bei dem Tisch stand. Jetzt ist sie direkt hinter uns. Als sie meine Blicke bemerkt, dreht sie sich schnell zu einem Kleiderständer um. Mir schießt flammende Hitze in die Wangen. Ja, so was passiert, aber nicht ständig. Ich will hier raus und ich will den Hosenanzug.

»Puh. Ignorier sie einfach.« Maggie dreht sich wieder zu unserer Kleiderstange. »Komm schon, Josie. Lass uns nachschauen, ob sie ihn in deiner Größe haben.«

Die größte Größe ist XL und selbst davon gibt’s nur einen, also drückt mir Maggie für die Umkleidekabine noch einen in L in die Hand. Sie und Alice schnappen sich verschiedene Hosenanzüge – einen schwarz-weißen und einen gepunkteten – und folgen mir. Warum auch immer: Die Verkäuferin von vorhin ist jetzt ebenfalls hier gelandet. Alice wirft ihr einen vernichtenden Blick zu, doch die Frau rührt sich nicht vom Fleck.

Meine Schwestern brauchen nicht lange, um in ihre Outfits zu schlüpfen. Für sie ist Shopping etwas völlig anderes als für mich. Sie passen beide problemlos in Kleidergröße M. Neben mir sehen sie beide älter aus und sexy. Maggie hat schon ein Kind auf die Welt gebracht, wodurch ihre Hüften breiter geworden sind. Alice hat weniger Kurven als wir. Trotzdem sieht sie in allem wunderschön aus, jetzt ganz besonders. Ihre dunklen, staunenden Augen heften an ihrem Spiegelbild.

Ich dagegen krieg den Hosenanzug in L nicht mal zu. Er kneift mir in den Bauch. XL passt immerhin, aber an manchen Stellen trägt er übertrieben auf. Ich bezweifle, dass ich darin auch nur annähernd mit den Models, die diesen Hosenanzug auf der Website tragen, vergleichbar bin.

Meine Schwestern bleiben stumm. Ich starre auf uns drei im Spiegel: auf die beiden, die sehr wohl aussehen wie Models, und auf mich, die aussieht wie ich. Und wenn ich allein bin, hab ich keine Probleme damit, aber neben ihnen fällt es mir schwerer. Die Welt da draußen vergleicht mich mit jedem Menschen, dem ich gegenüberstehe, also hab ich es mittlerweile genauso übernommen. Es ist wie ein Reflex.

»Sollen wir vielleicht mal nachschauen, ob es noch andere Größen gibt?«, fragt Alice mit einem Seitenblick auf Maggie. »Vielleicht in der Abteilung für Übergrößen?«

Für mich ist diese Abteilung jedes Mal ein Lottospiel – ohne Aussicht auf den Jackpot. Meine Proportionen sind eigenwillig, denn an manchen Stellen bin ich üppiger – vor allem an den Hüften, am Bauch und an den Brüsten – und die Designer für Klamotten in Übergröße machen ihre Rechnung offensichtlich ohne mich. Deshalb sieht nichts an mir wirklich passend aus.

Oh, wie ich diese Situationen hasse! Wie sehr ich es hasse, wenn sie mich anschauen, als wäre ich ein geprügelter Straßenhund. Wenn alle um mich herum verstummt sind und nur noch Britney Spears’ Stimme durch den Laden tönt. Mir selbst zu versichern, dass es kein Fehler ist, fett zu sein, fällt mir leicht, wenn ich allein oder auf Twitter unterwegs bin. Fett zu sein in der wirklichen Welt, inmitten all der anderen Menschen, ja sogar inmitten meiner eigenen Familie, ist eine komplett andere Geschichte.

Aber was wäre meine Alternative? Mich zu Hause einschließen?

Ich mag elegante Klamotten, die aussehen wie Kunst. Logisch rechne ich nicht damit, jemals den Anschein zu erwecken, als würde ich aus einem Modemagazin herausspazieren, denn auf den hochglanzpolierten Seiten habe ich noch nie ein Mädchen wie mich entdeckt – aber wenn ich den Blick auf meine Schwestern lenke, dann kann ich es mir zumindest vorstellen. Mir Dinge vorzustellen, darin bin ich wirklich gut.

»Nein.« Ich grabe meine Fingernägel in meine Handballen. »Vergesst es. Ich mag es genau so, wie es ist.«

Und das ist nicht mal gelogen. Okay, mein Bauch tritt hervor und meine Brüste sehen aus, als würden sie jeden Moment aus dem Oberteil platzen. Aber der Rest gefällt mir. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, mich an meinen Körper zu gewöhnen. Also sollte das auch mit diesem Hosenanzug möglich sein. Ich hab nichts dagegen, wenn Maggie ihn kauft. Ich sollte es wert sein, etwas Schönes zu bekommen.

»Wir sehen sensationell aus«, sagt Alice. »Maggie, mach mal ein Foto.«

Fotosessions in Umkleidekabinen sind unser Ding. Seit wir für Maggies Abschlussball zum ersten Mal Kleider anprobieren mussten, pflegen wir dieses Ritual. Damals schlichen meine Schwestern noch auf Zehenspitzen um das Wort, als hätten sie Angst davor, mich fett zu nennen. Dabei ist doch wirklich nicht viel dabei. Ausdrücke wie »wohlbeleibt« machen es nur schlimmer. Ich kann den Leuten ansehen, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlen, wenn sie auf der Suche nach dem passenden Begriff sind.

Fett ist das Wort, das sie denken. Fett ist das Wort, das mich nachts zum Weinen brachte, als ich noch in der Mittelstufe war. Also ist es jetzt das Wort, das ich benutze, um mich selbst zu beschreiben. Es ist ein Wort, das ich aus der negativen Energie herausschälen will, so wie es andere Schwarze mit dem Wort Nigga versuchen.

Alices Bemerkung über unser Aussehen mag gelogen sein, aber das ist mir egal. Ich sehe nicht gruselig aus. Ich sehe nur anders aus. Und zumindest habe ich meine Schwestern an meiner Seite. Ich könnte es nicht aushalten, der Freak unter Fremden zu sein.

Maggie zwinkert mir zu. Alice lacht und ich breche zu meiner eigenen Überraschung in ein lautes Prusten aus.

»Okay, okay«, sagt Maggie kopfschüttelnd. »Noch ein paar. Los, kommt schon.«

Sie macht noch einige Fotos aus verschiedenen Blickwinkeln. Früher hab ich mich immer nach hinten verdrückt, aber damit ist Schluss. Von oben aufgenommen, sieht man ja im Grunde nur mein Gesicht. Und dagegen habe ich absolut nichts einzuwenden. Als ich in der Mittelstufe war, hab ich mein Gesicht gehasst. Und wer weiß, vielleicht gewinne ich eines Tages ja auch den Rest meines Körpers lieb.

Gerade macht es mir jedenfalls nichts aus, zu fett für diesen Hosenanzug zu sein. Denn in diesem Augenblick bin ich einfach nur glücklich.

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