Читать книгу Off the Record. Unsere Worte sind unsere Macht - Camryn Garrett - Страница 20

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»Hör auf damit.«

Ich schaue hoch. Alice sieht mich nicht mal an. Schon seit Stunden würdigt sie mich keines Blickes, obwohl wir es uns auf demselben Bett im Hotelzimmer gemütlich gemacht haben.

»Was?«, frage ich verwirrt. »Ich mach doch gar nichts Nerviges.«

Alice ist genervt von allem Möglichen, was ich mache. Darunter fällt zum Beispiel: Musik laut abzuspielen, anstatt meine Kopfhörer zu benutzen, oder beim Schreiben Selbstgespräche zu führen. Aber den größten Teil dieses Abends habe ich nur damit verbracht, die anderen Schauspieler und Schauspielerinnen aus dem Film zu googeln, um mir darüber klar zu werden, was ich sie über Marius fragen kann.

»Nein.« Alice verdreht die Augen. »Ich meine, du sollst damit aufhören, an ihn zu denken. Dein Gesichtsausdruck ist so was von albern.«

»Ich muss an ihn denken«, verteidige ich mich und drehe mich wieder zu meinem Bildschirm. »Ich schreibe ein Porträt über ihn. Und damit sollte ich auch meine gesamte Zeit verbringen. Also keine Ahnung, was du von mir willst. Ich kann nichts dafür, dass dir mein Gesichtsausdruck nicht gefällt.«

»Das meine ich nicht und das weißt du.« Als Zeichen ihrer Missbilligung schürzt sie die Lippen und saugt die Luft zwischen den Zähnen ein. Dann greift sie nach ihrem Seidenschal, um ihn für die Nacht um ihr Haar zu binden. »Ständig hängst du dein Herz an diese kleinen hübschen Jungs. Kein Wunder, dass du nie den Richtigen findest. Es liegt nicht daran, dass du nicht hübsch oder klug genug bist oder worüber auch immer du dich dauernd auslässt.«

»O mein Gott.« Ruckartig hebe ich den Kopf. »Leg dich gehackt, Alice!«

Ich bereue, dass ich ihr überhaupt jemals erzählt habe, in wen ich verliebt war. Ernsthaft, ich hatte nie damit gerechnet, dass sie mir zuhört. Da war Saivon, ein Schwarzer Typ aus der Neunten mit einem wunderschönen Afro, der mich nach meiner Weigerung, ihm in einer Klausur beim Schummeln zu helfen, wissen ließ, dass auf meinen »fetten Afroarsch« ohnehin niemand scharf wäre. Dann war da Sohail, ein Junge, der mir nach Kuss Nummer drei steckte, dass mich seine pakistanischen Eltern niemals billigen würden. Und schließlich kam Tasha, meine So-was-wie-irgendwie-Freundin, die mir erst von ihrem Umzug erzählte, als sie bereits umgezogen war. Nein, ich hänge mein Herz nicht an hübsche Jungs. In letzter Zeit hab ich gelernt, mein Herz an überhaupt niemanden mehr zu hängen.

Vielleicht ist das ein Josie-Ding. Wenn ich schon fett bin, sollte ich wahrscheinlich nehmen, was ich kriegen kann, aber ich hab kein Interesse, mit irgendeinem Idioten auszugehen, der nicht liest oder ernsthaft glaubt, Rassismus existiere nicht mehr. Ich will keinen, der meinen Körper als etwas sieht, das ich in den Griff kriegen muss. Es ist einfach verdammt schwer, den richtigen Menschen zu finden. Ich habe einen gefunden und sie hat mich verlassen.

»Ich mein ja nur«, legt Alice nach. »Du musst professionell bleiben, stimmt’s? Also hör einfach auf, in seiner Gegenwart abzudrehen.«

»Ich drehe nicht ab.« Meine Wangen brennen. Womöglich hat sie sogar recht, aber ich kann nichts dafür. »Ich versuche ja, nicht abzudrehen.«

»Tja, dann.« Sie hebt eine Augenbraue. »Versuchs weiter.«

»Du bist echt das Letzte«, sage ich.

Vor dem Schlafen sende ich Ms. Jacobson noch eine E-Mail, in der es um ein Interview mit Penny Livingstone geht. Penny hat Emma gespielt, ein Mädchen, mit dem sich Peter im Konvertierungscamp anfreundet. Als die am wenigsten berühmte Schauspielerin in der Besetzung wird Penny mir wahrscheinlich am ehesten einen spontanen Termin geben, bevor wir nach Austin aufbrechen.


Und tatsächlich – als ich am nächsten Morgen aufwache, ist mein Treffen mit Penny bereits für 15 Uhr in einem Restaurant in Downtown L. A. vereinbart worden. Ich blinzle ein paar Mal, bevor ich sicher bin, dass ich nicht träume. Dass es einfach sein würde, hatte ich gehofft – aber so einfach? Vielleicht liegt es an ihrer Vergangenheit auf Disney Channel, dass Penny Livingstone so scharf auf Presse jeder Art ist.

»Kannst du dir das Essen hier leisten?«, flüstert Alice, als wir das Restaurant betreten. »Sieht aus, als würde es dein Budget sprengen.«

So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Die gesamte Einrichtung ist aus Holz. Von der Decke hängen Blumen herab und die Fenster sind bodentief. Die Gäste essen aus Schüsseln, die gefüllt sind mit Obst in den merkwürdigsten Farben. Es hat was von einem Hipster-Paradies – allerdings ein Paradies, das mich einen Großteil meines irdischen Preisgelds kosten wird.

Deep Focus hat zwar die Flugtickets und Hotelreservierungen übernommen, aber für Alice muss ich aus meiner eigenen Tasche zahlen. Schließlich war sie nicht Teil der Abmachung. Außerdem muss ich die Ausgaben für Kost und Logis vorstrecken. Ms. Jacobson hat mich angewiesen, alle Belege zu sammeln, damit sie mir das Geld zurückerstatten kann, aber in diesem Augenblick ist das keine große Hilfe.

»Ich werde einfach nichts bestellen.« Ich beiße mir auf die Unterlippe und schaue mich nach Penny um. »Wasser gibt’s ja umsonst.«

»Sie wird dich erbärmlich finden.«

»Ist mir egal.«

»Kann ich euch helfen?« Vor uns steht eine Frau. Sie trägt Jeans und Stiefel, obwohl wir hier im warmen L. A. sind. »Ein Tisch für zwei?«

»Ähm, sie ist hier mit jemandem verabredet.« Alice stupst mir in den Rücken. »Kann ich an der Bar sitzen?«

Ich entdecke Penny auf den ersten Blick, und das nicht nur, weil ich sie schon gestern Abend in Incident on 57th Street wiedererkannt habe. Sie sieht genau so aus wie vor drei Jahren, als ich ihr noch dabei zuschaute, wie sie sich im Disney Channel durch die Highschool sang und tanzte. Ihr Haar ist flammend rot und um ihre Nasenspitze versammelt sich eine Handvoll Sommersprossen auf ihrer blassen Haut.

Nur der Babyspeck ist fast komplett aus ihren Wangen verschwunden, und als ich näher komme, fällt mir auf, dass sich auch ihre Nase verändert hat. Sie ist gerader.

Sobald Penny mich erblickt, erhebt sie sich vom Stuhl, aber im Gegensatz zu Marius schüttelt sie mir nicht die Hand, sondern zieht mich in eine Umarmung. Ich erstarre und lasse die Arme hängen.

»Ich freu mich so, dich zu sehen«, sagt Penny. Keine Ahnung, ob ihre Worte ernst gemeint sind oder nicht.

Ihre Ausstrahlung hat etwas Poliertes. Ihr Lächeln ist warm, aber reserviert. »Ich habe ein paar deiner Texte gelesen und sie sind so beeindruckend.«

»Oh wow«, sage ich und nehme ihr gegenüber Platz. »Danke.«

Sie schaut mir schweigend dabei zu, wie ich meinen Stift, mein Notizbuch und meinen Rekorder aus der Tasche ziehe.

»Hast du was dagegen, wenn ich unser Gespräch aufzeichne?«

Sie runzelt die Stirn. Ich blinzele überrascht. Dass diese Frage auf ein Zögern stößt, passiert mir zum ersten Mal. Allerdings ist Marius bis jetzt auch der einzige Mensch gewesen, mit dem ich ein Einzelinterview hatte.

»Es muss nicht sein.« Ich greife nach dem Rekorder. Da ich das gestrige Interview schon auf meinen Computer geladen habe, ist er leer. »Es erleichtert mir nur die Arbeit. So kann ich später alles zurückverfolgen und sicherstellen, dass ich nichts falsch zitiere.«

»In Ordnung.« Sie kaut an ihrer Lippe. »Solange es der Präzision dient.«

»Wunderbar.« Ich stelle das Gerät zwischen uns auf den Tisch. »Wie du weißt, arbeite ich an einem Porträt über Marius, aber ich würde super gern mit ein paar Fragen zu dir einsteigen. Woran hast du in letzter Zeit gearbeitet?«

Das ist nur ein Eisbrecher, um das Gespräch in Gang zu bringen. Natürlich habe ich sie ebenfalls recherchiert. Incident war nicht ihr erster Spielfilm seit Disney Channel, aber es ist der erste Indie-Film nach einer Reihe von Enttäuschungen, in denen sie nicht mal die Hauptrolle spielte.

»Oh, das ist eine große Frage«, bemerkt sie kopfschüttelnd. »Ich würde sagen, mein größtes Projekt ist, Fortschritte mit meiner Bikinifigur zu machen.«

Jetzt runzle ich die Stirn. Sie ist ganz schön dünn. Und es hilft nicht wirklich, dass dieses ganze Bikinifigur-Gerede mich ohnehin schon höllisch aus der Fassung bringt, ganz egal, von wem es kommt.

»Na, das wird ein Kinderspiel.« Ich lasse meinen Kuli klicken. »Deine perfekte Bikinifigur ist die Figur, die du im Bikini hast.«

Ihre Augenbrauen heben sich, ehe sie in lautes Gelächter ausbricht. Ich will lächeln. Aber ich will auch, dass sie sieht, wie bitterernst mir das ist. Sie schüttelt ihren Kopf, als hätte ich gerade den Witz des Jahres gerissen.

»Großartig!« Ihr Gesicht ist rot und bringt ihre Sommersprossen noch stärker zum Vorschein. »So habe ich das noch nie betrachtet.«

Zumindest hat mein Spruch das Eis gebrochen. Als ich Penny nach ihrer Zeit auf Disney Channel frage, sprudelt sie los.

»Meine Eltern haben mich jeden Morgen zur Arbeit gefahren.« Sie knibbelt an dem Brot, das auf der Tischmitte steht. »Die Fahrt zum Disney Studio hat eine Stunde gedauert und wir sind fast nie vor neun Uhr abends wieder weggefahren. Mein Freundeskreis bestand aus den anderen Kids am Set, aber nichts davon war wirklich echt. Und dann hat meine Managerin mich gedrängt, mit dem Singen anzufangen.«

»Und wie ist das gelaufen?«

»Gruselig.« Sie lächelt spitz. »Wir alle wussten, dass ich keinen Ton richtig halten konnte, aber niemand hat mir die Wahrheit gesagt, weil alle nur ans Geld gedacht haben.«

Ich beiße mir auf die Lippe. Der Kellner kommt an unseren Tisch und ich spüre, wie sich mein Magen vor Hunger zusammenzieht. Ich hab nicht mal die Gelegenheit gehabt, die Speisekarte nach dem billigsten Angebot zu durchforsten.

»Zwei Cheeseburger bitte«, fordert Penny, ohne in die Karte zu schauen. Sie dreht sich zu mir. »Verlass dich drauf, sie schmecken göttlich.«

»Oh«, bringe ich nicht gerade wortgewandt hervor. »Also, ich – meine Schwester hat mein Portemonnaie.«

Was für eine dumme Ausrede. Allein die Erwartung, dass sie mir gleich einen schiefen Blick zuwirft, lässt mich zusammenzucken. Vom Kellner ernte ich jedenfalls einen. Seine Lippen werden schmal und er hat meinen Bullshit hundertprozentig durchschaut, als er sich abwendet.

»Alles gut.« Penny wedelt mit der Hand. »Das ist total okay für mich.« Mein Magen tut immer noch weh.

»Oh«, wiederhole ich mich. »Ich meine, du kannst nicht für mein Essen bezahlen. Das ist – ich –«

»Ich meinte«, sagt Penny, »dass wir das Portemonnaie von deiner Schwester holen.«

Ich nicke und presse die Lippen aufeinander. Richtig. Klar. Ich starre auf mein Notizbuch und überlege krampfhaft, wie ich das Gespräch wieder in Fluss bringen kann.

»O, ich schätze, wir sollten jetzt wohl über Marius reden, richtig?«, fragt sie von sich aus. »Ich bin immer so auf mich fixiert. Tut mir wirklich leid.«

»Nein, nein, du bist völlig in Ordnung.« Ich schüttle den Kopf. Durch den Themawechsel fällt mir zumindest das Atmen ein wenig leichter. »Aber was kannst du mir über die Zusammenarbeit mit ihm erzählen?«

Das Gespräch mit ihr fühlt sich so anders an als das mit Marius. Er hat es mir leicht gemacht, aber er war auch zurückhaltender. Bei Marius musste ich bohren. Penny hat die Geschichten schon auf Lager, ehe ich nach ihnen fragen muss.

»Am Set ist er total konzentriert«, sagt sie und nippt an ihrem Wasser. »Manchmal albert er rum, zwischen den Szenenaufnahmen, du weißt schon, da haben wir jede Menge Wartezeit. Aber wann immer ihm danach war, hat er sich mit diesen gigantischen Kopfhörern in eine stille Ecke zurückgezogen und ist in sein Buch abgetaucht.«

»Ernsthaft?« Ich spitze die Ohren. »Basiert der Film auf einem Buch?«

»Nein. Er hat sich einfach alles Mögliche über Konvertierungscamps reingezogen, aus Romanen und Sachbüchern. Ich habe auch ein bisschen was darüber gelesen, aber ein Buch krieg ich nicht so schnell durch. Marius dagegen … jedes Mal, wenn wir ihn nicht finden konnten, hockte er irgendwo und las.«

Ich will noch weiterfragen, aber dann taucht der Kellner wieder auf und wir müssen eine Essenspause einlegen. Pennys Augenlider flattern, als sie den ersten Bissen nimmt. Ich muss losprusten.

»Ich verspreche es dir.« Sie wischt sich über den Mund. »Es ist so lecker.«

Und, scheiße, das ist es wirklich. Die Art, wie dieser Burger meine Zunge zum Schmelzen bringt, lässt mich beinahe all meine Ängste vergessen. Penny lacht mich an. Ich lächle zurück.

Wir sprechen kein einziges weiteres Wort, bis sie die Hälfte ihres Burgers intus hat und mir den Rest ihrer Pommes anbietet. Normalerweise fühle ich mich unwohl, in Gegenwart von anderen Leuten zu essen – besonders wenn sie schlank sind –, aber das hier schmeckt einfach zu gut, um mir darüber einen Kopf zu machen.

»Also«, fordert Penny mich auf. »Was willst du sonst noch wissen?«

Ich werfe einen Blick auf mein Notizbuch. Seit Penny zum ersten Mal in diesem Film aufgetaucht ist, schwirrt mir eine Frage im Kopf herum. Ich hatte nicht vor, sie zu stellen, weil ich unsicher war, wie sie klingen würde. Aber es scheint so gut zu laufen …

»Wie fühlt es sich an, einen Newcomer wie Marius in eine so bedeutende Rolle einsteigen zu sehen?«, setze ich an. »Gerade, weil du so hart arbeiten musstest, um an den Punkt zu kommen, an dem du jetzt bist?«

Penny schließt für einen Moment die Augen. Dann wischt sie ihre Hände an der Serviette ab. Sie schweigt lange. Mist! Ist das jetzt falsch rübergekommen?

»Du solltest wissen«, sagt sie schließlich, »dass Marius wirklich all die Aufmerksamkeit verdient, die er bekommt. Aber ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass er in diese Falle tappt, in der die Leute mehr an seinem Talent interessiert sind als wirklich an ihm. Verstehst du, was ich meine?«

Mir bleibt die Spucke weg. Impliziert sie etwa, dass … ich einer dieser Leute bin, denen Marius menschlich total egal ist?

»Oh.« Ich klappe mein Notizbuch zu. Ich lasse den Rekorder immer an, selbst wenn ich einpacke, für den Fall, dass ich noch irgendwas Wichtiges aufschnappe. »Das trifft auf mich definitiv nicht zu – ich versuche nur mein Bestes, ein Porträt zu schreiben, das ihm gerecht wird.«

»Das wirst du, ich weiß es«, sagt Penny. »Denn ansonsten hätten wir ein Problem.«

Noch eine Pause. Ich winde mich in meinem Stuhl. Penny setzt ein Lächeln auf, doch es erreicht ihre Augen nicht. »Aber ich bin sicher, das wird nicht der Fall sein.«

Dann erscheint der Kellner wieder an unserem Tisch und sie blickt lächelnd zu ihm auf.

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