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6 Abschied
ОглавлениеIm August 2016 erschien in der Berliner Zeitung ein Interview mit mir.
Auf die Frage nach meinen Plänen hatte ich geantwortet, nicht in die Türkei zurückkehren zu wollen, solange der Ausnahmezustand nicht aufgehoben sei.
Dilek rief als Erste an und beschwerte sich, ich würde tun, was mir gerade einfiel, ohne die Folgen zu bedenken.
»Du hast wieder für Aufruhr gesorgt«, sagte kurz darauf Akın Atalay am Telefon, mein Anwalt und zugleich Herausgeber meiner Zeitung:
»Damit hast du dir nur Schwierigkeiten gemacht, für den Prozess ebenso wie für deine Position bei der Zeitung. Das Gericht kann deine Aussage als Beweis gegen dich verwenden und dich zur Fahndung ausschreiben lassen. Und bei der Zeitung wird schon darüber spekuliert, wer neuer Chefredakteur wird …«
Selbst im Gefängnis hatte ich weiter als Chefredakteur fungiert. Das war unabdingbar gewesen. Nun aber waren die Umstände verändert. Eine Zeitung lässt sich nicht quasi per Fernbedienung leiten. Die neuen Umstände zwangen mich, sosehr es schmerzte, diese honorige Tätigkeit, gewissermaßen die Endstation meiner Berufslaufbahn, aufzugeben.
Ich nahm mein Notebook und setzte die Kündigung auf:
»Was mir in den letzten anderthalb Jahren, seit ich den Posten des Chefredakteurs der Cumhuriyet bekleide, widerfuhr, übersteigt alles, was ich in meinem ganzen Leben erlebt habe:
Angriffe, Applaus, Drohungen, zur Zielscheibe gemacht zu werden …
Anklage, Verhaftung, Gefängnis …
Isolation, Gefangenschaft, Attentat …
Beleidigungen, Auszeichnungen, wiederholte Ermittlungen, ein Prozess nach dem anderen …
Rechnungen präsentiert zu bekommen für den Wettlauf zwischen unserem journalistischen Enthusiasmus und der Phase massiver Repressionen …
Den Preis dafür zu bezahlen, mich nicht gebeugt zu haben, worauf ich ebenso stolz bin … (…)
Der Justiz zu vertrauen bedeutet unter den derzeitigen Umständen, den Kopf freiwillig der Guillotine hinzustrecken, deshalb habe ich beschlossen, mich dieser Justiz nicht zu stellen – zumindest für die Dauer des Ausnahmezustands. Den Kampf gegen das repressive Regime setze ich selbstverständlich mit derselben Entschlossenheit fort.
Seid gewiss, dass ich meine Stimme nur umso stärker erheben werde.
Die Widersacher sollen nicht triumphieren, die Freunde sich nicht grämen.«
Das zu schreiben, schnürte mir die Kehle zu.
Am Gaumen der saure Geschmack von Abschied …
In den Ohren das Knirschen der launig geriebenen Hände der Profiteure …
In der Nase der schwache Geruch von Einsamkeit …
Irgendwo im Kopf eine Stimme: »Du tust das Falsche …«
Mir war, als würde ich nicht aus einer Position, sondern aus einem Stück Erde gerissen.
Nicht unter ein Schreiben setzte ich einen Punkt, sondern unter ein Kapitel meines Lebens.
Als der Text stand, ging ich raus, lief niedergeschlagen zwei Stunden durch die Gegend. Anschließend setzte ich mich in eine spanische Bodega und versuchte nachzudenken.
Das Leben galoppierte in irrsinnigem Tempo, es war schwierig geworden, die Zügel in der Hand zu behalten.
Jede Entscheidung bedeutete zwangsläufig Abschied von etwas anderem.
Innerhalb weniger Wochen war mir zunächst mein Land, dann meine Familie, auch mein Zuhause und schließlich noch mein Job entglitten.
Wie ein vom Baum gerissenes Blatt schwebte ich im Ungewissen. Ungewiss, wohin der Sturm mich treiben würde.
An dem Tag, als Erdoğan sagte, die Regierungsform der Türkei habe sich de facto geändert, packte ich in Barcelona meine Bücher zusammen. Meine Sachen stopfte ich in den Rucksack wie eine Schildkröte, die ihr Haus bei sich trägt.
Nach all den Jahren besaß ich gerade noch so viel, wie in meinen Rucksack und ein paar Koffer passte.
Das löste bei mir aber weniger Wehmut aus, wie sie Exilanten zu eigen ist, als vielmehr das Freiheitsgefühl eines Wanderers.
Jahre zuvor hatte man mich alleingelassen, als ich mein Recht suchte, damals schrieb ich einen Artikel darüber: Man muss sich an die Einsamkeit gewöhnen.
Die Verfassung, die ich darin beschrieb, hatte erneut bei mir angeklopft.
Nach langen Jahren war ich zum ersten Mal wieder allein.