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8 Der Brand

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Als ich die Zeitung aufschlug, stieß ich auf folgende Meldung:

»Auf Anordnung des Erziehungsministeriums wurden 900000 Bücher vernichtet. Grund für die Vernichtung des Arbeitsbuchs Türkisch für die 8. Klasse war, dass darin als Lesetext der Artikel Man muss sich an die Einsamkeit gewöhnen von Can Dündar enthalten war …«

Ich konnte es nicht glauben.

Es war also so weit, dass mein Name aus Büchern getilgt wurde.

Nach der Vernichtung von 900000 Lehrbüchern, in denen mein harmloser Text stand, ließ das Ministerium das Buch ohne meinen Text neu drucken. Das kostete die Steuerzahler umgerechnet 566000 Euro.

Unwillkürlich fallen einem dabei die öffentlich inszenierten Bücherverbrennungen der Nazis ein. Vor Jahren hatte ich von Erich Kästners Tragödie gelesen:

Als Studenten, begleitet von SS und SA, von Joseph Goebbels aufgehetzt auf dem Berliner Opernplatz Bücher verbrannten, stand auch Kästner in der Zuschauermenge. Unter den verbrannten Büchern befand sich auch eines von ihm.

Ich wohnte der Zeremonie, in der das Buch mit meinem Text vernichtet wurde, nicht bei. Doch selbst von Europa aus vernahm ich den Geruch verbrannten Papiers. Dieser Geruch hatte sich einst auf Plätzen in Deutschland, Italien und Spanien festgesetzt. Es dauerte Jahrzehnte, bis er beseitigt war. Wann und wie würde der Schmutz unserer Asche bereinigt werden?

Heinrich Heine schrieb: »Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.« Das war 1821. In der Türkei waren Menschen schon vor den Büchern verbrannt worden: Im Sommer 1993 forderte in Sivas ein Mob die Scharia und setzte ein Hotel in Brand, in dem Schriftsteller und Intellektuelle tagten. So ermordeten sie dreiunddreißig Menschen.

Laut Bericht des türkischen Verlegerverbands wurden 2016 dreißig Verlage geschlossen mit der Begründung, sie stellten eine Bedrohung für die nationale Sicherheit dar, Hunderttausende Bücher wurden konfisziert. Tausende Menschen wurden verhaftet, weil sie angeblich Bücher besaßen, die Mitglieder von Terrororganisationen geschrieben hatten. Unter den in den Anklageschriften genannten »Organisationsmitgliedern« befanden sich auch Camus, Althusser und Spinoza.

Als Autoren und einzig mit Stift und Buch kämpfen wir gegen eine Geisteshaltung, die Büchern, Stiften und Schriftstellern gegenüber feindlich gesinnt ist.

Um die Entlassung von Wissenschaftlern zu rechtfertigen, die einen Friedensappell unterzeichnet hatten, sagte der Vizerektor einer Universität: »Den Fortbestand der Türkei sichert das ungebildete, unwissende Volk.«

Sogar Universitäten werden von Personen geleitet, die auf Unwissen und Dummheit setzen.

In einem Land, dessen Staatspräsident verkündet: »Manche Bücher sind effektiver als Bomben«, verwundert das nicht.

Verwunderlich allerdings war, dass das Schweigen, von dem in meinem verbotenen Text die Rede ist, auch anhielt, als der Text verboten wurde.

Wieder einmal ist es also Zeit, sich an die Einsamkeit zu gewöhnen.

Wieder ist es Zeit, den Rucksack zu schultern.

Um für Freiheit in meinem Land zu kämpfen, wo Bücher verbrannt werden, gehe ich jetzt in das Land, in dem früher einmal Bücher verbrannt wurden.

Um Hoffnung für die Zukunft zu rekrutieren.

Als der Lufthansa-Flug von 16:55 Uhr aus Barcelona am 1. September zur Landung in Berlin ansetzte, betrachtete ich die Stadt mit anderen Augen. Dort würde ich nun eine Zeitlang leben.

Vorerst war es eine Zwangsehe, ungewiss, wie lange sie halten würde. Doch wenn wir uns mit der Zeit besser kennenlernten, würden wir uns vielleicht aneinander gewöhnen, uns gar lieben lernen.

Ich dachte an Exilierte, über die ich Dokumentarfilme gedreht hatte:

Zum Beispiel Nâzım Hikmet. Als dem großen türkischen Dichter klar wurde, dass ihm nach dreizehn Jahren Gefängnis in der Türkei erneut Inhaftierung drohte, war er nach Moskau geflüchtet, dort starb er dreizehn Jahre später, ohne seine geliebte Heimat wiedergesehen zu haben, dort liegt er begraben.

Zum Beispiel Yılmaz Güney. Der große Filmemacher der Türkei war nach sieben Jahren Haft nach Paris geflüchtet, dort starb er drei Jahre später, ohne seine geliebte Heimat wiedergesehen zu haben, dort ist er begraben.

Zum Beispiel Ahmet Kaya. Der große Sänger der Türkei war wegen Morddrohungen nach Paris emigriert, dort starb er anderthalb Jahre später, ohne seine geliebte Heimat wiedergesehen zu haben, dort ist er begraben.

Im türkischen Wörterbuch steht ein kummervoller Satz für jene, die in die Fremde gehen:

»Das Schicksal hält auch bereit, fortzugehen und nicht heimzukehren, heimzukehren und sich nicht wiederzusehen.«

Würde es so kommen?

In einem meiner beiden Koffer steckten die Notizen zu meinem neuen Buch, seit Monaten reisten sie mit mir von Land zu Land; leicht vergilbt von den Strapazen dieses Abenteuers warteten sie darauf, ins Reine geschrieben und sesshaft zu werden.

Genau wie ich.

Verräter

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