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3 Flüchtling

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7:30 Uhr morgens.

Schreie aus den letzten Reihen im Flugzeug:

Stöhnen, Flehen, kummervolles Gejammer.

Die traurige Stimme einer wehklagenden Frau.

Unablässig wiederholt sie dieselben Wörter. Wir verstehen nicht, was sie sagt, doch ihre Empörung ist offensichtlich groß.

Die Stewardess erklärt den irritierten Reisenden:

»Ein Flüchtling aus Eritrea, sie wird zum dritten Mal abgeschoben, sie wehrt sich …«

Um uns zu beruhigen, fügt sie hinzu:

»Es sind Zivilpolizisten dabei, keine Sorge. Wir sind so was gewohnt.«

Dennoch sind die Passagiere beunruhigt.

Die Klage der Frau aus Eritrea wird vor dem Start immer lauter, Passagiere aus den hinteren Reihen ziehen nach vorne um, flüchten vor der Störung.

Einige setzen Kopfhörer auf, hören Musik oder verlegen sich darauf, nichts zu hören, und schlafen.

Andere schauen besorgt von weitem zu.

Niemand aber kommt ihr zu Hilfe, fragt nach ihren Sorgen, sucht nach einer Lösung.

Schauspiel eines Aufstands, bewacht von zwei Polizisten in Zivil.

Hinter mir höre ich einen Reisenden sagen: »Gut, dass sie die abschieben.«

Ich drehe mich zu ihm um.

Ein Schwarzer.

Vermutlich also jemand, der vor dieser Frau aus Eritrea einen Platz in Europa ergattern konnte. Panisch darum bemüht, seinen Platz nicht zu verlieren, hat er sein Gewissen eingebüßt.

Abgebrüht grinst er mich an:

»Hauptsache, die jagt sich nicht in die Luft …«

Erst als er meine wütenden Blicke sieht, senkt er die bis zu den Ohren hochgezogenen Mundwinkel.

Mit dem Flugzeug steigen auch die Schreie auf, fliegen von den hinteren Reihen in Richtung Cockpit.

Die Frau aus Eritrea schreit, als verbrenne sie bereits in dem Höllenfeuer, in das sie zurückgeschickt wird.

Ihre glühende Rage raubt den Passagieren das letzte bisschen Ruhe.

Neugier herrscht auf den luxuriösen Plätzen, Nervosität, Unbehagen, Ärger, Gleichgültigkeit, Angst.

Aber keine Scham, auch Barmherzigkeit scheint nicht dabei zu sein.

Bedauern?

Vielleicht.

Eine höfliche Durchsage in drei Sprachen, der Aufschrei in einer der Sprachen Eritreas übertönt sie alle.

Die angenehme Stimme der Stewardess kollidiert mit der Panik in der Stimme der Geflüchteten.

Das Drama eines Kontinents verwandelt sich in einem Flugzeug in ein symbolisches Schauspiel.

Die humanistische Schminke Europas verläuft bei diesem Aufschrei; darunter kommt ein distanziertes, ängstliches Menschengesicht zum Vorschein.

Europa mag es noch nicht bemerkt haben, doch der Schrei, vor dem es die Ohren verschließt, dem es mit Abscheu begegnet, vor dem es flieht, verkündet im Grunde sein eigenes Ende.

Das Flugzeug Europa trudelt.

Und wenn sich die in Panik geratenen Europäer streiten, aus dem Flieger zu springen versuchen oder die Tür aufreißen, um Neuankömmlinge hinauszuwerfen, dann sorgen sie dafür, dass das Flugzeug rasant an Höhe verliert.

Die Panik im Flugzeug und die Unfähigkeit, nicht nur an sich selbst zu denken, hallt in den Ohren wie der letzte Atemzug des alten Kontinents wider.

Als das Flugzeug landet, sind die Schreie der Frau aus Eritrea verstummt.

Mit ängstlichen Blicken und raschen Schritten eilen die Passagiere zum Ausgang.

Sie sind erleichtert. Endlich sind sie einen weiteren Flüchtling los.

Als alle ausgestiegen sind, beginnt das Bodenpersonal ganz hinten mit dem Putzen. Menschen aus Asien, die darauf warten, dass die Reihe zu schreien an sie kommt.

Wenn das die Endstation ist, haltet die Welt an, es möchte jemand aussteigen.

Verräter

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