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Aufrüstung (Rammstein: Deutschland)

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Aufgabe: »Beschreiben Sie eine konkrete Maßnahme, mit der erreicht werden kann, dass Jugendliche sich wieder mehr an politischen Prozessen und Wahlen beteiligen.«

Antwort: »Es wäre gut, wenn es in der Schule ein Fach gäbe, in dem den Schülern erklärt würde, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert.«

Jop. Dagegen ist jetzt spontan nix einzuwenden, oder? Volle Punktzahl. Vorbildlich. Wenn dieser wunderbare Satz nicht für eine Abschlussprüfung verfasst worden wäre … im Fach Politik.

Hach ja. Als ich das vor einigen Jahren las, hatte ich einen so exorbitanten Lachflash, dass ich mich in Homer-Simpson-Manier auf dem Büroboden mehrfach um die eigene Achse drehte. Mein erster Gedanke war: Zum Glück war dieser Idiot keiner von meinen Schülern! Klingt arschig-überheblich, aber das wundert Sie hoffentlich nicht mehr.

Meine zweite, dritte, vierte Überlegung und viele weitere führten zu einem anderen Gedankencocktail. Vielleicht wollen Sie mir dabei Gesellschaft leisten. Aber Vorsicht: harter Stoff!

Ich unterrichte Politik und Geschichte. Ich scheine wichtig zu sein. So wichtig, dass es Parteien in diesem Land gibt, denen es (anders als einigen Schülern) nicht egal ist, was ich im Unterricht erzähle. Wenn es nach denen ginge, stünde ich dank eines Denunziationsportals schon lange auf irgendeiner ominösen Liste. Tu ich vielleicht sogar. Fuck it.

Jetzt fragen sich sicher einige besorgte Bürger: »Sachma, darf die das?«

Ja, die darf das! Der in den letzten Jahren viel zitierte Beutelsbacher Nonsens »verpflichtet Lehrkräfte gegen Indoktrination, aber nicht zur Wertneutralität«. So die Landeszentrale für politische Bildung. Trotzdem hat sich seit einiger Zeit meine eigentlich unbeschwerte, oft riskant-gedankenlose Art zu unterrichten verändert.

Nicht falsch verstehen: Ich sage meine Meinung. Immer. Laut und deutlich. Allzu oft auch dann, wenn ich nicht danach gefragt werde. Aber seit einer Weile tue ich das mit dem klaren Hinweis, dass es sich um meine, mir eigens gebildete Meinung handelt. Ich habe schon überlegt, ein Schild anzufertigen, das ich bei Bedarf hochhalten könnte. Statt »Spoiler-Alarm« stünde darauf: »Meinungsalarm«. Zu groß scheint die Gefahr, Schüler könnten was missverstehen und denken, ich wolle ihre Meinung manipulieren. Schon mal versucht, etwas zu manipulieren, das gar nicht da ist? Schwer!

Darum fragen sie mich oft nach meiner Meinung. Und ich sage sie ihnen, offen und ehrlich. Was ich von der AfD halte, von Trump, Putin, Erdoğan, der Flüchtlingspolitik und dem Rechtsruck, den es in Deutschland gibt. Indiskutabler Fakt. Der findet auch in unserer Schule auf dem nicht ganz so platten Land statt, obgleich einige Kollegen einen auf drei Affen machen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Vielleicht auch nichts wissen. Nur eine These meinerseits.

Meinen ersten Kampf trug ich gleich am Anfang meiner Karriere aus. (Ja, Mutter, ich weiß, Lehrer können keine richtige Karriere machen!)

Ich war im zweiten Jahr, meine Berufsschüler ebenso. In Politik hatten wir quasi Gleichstand, aus dem simplen Grund, dass ich dieses Fach eigentlich nie studiert hatte – also, nicht »eigentlich nie«, sondern überhaupt nicht. Ich hatte es allerdings mit dem Übertritt in das berufliche Schulwesen gratis zum Fach Geschichte dazubekommen. Wie nett.

Neu im zweiten Jahr war Karstens Pullover von Thor Steinar. Er war das Erste, das mir Montagmorgen schmerzend in die Augen stach, als ich den Klassenraum betrat. Und das, obwohl Karsten sich dezent in die letzte Reihe verzogen hatte. Seinem Blick entnahm ich: Er wusste, dass ich Bescheid wusste. Das Duell war also eröffnet. Von da an änderte sich so einiges.

Sicher, Karsten war schon immer einer der Kandidaten, die alles genau wissen mussten. Das mochte ich bisher an ihm. Nach seinem politischen Fashion-Outing wurde aus seinem kritischen Nachfragen plötzlich ein Alles-infrage-Stellen: Demokratie, Grundrechte, Pluralismus. Dennoch wurde er nicht müde, sich auf sein Lieblingsrecht zu berufen (was bei seiner Lautstärke wörtlich zu nehmen war): das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ich machte ihm eindringlich klar, dass dieses Recht auch die Tatsache beinhaltete, dass andere seine Meinung kacke finden durften. Das fand er wiederum kacke, aber er durfte es sagen.

Als er schließlich den Holocaust infrage stellte, stellte ich wiederum Karstens Anwesenheit in meinem Unterricht infrage und verwies ihn des Klassenraums. Der Punkt war erreicht, an dem ich gepflegt die Schnauze voll hatte. Karstens Meinung dünstete bereits aus. Ich musste echt was tun. In meiner Unwissenheit wandte ich mich an den Klassenlehrer, doch dessen Ahnungslosigkeit war noch größer als meine. Weder war er sich des Problems bewusst noch konnte er mit Karstens neuem Modebewusstsein und seiner Affinität zur Farbe Braun etwas anfangen. Auf gut Deutsch: Mein Kollege hatte keinen Schimmer, wovon ich redete. Ich würde überdramatisieren.

Das war im Jahr 2012. Überdramatisieren, hm?

Ich will ja nicht sagen, dass ich einen Hang zur Schwarzmalerei habe, aber ich habe nun mal einen Hang zur Schwarzmalerei. Und womit? Mit Recht! Und inzwischen aus Erfahrung. Seither habe ich mein verbales Waffenrepertoire gegen rechte und andere extremistische Auswüchse im Terminator-Stil aufgerüstet, muss aber leider feststellen, dass dies auch jährlich nötiger wird.

Ich versuche, nicht nur mich, sondern auch meine Schüler zu rüsten. So gut es mit einer Stunde pro Woche eben möglich ist. Mehr ist politische Bildung dem Land nicht wert. Und das merken die Karstens dieser Welt! Wobei ich im deutschlandweiten Vergleich wohl auf relativ hohem Niveau jammere. Eine kesse Idee meinerseits: Wäre es nicht super, wenn angehende Lehrer oder zumindest die, die politische Inhalte vermitteln, während der Ausbildung gezielt auf derartige Situationen vorbereitet würden? Wie gesagt – nur so ’ne Idee. Was weiß ich schon.

Zumindest bin ich inzwischen zu einer der besten Kundinnen der Bundeszentrale für politische Bildung geworden, weil ich jedes Jahr fünfzig bis hundert Heranwachsende mit Gratisexemplaren unserer Verfassung zuschmeiße. Selbst wenn sie das Heft nicht über das für den Unterricht nötige Maß hinaus benutzen, nehmen sie es zur Kenntnis. Immerhin. Außerdem kommt mein Hinweis gut bei ihnen an, dass man, wenn man genau zielt und mit der Buchkante trifft, prima Nazis damit bewerfen kann.

Karsten habe ich damals nicht beworfen, obwohl ich mich mehr als einmal zurückhalten musste. Aber ich ließ ihn auch nicht in Ruhe. Ich laberte ihn tot. Na ja – nicht tot, aber so zu, dass er es irgendwann aufgab, seinen Stuss weiter zu verbreiten. Was ich nicht geschafft habe: seine Meinung zu ändern. Trotz Aufrüstung. Mein Arsenal war vielleicht noch zu klein. Das hat sich geändert. Es ist mir schon ein paarmal gelungen, einen Vollhorst vom »rechten« Weg zum Extrem-Erich abzubringen.

Ich habe die unbeachteten und viel belächelten Nebenfächer Politik und Geschichte für mich zu Hauptfächern erklärt. Deshalb passiert meinen Schülern der eingangs geschilderte Fauxpas auch nicht. Denn sie sind politisch interessiert und gebildet.

So setze ich mich guter Dinge an den Schreibtisch, schnappe mir einen Stapel Prüfungsarbeiten und zücke den Rotstift. Ich schlage die erste Klausur auf. In froher Erwartung ertönen in meinem Kopf bereits chorale Gesänge im Stile von Sisters of Mercy, This Corrosion – ob der Erleuchtung, die meine Schüler durch mich erlangt haben.

Ich lese: »Die UNO ist die Wehrmacht der EU.«

Ich klappe die Klausur wieder zu, ramme mir eine Ausgabe des Grundgesetzes ins Auge und verlasse das Lehrerzimmer.

»Wo gehst du hin?«, fragt meine Kollegin.

»Aufrüsten.«

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