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FSK ab 18 (Van Halen: Hot for Teacher)

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Lehrer wissen alles: Dass dem nicht so ist, hat sich mittlerweile bei den meisten Bewohnern dieses Planeten herumgesprochen.

Lehrer wissen alles über ihre Fächer: Dass dies so sein sollte, ist eine gängige Ansicht, zumindest der Schüler, aber auch der Eltern und überhaupt aller – nur nicht der jeweiligen Lehrer. Hier kann es im Unterricht zu Missverständnissen über die Bedeutung des Begriffs »Fachkompetenz« kommen. Schüler-Lehrer-Gespräche dieser Kategorie laufen typischerweise nach dem folgenden Muster ab.

Malte-Sören: »Was hat Goethe eigentlich gerne zum Frühstück gegessen?« (Ich frag das nur, um die zu nerven.)

Lehrkraft: »Woher soll ich das denn wissen?« (Du fragst das nur, um mich zu nerven.)

Malte-Sören: »Sie haben aber doch Deutsch studiert!« (Das bringt die jetzt zum Ausrasten!)

Lehrkraft: »Ja, ganz recht!« (Du aber nicht! Gleich werd ich gepflegt ausrasten!)

Malte-Sören: »Warum wissen Sie das dann nich?« (Jetzt geht’s los!)

Lehrkraft: »Ja, bin ich denn eine wandelnde Kack-Bibliothek? Heiß ich Internet? Pack dein viel zu teures Smartphone aus, das dein Anwaltspapa dir für lau in den Arsch geschoben hat, und google das, wenn du Klugscheißer jeden Dreck wissen musst!«

Hinweis: Dieser Dialog ist rein fiktiv und hat sich (genau so) noch nie in meinem Unterricht abgespielt.

Sicher ist es von Vorteil, sich mit den unterrichtsrelevanten Themen bis ins Detail auszukennen. Tatsächlich bin zumindest ich aber keine wandelnde Bibliothek. Daher hat sich in Situationen der Unwissenheit folgende Geheimwaffe in meinem Unterricht bewährt: schonungslose Ehrlichkeit. Ich gebe zu, dass auch im eigenen Fach Dinge existieren, die ich nicht weiß, um die ich (aus Versehen) im Studium einen großen Bogen gemacht habe, über die ich mir noch nie Gedanken machen musste oder die mir einfach wurstegal sind. Das beeindruckt viele Schüler nachhaltiger, als wenn ich den Glauben erwecke, ich sei Wikipedia.

Okay, es ist dumm, wenn einem so was ständig und bei den banalsten Geschichten passiert. Das sägt dann doch etwas an der beruflichen Glaubwürdigkeit. Zu Recht! Das mussten auch schon Referendare lernen, die ich mit Heugabel und Pechfackel von dannen gejagt habe, da sie der Meinung waren, es genüge, sich bereits fertige Stundenentwürfe aus dem Internet zu ziehen. In der Uni scheint das funktioniert zu haben.

Auch wenn es mir viele nicht glauben werden – es gibt ein paar Sachen, die kratzen an meiner Lehrerwürde. Lieblose Unterrichtsvorbereitung gehört dazu. Mir bereitet das verdammt viel Freude: mich in ein Thema verbeißen, es von allen Seiten beleuchten und mich dann der maximalen Herausforderung stellen, es so umzuarbeiten, dass selbst ein durchschnittliches Dinkelbrötchen es versteht oder nein, mehr noch, sich dafür interessiert (manchmal teste ich das vorher an meinem Mann, aber verraten Sie es ihm bitte nicht!) … wenn denn genügend Zeit zur Verfügung steht.

Und wenn nicht? Ja gut. Dann kann es schon mal passieren, dass ich den Schülern im Stoff selbst nur zehn Seiten im Buch voraus bin. Aber so spoilert wenigstens niemand.

Hier sind wir wieder bei der Bedeutung von Allgemeinbildung. Im Laufe der letzten zehn Jahre hat sich für mich herauskristallisiert, dass nicht nur fachspezifische Kenntnisse von großer Nützlichkeit sind, nein, auch breit gefächertes Wissen aus den Bereichen Trivialliteratur, Filme, Serien und Computerspiele ist vonnöten. Kurz gesagt – einigen wird es schon aufgefallen sein – ich bin ein ziemlicher Nerd (Femininum: Nerdin/Nerdesse/Nerdette, suchen Sie sich eins aus). Und das ist zu meiner pädagogischen Superkraft geworden.

Zu meinen Fähigkeiten gehört es, passende Simpsons-Zitate subtil, beinahe unmerklich, in Unterrichtssituationen einfließen zu lassen (»Ausgezeichnet!«). Meine Analogien zwischen literarischen Erzählperspektiven und Ego-Shootern waren oft hilfreicher als mancher Merksatz. Und zahlreiche stumpfsinnige Stillarbeitsphasen, in denen ich mich immer abgrundtief langweile, habe ich schon mit der simplen Frage »Na, gestern die neue Folge Game of Thrones gekuckt?« aufgepeppt. Zugegeben, einige dieser Exkurse waren dem Fortkommen im Lehrplan nicht förderlich, aber immerhin langweilt sich der Haufen Pennäler nicht durchgehend von acht bis sechzehn Uhr. Auch das sehe ich als meinen Auftrag. Leider teilen nicht alle meinen Hang zu Fantasyliteratur und Actionhelden.

Mein Humor ist wie meine Kleidung, eher dunkel und etwas staubig. Ich bin beispielsweise oft die Einzige, die sich auch nach Jahren noch über den Kalauer beömmeln kann, Hitler habe großen Wert darauf gelegt, dass bei seiner »Machtergreifung« im Jahre 1933 alles mit rechten Dingen zuging. Ebenso machte mein Hinweis zu Georg Büchners Drama Dantons Tod meine zwölfte Klasse nur bedingt neugierig auf das Werk: Ich erwähnte, dass es eigentlich mit »FSK ab 18« gekennzeichnet sein müsste und das nur deshalb nicht so sei, weil kein Mensch wirklich verstehe, was da drin stünde. Allerdings war die Schulleiterbesuchsstunde, in der mein Chef meine Tauglichkeit als Beamtin auf Lebenszeit prüfen sollte, diesbezüglich ein Highlight.

Noch vor Erscheinen der Realsatire Fack ju Göhte – die zwar grandios und realitätsgetreu schulischen Alltag widerspiegelt, der ich es aber zu verdanken habe, dass im Abi jemand »Göhtes Faust« interpretierte – kam ich auf die glorreiche Idee, Auszüge aus dem besagten Büchner-Werk von 1834 in Jugendsprech übertragen zu lassen. Ich pokerte hoch, wusste aber, dass sich einige Schüler im Raum befanden, die dazu intellektuell in der Lage waren. Und die niemals ein Blatt vor den Mund nehmen würden. Diese Eigenschaft schätzte ich sehr an ihnen, zumal sich mein Chef ja im gleichen Raum befinden würde, um mich und mein Tun zu beurteilen. Die Tatsache, dass er selbst kein Deutsch unterrichtete und vermutlich noch nie einen Blick in Georg Büchners grandioses Drama geworfen hatte, spielte hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Also keine.

Doch die leibhaftige Anwesenheit des Schulleiters, um dessen Existenz sich bei vielen Schülern unserer Schule ein Nessie-artiger Mythos rankt, hatte einen unerwarteten Effekt: Die meisten gebärdeten sich auf einmal, als hätte man ihnen nicht nur den Ton abgedreht, sondern vampirhaft alles Leben aus ihnen herausgesaugt.

Nur auf Basti war wie immer Verlass. Er übersetzte mit poetischer Perfektion und jeder Menge Pathos das Zitat »Du Kuppelpelz, du runzlige Sublimatpille, du wurmstichiger Sündenapfel!« aus Dantons Tod mit den Worten: »Du Puffmutter, du alte, faltige Tripper-Falle, du abgerockte Dörrpflaume!«

Schwer zu sagen, welches Gefühl in mir mehr Platz einnahm. Stolz? Angst? Glück? Panik?

Ich vermied jeglichen Augenkontakt zum Oberzampano und tat das einzig Richtige: Ich belohnte Basti mit donnerndem Applaus.

Plötzlich zuckte es in der letzten Reihe. Der Chef war aufgewacht. Im Nachhinein ist es vielleicht ganz gut, dass er diese Sternstunde der deutschen Literatur verschlafen hatte. Er registrierte das wachsende Interesse der Schüler am Stoff und schenkte mir (trotzdem oder deshalb?) die Gnade der lebenslangen Beamtenwürde.

Bei besagter zwölfter Klasse hat dieser Moment tatsächlich dazu geführt, ein paar Leute mehr dazu zu bewegen, einen Blick ins Buch zu werfen. Auch wenn ich zusätzlich noch bemerken musste, es sei brutaler und blutiger als manches Ballerspiel. Was stimmt! Verstehen tut’s trotzdem keiner.

Manchmal machen mir meine Vergleiche fast selbst Angst. Zum Beispiel die Kater-Krieg-Analogie (Sie lesen richtig!), die ich vor einigen Jahren im Geschichtsunterricht gezogen habe. Damit kann sich jeder normale Siebzehnjährige identifizieren: Man hat ordentlich Party gemacht, gezecht, sich zugelötet und wacht am nächsten Tag mit einem Kater von solch einer Allmacht auf, dass die natürliche und unausweichliche Reaktion der übrig gebliebenen Hirnzellen nur sein kann: NIE WIEDER! Ich rühre nie wieder einen Tropfen an! Ich schwöre es im Namen aller mir bekannten und unbekannten Götter! Nie wieder! Ich bleibe für den Rest meines Lebens abstinent! Nur noch Wasser … vielleicht mal ’ne Limo, nur für den Geschmack! Wenn ich je wieder Alkoholhaltiges anrühre, soll mich der Blitz erschlagen und in meine einzelnen Atome spalten!

Oder so ähnlich. Sie wissen, was ich meine. Meine Schüler auch.

Dieser Gedanke hält ein paar Stunden bis Tage, bei einem extrem widerlichen Exemplar von Kater vielleicht sogar Wochen. Doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit befindet man sich irgendwann wieder auf einer Party. Die Stimmung ist gut, die Getränke sind kalt und man denkt sich: Hm … was soll’s. So schlimm wird’s schon nicht werden. Ich bin ja kein hirnverbrannter Volltrottel! Und obwohl irgendwo im Hinterstübchen ein kleiner Teil intakter, rebellierender Hirnzellen mit einem blinkenden und tutenden Warnlicht Panik-Polka tanzt, nimmt der Volltrottel mit Schulterzucken einen erneuten Schluck. Ins vorprogrammierte Verderben.

So, meine Kinder, funktioniert Geschichte! So entstehen Diktaturen, und so beginnen Kriege. Wobei die Welt wahrscheinlich eine bessere wäre, hätte sich Hitler öfter mal zünftig vollgeballert. Denkt trotzdem, bevor ihr Scheiße baut, darüber nach, ob sich der Bockmist vom letzten Mal wiederholen soll, ihr runzligen Sublimatpillen!

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