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Stilistische Gretchenfrage (Debauchery: Super Hot Vampire Lady)

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Wie viele andere wurde auch ich als wehrloses Kleinkind getauft. Evangelisch. Selbstverständlich wartete ich die Konfirmation ab, die mir, dank großer und zum Teil zahlungskräftiger Verwandtschaft, kurzfristig Reichtum bescherte. Damit wusste ich als durchschnittliche Vierzehnjährige gut umzugehen. Ich kaufte mir eine Stereoanlage. Eine richtig fette. Damals richtete sich die Größe der Boxen noch direkt nach der Soundqualität. Herrlich! Mit Konvertierung zum Heavy Metal bin ich dann schleunigst aus dem Jesus-Verein ausgetreten.

Eigentlich hätte ich zu Staub zerfallen müssen, als ich mich in diesen süddeutschen Landstrich begab, der, erzkatholisch, den Übergang vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert geflissentlich ignoriert hatte. Wundersamerweise passierte das aber nicht, als ich den Schlagbaum zum Schulort passierte. Ich hatte vorsichtshalber die Augen geschlossen und die Luft angehalten, was mit hundert Sachen auf der Landstraße unvorsichtig erscheinen mag. Auch geschah mir nichts, als ich in jedem Klassenraum ein mit tiefer katholischer Gottgläubigkeit und Fischerdübeln befestigtes Kruzifix vorfand.

Ich hatte nicht gewusst, dass es in diesen Breitengraden üblich war, Kreuze in Klassenräumen aufzuhängen. War es auch nicht … nur genau hier. Die mordorgleiche Nähe zu Bayern prägte die religiösen Gewohnheiten der Einwohnerschaft und des Schulleiters, der zum Abschied immer voll dialektaler Inbrunst »Goddes Sääägn« wünschte. Etwas unsicher überlegte ich, inwiefern mir das für meine berufliche Zukunft zum Nachteil gereichen könnte. Die sonore Stimme meines Seminardirektors hallte durch meinen Schädel, der keine zwei Jahre zuvor seine Antrittsrede zum Referendariat mit den gewichtigen Worten begonnen hatte: »Ab heute stehen Sie dauerhaft unter Beobachtung!«

Wir Frischlinge dachten damals zunächst, er meine die fachlich-professionelle Beobachtung. Bis er mit Regeln zur angemessenen Optik im Lehrberuf aufwartete: »Nicht zu freizügig! Frauen minimal im knielangen Rock und, um Gottes willen (wessen sonst?), immer mit Strumpfhose, auch im Sommer! Kurze Hosen für Männer? Is nich! Sandalen schon gar nicht, und wenn, dann bitte mit Socken!«

In diesem Moment wusste ich zwar, dass ich noch im richtigen Land war, checkte aber trotzdem kurz das Datum, um nachzuprüfen, ob ich beim Betreten des Seminargebäudes nicht versehentlich die falsche Tür geöffnet hatte und in ein Wurmloch gefallen war, das mich ins Jahr 1950 zurückkatapultiert hatte. Nope! 2010. Eben hatte ich einen Eid auf unsere Landesverfassung abgelegt. Und wenn ich mich recht erinnerte, stand darin auch was von freier Entfaltung der Persönlichkeit! Ich hätte das Kleingedruckte lesen sollen. Hatte ich mit meiner Verbeamtung etwa meine Persönlichkeit verkauft? Und wenn ja, an wen: den Teufel? Gott? Stefan Mappus? Welche der drei Möglichkeiten mir die liebste gewesen wäre? Na, raten Sie mal.

Damals glaubte ich meinem Seminardirektor nicht. Aber anderthalb Jahre später, mit dem Kruzifix und meinem neuen Chef vor Augen, fragte ich mich doch, ob er regional recht hatte.

Eine Taktik musste her.

Okay, die geplante Mephisto-Tätowierung auf dem Unterarm wurde erst mal auf unbestimmte Zeit verschoben. Schade. Die Oberarm-Tattoos gab es aber schon, und die sollten auch dableiben. So gingen große Teile des ersten Gehalts für eine neue Staffage, sprich Oberbekleidung, drauf.

Die schwarzblaue Haarfarbe hatte ich vorsorglich bereits vor Wochen abgesetzt. Dabei blieb es. Mit Ende zwanzig wurde ich von Grau zum Glück noch verschont. Allerdings war mir mit Blick rechts und links in meinen Familienstammbaum auch klar: Lange hält das nicht mehr!

Der Blick in den Spiegel offenbarte noch etwas. Während normale Menschen im Urlaub so braun werden konnten, dass andere Urlauber neben ihnen immer noch blass aussahen, war ich so weiß, dass selbst Hui Buh das Schlossgespenst neben mir kerngesund gewirkt hätte. Mal wieder in die Sonne gehen? Das hatte nur den Effekt, dass ich erst die Farbe meiner Korrekturstifte annahm und mich danach häutete. Am Ende konnte ich mich doch wieder vor einer alpinaweißen Wand tarnen.

Fakt war also: Ich sah aus wie die Braut des Teufels. Oder besser gesagt, wie die Vorzimmerdame des Teufels. Zum perfekten Vorstellungsgespräch gehörte schließlich ein Blazer. Über meine restliche Garderobe musste ich mir auch Gedanken machen. Jeden Tag dasselbe, das ging absolut nicht.

Als eine ehemalige Schulkameradin erfuhr, dass ich Lehrerin wurde, fragte sie mich (nach dem obligatorischen ungläubigen Staunen und Kopfschütteln), ob unsere Theorie aus der neunten Klasse wirklich stimmte. Damals waren wir zu dem Schluss gekommen, Lehrer bekämen vom Staat zur Einstellung einen Kleiderschrank geliefert, in dem, wie bei den Simpsons, dasselbe Outfit in mehrfacher Ausführung hing. Anlass für diese Theorie war unser Physiklehrer, der jeden Mittwoch mit demselben senfgelben Strickpulli in den Unterricht kam. Dieser Pullover, der genauso roch, wie er aussah, überdeckt bis heute jedwede andere Erinnerung an Physik und den Physiklehrer. Ich kann mich nicht einmal an seinen Namen erinnern.

Wenn ich an den Rest meiner früheren Lehrer dachte, schien die Kleiderschrank-Theorie tatsächlich zu stimmen. Und auch beim Blick auf mein neues Kollegium stellte ich fest: Zumindest ein Fünkchen Wahrheit musste darin stecken. Die staatlichen Einheitsschränke schienen beängstigend viele Karohemden und Tweed zu beherbergen.

Der senfgelbe Pullover aus der neunten Klasse war es, der mir vor Augen führte, wie essenziell die Kleidungswahl für meinen beruflichen Erfolg sein würde – und wie beschissen oberflächlich fünfzehnjährige Mädchen sind. An was sollten sich meine zukünftigen Schüler später erinnern? Wie sollte ich mich stylen: bieder? Schick? Lässig? Cool?

Zu cool erschien mir gefährlich, weil zu cool nach eigener Erfahrung bedeutete: Muss man nicht ernst nehmen. Innerlich hörte ich all meine Bandshirts zu Hause im Schrank verzweifelt aufheulen. Natürlich, die meisten Schriftzüge waren für Ungeübte nicht leserlich. In der Regel entstehen jedoch bei dem Versuch, sie trotz Unkenntnis der musikalischen Materie zu entziffern, aberwitzige Wortgebilde; Menschen verschlucken ihre eigene Zunge und sterben einen qualvollen Erstickungstod. Auch die Pentagramme und umgedrehten Kreuze waren verräterisch.

Wider Erwarten und zu meiner großen Erleichterung wurde am Tag meiner Verbeamtung kein Schrank geliefert. Also machte ich mich daran, meinen umzustrukturieren, und entwickelte eine dissoziative textile Identitätsstörung. Ich fühlte mich wie eine Superheldin: tagsüber spießbürgerliche Jung-Studienrätin in Standard-Blue-Jeans und Hemdbluse im Kampf gegen die Verdummung der Massen – nach Schulschluss verwegene Heavy-Metal-Batwoman im Kampf für Blödsinn und Bier.

Ich überlegte kurz, mir eine Clark-Kent-Brille zu besorgen, entschied dann aber, der Superman-Stil wäre etwas zu viel des Guten. Außerdem: Ich war Batwoman. Crossover taugen nichts.

Nach Vollendung meiner Tarnidentität zeigte ein Lautstärketest des Autoradios in meinem ranzigen Seat-Ibiza-Batmobil, dass ich vor Befahren des Lehrerparkplatzes tunlichst den Regler senken sollte. Sonst würde ich die ganze Gemeinde sofort auf mein Doppelleben aufmerksam machen. Inzwischen vergesse ich das oft. Nicht nur einmal bin ich aus dem Auto gestiegen und habe mich über den ein oder anderen entgeisterten Blick gewundert.

Auf diese Weise also zumindest optisch ein wenig geläutert, betrat ich in den ersten Tagen des neuen Schuljahres das Schulgebäude. Ganz wohl fühlte ich mich nicht in meiner neuen konformistischen Haut. Wenigstens trug ich unter der Bluse ein Bandshirt. Allein das Wissen, dass es da war, machte die Kostümierung erträglicher.

Einige Tage später – der Spätsommer hatte mit knapp dreißig Grad noch einmal heftigst zugeschlagen – lief ich über den Flur und wünschte mich in einen luftigen Rock (ohne Strumpfhose), als mir Kollege A. entgegenkam …

… und zwar in Metal-Shirt und kurzer Hose! Er grinste mich im Vorbeigehen an, grüßte mit der »Pommesgabel« und nickte wissend. Völlig verwirrt sah ich mich um. Der Flur war voller Menschen. Keiner schien sich für uns zu interessieren. Mein erster Gedanke war: Was zum Allmächtigen hat mich verraten?

Was ich an diesem Tag gelernt habe? Solange man nicht halb (oder ganz) nackt zur Schule kommt, ist es den meisten Schülern völlig Latte, wie man als Lehrer herumläuft. Und dass ich mich weder an den Menschen im senfgelben Pullover noch an Physik erinnere, liegt wohl nur in einer Sache begründet: Er war schlicht und ergreifend eine stinklangweilige Person.

Ich brauchte dennoch einige Jahre, bis ich Batwoman und die Studienrätin zu einem Menschen zusammengeführt hatte. Mit dem Ergebnis bin ich ganz zufrieden. Meine inzwischen stellenweise ergrauten Haare nehmen die blauschwarze Farbe wieder dankbar an. Die meisten Bandshirts kommen regelmäßig an die frische Luft, sind glücklich und verstehen sich prima mit den ihnen zugeteilten Hemden. Strumpfhosen im Sommer – sag mal, hackt’s?

Meine Schüler haben kurzzeitig ein Wettspiel namens »Fifty Shades of Black« ins Leben gerufen. Dabei sollte zu Schuljahresbeginn geschätzt werden, wie oft ich in Kleidung zur Schule kommen würde, die nicht von der Farbe Schwarz dominiert wird. Leider musste es bald abgebrochen werden, weil Streit darüber entbrannte, wo genau Dunkelgrau aufhört und Hellschwarz anfängt.

Eine kreative Neuauflage des Spiels im vergangenen Jahr bekam den lyrischen Namen »Das Tätu kuckt raus!«. Allerdings machte ich dem Treiben auf einer einwöchigen Studienfahrt im Sommer ein Ende, weil ich konsequent kurzärmelig erschien und das Spiel damit ad absurdum führte. Vielleicht gibt es im kommenden Jahr ja ein Remake mit dem Titel »Welches Tätu kuckt raus?«. Oder »Errate das Bandshirt … und stirb!«, man weiß es nicht.

Nur manche Shirts lasse ich doch lieber im Schrank. Tatsächlich beschleicht mich ab und zu das ungute Gefühl, dass einer unserer Religionslehrer hinter der nächsten Ecke lauert und abwägt, wann es an der Zeit ist, mit mir einen Exorzismus durchzuführen.

Der Mephistopheles auf meinem Unterarm ist auf jeden Fall vorbereitet.

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