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6 NELSON

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Freitagabend, endlich, Digga. Ich werde nie verstehen, warum eine Schulwoche länger ist als ein Monat Sommerferien.

Hamza lehnt im Türrahmen, cool gestylt, und guckt zu, wie ich auf der Suche nach meinem neuen T-Shirt im Schrank wühle. Hamza sieht einfach zu gut aus – schwarze Haare, extrem weiße und gerade Zähne, und dunkle Augen, die so glühen. Also, nicht meine persönliche Meinung, bin ja nicht schwul oder so. Aber man kriegt ja schon mit, wie einer so bei Frauen ankommt.

»Wie viel Jahre dauert’s noch, Digga?«, fragt er, dabei hab ich das T-Shirt schon gefunden und angezogen und schnappe meine Jacke, jetzt müssen wir nur noch Mamas Ermahnungen hinter uns bringen. Schon nach dem ersten halben Satz ihrer kleinen Rede zum Thema Alkohol falle ich ihr ins Wort. »Mama! Hamza trinkt überhaupt nicht! Ich trinke ja auch nicht, aber Hamza probiert nicht mal! Meinst du, da werde ich mich mit Alkohol zudröhnen, wenn wir zusammen unterwegs sind?!«

Dass Hamza, weil er Moslem ist, noch nie auch nur einen Schluck Bier getrunken hat, das habe ich ihr schon hundertmal gesagt.

»Du hältst mich echt für einen schlechten Freund, Mama!« Ich bin sogar ein bisschen sauer.

Hamza grinst. Er weiß genauso gut wie ich, wie sich die Fortsetzung anhört.

»Nelson.« Mama legt eine Hand auf meine Schulter und sieht mir fest in die Augen. »Nelson. Und keine Drogen. Keine. Versprochen??«

»Klar, Mama. Versprochen.«

Endlich wünscht sie uns viel Spaß und lässt uns gehen.

In dem schmierigen Fahrstuhlspiegel gucke ich, wie ich von der Seite aussehe.

Hamza boxt mich in den Rücken. »Schwul, oder was?!?«

Normalerweise hau ich Leuten erst mal eine rein bei solchen Sprüchen.

Aber Hamza darf, was andere nicht dürfen. Zwischen Brüdern ist auch so ein Spruch mal erlaubt.

Wir gehen ins CRUSH, unseren Lieblingsclub auf Sankt Pauli. Im Gegensatz zu mir ist Hamza schon sechzehn, und vom Aussehen her würde man ihn eher auf siebzehn schätzen. Deswegen machen die beiden Typen am Eingang eigentlich nie Stress. Sie kennen uns schon. Der eine begrüßt uns mit Handschlag. »Was geht?«

»Läuft. Alter, geht ja ganz schön ab hier.« Hamza macht eine Kopfbewegung in den leeren Club hinein.

»Das wird noch. Viel Spaß.«

Wir schlendern durch den schwarz lackierten Gang ins Halbdunkel. Erst spielt der DJ sich rauf und runter durch die Charts, aber gegen ein Uhr macht der Hip-Hop-Floor auf, und dann ist es auf einmal richtig voll. Mitten im Gedränge tanzen Hamza und ich. Die Musik ist gut.

Es sind auch viele Mädchen da heute. Eine mit ganz langen braunen Haaren fällt mir auf. Aber sie hat einen Typen dabei.

Schade.

Irgendwann will Hamza rauchen, also gehen wir nach draußen. Ich rauche ja nicht. Da bleibe ich hart. Mein Papa ist an Krebs gestorben, den Scheiß muss ich mir nicht antun. Und wenn Hamza mich aus Spaß auch auslacht, in Wahrheit akzeptiert er es und findet es sogar gut.

»Wie fandst du die mit den langen braunen Haaren?«, frage ich Hamza, als wir vor dem Club stehen und die schrägen Typen beobachten, die um diese Zeit auf Sankt Pauli unterwegs sind.

»Die in dem silbernen Top?«

»Ja genau. Die.«

Hamza grinst. »Ich dachte, du stehst auf blond, Digga!«

Ich fühle mich ertappt. »Und?«, sage ich dann lässig. »Vielleicht ist sie ’ne Streberin, aber sie ist auch echt süß irgendwie.« Und dann frage ich das, was mich schon seit einer ganzen Weile interessiert: »Wie findest du sie denn?«

»Marie?« Hamza grinst wieder. »Musst dir keine Sorgen machen, Nelson. Ich steh nich auf Streberinnen.«

Ich bin nicht sicher, ob mich das wirklich beruhigen soll! Wenn es ein Junge aus der Klasse mit Marie aufnehmen könnte, also, vom Schlausein her, dann fällt mir eigentlich nur Hamza ein. O. k., Akif ist auch schlau. Aber Akif ist so schlau, dass ihm in der Schule die ganze Zeit nur langweilig ist, und davon ist er gleich selber langweilig geworden. Hamza ist zwar schlau, aber er weiß jetzt nicht alles, sodass man wie bei Akif Angst hat, sich überhaupt mit ihm zu unterhalten. Und es ist auch nicht so, dass Hamza ständig damit angibt. Und – was noch viel wichtiger ist –, kaum einer wird so respektiert wie Hamza. Darauf stehen doch Frauen!

»Du sagst das doch jetzt nur so, oder, dass du nicht auf Streberinnen stehst?! Du hast doch selber mal gesagt, dass dich nervt, wenn Mädchen sich nur für Make-up interessieren! Marie wäre doch genau das Richtige für dich, oder?!?«

Hamza grinst, als ob er die Situation superlustig findet. Es macht mich fast aggressiv, dass er sich so amüsiert!

Aber bevor ich noch mehr sagen kann, hören wir eine Mädchenstimme kreischen. Das Mädchen mit den langen braunen Haaren und dem silbernen Top kommt aus dem Club gestolpert, daneben ihr Typ. Er hält sie am Oberarm fest und brüllt sie an.

»Scheiße, was geht hier ab?«, sagt Hamza.

Der Typ lässt den Arm des Mädchens los und schlägt ihr kurz und hart ins Gesicht. Sie schreit auf und versucht, ihn zurückzuschlagen. Er fängt ihren Arm ab, schubst sie gegen die Hauswand, spuckt auf die Straße, steigt in seine Scheißkarre und fährt davon.

Zwei, drei Besoffene stehen glotzend drum herum.

Das Mädchen lehnt laut heulend an der Wand.

Ich gehe hin.

»Hey«, sage ich, »der is weg …«

Ich rieche ihr Parfüm. Der süße Geruch mischt sich mit dem Gestank von Pisse zwischen Hauswand und Bürgersteig.

»Du brauchst keine Angst mehr haben … Das Arschloch is weg …«

Sie hebt ihr mit Make-up verschmiertes rot geweintes Gesicht und heult weiter.

»Der kommt nicht wieder …«

Heulen und Schniefen. »Hat er dir sonst noch was getan …?«

Mit Mühe kann ich sie verstehen.

»Schlüssel im Auto … Mama beim Wellness-Wochenende …«

»Hey … das kriegen wir schon hin …«

Und jetzt liege ich hier mit diesem Mädchen im Arm. Sie atmet tief, und manchmal seufzt sie im Schlaf.

Im Gegensatz zu ihr habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen. Wie auch, wenn ich ihren warmen Rücken an meinem Oberkörper spüre und ihre weichen Haare an meinem Gesicht?! Und an meinem Arm, durch das T-Shirt, das ich ihr zum Schlafen gegeben habe, ihre Brüste. Ich berühre sie zwar nur ganz leicht mit der Innenseite von meinem Unterarm. Aber es ist das krasseste Gefühl ever. Schlafen ist da definitiv nicht drin.

Es wird langsam hell. Ich konzentriere mich auf das Gefühl von glattem braunen Haar an meinem Gesicht und streichle vorsichtig ihre Schulter.

Sie wacht erst auf, als ihr Handy klingelt. Verschlafen setzt sie sich auf.

»Hallo Mama …«

Die Frau am anderen Ende spricht so laut, dass ich mithören kann. »Katharina, was geht hier vor sich? Warum bist du nicht zu Hause?«

»Ich hab bei einem Freund übernachtet.«

»Bei Jonas?«

»Nee … mit Jonas hab ich Schluss gemacht … Ein anderer Freund.«

»Und wann kann ich mit dir rechnen?«

»In zwei Stunden, denke ich …«

Katharina legt auf und lächelt mich an.

»Morgen«, sage ich verlegen. »Ich geh dann mal … duschen.«

Katharina gähnt. Sie kuschelt sich wieder unter die Decke. »Alles klar.«

»Ich hab ’ne Freundin hier übernachten lassen«, sage ich zu Mama, als ich aus dem Bad komme. Sie guckt erstaunt.

»Erklär ich später.«

Dann bringe ich Katharina ein Handtuch und stelle Frühstück auf den Küchentisch. Als sie unter der Dusche ist, ruft Hamza an.

»Und? Hat die echt bei dir gepennt?«

»Jep. Und in meinem Arm einschlafen wollte sie außerdem. Sie hat darauf bestanden.«

Hamza lacht sich kaputt. »Also endlich nich mehr Jungfrau, Digga?«

»Red kein Schwachsinn«, sage ich.

Er lacht so sehr, dass ich schon leicht genervt bin.

Katharina kommt in die Küche und guckt neugierig zu mir.

»Hau rein, Bro«, sage ich zu Hamza und lege auf.

Zu dritt essen wir Frühstück und ich höre verwundert zu, wie Mama und Katharina sich über Eiskunstlauf, glutenfreies Brot und Genmanipulation unterhalten.

»Ich muss jetzt leider los«, sagt Katharina nach dem Frühstück, und es klingt, als fände sie das total schade.

Ich finde es auch total schade. Katharina ist richtig nett, und voll süß. Die ganze Zeit lächelt sie mir zu, und es macht derbe Spaß, ihr zuzuhören. Dabei interessiert mich Eiskunstlauf nicht einmal!

Ich hätte nichts dagegen, die nächste Nacht genauso zu verbringen wie die letzte. Und alle anderen Nächte. Wenn ich dann auch nie mehr schlafen könnte. Aber egal, oder?!

»Soll ich dich zur Haltestelle bringen?«

»Das wäre superlieb!«

Als wir auf der Straße stehen, hakt sie ihren kleinen Finger in meinen. Mein Herz schlägt ein bisschen höher und vorsichtig gucke ich sie von der Seite an. Sind wir jetzt zusammen?

Sie dreht den Kopf zu mir und grinst. »Was ist?«

»Nichts …«

»Du bist echt süß, Nelson.«

Das hat mir noch nie jemand gesagt. Also, außer Mama, und Tante Luisa vielleicht. Und es bringt mich ziemlich durcheinander. Ich wüsste gerne, was ich darauf antworten soll. ›Findest du?‹, ›Danke für das Kompliment‹, ›Du auch‹?

Weil ich keine Ahnung habe, ob irgendetwas davon die passende Antwort wäre und wenn ja, welche, sage ich einfach gar nichts.

»Wir sollten uns mal wiedersehen«, sagt Katharina.

Anscheinend sind wir noch nicht zusammen.

»Finde ich auch.« Ich schaffe es, dass dieser Satz einigermaßen normal klingt.

Wieder strahlt sie mich an.

An der Haltestelle holt sie ihr Handy raus. »Wollen wir Nummern tauschen?«

»Ja, klar!«

Während ich ihre Nummer eintippe, steht sie so dicht neben mir, dass ihre glatten braunen Haare mich an der Schulter kitzeln.

Und in diesem Moment taucht Marie auf. Ich gucke hoch und sehe sie genau auf uns zukommen. Sie schaut mir direkt in die Augen.

»Hi, Nelson«, piepst sie.

»Hi, Marie!«, sage ich verwirrt. Sie quetscht sich an mir vorbei und guckt auf den Fahrplan, und für einen Moment steht rechts von mir Katharina und links von mir Marie.

Voll merkwürdiges Gefühl.

Dann stellt Marie sich drei Schritte von uns entfernt hin, guckt auf die Straße und rührt sich nicht mehr.

Katharina redet weiter von dem Segelkurs, den sie in den letzten Ferien gemacht hat. Ich versuche, mich darauf zu konzentrieren, was sie sagt. Und nicht darüber nachzudenken, dass zweieinhalb Meter von mir entfernt meine große Liebe steht. Und zweieinhalb Zentimeter von mir entfernt dieses Mädchen, das ich die ganze Nacht im Arm gehalten habe. Definitiv eine merkwürdige Situation.

Aber irgendwie finde ich es gut. Hey Marie, denke ich, ich bin dir wahrscheinlich ziemlich egal, aber guck mal, es gibt auch andere Mädchen! Und ob du’s jetzt glaubst oder nicht, manche wollen sogar in meinem Arm schlafen! Und Katharina lacht und erzählt, wie sie beinahe über Bord gegangen wäre und zupft dabei mit einer Hand an meinem T-Shirt herum, und mit der anderen hält sie immer noch meine Hand.

»Danke für alles!«, flüstert sie in mein Ohr, als der Bus vor uns hält.

Ganz, ganz kurz umarme ich sie. »Komm gut nach Hause!« Es klingt richtig profimäßig. Als würde ich das jeden Tag zu Mädchen sagen, die bei mir übernachtet haben.

Die beiden klettern fast nebeneinander in den Bus, und ich weiß gar nicht, auf wen ich mich konzentrieren soll. Katharina winkt noch mal durch die Scheibe, und dann sind sie weg.

Ich schlendere langsam nach Hause.

Was man an einem ganz normalen Tag so alles erleben kann …

»Ein nettes Mädchen«, sagt Mama, »aber eine Erklärung hätte ich trotzdem gerne!«

Ich erzähle, wie Katharina von ihrem Ex ins Gesicht geschlagen wurde und heulend vor dem Club stand, ohne Schlüssel und so.

Mama findet es gut, dass ich geholfen habe.

»Wo hast du sie denn schlafen lassen?«

»In meinem Bett.«

»Und du hast dann wahrscheinlich auf der Couch gelegen.«

Ich muss kurz überlegen. Mama ist ziemlich gechillt. Aber ist sie gechillt genug?

»Nee. Sie wollte in meinem Arm schlafen.«

Mama guckt mich mit großen Augen an.

»Sonst war nichts«, sage ich schnell. »Die war todmüde, und ich auch, und wir haben einfach nebeneinandergelegen und gepennt.«

Mama reißt immer noch die Augen auf und ich frage mich, ob sie wirklich so gechillt ist, wie ich dachte.

»Nelson …«

»Hm?«

»Ich find’s schön, dass du so ein nettes Mädchen kennengelernt hast. Aber wir müssen über einige Dinge sprechen. Eine Beziehung …«

»Mama! Das ist keine Beziehung.«

»Umso wichtiger ist es, dass man bestimmte Dinge beachtet.«

Oh Mann. Hätte ich mal den Mund gehalten …

Doch es wird gar nicht sooo schlimm. Mama hält mir einen zwanzigminütigen Vortrag über Teenagerschwangerschaften und Verhütung und Verantwortung und als sie fertig ist, fragt sie mich, ob ich sie verstanden habe. Ich nicke, und ich glaube auch, dass ich sie wirklich verstanden habe, und dann entlässt sie mich nach draußen.

Ich sitze auf dem Krokodil und tippe eine Nachricht an Hamza. Und während ich auf ihn warte, denke ich daran, wie weich Katharinas Haare sind. Und wie sanft und warm sich ihr Körper neben meinem angefühlt hat.

»Na, Checker?«, sagt Hamza und hält mir die flache Hand hin. Wir klatschen uns ab.

»Na«, sage ich und versuche, so zu klingen, als wäre ich wirklich voll der Checker. Dann schweige ich erst mal. Als Checker muss man vor allem eins können: Cool schweigen.

Hamza setzt sich neben mich. Er spielt mit dem Fußball herum, den er mitgebracht hat. »Lass hören, Digga. Wie war’s?«

»Geil«, sage ich. Was sonst?

»Wie is’n so’n Frauenkörper?«

»Geil«, sage ich. Dann schweige ich wieder. Und versuche, mich zu erinnern. Und die passendsten Worte zu finden. Die besten Worte, um dieses Wunderschöne zu beschreiben: Einen Frauenkörper.

»Zart, halt.«

»Und wie weit hat sie dich rangelassen?«

Das ist jetzt ein bisschen ein Dilemma für mich.

Aber Hamza ist mein bester Freund. »Also, sie hat einfach in meinem Arm geschlafen«, nuschel ich deshalb. Ich erwarte, dass er sich gleich lachend auf dem Boden wälzt und brüllt, wie man sich so eine Chance entgehen lassen kann.

Hamza lässt den Ball auf seiner Fußspitze hüpfen und sagt nichts. Er hat das wohl erwartet. Er kennt mich halt. Egal für wie cool die anderen mich halten.

Ich entspanne mich ein bisschen, als ich merke, dass Hamza über etwas ganz anderes nachdenkt.

»In deinem Arm geschlafen … Und deine Mutter ist nich durchgedreht?«

»Nee. Wär deine durchgedreht?«

»Mein Vater. Zu durchgedreht wär er.«

»Was hätte er gemacht?«

»Weiß nich. Ausgerastet, halt. Aber immerhin war es ja eine Frau.«

Ich muss lachen. Was könnte es denn sonst sein, ein Alien?!

»Lass kicken gehn, Nelson.« Hamza macht eine Kopfbewegung Richtung Bolzplatz.

Dann gehen wir kicken. Aber zwischendurch muss ich immer wieder an Katharina denken. Und zweimal merke ich, wie ich leise »Katharina« vor mich hin sage. Nur, um zu hören, wie es klingt.

Als ich am Abend im Bett liege, schreibe ich Katharina eine Nachricht.

Hi gut nach Hause gekommen?

Zehn Minuten lang warte ich auf eine Antwort. Dann spiele ich ein bisschen auf meinem Handy. Wenn man sich ablenkt, ist Warten nicht so schwer.

Kurz nach halb eins lege ich das Handy weg.

Irgendwie bin ich traurig.

Keiner zwischen uns

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