Читать книгу Keiner zwischen uns - Carolin Hristev - Страница 7
1 NELSON
Оглавление»Oh, là, là, chica«, sagt Djamila und schnalzt mit der Zunge, als Frau Häuser zur Tür reinkommt. Seit Frau Häuser schwanger ist, trägt sie meistens Kleider, und das heute sieht richtig gut aus. Aber Frau Häuser mag es anscheinend nicht, wenn sie von Djamila Komplimente bekommt, und guckt Djamila nur streng an. Und dann guckt sie noch mal in den Flur und sagt: »Hereinspaziert! Nur nicht so zaghaft!« Und da passiert es. Mein Herz bleibt stehen.
Es ist der erste Tag im neuen Halbjahr, und Frau Häuser hatte uns schon vorgewarnt, dass wir zwei neue Schülerinnen bekommen. Aber niemand hatte mich vorgewarnt, was das für mich heißen würde.
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen und gucke einfach wie alle anderen unsere beiden neuen Mitschülerinnen an, die total verschüchtert nebeneinander vor der Tafel stehen.
Die eine blond wie sonst was.
Von der anderen kann man die Haarfarbe nicht erkennen – unter dem Kopftuch trägt sie extra noch so ein Band, damit man auch nicht den Schatten eines Haares sieht. Dazu ein langes Gewand, unter dem nur ihre Turnschuhe hervorschauen.
Die Blonde ist bisher hier in Hamburg auf eine Privatschule gegangen, sagt sie mit Piepsstimme.
Die im Kopftuch erst vor einem Jahr mit ihren Eltern aus Afghanistan geflüchtet, erzählt Frau Häuser.
Marie und Barin.
»Hast du gemerkt, wie Ibo die Neue angestarrt hat?«, sagt Hamza auf dem Nachhauseweg zu mir.
Ich werde hellwach. »Echt jetzt?«
»Das war soooo auffällig. Du kriegst echt nichts mit, Nelson«, Hamza grinst. »Das hättest du sehen sollen, zu lustig, Digga. Und es hatte ganz sicher nichts mit dem Kopftuch zu tun. Hau rein.« Wir geben uns Ghettofaust und er zieht ab.
Es stellt sich ziemlich schnell heraus, dass Marie schlau ist wie nichts. Seit ein paar Tagen hat sie den Spitznamen »Streberin«. Kam natürlich von Ibo.
Ich stehe mit meinen Freunden auf dem Pausenhof rum. Alex hat Karim gerade aus Spaß im Schwitzkasten und Julius zeigt Hamza was auf dem Handy, als Ibo vorbeikommt. Er ist sauer, weil er in der Deutscharbeit, die wir heute zurückgekriegt haben, eine Fünf hat. »Das is soo unfair, Digga, soo unfair! Ich hab noch nie eine so unfaire Lehrerin gesehen, ich schwör, Digga!«, sagt er so laut zu Tolga, dass alle im Umkreis von zwanzig Metern es hören. Und dann brüllt er plötzlich aus vollem Hals: »Nur, weil Marie blonde Haare hat, kriegt sie in Deutsch ’ne Eins!«
»Ganz klar!«, sage ich laut und höhnisch. »Sie hat ’ne bessere Note als du, weil sie blonde Haare hat. Und auf gar keinen Fall, weil du dumm bist wie’n Stück Schnur, Ibo!«
»Hä?!«, macht Ibo und kommt drohend auf mich zu. »Was muckst du, Nelson? Verpiss dich, du Platzverschwendung, oder du kassierst Schläge!«
»Ich hab ja solche Angst!«, sage ich und beachte ihn nicht mehr.
Früher hatte ich wirklich Angst vor Ibo und was für welche. Er ist immer noch mein Feind. Aber dass ich Angst vor ihm hatte, ist lange her.
»Nach der Logik von Ibrahim Coskun hättest du auch ’ne Eins kriegen müssen, Julius!«, sagt Hamza grinsend und gibt Julius einen kleinen Klatscher gegen seinen blonden Kopf. »Willst du dich nicht beschweren gehen?«
In der nächsten Stunde will Frau Häuser mit uns noch mal paar Sachen wegen der Klassenfahrt besprechen, deshalb müssen wir unsere Stühle im Kreis aufstellen. Keiner außer ihr weiß, was das eine mit dem anderen zu hat, aber egal. Der Stuhlkreis hat durchaus sein Gutes, denn mehr oder weniger aus Versehen sitzt Marie neben Frau Häuser. Ich tue, als ob ich Frau Häuser angucke, aber in Wirklichkeit gucke ich Marie an.
»Also, Jungs und Mädels, hier ist die Liste, auf der steht, was ihr alles mitnehmen müsst und dürft – «
»Ist doch noch fast drei Monate Zeit«, sagt Theo.
»Ja, aber vielleicht muss der eine oder die andere noch was kaufen, deswegen gebe ich euch die Liste schon jetzt.«
Ich höre nicht mehr zu, auch wenn ich so tue, als ob ich Frau Häuser aufmerksam anschaue. Wenn ich Marie nicht vom ersten Moment an so mögen würde, hätte ich wahrscheinlich auch gedacht, dass sie eine Streberin ist. Und vielleicht ist sie das sogar. Aber egal, oder?! Sie ist eben schlau! Dass sie sich in unserer Klasse nicht wohlfühlt, sieht man deutlich. Kein Wunder, wenn man gleich Ibo gegen sich hat. Als sie merkt, dass ich sie angucke, lächle ich ihr zu. Sind eigentlich alle ganz o. k. hier, will ich damit sagen, und nicht alle haben was gegen dich.
Als Karim aufs Klo geht, fällt mir was Lustiges ein. Ich rutsche mit dem Stuhl ein bisschen nach hinten, sodass Karim die Tür nicht aufkriegt, als er zurückkommt. Ein paar Mal donnert er mit der Tür gegen meinen Stuhl, und alle lachen. Als Frau Häuser mich streng anguckt, rutsche ich so weit zur Seite, dass Karim durchschlüpfen kann. »Bist du zu dumm, die Tür ordentlich aufzumachen, oder was?!«, sage ich und boxe ihn in die Rippen. Er versucht, mir ins Gesicht zu klatschen, was ich erfolgreich verhindere. Frau Häuser sieht aus, als ob sie gleich sauer wird. »Wenn ihr mitwollt nach Holland, dann solltet ihr euch jetzt zusammenreißen!«, sagt sie.
Frau Häuser ist cool, sie guckt manchmal Filme mit Will Smith mit uns, also versuche ich, sie nicht weiter aufzuregen. Außerdem ist sie schwanger.
»Wohin fahren?«, fragt da jemand mit einer dünnen Stimme. Es ist Barin, unsere andere neue Mitschülerin.
»Nach Holland, Barin, in die Niederlande«, sagt Frau Häuser.
»Oh. Ich nicht mitkommen kann.«
»Warum?«, fragt Frau Häuser. »Wenn’s am Geld liegt, da gibt es Möglichkeiten …«
Aber Barin steht auf und geht zu ihrer Tasche und holt was, und das zeigt sie Frau Häuser. Es ist ein Ausweis oder so was in der Art, und als Frau Häuser den angeschaut hat, sagt sie: »Oh, schade, das heißt, du darfst Deutschland nicht verlassen, verstehe. Hmmm …«
Und schon am nächsten Tag kommt unsere Lehrerin mit einem zu heftigen Vorschlag. Andererseits, es ist typisch für sie.
In ihrer fröhlichsten Stimme sagt sie: »Ich hab zu Hause noch mal recherchiert, weil wir ja gestern erfahren haben, dass Barin nicht ins Ausland reisen darf …«
»Warum eigentlich nicht?«, ruft Karim dazwischen.
»Weil sie nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung hat, die alle paar Monate verlängert werden muss. Jedenfalls, es gibt noch eine andere ziemlich schöne Variante. Ihr könntet wohin fahren, wo es mindestens ebenso schön ist wie in Holland, und Barin könnte mitkommen. Es gibt dort einen See, und die Jugendherberge – «
»Wo ist es? Wohin?«, schreien gleich alle durcheinander.
Als wir es hören, sind wir enttäuscht.
»Mecklenburg-Vorpommern!?!?«, sagt Djamila. »Im Ernst jetzt?!? Das is alles außer cool, Frau Häuser!«
»Sie fahren ja nicht mit!«, ruft Julius. »Ihnen kann es ja egal sein! Sie sitzen schön mit Ihrem Baby zu Hause, und wir kommen dort inzwischen um vor Langeweile!«
»Wartet!«, ruft Ibo und sieht sich um, damit auch ja alle zuhören, wenn er redet. Und dann ruft er begeistert: »Ein See, Mann! Is doch geil, Mann!«
Anscheinend weiß daraufhin niemand, was er sagen soll. Hat Ibo noch nie einen See gesehen? Aber weil es Ibo sagt, widerspricht auch erst mal keiner.
Dann meldet sich Gülcan. »Ich freu mich auch mega auf Holland«, sagt sie, »aber … ich fänd’s auch unfair, wenn Barin nicht mitkann!«
»Is mir doch egal!«, ruft Theo. »Wir haben das schon so lange geplant!«
»Is dir egal?! Junge, du hast voll kein Gewissen!!«, schreit Ibo, und das ist so lustig, dass Ibo von Gewissen redet, dass alle lachen müssen.
Frau Häuser mischt sich ein. »Ich finde es eigentlich normal«, sagt sie, »dass eine Schülerin, die gerade neu in die Klasse gekommen ist, nicht von der Klassenfahrt ausgeschlossen wird.«
»Find ich auch!«, schreit Ibo, und Frau Häuser ist genauso erstaunt wie wir darüber, dass Ibo einmal im Leben dieselbe Meinung hat wie sie.
»Dann stimmen wir halt ab«, schlägt Marvin vor, der Klassensprecher ist.
Frau Häuser sieht ihn zweifelnd an. Alter, hat sie echt erwartet, dass wir einstimmig Ja schreien?! So blauäugig kann echt nur Frau Häuser sein.
»Okay«, sagt sie, »dann stimmt ab. Ich hatte zwar gehofft, dass ihr von euch aus … aber gut. Wer ist für Mecklenburg-Vorpommern?«
Ich sehe mich um. Komisch, aber ungefähr die halbe Klasse meldet sich. Unter anderem ich, weil nämlich auch Marie ihren Arm in die Luft streckt.
Gleich darauf bereue ich es. Was will ich in Mecklenburg- Vorpommern? Meine Tante wohnt in der Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern und ich bin jede zweite Ferien dort. In den Niederlanden war ich im Gegensatz dazu noch nie.
»Spinnst du, Alter?«, sagt Hamza.
»… elf, zwölf, dreizehn!«, zählt Frau Häuser mit einem schlecht versteckten Siegerlächeln. Mecklenburg-Vorpommern hat mit einer Stimme Mehrheit gewonnen. Und natürlich sind die anderen stinksauer.
»Ich denke, das ist die richtige Entscheidung«, sagt Frau Häuser. »Wenn ihr selbst mal in so einer Situation seid, werdet ihr es zu schätzen wissen, wenn andere auf euch Rücksicht nehmen.«
»Pf, ich hab mein deutschen Pass«, sagt Theo wütend, und da wird Frau Häuser richtig ärgerlich. »Das war so ungefähr das Unpassendste, was man jetzt sagen konnte, Theo.«
Es klingelt. Manche stürmen nach vorn und reden auf Frau Häuser ein, aber Hamza und ich nehmen unsere Rucksäcke und verschwinden. Ist sowieso klar, dass die Sache entschieden ist.
»Was sollte das denn?!?«, sagt Hamza, als wir im Flur sind und der Tumult leiser wird. »Wieso hast du nicht für Holland gestimmt?! Ein See, Alter. Statt Ausflug nach Amsterdam. Manchmal bist du echt derbe bekloppt, Nelson.«