Читать книгу Keiner zwischen uns - Carolin Hristev - Страница 13

7 MARIE

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Gülcan schlummert so selig, als gäbe es kein Leid auf dieser Welt. Als ob ihre beste und zutiefst unglückliche Freundin überhaupt nicht neben ihr läge und dringend ihres Trostes bedürfe. Ich seufze, in der Hoffnung, dass sie davon aufwacht. Resultat: Gülcan lächelt im Schlaf.

Ich seufze etwas lauter, doch es ist aussichtslos. Resigniert drehe ich mich auf den Bauch und angle unter dem Bett nach meinem Handy und Gülcans Kopfhörern. Ich stelle Lanas Once upon a dream an und leide vor mich hin.

Nelson. Nelson hat eine Freundin. Ich war gerade auf dem Weg zur Bibliothek, als ich sie gesehen habe, Händchen haltend und strahlend vor Glück. Die Minuten, die wir nebeneinander an der Bushaltestelle standen, waren die absolute Hölle für mich.

Natürlich waren mir alle Bücher der Welt mit einem Male gleichgültig. Statt zur Bibliothek fuhr ich zu Gülcan, in deren Armen ich weinend zusammenbrach. Seltsam, aber auf den Gedanken, dass Nelson eine Freundin haben könnte, war ich noch nie gekommen.

»Er hat dich nicht verdient«, sagte Gülcan mindestens tausendmal, und: »Es gibt doch auch noch andere tolle Jungs.«

Lieb gemeint. Doch wenig tröstlich. Als gäbe es einen zweiten Nelson!

Aber wie soll Gülcan mich auch verstehen? Sie hat schon oft gesagt, dass Nelson einfach ein Junge sei wie jeder andere auch.

Es ist mir völlig schleierhaft, wie man so etwas behaupten kann. Natürlich ist Nelson nicht einfach ein Junge wie jeder andere auch! Welcher andere Junge kann denn so charmant lächeln wie Nelson? Welcher andere Junge hat denn so einen extrem süßen kleinen Spalt zwischen den Schneidezähnen? Und welcher andere Junge, bitte schön, hat solche unglaublich verschmitzten, glitzernden braunen Augen?

Ich glaube, ich werde wahnsinnig, wenn ich länger darüber nachdenke. Ich stelle Once upon a dream auf Endlosschleife und weine lautlos in mich hinein.

Mit verquollenen Augen wache ich auf.

Gülcan schlüpft gerade in ihre Jeans. »Ich dachte schon, ich krieg dich gar nicht wach! Du schläfst wie so’n Murmeltier, echt jetzt!«

Ich schleppe mich ins Bad. Als ich in den Spiegel schaue, bin ich nur dankbar, dass Sonntag ist, sonst wäre mein nächster Spitzname »Froschgesicht« oder »Glubschi« oder etwas ähnlich Originelles. Meine Augenlider sind zu doppelter Größe aufgequollen, und in einem Auge ist eine fette rote Ader geplatzt.

»Ich glaub, mir geht’s nicht gut …«, sage ich zu Gülcan, »ich geh nach Hause.«

Mit gesenktem Kopf schleppe ich mich nach Hause. Ich lege mich aufs Bett, stelle Musik an und leide wie ein Hund.

Aus irgendwelchen, für mich selber nicht mehr nachvollziehbaren Gründen hatte ich die Hoffnung, dass Nelson, ich wiederhole: Nelson! sich für mich interessieren könnte. Ich muss an einer Art Wahn gelitten haben, eine andere Erklärung gibt es nicht. Ich bin mit Abstand das dümmste und naivste Wesen des Universums. Zumindest ist es höchst unwahrscheinlich, dass es irgendwo in den Weiten des Kosmos jemanden gibt, der es an Dummheit und Naivität mit mir aufnehmen kann. Ich stelle mir ein hässliches blaues Marsmännchen vor, dass sich in Lana Del Rey verliebt hat. Möglicherweise könnte dieses Marsmännchen mich an Idiotie noch überbieten.

Marsmännchen: Blau, glitschig. Dreiäugig mit sechs Fingern.

Lana: Langbewimperte Rehaugen. Traumhaft schön.

Aber direkt auf Platz zwei, da komme ich.

Nelson: Unglaublich süß. Extrem beliebt.

Marie: X-beinige Brillenträgerin. Beliebt nur vor der nächsten Klassenarbeit.

Ich tue mir so unsäglich leid.

Ich wache erst auf, als plötzlich meine Mutter im Zimmer steht.

»Was ist los, Marie? Hast du Fieber?«, sie berührt meine Stirn, stellt fest, dass ich kein Fieber habe, und geht wieder ins Wohnzimmer.

Als sie zurückkommt, zieht sie ein grünes Monster hinter sich her, ein Monster auf Rädern, so groß und so hässlich, dass ich schlagartig wach bin.

»Den hab ich gestern für dich gekauft, Marie.«

Das Monster entpuppt sich als ein Koffer, die Art Koffer, die man seinen ärgsten Feinden schenkt. An seiner Seite sind große Plastikaugen angebracht und ein grinsender Mund aufgemalt. Die Augen wackeln bei jedem Schritt, und obendrauf hat diese Katastrophe auf Rädern eine Wuschelfrisur aus grünen Fransen. Ich bin vor Schreck sprachlos, und es dauert ein paar Sekunden, bis ich begreife, dass meine Mutter mir das Ding für die Klassenfahrt gekauft hat.

»Den hab ich im Elbe-Einkaufszentrum entdeckt. War reduziert. Dachte mir, das ist genau das Richtige für deine Klassenfahrt.«

Ich liege schon heulend unter der Decke. »Bist du verrückt?! Willst du, dass ich mich komplett zum Gespött der Schule mache?! Und außerdem: Ich FAHRE NICHT AUF KLASSENFAHRT!!!«

»So!«, sagt sie. »Mit dem Unfug ist jetzt Schluss. Und ob du auf Klassenfahrt fährst – meinst du, ich hab das Geld dafür umsonst bezahlt? Außerdem sagte ich ja schon, dass Thomas und ich auch mal Zeit zu zweit verbringen wollen.«

»Dann gehe ich zu meinem Vater!«

»Dein Vater ist, soweit ich weiß, mit Angelika in der Südsee unterwegs. Aber du kannst ihn ja fragen.« Es klingt kalt und mitleidslos.

Ich rufe sofort meinen Vater an.

»Hallo, dies ist die Mailbox von Michael Stadler. Ich bin bis zum dreiundzwanzigsten Mai nicht erreichbar, freue mich aber über eure Nachricht.«

Dass er auch nie da ist, wenn man ihn braucht! Was will er in der gottverdammten Südsee?!

Der Monsterkoffer steht in der Ecke und grinst mich an.

»ICH HASSE DICH!!« Ich versetze dem Koffer einen Fußtritt, sodass er umfällt und ein Stück über den Boden schlittert.

»Marie, bist du von Sinnen? Der hat GELD GEKOSTET!!!«

Ach ja?? Ob ich mich vor meinen Mitschülern mit einem Monsterkoffer lächerlich mache, ist meiner Mutter komplett egal, das Einzige, was für sie zählt, ist, dass dieses Ungeheuer Geld gekostet hat! Ich trete noch einmal zu, und knacksend knickt ein Rad um. Meine Mutter packt mich am Arm, und für einen Moment glaube ich, sie gibt mir eine Ohrfeige, so wütend sieht sie aus. Aber sie beherrscht sich. Ich reiße mich los und laufe aus der Wohnung.

Süleyman, Gülcans Vater, öffnet mir die Tür, sieht mich mitleidig an – mein Gesicht scheint nicht wesentlich anders auszusehen als heute Morgen – und tritt wortlos zur Seite.

Gülcan sitzt an ihrem Schreibtisch, als ich ins Zimmer komme.

Ich lasse mich auf ihr Bett fallen.

»Ich kann einfach nicht mit auf Klassenfahrt kommen! Das halte ich nicht aus!«

Sie setzt sich neben mich und schluchzend lege ich den Kopf auf ihre Knie.

»Vielleicht wird es gar nicht so schlimm …«, sie streichelt mir übers Haar.

»Du bist ja auch nicht verliebt!«

»Vielleicht hilft dir die Klassenfahrt ja, darüber wegzukommen…?«

»Klar!«, schreie ich. »Wenn ich jeden Tag Nelson sehen muss, werde ich natürlich über ihn hinwegkommen!«

Gülcan sagt nichts mehr. Ich kann ihr nicht verübeln, dass sie nicht ohne ihre beste Freundin in die Jugendherberge fahren will.

Ich erzähle ihr von dem grünen Koffer. »Keine Ahnung, wie man auch nur auf den Gedanken kommen kann, so etwas zu kaufen! Hässlich wie die Nacht! Nur, dass Nächte nicht grün sind.«

»Die Nacht ist doch schön!«, sagt Gülcan, völlig am Thema vorbei. »Leila bedeutet auf Arabisch ›Nacht‹.«

Gülcans kleine Schwester Leila steckt den Kopf zur Tür herein. »Wer heißt Leila?«

»Belausch uns nicht!«, sagt Gülcan streng. »Wir haben Sorgen. Lass uns in Ruhe.«

Gehorsam klappt Leila die Tür wieder zu.

Damit Gülcan einsieht, dass es völlig egal ist, welche Metapher ich verwende, um ihn zu beschreiben, muss sie den Koffer einfach selber sehen. Irgendwie muss ich ihr klarmachen, dass es absolut unmöglich für mich ist, mit auf Klassenfahrt zu kommen. Vielleicht bleibt sie ja mit mir in Hamburg, und ich kann die Woche über bei ihrer Familie wohnen …?

Zwanzig Minuten später sind wir bei mir zu Hause in der leeren Wohnung. Meine Mutter ist wohl zu Thomas gefahren.

»Du hast ja mal nicht übertrieben«, sagt Gülcan, als sie Mister Monster sieht. Sie geht um den Koffer herum. »Eine kranke Mischung aus Shrek und Bernd, das Brot, würde ich sagen. Deine Mutter hat echt gar keinen Geschmack. Wie kommt es, dass du welchen hast? Na ja, ansatzweise.«

Dann hat sie eine Idee. »Guck mal, die Augen gehen ab!«

Sie reißt an einem der Plastikaugen. Es löst sich leicht von dem Koffer, das Einzige, was zurückbleibt, ist ein Leimfleck. Dann macht sie das zweite Auge ab, es geht ganz einfach. Ich stehe verblüfft daneben und bewundere ihren Pragmatismus. Auf diesen genialen Einfall wäre ich nie gekommen! Zuletzt holt sie eine Schere und schneidet dem Koffer die grünen Wuschelhaare ab. Abgesehen von dem Grinsemund sieht das Monster jetzt beinahe wie ein normaler Koffer aus. Immer noch zu grün und zu groß, aber doch nur noch halb so auffällig.

»So, jetzt kannst du beruhigt mitfahren!«, verkündet Gülcan, als sie ihr Werk beendet hat.

Einerseits freue ich mich, doch andererseits wollte ich ja gar nicht mitfahren …

»Schade, dass du nicht genauso einfach das Problem mit Nelson lösen kannst«, sage ich, in der Hoffnung, sie kommt vielleicht von selbst darauf, dass es viel besser wäre, wenn wir beide einfach dablieben.

»Du musst loslassen, Marie! Du wirst schon noch den Richtigen treffen. Es gibt doch noch andere tolle Jungs!«

Wenn sie das noch einmal sagt, raste ich mit Sicherheit aus.

Keiner zwischen uns

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