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Inspiration
ОглавлениеIm ersten Kapitel als eigentliche Definition für das, was als »Schreibblockade« beschrieben wird, sprach ich bereits darüber, dass guter Input die beste Inspiration darstellt. Die Qualität, dessen, was wir aufnehmen, spiegelt sich in dem wieder, was wir in der Lage sind zu produzieren. Das bedeutet, wenn wir mit Obacht und Aufmerksamkeit für das Detail durch unseren Alltag gehen, finden sich unendliche viele Quellen der Inspiration, wenn man darauf achtet.
Als Fotograf zog ich oft in dem Gedanken los, einen besonderen Ort oder eine besondere Veranstaltung aufzusuchen, um besondere Bilder & Momente einzufangen. Dadurch verweilte die Kamera in meiner Tasche, bis ich diesen Ort erreicht hatte. Dabei fiel mir auf, dass es gerade auf dem Hinweg besondere Momente gab, die es sich einzufangen gelohnt hätte, aber ich eben nicht einfangen konnte, da die Kamera ihrem traurigen Dasein in der Tasche fristete. Ein Pärchen, das mir entgegen kam und aus voller Glücklichkeit lachte, ein Spiel von Licht und Schatten auf einer Häuserwand, ein pechschwarzer Rabe auf einem Zaun, vor dem ein Rentner misstrauisch die Umgebung begutachtete etc.
Der Punkt ist, hätte ich meine Kamera direkt auslösebereit zur Hand gehabt und wäre aufmerksam gewesen, hätte ich den besonderen Ort oder die besondere Veranstaltung gar nicht erst aufsuchen müssen, zumal sich diese häufig als eben nicht so interessant herausstellten, wie erwartet. Diese Aufmerksamkeit lässt sich jedoch Gott sei Dank trainieren, durch eben das, was wir aufnehmen. Wenn ich mir den Input vorenthalte, weiß ich nicht, wonach ich gucken soll. Doch wenn ich mir, um beim Beispiel der Fotografie zu bleiben, Werke von Cartier-Bresson zu Gemüt führe und diese analysiere, erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit, die nötige Aufmerksamkeit im richtigen Moment zu besitzen, ohne dabei bereits existierende Werke zu kopieren versteht sich. Auf das Schreiben bezogen, bedeutet dies, durch das Lesen von Klassikern ein Fundament aufzubauen, das mir die Aufnahme von alltäglicher Inspiration überhaupt ermöglicht. Ein Fundament, auf das ich ein eigenes Haus bauen kann sozusagen. Dabei stellt sich recht häufig die Frage, wie ein Autor auf so eine einzigartige und universelle Art & Weise ein Szenario beschreiben konnte, das wir tagtäglich durchleben, ohne dass es für uns eine Besonderheit darstellen würde. Dazu gibt es eine recht interessante Übung. Und zwar bleibe man im Alltag einfach mal stehen, schließe die Augen und achte auf das entfernteste wahrnehmbare Geräusch. Halten Sie vorher nach eventuellen Taschendieben Ausschau, vor denen an U-Bahn-Haltestellen und Hauptbahnhöfen regelmäßig gewarnt wird. Für einen Verlust von persönlichen Gegenständen übernehme ich ausdrücklich keine Haftung. Sie werden erstaunt sein, wie scharf Ihr Gehörsinn plötzlich wird und wie eine gesamte Geräuschkulisse auf einmal zum Leben erweckt NUR, weil Sie darauf achten.
Dies erklärt sich durch die Evolutionstheorie, da uns in den meisten, wenn nicht allen Situation, vollkommen scharfe Sinne eher hinderlich wären. Eine Reizüberflutung, wenn wir plötzlich visuell, auditiv und olfaktorisch (Geruch) auf einmal alle Stimuli wahrnehmen würden. Es wäre uns schlichtweg nicht mehr möglich, uns auf eine Sache zu konzentrieren. Doch genau auf diese Herangehensweise lässt sich etwas scheinbar Gewöhnliches außergewöhnlich schreiben und wie beim Lesen oder auch beim Schreiben selbst, wird es Ihnen immer leichter fallen je öfter Sie bewusst aufmerksam sind, sodass Sie nach einiger Zeit eben nicht mehr nach etwas suchen müssen, sondern es automatisch entdecken und demgemäß schreiben werden.
Nun haben wir nicht immer die Zeit, erst spazieren zu gehen, bevor wir schreiben, oder direkt im Anschluss an unseren Alltag die Inspiration zu realisieren.