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Die Grundstimmung
ОглавлениеHier hilft uns die Grundstimmung. Gibt es eine Grundstimmung, die Ihnen den Eingang in jede Geschichte vereinfacht? Welches Wetter schwebt Ihnen vor, bei dem Gedanken an eine Geschichte. Überlegen Sie nicht lang! Was ist Ihr erster Einfall?
Dies bezieht sich nicht nur auf das Wetter, dieses bildet nur ein gutes Beispiel, das automatisch alle Sinne mit einbezieht. So kann diese Grundstimmung aber auch eine Emotion sein, ein Lied aus Ihrer Kindheit, eine Stimmung, die Sie mit einer bestimmten Erinnerung verbinden, eine Farbe, eine Jahreszeit usw.
Hierbei verwende ich als Beispiel meine bevorzugte Grundstimmung »Regen«. Ich könnte jede Geschichte mit dem Satz beginnen »Es regnete in Strömen« und automatisch ergeben sich Assoziationen z. B. eine verregnete Fensterscheibe, jemand blickt hinaus, ein High Hell tritt in eine Pfütze, Brillengläser werden akribisch gereinigt, nur um beim erneuten Aufsetzen und Heraustreten unter dem Vordach augenblicklich die reale Wahrnehmung meines Protagonisten erneut in eine sphäriskopische zu verwandeln.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Geschichte in einem regnerischen Szenario beginnt, aber es ist die Grundstimmung. Gleichermaßen könnte die Geschichte auch mit dem Satz beginnen »Walter fuhr sich mit der rechten Hand durch sein dünnes Haupthaar und fand keinen Widerstand mehr.«
Es geht sich nicht darum diese Stimmung auch in Worten abzubilden, sondern die Stimmung zu nutzen, um zu schreiben. Obiges Beispiel, dass ich jede Geschichte mit diesem Satz beginnen könnte, bringt mich nur in die Position, dass ich könnte, wenn ich wollte. Ich könnte das leere Blatt alleine anhand oder mithilfe dieser Stimmung füllen. Dadurch gelange ich automatisch in den Schreibprozess, da ich eben nicht NICHT weiß, was ich schreiben soll. Dadurch, dass mein Kopf NICHT genauso leer ist, wie das Blatt. Es ist ein spielerisches Mittel. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass wenn Sie nach einer Idee suchen und sich noch so anstrengen, diese einfach nicht kommen will? Wenn Sie jedoch etwas anderes machen und sich von der Verkrampftheit lösen können, die Idee Ihnen ganz unbeabsichtigt in den Sinn kommt?
Hatte Sie einmal etwas vergessen, es lag Ihnen auf der Zunge, aber Sie kamen nicht darauf, und sobald Ihre Gedanken mit etwas anderem beschäftigt waren, fiel es Ihnen plötzlich ein? Es handelt sich um das gleiche Prinzip, nur dass Sie nicht extra aufstehen und etwas anderes machen müssen, sondern sich eben im Kopf mit Ihrer Grundstimmung beschäftigen. Diese Grundstimmung ist das Mittel gar nicht erst zu verkrampfen. Sie fangen nicht bei 0 an, sondern könnten, wenn Sie wollten, direkt anfangen zu schreiben. Ebenso könnten Sie z. B. im Gedanken mit der Grundstimmung beginnen, da Sie Ihnen einen leichten Einstieg ermöglicht, dann hört es auf zu regnen, die Sonne kommt raus und Sie beginnen (mit)zuschreiben.
In der Schauspielführung wird dieser Ansatz übrigens ebenso verwendet.
Ein Protagonist liest Zeitung und führt dabei einen Dialog mit seinem Gegenüber oder soll jemanden beobachten. Der Darsteller konzentriert sich auf den Dialog oder die Darstellung der Beobachtung, verkrampft dadurch und wir glauben ihm weder seine eigentliche Aktion (Dialog oder Beobachtung) noch, dass er tatsächlich Zeitung liest.
Wenn der Darsteller aber die Anweisung erhält, dass er nach der Szene in der Lage sein soll, dem Regisseur den Artikel, den er liest, in eigenen Worten wiederzugeben, konzentriert er sich darauf und auch seine eigentliche Aktion (Dialog oder Beobachtung) wird echt und authentisch wirken.
Ihre Grundstimmung ist ein einfacher Trick, um nicht in den geschlossenen Modus zu verfallen bzw. in den offenen zu gelangen. Suchen Sie sich eine aus, zu der Sie eine besondere Affinität haben und Sie erhalten ein hilfreiches Mittel, um nie wieder mit leerem Kopf vor dem leeren Blatt zu sitzen.