Читать книгу Im Zentrum der Spirale - Cecille Ravencraft - Страница 11
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ОглавлениеKeine Lügen mehr, hatte sie zu ihm gesagt. Pete, der Fettsack, hatte nie Leukämie gehabt. Er sah in dem Video äußerst gesund aus. Aber warum hatte Mrs. M. ihn wegen Pete angelogen?
›Vielleicht ist er an einem Herzinfarkt gestorben, verursacht durch seine Fresssucht, und sie gibt sich die Schuld daran‹, grübelte Thomas, ›oder er hat sich umgebracht und sie fühlt sich deswegen schuldig.‹
Thomas spulte die Kassette zurück und spielte sie noch einmal ab. Er sah sich Pete nun genauer an und suchte nach Hinweisen auf eine Depression. Aber er sah nichts Auffälliges.
›Ich bin ein Idiot‹, ging ihm plötzlich auf. ›Ich bin jetzt seit Monaten hier, habe mir aber noch nie diesen Raum oder das Haus näher angesehen.‹ Er beschloss, ein wenig herumzuschnüffeln, wenn die M’s nicht zu Hause waren. Das würde allerdings nicht leicht werden. Mr. M. war derjenige, der immer Einkaufen ging, niemals seine Frau.
Der alte Sack ging ein- oder zweimal pro Woche zum Supermarkt. In der Zwischenzeit saugte Mrs. M. Staub und schrubbte die Böden. »Es ist sehr viel einfacher, das zu tun, wenn niemand da ist. George kriegt es nämlich immer hin, mit schmutzigen Schuhen aus dem Schuppen zu kommen, so lange die Böden noch nass sind, und alles sieht wieder ganz scheußlich aus«, betonte sie stets.
Wenn sie nicht saubermachte, las oder strickte sie oder kochte irgendetwas Köstliches. Sie ging nie aus, nirgendwohin. Aber sie hatte doch an jenem Abend im Auto gesessen, als sie Thomas in der Finsternis aufgegabelt hatten? Also hatte sie das Haus doch früher ab und zu verlassen. Warum jetzt nicht mehr?
›Die haben mich nie alleine gelassen‹, dachte Tom und schluckte. ›Nicht mal, als ich krank war. Sie war immer hier!‹
Nun ja, es war völlig normal, vorsichtig zu sein, wenn ein Fremder im Haus war. Zumindest in den ersten paar Wochen. Er hätte sie ja ausrauben und verschwinden können. Aber jetzt vertrauten sie ihm doch wohl, oder etwa nicht?
Mr. M. nahm Thomas niemals mit zum Einkaufen. Darauf war Thomas auch wirklich nicht scharf. Aber der alte Mann brauchte sonst ja auch immer Hilfe und hatte kein Problem damit, darum zu bitten. Sein Schuppen war voll von seinen »kleinen Aufgaben«. Aber er wollte Tom nicht dabei haben, um die Einkaufstüten zu tragen oder dergleichen. Das war schon merkwürdig.
›Ich könnte mich außerhalb des Hauses sowieso nicht blicken lassen. Aber die wissen nicht, dass die Bullen hinter mir her sind. Sie verstecken mich, und ich würde zu gerne wissen, wieso.‹
Er fasste den Entschluss, es herauszufinden.
Thomas verließ den Schuppen und eilte auf das Haus zu. Es war Mittwochnachmittag, und jeden Mittwoch gegen drei Uhr ging Mr. M. einkaufen. Tom hielt sich in der Küche auf und tat so, als lese er eine von Mrs. M’s Haushaltszeitschriften, bis der alte Mr. M. endlich in seiner hässlichen braunen Cordjacke die Treppe herunterkam. Thomas ging eilig zu ihm.
Mr. M. nahm gerade die Autoschlüssel aus der Hand seiner Frau entgegen und musste sich noch einige Dinge zu seiner mentalen Einkaufsliste hinzufügen lassen.
»Vergiss nicht den Thymian, George«, mahnte Mrs. M., »du weißt, Fleisch taugt nicht ohne Thymian.« Beide kicherten. »Was ist denn so lustig«, fragte Thomas verwundert. Er kam sich wie ein Außenseiter vor.
»Nichts, Lieber. Brauchst du noch etwas? Eine Flasche Limonade vielleicht? Aber nur eine, Limonade ist nicht gut für deine Gesundheit«, lächelte Mrs. M.
»Na ja … ich weiß nicht … vielleicht könnte ich ja mitkommen in den Supermarkt. Ich könnte dir die Tüten tragen«, erwiderte er und wandte sich Mr. M. zu. Tom vermied es nach wie vor ihn mit Pa anzureden. Mr. M’s Brauen zogen sich zusammen. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Gewitterwolke. Thomas ertappte ihn dabei, wie er einen alarmierten Blick mit seiner Frau tauschte.
»Oh Tommy, du bist doch noch so schwach! Und dein Husten ist auch noch nicht ganz weg!«, rief diese besorgt und rang nervös die Hände. »Du willst doch nicht wieder krank werden, oder?«
»Keine Sorge, mir geht es schon ganz gut«, beruhigte Tom sie und zwang sich zu einem Grinsen.
»Du bleibst hier bei deiner Mutter!«, grollte Mr. M. auf einmal. Thomas sah ihn an. Der alte Sack versuchte wieder zu lächeln, aber seine Augen waren wütend und kalt. Er schien auch ziemlich nervös zu sein.
»Genau, Tommy, ich brauche Hilfe bei den … Gartenmöbeln. Ich hätte sie schon vor Monaten saubermachen sollen, aber das ist immer so umständlich. Wir können nicht grillen, wenn da alles so schmutzig ist«, warf Mrs. M. hastig ein.
»Das könnten wir doch später machen, Ma. Es ist ewig her, dass ich in einem Supermarkt war. Warum machst du kein Nickerchen für eine Stunde oder so, und wenn wir zurückkommen, kümmern wir uns um die Möbel. Wie wär’s damit?« Mrs. M. warf ihrem Gatten einen hilfesuchenden Blick zu.
»Wenn meine Frau dich braucht, bleibst du gefälligst hier und tust, was sie sagt.« Mr. M’s Stimme war barsch und er knirschte förmlich mit den Zähnen. Abrupt wandte er Thomas den Rücken zu und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
›Hab dich, du Blödmann‹, dachte Thomas. Wenn Mr. M. nichts gegen Toms Plan einzuwenden gehabt hätte, hätte Thomas vorgegeben, doch zu müde zu sein, und wäre beruhigt in sein Zimmer gegangen. Er hatte die M’s geprüft, und sie waren in allen Punkten durchgefallen. Nun wusste Thomas, dass er ihr Gefangener war.