Читать книгу Im Zentrum der Spirale - Cecille Ravencraft - Страница 8
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ОглавлениеThomas warf die kleinen Holzstücke entnervt in die Müllkiste im hinteren Bereich des Schuppens. Er war verschwitzt und müde. Eine Dusche hatte er jetzt dringend nötig, oder vielleicht eins von den entspannenden, heißen Bädern.
In den letzten Tagen hatte er Mr. M geholfen ein Vogelhäuschen zu bauen. Warum der dabei Hilfe brauchte, war unübersehbar. Weder Mr. M, noch Thomas hatten auch nur die geringste Ahnung davon, wie man ein bescheuertes Vogelhäuschen baute. Was am Ende dabei herausgekommen war, sah aus, als ob ein Betrunkener und ein Vollidiot ein paar Bretter zusammengenagelt hätten. Kein Vogel würde freiwillig auch nur einen Fuß in diesen Müllhaufen setzen. Trotzdem war Mr. M sehr zufrieden. Er hatte Thomas mehrfach erzählt, wie brauchbar dieses Vogelhäuschen sei und wie gut es aussehen würde, wenn es in den Zweigen der alten Eiche neben der Veranda hing. Thomas konnte sich noch immer nicht vorstellen, wozu die Vögel ein Haus brauchten. Er hatte, seit er hier war, keinen einzigen Vogel gesehen oder gehört.
›Häng das in den Baum und deine Nachbarn rufen die Kerle mit der weißen Jacke‹, dachte er und schnaubte verächtlich. Husten musste Thomas auch noch.
›Scheiß Staub.‹ Seine Nase lief und sein Hals fühlte sich kratzig an. Zudem lauerte auch noch eine Kopfschmerzattacke in seinen Schläfen und blies zum Angriff. Mr. M befahl Thomas aufzuräumen und den Schuppen auszufegen und ging dann wieder ins Haus. Er sagte ständig entweder seiner Frau oder Thomas, was sie zu tun hatten und verschwand einfach. Es fing an, Thomas gewaltig auf die Nerven zu gehen. Er schlenderte langsam zurück zum Haus und rieb sich seinen schmerzenden Kopf. Mrs. M hatte wieder ein wunderbares Abendessen gezaubert. Sie kochte stets riesige Portionen und drängte Thomas zu essen. Er hatte es aufgegeben, dagegen zu protestieren.
Am zweiten Tag hatte sie ihn gewogen und entsetzt ausgerufen: »Oh mein Gott, Sie sind ja viel zu dünn!« Sie hatte sein Gewicht auf eine Seite ihres Einkaufsblocks geschrieben und den an die Tür des gigantischen Kühlschranks geheftet. Danach wog sie ihn jeden Tag und krauste die Stirn, wenn er nicht wenigstens ein paar Gramm zugelegt hatte. Thomas war gerührt. Niemand hatte sich je so sehr um ihn gekümmert. Er war jetzt seit über einer Woche hier und musste zugeben, dass er eigentlich nicht wieder weg wollte. Aber bleiben konnte er ja auch nicht. Er hatte immer wieder zu Mrs. M gesagt, dass er aufbrechen musste, dass seine Schwester auf ihn wartete. Sie schien ihm nicht zuzuhören. Aber er würde gehen, heimlich und spät in der Nacht, wenn es nicht anders ging. Bleiben stand außer Frage.
Tom erklomm die Treppe und nahm eine Dusche. Mrs. M hatte ihm neue Kleidung gekauft und sein Geld nicht annehmen wollen, als er ihr die Ausgaben ersetzen wollte. Thomas hatte sein Bargeld inzwischen in der Hülle von Petes »Star Wars«-Kassette versteckt. Dass es dort besser aufgehoben war, wusste er seit dem Tag, als er Mrs. M die Taschen seiner Jeans durchsuchen sah. In zwei Tagen, schwor er sich, würde er das Geld zusammenklauben und abhauen.
Er hustete noch einmal und nahm einen Schluck von Mrs. M`s hausgemachter Limonade. An die hatte er sich erstmal gewöhnen müssen, aber jetzt mochte er sie recht gerne. Beim ersten Probieren hatte Thomas eine Grimasse gezogen und gestöhnt. Mrs. M tat so viel Zucker in ihre Limonade, dass seine Zähne anfingen zu schmerzen. »Gut, hm?«, hatte sie gefragt, und Thomas hatte mit geschlossenem Mund gegrinst und genickt, während seine Zähne pochten. Jetzt hustete er wieder und befühlte seinen schmerzenden Hals.
Er hatte keinen Appetit, als Mrs. M ihm eine halbe Stunde später zwei Koteletts mit Kartoffelpüree und Gemüse auf den Teller schaufelte. Sie war nicht enttäuscht, sie kochte vor Zorn, und Thomas rutschte das Herz in die Hose.
»Meine Frau hat den ganzen Nachmittag vorm Herd gestanden, um Ihnen dieses leckere Essen zu kochen. Also essen Sie es auch«, schnauzte Mr. M ihn an.
»Warte mal, George«, unterbrach seine Frau ihn und fühlte Toms Stirn. »Oh, er ist krank! Sie gehören ins Bett, Tommy. Sie müssen sich im Regen erkältet haben. Ich hatte schon befürchtet, dass das passieren würde.« Sie schien jetzt sehr besorgt zu sein, und ihr Zorn war verraucht. Thomas widersprach nicht, als sie ihn mit einer dicken Schicht Wick Vaporub auf seiner Brust und einem feuchten Waschlappen auf der Stirn ins Bett steckte. Er fühlte sich ziemlich elend.
Das Fieber stieg und stieg in dieser Nacht. Die Hitze kam stoßweise, und zwischendurch schlotterte Thomas vor Kälte. Er hustete sich die Seele aus dem Leib, konnte nicht durch die Nase atmen und wünschte sich eigentlich nur noch einen schnellen, gnädigen Tod. Mrs. M war die ganze Zeit in seiner Nähe. Sie wurde sehr ängstlich, als das Thermometer über vierzig Grad anzeigte. Ungläubig schüttelte sie es und wollte es ihm wieder zwischen die Lippen schieben.
»Rufen Sie einen Krankenwagen«, krächzte Thomas als er anfing, Halluzinationen zu haben. Kelly stand auf einmal mitten im Raum, einen vorwurfsvollen Ausdruck in den Augen, und ihr Kittel war voller Blut.
»Machen Sie sich keine Sorgen, mein Lieber«, zwitscherte Mrs. M und legte einen frischen Waschlappen auf seine Stirn. »Wir bekommen dieses Fieber ganz schnell weg. Ich habe George in die Apotheke geschickt, damit er Hustensaft und ein paar andere gute Dinge besorgt. Sie werden bald wieder völlig gesund sein.«
›Hustensaft‹, dachte Tom perplex. ›Sie versucht tatsächlich, eine Lungenentzündung mit Hustensaft zu kurieren.‹
Er schlief schließlich ein und hatte höllische Fieberträume. Er sah seine Eltern streiten und hörte seine Mutter weinen, damals in der Nacht, in der Daddy sie verließ. Thomas war weggeholt worden, ohne dass ihm jemand sagte, was passiert war. Ein paar Jahre später hatte man es ihm dann doch erzählt. Seine Mutter hatte sich in dieser Nacht umgebracht. Während ihr Sohn im Nebenzimmer schlief, hatte sie sich an der Stange des Duschvorhangs im Bad aufgehängt. Jetzt sah er sie dort baumeln und weinte im Schlaf.
»Mami«, schluchzte er halb wach.
»Sch… ganz ruhig mein Schatz, ich bin hier … alles wird wieder gut …«
Ihre sanfte Stimme flüsterte es liebevoll in sein Ohr. Er sank zurück in seinen Fieberschlaf und fühlte ihre kühlen, zärtlichen Hände auf seiner Stirn. Nach einer Weile öffnete Thomas seine Augen ein wenig und sah Mr. und Mrs. M am Fußende des Bettes stehen. Sie sahen auf ihn herab. Das Lächeln war aus ihren Gesichtern verschwunden. Seine Augenlider wurden ihm zu schwer, und er schloss sie wieder.
»Er ist immer noch viel zu dünn«, hörte Thomas Mr. M leise bemängeln. Seine Stimme klang wie das Knarzen eines toten Baumes. Mrs. M seufzte.
»Er ist ein guter Junge, George, meinst du nicht wir sollten es mit ihm versuchen?«
Mr. M grunzte. Er war nicht überzeugt. »Die anderen schienen zuerst auch ganz in Ordnung zu sein, Hazel. Sie waren eine Enttäuschung, jeder einzelne von ihnen. Und er ist ein Außenseiter, nicht mal ein Verabscheuter!«
»Das wird er werden, sobald er ganz wiederhergestellt ist. Bitte, George. Ich wette fünfzig Dollar, dass er derjenige ist, nach dem wir suchen. Er könnte unser Fahrschein nach Sharpurbie sein!«
»Na gut, wir können es ja versuchen«, brummte Mr. M. Er sah auf Thomas mit einem scharfen, drohenden Blick herab. Thomas fühlte sich wie im Inneren eines Vulkans. Oder als ob er in der Hölle schmorte. Er war bewusstlos als die M`s ihn zu der mit Eiswürfeln gefüllten Badewanne trugen.