Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 10

Roman

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Es war nachts elf Uhr, als der Expreß von Dover in der Halle der Waterloo Station einlief. Ralph Condray nahm seinen Koffer aus dem Gepäcknetz und machte sich zum Aussteigen fertig. Er hielt schon den Türgriff in den Händen, als er plötzlich zauderte. Es war eine seltsam bange Ahnung, die da mit einem Mal über ihn kam. Er hatte das beklemmende Gefühl, als erwarte ihn nichts Gutes in London. Kühl schlug ihm die feuchte Nebelluft ins Gesicht. Qualm und Ruß machten das Sehen schwer. Über den Gleisen lagerte weißer Dunst. Ralph Condray nahm seinen Koffer auf und trat auf den Bahnsteig hinaus. Er fühlte sich wie ein Fremder in seiner Heimatstadt. Sieben Jahre lang hatte er sie nicht mehr betreten. Sieben lange Jahre, in denen er sich in Südamerika ein neues Leben aufgebaut hatte, das jetzt in ein graues Nichts zerronnen war. Er war sich darüber im klaren, daß er wieder ganz von vorne anfangen mußte. Und er wußte auch, daß es nicht leicht sein würde. Er besaß keine Beziehungen mehr in der alten Heimat. Er hatte kaum noch Freunde und Bekannte. Seit er Südamerika verlassen hatte, stand er so gut wie allein auf der Welt.

Ich werde mich schleunigst nach einem Hotelzimmer für die erste Nacht umsehen müssen, dachte er, während er langsam auf die Sperre zuging. Wenn es noch so ist wie früher, sind sämtliche Hotels um diese späte Stunde schon besetzt. Ich werde mit einem kleinen Boardinghouse zufrieden sein müssen. Vielleicht reicht es auch nur für eine Schlafstelle im Hafenasyl. Wir werden sehen. Er gab seine Fahrkarte ab und schritt in die große Vorhalle hinaus. Er war noch keine zehn Yard weit gegangen, da lief ihm plötzlich ein aufgeregter Mensch mit zerrauften Haaren und schweißnassem Gesicht in die Quere. Der Bursche stutzte einen Augenblick, dann starrte er Ralph Condray verwundert an und kam mit einem erleichterten Grinsen näher.

„Verdammt, das nenne ich eine Überraschung“, stieß er hastig hervor. „Wo kommst du her, James. Haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Du hast dich im Ausland versteckt, wie? Na, das kann ich verstehen. Die Cops machten damals tolle Jagd auf dich. Aber inzwischen ist längst Gras über die Sache gewachsen. Die Cops werden dich auch kaum noch erkennen. Du hast dich ziemlich verändert.“

Ralph Condray räusperte sich und blickte den ändern befremdet an. Sie verwechseln mich, wollte er sagen. Sie befinden sich in einem gewaltigen Irrtum. Ich bin noch nie in meinem Leben vor der Polizei ausgerissen. Ich hatte es nicht nötig, mich im Ausland zu verbergen. Aber keines von diesen Worten sagte er wirklich. Er kam einfach nicht dazu. Der andere krallte die Hand in seinen Arm und dämpfte die Stimme zu einem heiseren Raunen.

„Diesmal sind sie hinter mir her“, zischte er durch die Zähne.

„Es wird alles brauchen, daß ich noch gut durch die Sperre komme. Kann deshalb auch nicht viele Worte machen, James. Hätte lediglich den Wunsch, daß du dich ein wenig um Maud kümmerst, solange ich weg bin. Hier sind ihre Wohnungsschlüssel. Am besten fährst du gleich zu ihr hin. Sie hat immer noch ihr altes Logis am Lofting Oval in Islington. Sie wohnt in dem alten Backsteinhaus hinter der Kreuzung. Na, du erinnerst dich sicher. Hast ja früher oft genug dort herumgehockt. Na, mach's gut, alter Junge. Und halt auch für mich die Daumen!“

Ralph Condray spürte zwei Schlüssel zwischen den Händen und wußte noch immer nicht recht, wie ihm geschah. Kopfschüttelnd blickte er dem Mann nach, der mit langen Sätzen auf die Sperre zulief.

„Hallo!“, rief er laut. „Ich heiße doch gar nicht James. Sie haben mich mit einem ändern verwechselt. Was soll ich mit diesen albernen Schlüsseln? Hallo, so hören Sie doch!“

Er rief seine Worte in den Wind. Der andere drehte sich nicht mehr um. Er lief, als würde ihm der Boden unter den Füßen brennen. Hastig zwängte er sich durch die Sperre. Kurz nachher war er verschwunden. Ralph Condray schüttelte noch immer den Kopf und blickte ärgerlich auf die beiden Schlüssel nieder.

Das fängt schon gut an, dachte er betreten. Der erste Mensch, den ich hier treffe, hält mich für einen Strauchdieb wie seinesgleichen. Wenn es die Cops genauso machen, brauche ich mich nicht lange nach einem Nachtquartier umzusehen. Eine vergitterte Zelle im Wandsworth Gefängnis dürfte mir dann ziemlich sicher sein.

Er nahm wieder seinen Koffer auf und ging auf den Ausgang zu. Draußen standen die Taxifahrer plaudernd beisammen und musterten den Ankömmling abschätzend von oben bis unten. Ralph Condray schien ihnen zu imponieren. Er war groß und hochgewachsen und sehr elegant gekleidet. Der Koffer, den er trug, war aus echtem Schweinsleder. Der Hut, die Krawatte, die Handschuhe verrieten einen Herrn von gutem Geschmack und bester Herkunft.

„Wohin, Sir?“, riefen sie dienernd. „Brauchen Sie keinen Mietwagen? Suchen Sie ein Hotel?“

Ralph Condray klimperte zögernd mit seinen Schlüsseln. Er wandte sich an den vordersten Chauffeur.

„Bringen Sie mich zunächst zum Lofting Oval in Islington“, sagte er kurz. „Ich habe dort etwas zu erledigen. Nachher werden wir weitersehen.“

Während der Fahrer seinen Koffer verstaute, ließ sich Ralph Condray müde auf dem Vordersitz nieder. Er wäre glücklich gewesen, wenn er sich in einem Hotel zur Ruhe hätte legen können. Statt dessen mußte er nun diese völlig überflüssige Fahrt machen.

Ich werde, dachte er, die Schlüssel am Lofting Oval abgeben, und damit ist die ärgerliche Geschichte endgültig erledigt. Ein zweites Mal soll mir das nicht passieren.

Der moderne Mietwagen brauchte für die kurze Strecke nur wenige Minuten. Kurz nach elf Uhr hielt der Chauffeur am Lofting Oval. Es war eine ziemlich trübselige Gegend. Zwischen grauen Mietskasernen ragten rote Backsteinbauten auf. Dazwischen gab es dunkle Hinterhöfe und düstere Torbögen.

„Soll ich warten?“, fragte der Chauffeur höflich.

„No danke. Nicht nötig“, erwiderte Ralph Condray. „Es wird eine ganze Weile dauern, bis ich die Adresse gefunden habe. Was bin ich Ihnen schuldig?“

„Acht Schilling, Sir!“

Ralph Condray zahlte und ging dann unverzüglich auf die Kreuzung zu. Hier stand das rote Haus, von dem der Fremde gefaselt hatte. Es war ein großes, altertümliches Gebäude. Auf dem Glockenschild standen mindestens zwanzig Parteien verzeichnet. Wie sollte man da erraten können, welcher Person diese beiden Schlüssel gehörten.

Ralph Condray wollte sich schon enttäuscht wieder ab wenden, da sprang ihm plötzlich der Name Maud Ruby in die Augen. Das mußte sie sein. Dem Glockenschild nach wohnte sie im dritten Stock. Aber es war sehr fraglich, ob sie nicht längst schon zu Bett gegangen war.

Ralph Condray führte den einen Schlüssel ins Schloß und konnte befriedigt feststellen, daß er sperrte. Die Tür öffnete sich. Widerstrebend und unschlüssig trat er in das fremde Haus. Er suchte nach einem Schalter für die Treppenbeleuchtung, aber so etwas schien es hier nicht zu geben. So mußte er wohl oder übel die dunkle Treppe hinauftappen. Stolpernd und fluchend wanderte er nach oben.

Im dritten Stock blieb er schnaufend stehen. Er kramte sein Feuerzeug aus der Tasche und knipste es an. Das huschende Flämmchen wanderte über die Wohnungstüren. „Maud Ruby“, stand auf einem weißen Emailleschild zu lesen.

Ralph Condray läutete. Er rechnete mit einer langen Wartezeit. Er fürchtete sogar, daß man ihm überhaupt nicht öffnen würde. Aber in diesem Punkt hatte er sich getäuscht. Schon nach wenigen Sekunden wurde es Hell im Korridor. Leichtfüßige Schritte näherten sich der Tür. Eine Sperrkette klirrte, und gleich darauf stand ein Mädchen vor ihm, wie man es heute nur noch in Bilderbüchern findet.

Sie trug einen großblumigen Seidenmantel, der so locker zugeknöpft war, daß man sämtliche Reize ihrer wohlgeformten Figur ahnen konnte. Ihr Gesicht wirkte, wenn es auch in diesem Moment herb und verschlossen war, reizvoll und anziehend. Es war dunkelgetönt wie bei einer exotischen Schönheit und von dichten, schwarzen Locken umrahmt. Die Augen waren groß, dunkel und seltsam unergründlich.

„Ah, sieh mal an“, sagte sie spöttisch. „James Green kehrt endlich wieder in die Heimat zurück. Wie erfreulich, daß du dich noch an meine Adresse erinnert hast? Willst du bleiben? Oder kommst du nur auf einen kurzen Besuch . . . ?“

Jetzt erst entdeckte sie die Schlüssel in seiner Hand. Ein bitteres Lächeln spielte für den Bruchteil einer Sekunde um ihre weichen Lippen. Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust. Sie trat einen Schritt zurück.

„Warum läutest du denn, wenn du die Schlüssel hast?“, fragte sie mit ihrer vollen, dunklen Stimme. „Du bist jetzt mein neuer Herr und Gebieter, wie? Ist es nicht so? Du hast sicher Mack Rupper getroffen?“

Ralph Condray blickte sie noch immer schweigend an. Er glaubte, in seinem ganzen Leben noch nie einem reizvolleren Mädchen begegnet zu sein. Ursprünglich hatte er ihr nur die Schlüssel übergeben und den Irrtum aufklären wollen. Aber daran dachte er im Augenblick gar nicht mehr. Das Abenteuer war viel zu verlockend, als daß er es mit ein paar nüchternen Worten zerstört hätte.

Die Gedanken gingen rasch hinter seiner Stirn auf und ab. Mack Rupper hieß also dieser Bursche, der mir in der Bahnhofshalle über den Weg lief, sinnierte er. Ein Gauner, der vor der Polizei flüchten mußte. Ein schäbiger Halunke, der seine Freundin einfach im Stich ließ. Wie merkwürdig, daß die Frauen gerade auf solche Strolche versessen sind.

„Willst du nicht hereinkommen?“, fragte Maud Ruby tonlos. Sie war nicht sehr erfreut über seinen Besuch, das sah man ihr an. Aber sie fügte sich. Sie schien es gewöhnt zu sein zu gehorchen. Und wenn ihr Mack Rupper diesen Mann ins Haus schickte, so war daran eben nichts zu ändern. Sie mußte ihn bei sich aufnehmen.

Sie ging ihm voraus und trug seinen Koffer. Als sie das schwere Gepäckstück im Wohnzimmer absetzte, fiel ihr Blick auf das Namensschild. „Ralph Condray“, las sie murmelnd. Eine steile Falte kerbte sich in ihre glatte Stirn. „Ich verstehe“, fügte sie leise hinzu. „Du hast im Ausland deinen Namen geändert, wie? Es ist sicherer, nicht wahr? Wie willst du in Zukunft von mir genannt werden? James? Oder Ralph?“

„Ich heiße Ralph Condray“, sagte der Besucher, und es waren eigentlich die ersten Worte, die er zu ihr sprach. „Wir wollen es bei diesem Namen lassen, bitte.“

Maud Ruby horchte verwundert seiner Stimme nach. Sie klang weich und warm. Früher, so erinnerte sie sich, hatte er gekrächzt wie eine Rabe. Manchmal hatte er auch nur gelallt, wenn ihm der Rausch die Zunge gelähmt hatte. Jetzt redete er, als hätte er auf der Universität Oxford studiert.

Maud Ruby blickte ihn scheu und forschend an. Sie mußte sich eingestehen, daß er sich sehr zu seinem Vorteil verändert hatte. Sein Gesicht war markant und männlich geworden; die Spuren des Lasters waren daraus geschwunden. Die Augen blickten klar und zuversichtlich. Früher waren sie immer rot und blind gewesen vom vielen Gin.

„Setz dich doch“, sagte sie spröde. „Du tust auf einmal reichlich fremd. Im Ausland haben sie dir scheinbar tadellose Manieren beigebracht.“

Ralph Condray ließ sich in dem nächsten Sessel nieder. Er stellte fest, daß die bescheidene Stube sauber und ordentlich aufgeräumt war. Auf dem breiten Sofa lagen selbstgehäkelte Kissen. An den Wänden hingen ein paar billige Öldrucke.

„Willst du etwas essen?“, fragte Maud Ruby kühl. „Früher hast du immer nur die Schnapsflasche gewollt. Wie ist es heute?“

Ralph Condray hob die Schultern. „Ich stelle keine großen Ansprüche“, sagte er verlegen. „Ein Glas Bier und ein Sandwich würden mir genügen.“

Maud Ruby ging hinaus in die Küche und kehrte kurz nachher mit einem vollen Glas und einem Teller zurück. Sie tat alles unfroh und gehemmt. Ein geheimnisvoller Zwang schien ihre Bewegungen zu leiten. Sie ist wie eine Sklavin, dachte Ralph Condray verwundert. Wie eine Leibeigene, die man mit Hunger und Prügel zähmt. Sie wird an der Seite Mack Ruppers nicht viele schöne Stunden erlebt haben. Sie saß ihm mit verschränkten Armen gegenüber und beobachtete ihn aus großen Augen. Sie sah ihm zu, wie er aß und trank.

„Wo warst du in den vergangenen Jahren?“, fragte sie herb. „Im Ausland natürlich, nicht wahr?“

„Ich war in Südamerika.“

„In Südamerika? Was hast du dort getrieben?“

„Ich besaß eine Mine.“

„Eine Mine? Was ist das?“

„Ein Bergwerk“, erklärte Ralph Condray. „Ich hatte dreihundert Kumpels beschäftigt. Der Betrieb blühte.“

„Warum hast du ihn dann aufgegeben?“

„Ich mußte. Die Regierung plante, genau an dieser Stelle einen Staudamm zu errichten. Man hat mich für die Grube entschädigt. Ich bekam eine Menge Geld ausgezahlt, das ich in Diamanten anlegte."

„Du lügst noch genauso wie früher“, sagte Maud Ruby verächtlich.

„Deine Fantasie ist auffallend gut entwickelt. Aber sonst taugst du so wenig wie Mack Rupper.“

Ralph Condray ging lächelnd zu seinem Koffer und öffnete ihn. Er nahm einen schweren Lederbeutel heraus und schüttete den Inhalt kurzerhand auf den Tisch.

Das war ein Sprühen und Gleißen, daß es Maud Ruby den Atem verschlug. Geblendet starrte sie auf die funkelnden Schätze. Nur ein Drittel der Steine war geschliffen. Alles andere waren Rohdiamanten. „Ich will mir damit ein Geschäft aufbauen“, sagte

Ralph Condray nachdenklich. „Vielleicht einen Juwelierladen, vielleicht eine kleine Privatbank. Ich weiß es noch nicht. Jedenfalls werde ich morgen in aller Frühe die Steine in einem Banktresor verschließen lassen.“

Er breitete die schimmernden Dinger auf der Tischplatte aus und wühlte eine Weile darin herum. Noch immer sprühten tausend helle Funken durch den Raum.

„Hier“, sagte er nach kurzem Zögern, „such dir die schönsten aus. Ich möchte sie dir schenken.“ Maud Ruby hatte schon die Hände über der Tischplatte, da zog sie sie auf einmal jäh zurück. Geradeso, als hätte sie sich die Finger verbrannt.

„Nein“, sagte sie dann mit zusammengepreßten Lippen. „Ich will nichts davon. Das Zeug stammt sicher aus einem Einbruch. Es ist doch so?“

„Nein, das ist nicht so“, wehrte sich Ralph Condray, aber er predigte tauben Ohren. Maud Ruby zog sich in ihre Ecke zurück. Sie wollte nichts mehr von den verlockenden Schätzen sehen.

„Schade“, sagte Ralph Condray achselzuckend. „Ich hätte dir gern eine Freude gemacht. Na, vielleicht überlegst du es dir noch.“

Er schüttete die Steine wieder in den Lederbeutel und legte ihn in den Koffer zurück. Er war kaum fertig mit dieser Arbeit, da schlug die Flurglocke an. Befremdet hob er den Kopf.

„Wer ist das?“, fragte er hastig. „Erwartest du Besuch? Hattest du außer Mack Rupper noch andere Freunde?“

Maud Ruby gab keine Antwort. Sie ging langsam zur Tür. Ihre Haltung war plötzlich kraftlos und hinfällig. Als sie zurückkehrte, drangen vier Uniformierte und ein Detektiv in Zivil unmittelbar hinter ihr in das Zimmer ein.

„Ich bin Wachtmeister Swan“, sagte der Mann im braunen Ledermantel, dem offensichtlich das ganze Kommando unterstand. „Wir haben einen Durchsuchungsbefehl für Ihre Wohnung, Miß Ruby. Sie könnten sich diese Unannehmlichkeit allerdings ersparen, wenn Sie uns sagen würden, wo er ist.“

„Wer?“, fragte Maud Ruby mit erschreckten Augen.

„Mack Rupper!“

Sekundenlang war es völlig still. Niemand sprach ein Wort. Maud Ruby hatte den Blick tief gesenkt.

„Sie wissen doch, daß er ein Mörder ist“, herrschte Wachtmeister Swan sie in scharfem Tonfall an. „Wenn Sie ihn hier beherbergen, machen Sie sich strafbar. Ihre Freundschaft zu ihm kann Sie ein paar Jahre Gefängnis kosten. Hoffentlich ist Ihnen das klar. Also, wo ist er?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Maud Ruby tonlos.

Der Wachtmeister gab seinen Konstablern einen Wink. „Durchsuchen Sie alle Räume“, rief er schroff. „Diese Dame will es nicht anders. Sie hat heute noch nicht begriffen, daß Mack Rupper ein wahrer Teufel ist.“

Während sich die Uniformierten eifrig an ihre Arbeit machten, nahm Wachtmeister Swan Ralph Condray aufs Korn.

„Wer sind Sie?“, fragte er in dienstlicher Strenge.

Ralph Condray nannte seinen Namen.

„Hm. Und was tun Sie hier?“

„Ich überbrachte Maud die Grüße eines Bekannten.“

„Eines Bekannten? Sieh mal an! Wo wohnt dieser Herr?“

„In Südamerika“, lächelte Ralph Condray sanftmütig.

„In Südamerika? Wollen Sie mich etwa auf den Arm nehmen?“

„Keineswegs, Sir! Ich komme eben aus Südamerika. Ich war sieben Jahre in diesem schönen Land.“

„Zeigen Sie mir Ihren Paß“, schnarrte Wachtmeister Swan von oben herab.

Ralph Condray gehorchte. Er nahm seine Papiere aus der Brieftasche und drückte sie dem Wachtmeister höflich in die Hand.

Wieder vergingen ein paar Sekunden in tiefstem Schweigen. Die Blicke Maud Rubys wanderten angstvoll zwischen den beiden Männern hin und her. Wenn eine Stecknadel zu Boden gefallen wäre, hätte man es hören können, so still war es.

„In Ordnung“, sagte Wachtmeister Swan schließlich. „Zumindest kann ich im Moment keine Fälschung erkennen. Ich werde später im Erkennungsdienst nachfragen, ob Sie nicht vorbestraft sind. Männer, die mit Maud Ruby verkehren, haben im allgemeinen keine ganz weiße Weste.“

Nach etwa fünf Minuten kamen die Konstabler mit hängenden Köpfen in das Zimmer zurück. Sie machten Gesichter, als hätten sie sämtlich einen Eselstritt erhalten.

„Nichts, Sir“, verkündeten sie wie aus einem Munde. „Wir hätten uns die Durchsuchung ersparen können. Dieser Schurke hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht.“

Wachtmeister Swan wandte sich wieder an das verstörte Mädchen.

„Wissen Sie, wo er ist?“, fragte er lauernd. „Er muß sich doch irgendwo versteckt halten? Oder ist er etwa . . . getürmt?“

Maud Ruby blieb schweigsam. Es war einfach kein Wort aus ihr herauszubringen. Noch immer blickte sie stumm und kummervoll auf den Boden nieder.

„Wir werden wiederkommen“, sagte Wachtmeister Swan drohend.

„Sollte Mack Rupper unvermutet hier auftauchen, so haben Sie uns das sofort zu melden, verstanden? Andernfalls müßten wir Sie ins Frauengefängnis Holloway einliefern.“

Das war zunächst das Ende der dramatischen Vorstellung. Die Beamten verschwanden so rasch, wie sie gekommen waren. Wachtmeister Swan machte den letzten. Behutsam schloß er alle Türen hinter sich. Dann verhallten seine Schritte draußen auf der Treppe. Das Zimmer, das eben noch soviel Lärm gesehen hatte, wirkte nun wieder still und friedlich. Ralph Condray blickte kopfschüttelnd zu Maud Ruby hinüber.

„Er ist also ein Mörder“, sagte er mit sichtlichem Abscheu. „Wie konntest du dich mit einem solchen Mann einlassen? Bei deinem Aussehen hättest du sicher auch einen anderen gefunden.“

Maud Ruby fuhr hastig aus ihrem Brüten auf. „Du hast es nötig“, sagte sie bitter. „Mit welchem Recht willst du Mack Rupper verdammen? Du bist um kein Haar besser als er. Ich wollte, ich hätte euch alle nie gesehen.“

Ralph Condray biß sich auf die Lippen. Was wollte er eigentlich noch hier? Es war höchste Zeit, den Irrtum mit einem offenen Wort aufzuklären. Warum zögerte er noch immer, das zu tun? Wer konnte wissen, in welches Schlangennest er sich da setzte? Allem Anschein nach verdiente auch Maud Ruby keinerlei Anteilnahme.

Und dennoch war etwas in ihren Augen und in ihrem Gesicht, das ihn seltsam berührte. Er hätte nicht sagen können, was es war. Aber er sah, daß sie sich hilflos und unglücklich fühlte. Das bewog ihn zum Bleiben.

„Ich habe genug für heute“, sagte Maud Ruby nach einiger Zeit. „Ich gehe jetzt schlafen. Kommst du mit?“

Ralph Condray blickte sie verständnislos an. Er war seit Jahren nicht mehr rot geworden. Aber in diesem Moment verfärbte sich sein Gesicht.

Maud Ruby ging scheu an ihm vorbei.

„Wenn dir Mack Rupper meine Schlüssel gegeben hat“, sagte sie mit dunkler Stimme, „so weiß ich, was das bedeutet. Ich bin wie ein Möbelstück, das von einer Hand in die andere geht. Man gewöhnt sich allmählich daran.“

Ralph Condray stand noch immer wie festgewurzelt am gleichen Fleck. Er wollte einfach nicht begreifen, was er eben gehört hatte. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas ähnliches erlebt. „Ich bleibe hier“, sagte er endlich. „Das Sofa ist für mich gut genug. Ich habe schon schlechter geschlafen.“

Er bemerkte, daß ihn Maud Ruby aus großen, erstaunten Augen anblickte. Es entging ihm auch nicht, daß sie etwas zu ihm sagen wollte. Aber dann wandte sie sich rasch ab und ging aus dem Zimmer. Ralph Condray blieb zurück und bereitete sein Lager für die Nacht. Er zog sich aus und schlüpfte unter die grobe Decke. Dann löschte er das Licht. Er war rechtschaffen müde von der Reise. Schon nach wenigen Minuten fielen ihm die Augen zu.

Hoffentlich habe ich dieses Abenteuer nie zu bereuen, dachte er noch, ehe er in den Schlaf sank. Es wäre unverzeihlich, wenn ich hier schon am ersten Abend meine Zukunft verspielen würde. Aufregende Träume begleiteten ihn in den Schlaf hinüber. Er sah sich von ein paar dunklen Gestalten umringt, und er spürte mit jäh aufsteigender Angst, wie man ihn zu Boden zerrte und mit brutalen Hieben niederschlug. Sie rissen ihm beinahe die Arme aus. Einer kniete ihm auf der Brust; die ändern hielten blinkende Waffen in den verkrampften Händen.

Und dann auf einmal merkte Ralph Condray, daß er gar nicht träumte. Schweißgebadet fuhr er empor. Mit verstörten Blicken starrte er in die Dunkelheit.

Er hörte raunende Stimmen neben seinem Lager. Auf seiner Brust lag ein schweres Gewicht. Er konnte die Arme nicht bewegen. Von der Tür her geisterte ein dünner Lichtstrahl durch den Raum. Er wanderte wie ein ausgestreckter Finger durch die Finsternis und blieb schließlich auf dem Koffer haften.

„Was ist denn?“, fragte Ralph Condray mit schwerer Zunge. „Was hat denn das . . . ?“

Weiter kam er nicht. Ein krachender Hieb sauste an seine Schläfe. Ein zweiter Schlag zertrümmerte ihm beinahe die Stirn. Ächzend fiel er in die Kissen zurück. Sein Bewußtsein verdämmerte. Die Schmerzen pochten nur noch dumpf an sein Hirn. Vor seinen Augen stand eine schwarze Wand. Er wußte nicht mehr, was mit ihm geschah.

Als er dann endlich aus seiner bleiernen Ohnmacht erwachte, war alles vorüber. Der Spuk hatte sich in Nichts aufgelöst. Die Deckenlampe spendete friedlichen Schein. Neben ihm stand Maud Ruby im seidenen Morgenmantel und legte abwechselnd nasse Tücher auf seine glühende Stirn.

Es dauerte eine geraume Weile, bis er die Kraft fand, sie anzureden. Argwöhnisch tastete er ihr hübsches Gesicht ab. Seine Blicke bohrten sich forschend in die ihren.

„Wer war das?“, fragte er tonlos. „Was haben sie gewollt?“

Maud Ruby hob kaum das Gesicht. „Sie durchwühlten deinen Koffer“, sagte sie wortkarg. „Anscheinend waren sie auf die Diamanten aus. Sie haben den Lederbeutel mitgenommen. Ich habe schon danach gesucht. Er ist verschwunden. Die Schlösser des Koffers sind aufgesprengt.“

Das war eine vernichtende Nachricht für Ralph Condray. Er sank stöhnend zurück. Um seine Mundwinkel grub sich ein Zug von Bitterkeit und Schmerz. Sein Gesicht wurde weiß wie Kreide. „Hast du sie erkannt?“, fragte er stammelnd.

„Nein.“

„Wo warst du, als sie in die Wohnung kamen?“

„In meinem Zimmer.“

„Und du hast nichts von allem gehört?“

„Doch“, sagte Maud Ruby mit gesenktem Blick. „Ich erwachte schon beim ersten Geräusch. Ich sprang aus dem Bett und zog diesen Mantel an. Aber als ich die Tür öffnete, stand plötzlich ein riesiger Bursche vor mir und versperrte mit den Weg. Er bedrohte mich mit dem Tod, wenn ich nicht schweigen würde. Was sollte ich da tun? Ich bin nur ein Mädchen.“

„Hm“, sagte Ralph Condray in seltsamem Ton. „Ein Mädchen. Und was für eins. Wenn du wenigstens den Mut zur Wahrheit hättest. Gib doch zu, daß es deine Freunde waren, die mich hinterhältig im Schlaf überfielen. Du hast ihnen die Sache mit den Diamanten erzählt, wie? Der Tip stammte von dir. Und später werdet ihr euch die Beute teilen. Stimmts nicht?“

Maud Ruby tränkte ein Tuch mit Wasser und legte es behutsam auf seine Stirn.

„Du redest im Fieber“, sagte sie sanft. „Ich dachte mir gleich, daß du noch nicht bei klarer Besinnung bist. Wie könntest du auch sonst einen solchen Unsinn reden.“

Ralph Condray hatte die Augen geschlossen und brütete dumpf vor sich hin. Aus, dachte er niedergeschlagen. Mit einer gesicherten Zukunft ist es aus. Ich habe mich die sieben Jahre drüben völlig umsonst abgeschuftet. Ich stehe mit leeren Händen vor dem neuen Lebensanfang. Was jetzt? Was soll nun werden?

Maud Ruby schien die dunklen Gedanken erraten zu haben, die ihn bedrückten.

„Du kannst hierbleiben“, sagte sie, „bis du eine andere Wohnung gefunden hast. Vielleicht kann ich dir auch helfen, einen guten Job zu finden. Wir reden morgen früh weiter darüber.“

Sie drückte ihn in die Kissen zurück und wartete geduldig, bis er in den Schlaf sank. Erst dann verließ sie leise das Zimmer.


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