Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 19
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„Na, wir sind jedenfalls gut ausgeschlafen“, sagte Wachtmeister Swan am nächsten Morgen frisch und munter zu seinem Vorgesetzten. „Bin neugierig, Sir, was uns Sergeant Robinson zu erzählen haben wird. Glaube nicht, daß er noch einmal freiwillig eine Nachtwache schiebt.“
„Erst abwarten“, sagte Inspektor Hester trocken. „Mir wäre es nur recht, wenn sich sein Nachtdienst gelohnt hätte. Kommen Sie, Swan! Wir wollen den armen Kerl nicht länger warten lassen.“
Es war genau 8.10 Uhr, als ihr Dienstwagen vor dem grauen Haus in der Dane Street in Islington hielt. Sie stiegen aus, traten an die Tür heran und drückten wieder auf die Glocke der Hausmeisterwohnung. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis sich der biedere Mann mit der blauen Arbeitsschürze vor ihnen aufbaute.
„Etwas gehört oder gesehen in der vergangenen Nacht?“, fragte Inspektor Hester rasch.
„No, nichts, Sir! Es war alles wie sonst. Ich glaube nicht, daß der Herr vom Dachgeschoß heute Nacht das Haus betreten hat.“
„Na also“, sagte Inspektor Hester enttäuscht. „Ich wußte es ja. Wir tappen immer im Nebel herum. Jede Spur, der wir nachlaufen, erweist sich als falsch.“
Wachtmeister Swan grinste schadenfroh.
„Wer hat denn nun recht, Sir?“, fragte er meckernd. „Ich wußte von allem Anfang an, daß uns dieser Zettel nur auf den Leim locken sollte. Ich wäre nie darauf hereingefallen. Aber Sergeant Robinson ist eben . . .“
„Kommen Sie mit nach oben!“, befahl Inspektor Hester dem Hausmeister. „Vergessen Sie den Schlüssel nicht.“
Wieder knarrte jede einzelne Stufe unter ihren Füßen. Auch das Geländer ächzte in allen Tonarten. Aus offenen Wohnungstüren kam der penetrante Geruch säuerlicher Milch und gekochter Windeln. Wachtmeister Swan rümpfte verächtlich die Nase. Er brummelte in einem fort vor sich hin. Widerwillig schnaufte er die Stufen hinauf. Ein Seufzer der Erleichterung kam über seine Lippen, als sie endlich vor der einsamen Tür im Dachgeschoß standen.
„Öffnen Sie!“, sagte Inspektor Hester zu dem Hausmeister. Es geschah. Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Kurz nachher sprang die Tür auf.
„Verdammt, hier ist es ja völlig finster“, brummte Inspektor Hester kopfschüttelnd. „Anscheinend liegt ein Rolladen vor dem Fenster. He, Robinson! Worauf warten Sie denn noch? Kommen Sie endlich hierher!“
Keine Antwort. Es blieb totenstill in dem muffigen Raum. Kein menschliches Lebenszeichen. Auch sonst kein Laut. Verdutzt griff Inspektor Hester nach dem Lichtschalter. Er zitterte, als er den Knopf drückte. In einer beklemmenden Ahnung schielte er in den Raum. Die nackte Birne an der Decke spendete nur kärgliches Licht. Aber auch dieser armselige Schein genügte, um den Schauplatz eines gräßlichen Verbrechens erbarmungslos zu enthüllen.
Inspektor Hester raufte sich beinahe die Haare aus. Mit dumpfem, ersticktem Murmeln ging er auf Sergeant Robinson zu, der verkrümmt und mit abgespreizten Armen auf dem verstaubten Fußboden lag. Das eingefallene Gesicht hatte alle Jugendfrische verloren. Es sah aus, als gehöre es einem Greis. Blaue Todesschatten lagen über den eingefallenen Wangen. Die erloschenen Augen stierten gläsern und mit stummem Vorwurf auf die zu spät eingetroffenen Kollegen.
„Kommen Sie her, Swan“, murmelte Inspektor Hester erschüttert. „Sehen Sie sich das an! Was halten Sie nun von unserer Klugheit? Wir sind unfähig, sage ich Ihnen. Vollkommen unfähig. Wären wir hiergeblieben, so hätten wir in dieser Nacht einen der abgefeimtesten Mörder zur Strecke bringen können. Während wir schliefen, hat er gewacht. Er sah uns sicher Weggehen. Er wußte genau, daß Sergeant Robinson allein zurückgeblieben war.“
„Das alles ist noch keine Erklärung für den Mord“, sagte Wachtmeister Swan kopfschüttelnd. „Sehen Sie sich die Pistole an, Sir, die Sergeant Robinson noch immer in der Hand hält. Sie ist durchgeladen und entsichert. Er hat auch jetzt noch den Finger am Abzug. Warum hat er nicht geschossen, Sir? Ich wiederhole noch einmal: Warum gab er keinen Schuß auf den Mörder ab?“
„Vielleicht kam er nicht mehr dazu“, meinte Inspektor Hester zaudernd.
„No, das war anders, Sir“, behauptete Wachtmeister Swan hartnäckig. Ich will es Ihnen sagen. Sergeant Robinson kannte den Mann, der hier bei ihm eindrang. Vielleicht war es ein Kollege. Vielleicht auch ein Mädchen aus Moncktons Kellerbar . . .“
„Mädchen schießen nicht mit abgefeilten Patronen“, warf Inspektor Hester ein. „Daß ein Kollege diese Tat beging, kann ich nicht glauben. Gute Freunde hatte Sergeant Robinson nicht. Der einzige, den er besaß, ist vor kurzem gestorben. Bleibt also doch wieder am Ende nur Mack Rupper übrig. Dieser Name verfolgt mich Tag und Nacht. Er ist wie ein Phantom, das nie zu greifen ist. Wir jagen hinter einem Schatten her, Swan. Hinter einem Schatten, der uns noch zum Wahnsinn treiben wird, wenn wir ihn nicht eines Tages doch noch fassen.“
Wachtmeister Swan nagte finster an seinen Lippen. Er starrte noch immer auf den Toten nieder. Wie gebannt hingen seine Blicke an der gräßlichen Brustwunde. Es war nicht schwer zu erraten, daß auch Sergeant Robinson einer abgefeilten Patrone zum Opfer gefallen war.
„Wir müssen die Mordkommission verständigen, Sir! Glaube nicht, daß wir ein Lob von den Herren bekommen werden. Was wir da machten, war eine riesengroße Dummheit. Es ist beinahe unverzeihlich, daß wir Sergeant Robinson allein in den Tod gehen ließen.“
„Das sagen Sie jetzt“, brummte Inspektor Hester niedergeschlagen. „Gestern Abend waren Sie anderer Meinung. Sie konnten nicht schnell genug nach Hause kommen.“
Nach diesen Worten zog er sich scheu an die Tür zurück, um keine Spuren zu verwischen. Er winkte auch Wachtmeister Swan zu sich heran.
„Sie werden hierbleiben“, murmelte er halblaut. „Ich rufe gleich unterwegs die Mordkommission an. Empfangen Sie die Herren. Erklären Sie ihnen den genauen Sachverhalt. Geben Sie ruhig unser Versagen zu. Ich werde inzwischen bei Kommissar Morry vorsprechen. Er muß mich in diesem schwierigen Fall unterstützen. Allein schaffen wir es nie.“
„Kommissar Morry hat zur Zeit den Fall Jack Miller zu bearbeiten“, murmelte Wachtmeister Swan achselzuckend. „Er wird keine Zeit für uns haben, Sir, er steckt bis zum Hals in der Arbeit.“ „So kann er uns zumindest einen Rat geben“, knurrte Inspektor Hester wortkarg. „Lassen Sie das vorerst meine Sorge sein. Sie wissen jedenfalls, was Sie hier zu tun haben.“
Sprachs, tippte mürrisch an den Hut und ging in müder Haltung die Treppe hinunter.
Als er zehn Minuten später im Sonderdezernat Scotland Yards eintraf, sah er das Chefzimmer Kommissar Morrys von zahlreichen Zeitungsreportern belagert. Ein stämmiger Konstabler hütete die Tür wie sein persönliches Heiligtum. Er ließ auch Inspektor Hester nicht an ihm vorbei.
„Sorry, Sir“, brummte er. „Kommissar Morry darf nicht gestört werden. Er hat ausdrücklichen Befehl gegeben, niemand einzulassen.“
Aber so leicht war Inspektor Hester nicht einzuschüchtern. „Gehen Sie hinein zu ihm“, befahl er kurz. „Sagen Sie ihm, es handele sich um den Fall Mack Rupper. Berichten Sie ihm auch, daß wir eben Sergeant Robinson tot aufgefunden hätten. Er wird dann sicher für mich zu sprechen sein.“
So war es auch. Schon nach kurzer Zeit durfte Inspektor Hester den strengbewachten Dienstraum betreten. Als er durch die Tür schritt, sah er Kommissar Morry inmitten eines riesigen Aktenberges am Schreibtisch sitzen. Er blieb in respektvoller Entfernung stehen und räusperte sich.
„Was gibt's, Hester? Fassen Sie sich kurz!“
Kommissar Morry fand kaum die Zeit, den Blick von seinen Protokollen zu heben. Die Überarbeitung der letzten Wochen hatte deutliche Spuren in seinem jugendlichen Gesicht zurückgelassen. Unter den übernächtigten Augen lagen dunkle Schatten. Um den Mund kerbten sich ein paar Falten, die früher nicht zu sehen gewesen waren.
Inspektor Hester stotterte hastig seinen Bericht herunter. Er erzählte von den Morden an Sergeant Waldram, Lissy Black und Sergeant Robinson.
„Ich bin am Ende meiner Weisheit, Sir“, schloß er seufzend seine Meldung ab. „Wenn Sie mir keinen Tip geben können, muß ich den Fall in andere Hände legen.“
Jetzt endlich blickte Kommissar Morry auf. Seine Stirn furchte sich. Ein Zeichen dafür, daß er scharf nachdachte.
„Sie glauben also, daß Mack Rupper der Täter war?“
„Yes, Sir!“
„Ich dachte, er sei getürmt?“
„Das sagt man, Sir! Aber ich glaube es nicht.“ „Dann sind wir in diesem Punkt verschiedener Meinung“, sagte Kommissar Morry nachdenklich. „Ich halte es sogar für sehr wahrscheinlich, daß Mack Rupper flüchtete. Bei seiner früheren Braut logiert zur Zeit ein anderer Mann. Allein dieser Umstand sollte Ihnen schon zu denken geben.“ Inspektor Hester blieb schweigsam. Er wußte nichts auf diese Worte zu sagen. Und bevor er sich blamierte, hielt er lieber den Mund.
Schließlich aber gab er sich noch einen Ruck. Er atmete krampfhaft die staubige Aktenluft ein.
„Verzeihen Sie, Sir“, murmelte er. „Ich finde keinen Zusammenhang unter diesen drei Morden. Sergeant Waldram und Sergeant Robinson waren unbescholtene Beamte, die nicht einmal in der Unterwelt Feinde hatten. Dazu waren sie noch viel zu kurz im Dienst. Lissy Black dagegen war eine berufsmäßige Dirne, die auf unserer Überwachungsliste stand . . .“
„Na und?“, meinte Kommissar Morry lächelnd. „Warum soll es da keine Zusammenhänge geben? Sehen Sie denn die Fäden nicht, die zwischen diesen drei Opfern hin und her spielen. Sergeant Waldram und Sergeant Robinson waren beim Sittendezernat, und Lissy Black war ein leichtes Mädchen, das sie zu kontrollieren hatten. Sie kannten sich also. Sie standen gar nicht so weit auseinander, wie Sie denken. Wenn Sie logisch weiter folgern, müssen Sie zu dem Schluß kommen, daß der Mörder in den Kreisen der gewerblichen Unzucht zu suchen ist.“
„In Moncktons Kellerbar etwa?“, fragte Inspektor Hester rasch.
„Möglich. Ich würde Ihnen raten, Chefinspektor Grahan vom Sittendezernat ins Vertrauen zu ziehen. Er kann Ihnen eine Liste aller dieser Mädchen geben. Er wird Ihnen auch einiges über seine Beamten erzählen können. Und noch etwas, Hester! Nehmen Sie in Zukunft fleißig an den Versammlungsabenden im Polizeiverein London Ost teil. Dieser Saalbau liegt nur ein paar Schritte von Moncktons Kellerbar entfernt. Sie wissen schon, was ich meine.“
„No, Sir, ich verstehe gar nichts“, sagte Inspektor Hester verständnislos.
„Dann werden Sie sicher eines Tages noch darauf kommen“, sagte Kommissar Morry lächelnd und beugte sich wieder über seine Akten. Die Unterredung war beendet.