Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 23

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Über dem Canal Grove in Hoxton sank die Dämmerung. Der stürmische Wind, der durch die ärmliche Straße fegte, wehte welkes Laub und Papierfetzen zusammen.

„Machen Sie rasch“, sagte Alfred Glashill zu den Arbeitern, die an der Vorderfront seines Ladens beschäftigt waren. „Es dunkelt schon. Möchte die Sache heute noch zum Abschluß bringen.“

Er trat ein paar Schritte auf den schmutzigen Gehsteig hinaus und schaute stirnrunzelnd in die blaue Abenddämmerung hinein. Schon nach wenigen Sekunden entdeckte er den Eckensteher Frede- rick Lawes, der seinen Buckel an einer Hauswand rieb und beide Hände in den Hosentaschen vergraben hatte. Eine dicke Zigarre klebte zwischen seinen Lippen. Anscheinend lebte er nicht schlecht.

„He, Frederick“, rief Alfred Glashill laut zu ihm hinüber.

„Komm mal her! Möchte dich was fragen.“

Es dauerte ziemlich lang, bis Frederick Lawes sich überwinden konnte, den völlig unnötigen Weg auf sich zu nehmen. Mit schwerfälligen Schritten kam er schließlich näher.

„Was willst du?“, fragte er mundfaul.

„Du hast doch hoffentlich die Klappe gehalten“, hüstelte Alfred Glashill aufgeregt. „Möchte auf keinen Fall, daß jemand etwas von den Diamanten erfährt. Mach endlich den Schnabel auf. Hast du dicht gehalten oder nicht?“

Frederick Lawes schielte grinsend auf die fleißigen Arbeiter, die eben damit beschäftigt waren, schwere Maschengitter vor den ärmlichen Schaufenstern anzubringen. Die Tür bekam neue Schlösser und Sperrketten. Eben wurden die Sicherungszapfen in die Hauswand eingemauert.

„Diese Gitter sind mehr wert als dein ganzer Laden“, maulte Frederick Lawes boshaft. „Die Leute werden sich wundern, wenn sie in Zukunft deine Festung sehen. Sie werden sich an die Stirn tippen. Was sollte man denn bei dir stehlen, he?“

„Das weißt du ganz genau“, zischte Alfred Glashill wütend.

„Glaube kaum, daß ein Juwelier in der Innenstadt größere Schätze in seinem Haus aufbewahrt. Gib mir dein Wort, Frederick! Dein Ehrenwort darauf, daß du keine Silbe verraten hast.“

Frederick Lawes zog seinen Buckel zwischen die Schultern und stoffeite grinsend auf die andere Straßenseite hinüber. Vor seiner Stammecke machte er halt. Er lehnte sich wieder an die Hauswand und zündete sich mit aufreizender Ruhe eine neue Zigarre an.

„Hätte ich doch nur diesen Halunken niemals in mein Haus gelassen“, jammerte Alfred Glashill verzweifelt vor sich hin. „Dieser Bursche bringt mich noch um meinen Verstand. Ich kann keine Nacht mehr schlafen. Wollte Gott, ich hätte diesen Lederbeutel nie gesehen. Dann wäre mir entschieden leichter um‘s Herz, und ich hätte mir auch diese verdammten Ausgaben ersparen können.“

Um sieben Uhr waren die Handwerker fertig. Sie räumten ihre Werkzeuge zusammen, bekamen ihren Lohn ausgezahlt und entfernten sich dann in Richtung der Hoxton Brücke. Die Scherengitter vor den Schaufenstern glänzten neu und frisch im Schein der Laternen. Die Messingbeschläge an der Tür schimmerten wie pures Gold.

Alfred Glashill huschte wie eine Ratte in den Laden und legte die Sperrketten vor. Er löschte alle Lichter und zog sich in seine kleine Wohnstube zurück, die unmittelbar hinter dem Geschäftsraum gelegen war.

Dort bereitete er sich sein ärmliches Abendessen, schrieb dann noch eine Weile in einem Kassenbuch herum und kroch schon kurz nach neun Uhr in die Federn.

Er versuchte, nur noch an die schweren Gitter zu denken, um unbeschwert und friedlich einschlafen zu können.

Aber auch die schwersten Schlösser spendeten ihm keinen Trost. Er wälzte sich so unruhig und gequält auf seinem Lager hin und her wie in all den vergangenen Nächten und konnte einfach kein Auge zutun. Immer wieder glaubte er ein verdächtiges Geräusch zu hören. Alle zehn Minuten stand er auf, nahm seine Handlampe vom Nachttisch und leuchtete in den Laden hinaus.

So ging das bis Mitternacht. Er war völlig erschöpft, als er sich zum hundertsten Male auf sein Lager warf, und so übermüdet, daß ihm alle Glieder zitterten. Aber der Schlaf wollte trotzdem nicht kommen. Mit laut pochendem Herzen horchte er unablässig in die Dunkelheit.

Es mochte ein Uhr morgens sein, da hörte Alfred Glashill plötzlich ein leises Geräusch im Flur seines Hauses. Ein eintöniges Kratzen und Schaben, das sich genauso anhörte, als wolle jemand ein paar Gitterstäbe aus einer Hauswand feilen. Kurz nachher glaubte er eine Tür gehen zu hören. Im Hausflur waren tappende Schritte. Alfred Glashill kroch schweißgebadet unter die Decken. Sein spindeldürrer Körper flog wie im Schüttelfrost. Was jetzt, dachte er mit wirbelnden Gedanken. Was soll ich tun? Wie kann ich mich gegen dieses Diebsgesindel wehren? Ich selbst bin zu schwach dazu, und die Polizei . . .

Hin- und hergerissen zwischen Angst und Habgier, taumelte er schließlich von seinem Lager auf. Er nahm seine Lampe vom Nachttisch und huschte flink und geräuschlos in den Ladenraum hinaus. Dort blieb er stehen. Er hielt den mageren Oberkörper vorgebeugt und lauschte. Eine würgende Angst schnürte ihm die Kehle zusammen. Keuchend brachen die Atemstöße über seine Lippen.

Sie sind im hinteren Hausflur, dachte er. Sie haben genau die Stelle erraten, an der ich den Lederbeutel verbarg. Ich muß ihnen zuvorkommen. Die Polizei muß hier sein, noch ehe sie den ersten Mauerstein herausbrechen können. Er war schon auf dem Weg zur Tür, da entdeckte er plötzlich den Schatten eines großen Mannes vor dem rechten Schaufenster. Er stockte mitten im Schritt.

Sie haben einen Posten ausgestellt, dachte er gepeinigt. Es ist aus. Der letzte Fluchtweg ist mir abgeschnitten. Morgen früh werde ich ein armer Mann sein. Und das alles nur wegen diesem verdammten Eckensteher, der mich zum Irrsinn . . .

Seine Gedanken zerstoben wie Spreu vor dem Wind. Der Knall eines Schusses hallte dumpf über die Straße. Fast gleichzeitig zerklirrte die Scheibe des rechten Schaufensters. Tausend Splitter flogen durch den Raum. Irgendwo klatschte eine Patrone matt und kraftlos gegen die Wand. Der Schatten draußen von den Scherengittern sackte zusammen. Ein leises Stöhnen kam durch die zersplitterte Scheibe. Ein ersticktes Röcheln, das Alfred Glashill durch Mark und Bein ging.

Er stand da und wagte sich nicht zu rühren. Unaufhörlich liefen eisige Schauer über seine Haut. Seine Augen wanderten hin und her wie die Lichter einer gehetzten Ratte.

Er sah zwei, drei Gestalten vor der zerbrochenen Scheibe auftauchen. Er hörte sie leise miteinander tuscheln. Er sah, daß sie eine schwere Last vom Boden aufhoben und gemeinsam wegschleppten. Ihre schleifenden Schritte verhallten auf dem Gehsteig. Nach einer Weile war nichts mehr zu hören. Jetzt endlich wagte sich Alfred Glashill an die Tür. Mit bebenden Fingern löste er die Sperrketten. Kurz nachher schloß er die beiden schweren Schlösser auf. Vorsichtig und scharf nach allen Seiten witternd trat er auf die Straße. Zunächst konnte er gar nichts erkennen. Glassplitter knirschten unter seinen leichten Hausschuhen. Dann sah er plötzlich Blut zu seinen Füßen. Ein dunkelroter Fleck schillerte unmittelbar unter dem rechten Schaufenster. Eine dünne Blutspur lief den Gehsteig entlang. Alfred Glashill hielt sich an diese Spur. Wie ein Raubtier schlich er der blutigen Fährte nach. Sie endete an der nächsten Straßenecke. Anscheinend hatte hier ein Wagen gestanden. Die Halunken waren inzwischen längst über alle Berge.

Alfred Glashill brüllte wie ein angeschossener Hirsch, als er einsam und allein zu seinem Laden zurücklief. „Polizei!“, kreischte er. „Verdammt, wo bleiben denn die Cops? Darf sich hier jeder Frechling erlauben, anständige Bürger auszuplündern? Hilfe! Hilfe! Wo bleibt die Polizei?“

Man hörte das durchdringende Geschrei noch bis zu dem Wagen, der eben rasch durch eine Toreinfahrt brauste.

„Das habt ihr nun davon“, knurrte Hope Bolton gereizt. „Dieser Narr hetzt uns sämtliche Verkehrsstreifen von Hoxton auf die Fersen. Er wird keine Ruhe geben, bis wir alle im Eimer sitzen. War ein verdammt schlechter Tip, Frederick, den du uns da ins Ohr geflüstert hast.“

Frederick Lawes kroch ängstlich in sich zusammen. „Wer hat denn auch mit einem solchen Zwischenfall gerechnet“, raunce er verstört. „Zehn Minuten später wäre das Loch in der Wand offen gewesen. Wir hätten nur hineinzugreifen brauchen. Da kam dieser hinterhältige Schuß . . .“

Hope Bolton, der am Steuer saß, drehte sich hastig um.

„Wie war das, Alban?“, fragte er laut. „Hörst du mich? Konntest du den Schützen erkennen? Hast du eine Ahnung, wer dir das Licht ausblasen wollte?“

Alban Vock krümmte sich stöhnend auf den Rücksitzen. Er brachte kein Wort über die Lippen. Er war überhaupt nicht bei klarem Verstand. Eine bleierne Ohnmacht hatte sein Bewußtsein ausgelöscht. Die rechte Faust hielt er krampfhaft an die Herzseite gepreßt. Die Finger lagen an einer klaffenden Wunde, aus der unaufhörlich dunkles Blut quoll.

„Schneller!“, knurrte Bill Webster. „Er stirbt uns sonst noch während der Fahrt. Wir müssen ihn in seine Bude schaffen. Ich werde nachher gleich Jeff Prescott aus der Blauen Taverne holen. Der Kerl war früher Sanitäter bei der Marine. Vielleicht kann er Alban noch einmal zusammenflicken.“

„Wenn uns die Cops nicht vorher am Kragen haben“, fügte Hope Bolton beklommen hinzu. „Ich sehe ziemlich schwarz für die Zukunft, meine Herren! Alfred Glashill braucht vor der Polizei nur den Namen Fredericks erwähnen, dann sitzen wir schon im Eimer.“

„Er wird sich hüten“, gab Frederick Lawes gedämpft zurück.

„Ich sage euch, er wird sich hüten. Wenn die Cops von den Diamanten erfahren, schneidet er sich ins eigene Fleisch. Er ist viel zu habgierig, um über diesen Punkt auch nur eine Silbe zu verlieren.“

„Haltet jetzt die Klappe!“, zischte Hope Bolton. „Wir sind schon da. Es muß rasch gehen, verstandet?“

Er fuhr so dicht an eine verlassene Garage heran, daß sie unmittelbar vor der Seitentür hielten. Kein Mensch konnte sehen, was man aus dem Wagen wegschleppte. Hope Bolton und Bill Webster nahmen den Ohnmächtigen auf die Arme und trugen ihn die steile Treppe hinauf. Oben stießen sie eine Tür auf, die in den ärmlichen Verschlag Alban Vocks führte. Sie ließen ihre schwere Last auf eine

Pritsche fallen und starrten dann keuchend in das wachsbleiche Gesicht ihres Spießgesellen.

„Hoffentlich kommt er durch“, raunte Hope Bolton unruhig. „Wüßte nicht, wohin wir ihn schaffen sollten, wenn er sterben würde.“

„Ich hole Jeff Prescott“, brummte Bill Webster hastig. „Richtet einstweilen ein paar Tücher her und stellt Wasser auf den Herd. Ich bin gleich wieder zurück.“

Es dauerte wirklich nicht lange, da kam er wieder und brachte Jeff Prescott angeschleppt. Der ehemalige Sanitäter wußte rasch, was die Uhr geschlagen hatte. Er blickte kopfschüttelnd auf die gezackte Wunde. Argwöhnisch musterte er die ausgefransten Wundränder.

„Querschläger“, sagte er lakonisch. „Scheint eine abgefeilte Patrone gewesen zu sein, meine Herren! Hoffentlich erratet ihr, wem ihr diesen gemeinen Anschlag zu verdanken habt.“

„Mack Rupper?“, fragte Hope Bolton in dumpfer Ahnung.

„Ja, Mack Rupper! Wer sollte es sonst gewesen sein? Dieser Bursche hat euch aufgelauert.“

„Aber warum denn?“, fragte Bill Webster verständnislos. „Was sollte Mack gegen uns haben? Als er damals türmte, hat er sich vorher noch von uns verabschiedet. Es fiel kein böses Wort dabei. Er drückte uns sogar noch ein paar Scheine in die Hand.“

„Vielleicht hat er Angst, daß ihr ihn verzinken könntet“, meinte Jeff Prescott achselzuckend. „Da macht er lieber vorher reinen Tisch. Auf drei Morde mehr oder weniger kommt es ihm nicht an.“

Der Name Mack Rupper schwebte wie ein düsteres Verhängnis in dem engen Verschlag. Jeder glaubte die Nähe eines erbarmungslosen Teufels zu spüren. Sie duckten die Köpfe und sahen sich scheu und beklommen an.

„Das kann ja heiter werden“, brummte Hope Bolton gepreßt. „Dann müssen wir also in Zukunft jede Minute um unser Leben zittern, wie?“

Jeff Prescott gab ihm keine Antwort. Auch Bill Webster und Frederick Lawes schwiegen. Der ehemalige Sanitäter machte sich über Alban Vock her und begann mit den primitivsten Mitteln, die Wunde zu reinigen und zu verbinden. Ein Wunder geschah. Alban Vock überstand lebend diese Tortur. Am nächsten Tag war er schon wieder bei Bewußtsein. Eine Woche später saß er wieder in Ruth Bonfields Blauer Taverne und verdrückte gelassen die größten Portionen.


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