Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 40

Оглавление

20



Maud Ruby war gedrückt und still in der Blauen Taverne sitzengeblieben. Sie grübelte den Fragen des Chefinspektors nach. Es waren keine frohen Gedanken, mit denen sie sich beschäftigte. Sie hätte sich gefreut, wenn Ralph Condray etwas Zeit für sie gefunden hätte. Sie sehnte sich nach einem tröstenden Wort. Sie hätte gern seine Stimme gehört.

Aber gerade heute war er sehr stark beschäftigt. Er hatte alle Hände voll zu tun. Er kam zu keiner Atempause, bis endlich die Sperrstunde nahte. Maud Ruby trank ihr Glas leer und zog ihren Mantel an. Dann wartete sie, bis er abgerechnet hatte und an ihre Seite trat. Er war müde. Mit mattem Lächeln verließ er neben ihr das Lokal. Sie gingen so eng nebeneinander her, als wären sie schon ihr ganzes Leben Seite an Seite gewandert. Der eisige Wind machte ihnen nichts aus. Auch die feuchte Kälte störte sie nicht.

Erst als sie vor dem roten Backsteinhaus standen, spürte Ralph Condray wieder einen dumpfen Druck auf der Brust. Das ging ihm immer so, wenn er den großen Schlüssel ins Schloß führte. Er kam einfach von dem beklemmenden Gedanken nicht los, daß dieser Schlüssel ins Reich des Todes führe. Er hatte die düstere Ahnung, als lauere gerade heute wieder eine tödliche Gefahr in diesem altertümlichen Haus. Auch Maud Ruby wurde ängstlich und schweigsam. Sie ging eng an seiner Seite die Treppe hinauf. Sie öffnete oben die Tür und machte Licht im Wohnzimmer.

„So!“, sagte sie mit einem befreiten Atemzug. „Ich glaube, heute haben wir nichts Schlimmes mehr zu erwarten. Wir wollen es uns gemütlich machen. Willst du einen heißen Tee haben?“

„Bitte!“, sagte Ralph Condray erfreut. „Etwas Warmes wird mir gut tun. Aber bleib nicht zu lange weg!“

Er hörte sie geschäftig in der Küche hantieren. Sie summte sogar ein heiteres Liedchen vor sich hin. Als sie ins Zimmer zurückkehrte, war ihr Gesicht weich und gelöst. In ihren Augen schimmerte ein seltsamer Glanz. Sie deckte den Tisch und setzte sich dann neben ihn auf das Sofa. Sie ließ die Hände still im Schoß liegen, obwohl sie gern etwas anderes getan hätte. Einmal möchte ich ihn in die Arme nehmen, dachte sie in einer heißen Sehnsucht. Einmal möchte ich ihm sagen, was ich für ihn empfinde. Was er wohl darauf erwidern wird?

„Woran denkst du?“, fragte Ralph Condray in diesem Moment.

„An mich und meine Vergangenheit“, sagte Maud Ruby versonnen.

„Wie schade, daß ich so lange in die Irre gegangen bin. Wären wir uns früher begegnet, so hätte mein Leben sicher einen anderen Lauf genommen. Du warst eben zu lange weg. Und ich hatte dich auch in ganz falscher Erinnerung. Ich dachte immer, du wärst von der gleichen Sorte wie Mack und Hope Bolton und all die ändern.“

Ralph Condray zuckte lächelnd mit den Schultern. Er wollte ihr wieder einmal erklären, daß er nie anders als Ralph Condray geheißen habe. Aber dann ließ er es sein. Sie würde ihm ja doch nicht glauben. Sie hielt ihn nun einmal für James Green und dabei blieb sie.

„Ich werde heute Nacht hierbleiben“, sagte Maud Ruby mit dunkler Stimme. „Du darfst mich nicht wegschicken, James. Ich habe dir soviel zu sagen. Aber das kann ich nur tun, wenn es völlig dunkel um uns ist. Verstehst du mich?“

Sie wartete beklommen auf eine Antwort. Ungeduldig harrte sie seinen Worten entgegen. Aber das Läuten der Flurglocke kam ihr zuvor. Es riß sie brutal aus ihren Träumen.

„Wer ist das?“, fragte sie unruhig. „Hast du eine Ahnung, James? Glaubst du, daß die Polizei . . . ?“ Sie erhob sich rasch, ging hinaus in den Korridor und öffnete die Wohnungstür. Draußen stand niemand. Das Treppenhaus gähnte ihr finster und leer entgegen. Also mußte jemand unten geläutet haben. Maud Ruby ging rasch wieder ins Wohnzimmer, öffnete ein Fenster und beugte sich weit hinaus.

„Hallo?“, rief sie auf die Straße hinunter. „Wer ist da?“

„Post!“, klang es kurz von unten herauf. „Ein Telegramm für Miß Ruby.“

„Soll ich nicht lieber gehen?“, fragte Ralph Condray zuvorkommend.

„Nein, laß nur. Ich gehe selbst.“

Sie war nicht mehr zurückzuhalten. Sie lief hastig die Treppe hinunter. Wer könnte mir wohl ein Telegramm schicken, fragte sie sich im stillen. Ich habe doch niemand auf der Welt. Keine Verwandte, keine Freunde, keinen Menschen, der mir nahesteht.

Sie ging auf einmal langsamer. Jede einzelne Stufe wurde wie ein Abgrund unter ihren Füßen. Heiß stieg der Argwohn in ihr auf. Eine schreckliche Ahnung lähmte ihr Denken. Als sie den Hausflur erreichte, spürte sie plötzlich einen kühlen Luftzug im heißen Gesicht. Die Tür mußte offen stehen. Grau drang das Dämmerlicht von der Straße herein.

„Hallo?“, rief Maud Ruby beklommen. „Ist da jemand?“

Sie hörte das leise Rascheln eines Mantels. Sie spürte einen heißen Atem in ihrer Nähe. Sie hörte ein hartes Klicken. Gleichzeitig flammte der dünne Strahl einer Handlaterne auf. Der Lichtkegel richtete sich mitten in ihr erstarrtes Gesicht.

Also doch, dachte Maud Ruby entgeistert. Ich ahnte es ja. Ich bin wieder einmal völlig blind in die Falle gelaufen.

Sie wollte sich umdrehen, wollte hastig die Treppe emporstürmen, wollte Ralph Condray zu Hilfe rufen. Aber nichts von alledem konnte sie wirklich tun. Sie war wie gelähmt. Ihre Stimme versagte den Dienst. Sie war unfähig, sich zu bewegen.

In panischer Furcht wartete sie auf das Ende. Sie fühlte sich wie ein unschuldiges Opfer, das zur Richtstätte geführt wird. Fassungslos vor Entsetzen wartete sie auf den Schuß, der alle Träume und Hoffnungen für immer vernichten würde.

Es kam jedoch nicht so weit. Ein rettender Engel stand ihr wieder einmal zur Seite. Während sie noch voller Verzweiflung auf den Eintritt einer schrecklichen Katastrophe wartete, wurde schon der Schlußakt des großen Dramas eingeleitet.

Der Hausflur lag plötzlich in gleißendem Lichtschein. In der geöffneten Tür stand Kommissar Morry. Hinter ihm tauchten vier, fünf uniformierte Beamte auf. Maud Ruby starrte verständnislos auf die bewegte Szene. Auf ihre Brust war noch immer eine Pistole gerichtet. Und die Frau, die diese tödliche Waffe in den Händen hielt, war . . . Ruth Bonfield, die Wirtin der Blauen Taverne.


Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band

Подняться наверх